Mit einem geradezu "klassischen" mehraktigem Tatgeschehen beim Tötungsversuch musste sich der BGH bei seiner Entscheidung vom 19.03.2013 (1 StR 647/12 - abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de) beschäftigen:
Nachdem A erkannt hatte, dass sich N wohl endgültig von ihm trennen wollte, beschloss er, N zu töten und aus der Tötung einen finanziellen Vorteil zu ziehen. Zu diesem Zweck schloss er eine Risikolebensersicherung auf N ab, die im Todesfall € 500.000,00 an ihn zahlen sollte. Da der Tod wie ein häuslicher Unfall aussehen sollte, fesselte er die schlafende N zunächst und brachte sie dann ins Badezimmer. Hier wollte er eine Tatsituation simulieren, bei der N im nassen Bad ausgerutscht und mit tödlichen Folgen auf den Boden geschlagen sei. Dementsprechend zog A den Kopf der N zunächst nach vorne und schleuderte ihn dann mit aller Kraft auf den gefließten Boden. N zog sich dabei eine Verletzung am Kopf zu, die aber nicht lebensbedrohlich war. A, der dies erkannte, versuchte nunmehr, das Genick durch Überdrehen des Kopfes nach hinten zu brechen. Als auch dieses nicht funktionierte, ließ er von N ab und beschimpfte sie. Im Anschluss daran versuchte er, Mund und Nase von N zuzudrücken und so ihre Gegenwehr auszuschalten. Als auch das nicht gelang, stopfte er ihr ein Handtuch in den Mund-und Rachenraum und hielt ihr die Nase zu. Als N langsam kraftlos wurde, ließ es allerdings von ihr ab.
Das LG hatte A aufgrund eines Rücktritts gem. § 24 I StGB vom versuchten Totschlag/Mord frei gesprochen. Der BGH hob dieses Urteil auf, weil er tragfähige Feststellungen zum Rücktrittshorizont des A und zu einerm möglichen Zäsur des Geschehens vermisste.
Zu Recht weist der BGH darauf hin, dass Feststellungen zum Vorstellungsbild des A unabdingbar sind zur Beantwortung der Frage, ob ein fehlgeschlagener, beendeter oder unbeendeter Versuch vorliegt.
In seiner Entscheidung definiert der BGH zunächst schulbuchmäßig, wann welcher Versuch angenommen werden kann. Demnach ist ein Versuch fehlgeschlagen, wenn "die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält." In einem solchen Fall ist ein Rücktritt nicht mehr möglich.
Streitig ist,auf welchen Zeitpunkt bei der Beurteilug abzustellen ist. Nach der teilweise in der Literatur vertretenen Einzelaktstheorie wird mei mehraktigen Geschehen auf jeden einzelnen, nach der Vorstellung des Täters erfolgsgeeigneten Akt abgestellt. Vorliegend würde das dazu führen, dass A, nachdem er den Kopf der N auf den Boden geschlagen hat, dann nicht mehr zurücktreten könnte, wenn er davon ausginge, mit dieser Vorgehensweise den Erfolg nicht mehr herbei führen zu können. Nach h.M., auch der des BGH, ist auf eine Gesamtbetrachtung abzustellen. "Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Aussetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor." Voraussetzung für diese Gesamtbetrachtung ist aber, dass die Einzelakte zeitlich aufeinanderfolgen und keine Zäsur vorliegt, welche u.a. dann angenommen werden kann, wenn der Täter zwischenzeitlich seinen Vorsatz aufgibt oder ändert.
Von daher ist es wichtig zu wissen, was sich A gedacht hat, nachdem er den Kopf der N nach hinten überstreckt hat, um ihr das Genick zu brechen. Laut Sachverhalt ließ er zunächst von ihr ab und beschimpfte sie. Erst danach versuchte er, sie zu ersticken, um ihre Gegenwehr zu unterbinden. Gab er zu diesem Zeitpunkt seinen ursprünglichen Vorsatz (fingierter Unfalltod) auf, um ihn danach erneut zu fassen (Tod durch Ersticken in Verdeckungsabsicht), dann könnte darin eine Zäsur gesehen werden mit der Folge, dass 2 Taten vorlägen: der erste Versuch könnte fehlgeschlagen sein, da A festgestellt haben könnte, dass er mit Handlungen, die einen Unfall simulieren, den Tod nicht herbei führen kann. Die zweite Tat wäre hingegen noch rücktrittsfähig, da er den Erstickungstod durch Fortführen der eingeleiteten Maßnahmen noch hätte herbeiführen können. Liegt hingegen zwischen den einzelnen Akten keine Zäsur, dann würde das Geschehen zusammen gefasst und A wäre insgesamt von der einen Tat (versuchter Mord an N) strafbefreiend zurückgetreten.
Weitere Ausführungen dazu finden Sie in unseren ExO`s und im GuKO SR I. Einen Auszug aus dem Skript finden Sie hier: http://www.juracademy.de/web/topic.php?id=12530