A. Tatbestand (vereinfacht):
Beschluss des BGH vom 10.11.2022 – IV ZB 30/20, JA 2022, 867
Die Beteiligten (A, B und C) streiten darüber, ob A und B Miterben des am 24. April 2017 verstorbenen Erblassers (E) geworden sind.
A ist die Tochter des E aus erster Ehe. Der E und seine zweite Ehefrau (F) erstellten unter dem 10. März 2011 ein gemeinschaftliches eigenhändiges Testament, das von beiden unterzeichnet wurde. Darin setzten sie sich gegenseitig zu Alleinerben ein; weiter heißt es unter anderem:
"Unser gemeinsam erarbeitetes Kapital ist in zwei Ländern angelegt in Deutschland und in Italien mit in etwa gleicher Wertigkeit. Deswegen geben wir eine genaue Anweisung für die Nach/Schlußerben. Wir haben zwei Häuser mit Grundstück, eines in W. /D und ein Ferienhaus in P. /I. … Für diese beiden Erbteile verfügen wir in vollem Einverständnis miteinander über die Nacherben. Nach dem Tod beider Partner soll das Erbe wie vorgesehen weiter gegeben werden an: Erbteil W. an … [die C] Erbteil P. /I. fällt an eine Erbengemeinschaft aus 5 befreundeten Familien, da … F außer ihrem Ehemann keine Erben hat … Namen und Adressen für das Erbteil Italia sind im PC-Ausdruck angehängt und persönlich unterschrieben. …"
In einer maschinengeschriebenen "ANLAGE Gemeinschafts-TESTAMENT NAMENSLISTE der ERBENGEMEINSCHAFT" sind durch Querstriche getrennt fünf Paare, darunter die A und B, mit ihren jeweiligen Namen, Adressen und Kontaktdaten aufgeführt, wobei in mehreren Fällen die Namen den jeweiligen Paaren zugeordneter weiterer Personen mit aufgeführt sind. Die Anlage ist handschriftlich auf den 10. März 2011 datiert und von E und F unterschrieben.
Nachdem F verstorben war, errichtete E ein notarielles Testament, in dem er die Beteiligte zu 3 (C) als Alleinerbin einsetzte. Nach dem Tod des E haben die Beteiligten zu 1 und 2 (A und B) die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Erben zu je 1/20 ausweist.
Fallfrage:
Ist das gemeinschaftliche Testament formwirksam errichtet worden?
B. Lösung
Das hängt maßgeblich davon ab, ob die Schriftform eingehalten wurde.
I. Allgemeine Grundsätze
Gemäß § 2247 Abs. 1 BGB kann der Erblasser ein Testament durch eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung errichten. Gemäß § 2267 Satz 1 BGB genügt es zur Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments nach § 2247 BGB, wenn einer der Ehegatten das Testament in der dort vorgeschriebenen Form errichtet und der andere Ehegatte die gemeinschaftliche Erklärung eigenhändig mitunterzeichnet.
Notwendig ist, dass sämtliche Verfügungen des Erblassers der Form genügen. Dabei ist der Verweis auf solche Anlagen zulässig, die selbst der Testamentsform genügen (zum Beispiel notarielles Testament).
Ein Verweis auf Anlagen die nicht der Testamentsform genügen ist hinsichtlich des Inhalts des Testaments grundsätzlich nicht zulässig.
„Zulässig soll allerdings nach herkömmlicher Ansicht die Bezugnahme zum Zwecke der näheren Erläuterung der testamentarischen Bestimmungen sein, weil es sich dann nur um die Auslegung des bereits formgültig erklärten, andeutungsweise erkennbaren Willens handele insoweit wird nach bisheriger Rechtsprechung zwischen (zulässigen) Bezugnahmen zur näheren Erläuterung einerseits und (unzulässigen) ergänzenden oder inhaltsbestimmenden Bezugnahmen andererseits differenziert.“
Hinweis
Die Unterscheidung zwischen erläuternden und ergänzenden Bezugnahmen birgt jedoch die Gefahr erheblicher Abgrenzungsschwierigkeiten und hat zum Teil zu einer zu großzügigen Zulassung von Bezugnahmen auf nicht formwirksame Anlagen geführt.
II. Formwirksamkeit im vorliegenden Fall
Es gilt es zu prüfen, ob die letztwillige Verfügung, soweit sie formwirksam ist, für sich genommen hinreichend bestimmt und damit vollständig ist.
Im vorliegenden Fall ist die getroffene letztwillige Verfügung bezüglich des Erbteils „P./I.“ nicht hinreichend bestimmt und damit unvollständig. Aus dem Text des Testaments wird gerade nicht erkennbar welche Personen mit der Formulierung „5 befreundete Familien“ gemeint waren.
Daher ist zu prüfen, ob sich aus der formunwirksamen Anlage ein Ergebnis ermitteln lässt, welches zumindest andeutungsweise oder versteckt im Testament zum Ausdruck gekommen ist.
Hinweis
Für eine solche Andeutung genügt nicht die (bloße) Bezugnahme auf die Anlage im Testament.
Das allgemeine erbrechtliche Bestimmtheitsgebot besagt, dass der Erblasser seine Verfügungen so formulieren muss, dass Geltungsanordnung, Zuwendungsempfänger und Zuwendungsgegenstand mit praktisch hinreichender Sicherheit aus den getroffenen Verfügungen entnommen werden können; § 2065 Abs. 2 BGB stellt eine spezielle Ausprägung dieses Grundsatzes dar.
Ohne die Möglichkeit die Erblasser zweifelsfrei aus dem Testament selbst bestimmen zu können liegt keine wirksame Einsetzung vor. Über diesen Mangel hilft auch nicht allein die Bezugnahme auf die nicht der Testamentsform entsprechende Anlage hinweg. Die Anlage wird gerade nicht Teil der formgültigen letztwilligen Verfügung. § 2247 BGB fehlt gerade eine den §§ 9 Abs. 1 Satz 2 BeurkG, § 160 V ZPO vergleichbare Regelung.
Hinweis
Es entspricht auch dem Willen des historischen Gesetzgebers, solche Bezugnahmen - anders als noch in dem Bürgerlichen Gesetzbuch vorangegangenen Rechtsordnungen – auszuschließen.
Eine Andeutung des aus der nicht der Testamentsform genügenden Anlage folgenden Auslegungsergebnisses ergibt sich auch nicht aus der im Testament enthaltenen Bezeichnung der „5 befreundeten Familien“.
„Zwar können, wenn der Wortlaut eines Testaments mehrere Deutungen zulässt, zur Klärung des innerhalb des Wortlauts liegenden Auslegungsspielraums auch außerhalb des Testaments liegende Umstände herangezogen werden, wozu auch nicht der Testamentsform genügende Schriftstücke zählen.“
Allerdings muss sich der aus den Anlagen ermittelte Wille des Erblassers zumindest ansatzweise entnehmen lassen. Ist dies nicht der Fall, so ist der unterstellte, aber nicht formgerecht erklärte Wille des Erblassers unbeachtlich (§ 125 S. 1 BGB!).
Ein bestimmter Wille des Erblassers ist nicht bereits dadurch im Testament angedeutet, dass dessen Wortlaut überhaupt auslegungsbedürftig ist und sich die generelle Willensrichtung aus dem Wortlaut herleiten lässt.
Hinweis
Die Anwendung der Andeutungstheorie kann nicht dazu führen, die Formnichtigkeit einer letztwilligen Verfügung zu überwinden.
Hier lässt zwar der Wortlaut des Testaments - anders als in Fällen bloßer Bezugnahme auf die Anlage - hinsichtlich des darin verwendeten Begriffs der "5 befreundeten Familien" Raum für eine (entsprechende) Auslegung. Dem Wortlaut der formgültigen Verfügung lässt sich aber keine Andeutung entnehmen, dass eine Einsetzung der Beteiligten A und B als Miterben gewollt war.
Hinweis
Eine andere Ansicht, die die Anlage zur Auslegung heranziehen möchte und zugleich in der Bezeichnung als "5 befreundete Familien" eine hinreichende Andeutung des Erblasserwillens sieht, wird hingegen den Zwecken des Formerfordernisses nicht gerecht. Die Vorschriften über die Formen, in denen Verfügungen von Todes wegen getroffen werden können, dienen unter anderem dem Zweck, die Echtheit der Erklärungen des Erblassers sicherzustellen und Streitigkeiten über den Inhalt letztwilliger Verfügungen zu verhindern. Dem ist nicht Genüge getan, wenn sich erst aus einer nicht formgerechten und damit im Grundsatz einer erhöhten Fälschungsgefahr unterliegenden Anlage ergibt, wer Erbe ist.
Ergänzend stellt der BGH klar, dass es für die Annahme der Formunwirksamkeit nach § 125 Satz 1 BGB nicht darauf ankommt, ob im konkreten Fall das Risiko einer Fälschung der Anlage bestand.
III. Ergebnis
Die Erbeinsetzung war insoweit formunwirksam.