Die Wiederaufnahme eines Verfahrens ist eine wichtige Möglichkeit, rechtskräftige Fehlentscheidungen zugunsten der Gerechtigkeit zu korrigieren. Obwohl die Rechtskraft den Rechtsfrieden und die Rechtssicherheit gewährleistet, hat die materielle Gerechtigkeit Vorrang. Die Vorschriften zur Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens sind daher bewusst restriktiv zu deuten. Das Wiederaufnahmeverfahren ist kein weiteres Rechtsmittel zur Korrektur fehlerhafter Urteile, sondern ein außerordentlicher Rechtsbehelf, der nur in Fällen extremer Fehlerhaftigkeit des Urteils angewendet werden sollte. Es darf nicht dazu dienen, strukturelle Mängel im sonstigen gesetzlichen Verfahren auszugleichen.
Die Wiederaufnahme kann zugunsten oder zuungunsten eines Verurteilten aus verschiedenen Gründen erfolgen. Die Gründe sind in den §§ 359 ff. StPO abschließend geregelt. Die Wiederaufnahme kann auf Antrag einer der Parteien oder von Amts wegen erfolgen. Die Entscheidung über die Wiederaufnahme erfolgt auf der Grundlage einer sorgfältigen Prüfung der vorgebrachten Gründe und der Beweismittel.
Das BVerfG hat sich mit Urteil vom 31.10.2023 erstmals zur Wiederaufnahme zuungunsten eines Verurteilten positioniert und sich zu der Reichweite des in Art. 103 III GG verankerten Grundsatz „ne bis in idem“ (wörtlich: nicht zweimal in derselben Sache) positioniert. Der Grundsatz „ne bis in idem" besagt, dass niemand wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden darf. Dieses Prinzip des Strafklageverbrauchs ist als Verfahrenshindernis von Amts wegen in jedem Stadium des Strafverfahrens zu beachten und durch Art. 103 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich verboten. Diesen Schutz kommt dem Verurteilten und dem Freigesprochenen gleichermaßen zu. Art. 103 Abs. 3 GG zielt darauf ab, den Einzelnen vor mehrfacher Belastung durch ein Strafverfahren zu schützen. Es bezweckt die Verhinderung von Grundrechtseingriffen durch das Strafverfahren und garantiert die Einmaligkeit der Strafverfolgung. Der Grundsatz des Art. 103 Abs. 3 GG dient der Rechtssicherheit und gewährt absoluten Schutz. Die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 3 GG, wenn sie darauf beschränkt ist, die materielle Rechtsgrundlage eines Strafurteils auszutauschen, das für nichtig erklärt wurde. Art. 103 Abs. 3 GG verbietet die Wiederaufnahme aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel, die vorrangig auf eine inhaltlich „richtigere" Entscheidung zielen. Die Anwendung des § 362 Nr. 5 StPO auf bereits abgeschlossene Verfahren verletzt das Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 3 GG. Dabei ist irrelevant, ob der Betroffene zum Zeitpunkt seines Freispruchs wusste, dass das Urteil materiell-rechtlich falsch war.