Sachverhalt (vereinfacht und verkürzt):
Kläger (K) klagt gegen die Beklagten B1 und B2 auf Übereignung eines im Miteigentum dieser stehenden Grundstücks. In der mündlichen Verhandlung ist B2 nicht anwesend. B1 erkennt sodann den Antrag des K in seinem Namen und im Namen des B2 an. Gegen dieses Anerkenntnis legt B2 sodann Berufung ein und widerruft hierbei das Anerkenntnis.
Der Kläger stellt sich auf den Standpunkt, dass der Widerruf des Anerkenntnisses zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich ist. B2 meint, B1 hätte ihn schon gar nicht wirksam vertreten, hilfsweise könne er jedoch das Anerkenntnis widerrufen.
Frage 1: Handelt es sich bei den Beklagten um notwendige Streitgenossen?
Frage 2: Konnte B2 das Anerkenntnis im Zuge der Berufung widerrufen?
Lösung:
Frage 1:
Eine notwendige Streitgenossenschaft kann sich zum einen aus dem Prozessrecht selbst, aber auch aus materiell-rechtlichen Gründen ergeben (vgl. § 62 Abs. 1 ZPO).
Bei einer Klage auf Vornahme der Verfügung mehrerer Miteigentümer ist von einer notwendigen Streitgenossenschaft auszugehen, da gemäß § 747 Satz 2 BGB die Teilhaber nur gemeinschaftlich verfügen können. In diesen Fällen ist bereits aus materiell-rechtlichen Gründen eine Klage gegen alle Miteigentümer notwendig.
Frage 2:
Fraglich ist, ob ein Widerruf des Anerkenntnisses durch B2 in der Berufungsverhandlung noch möglich war.
Hierfür müsste B1 ein wirksames Anerkenntnis für sich und B2 abgegeben haben. Fraglich ist, ob er im Hinblick auf B2 überhaupt vertretungsbefugt war.
Eine verfahrensrechtliche Vertretungsbefugnis könnte sich vorliegend aus § 62 Abs. 1 ZPO ergeben. Nach dieser Vorschrift ist ein notwendiger Streitgenosse zur verfahrensrechtlichen Vertretung des anderen Streitgenossen befugt.
Fraglich ist, ob diese verfahrensrechtliche Vertretungsmacht auf der säumigen Partei günstige Umstände beschränkt ist, sodass ein Anerkenntnis nach § 307 ZPO nicht in Betracht käme.
Gegen eine Einschränkung der in § 62 Abs. 1 ZPO normierten verfahrensrechtlichen Vertretungsbefugnis auf der säumigen Partei günstige Erklärungen und Prozesshandlungen spricht bereits der weite Wortlaut der Vorschrift. Zudem ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien mit aller Klarheit, dass der säumigen Partei das prozessuale Verhalten des nichtsäumigen Streitgenossen zur Ermöglichung eines sämtliche notwendige Streitgenossen erfassenden einheitlichen Urteils unabhängig davon zugerechnet werden soll, ob dieses für den Säumigen „günstig oder nachtheilig“ ist (S. 83 der Entwurfsbegründung abgedruckt bei Hahn, Die gesamten Materialien zu den ReichsJustizgesetzen, Band 2, 2. Aufl., S. 174; vgl. auch RGZ 90, 42, 45 f.; BPatG, GRUR 2012, 99, 100).
Demnach wurde das Anerkenntnis wirksam von B1 auch für B2 abgegeben.
Fraglich ist, ob B2 im Berufungsverfahren wirksam einen Widerruf erklären konnte.
Nach ganz herrschender Meinung besteht im Ergebnis Einigkeit darüber, dass sich die säumigen Streitgenossen von dem mit Gesamtwirkung nach § 62 Abs. 1 ZPO vorgenommenen Prozessverhalten des Nichtsäumigen wieder lösen können, sofern es noch nicht zu einer unanfechtbaren Endentscheidung gekommen ist (Musielak/Weth, aaO, § 62 Rn. 14: Loslösung durch „Widerspruch“; ebenso Gehrlein in Prütting/Gehrlein, aaO, § 62 Rn. 20; MüKoZPO/Schultes, aaO, § 62 Rn. 43; Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl., § 62 Rn. 64; Lindacher, Jus 1986, 379; vgl. auch Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 36. Aufl., 14 15 16 - 8 - Rn. 20.)
Dieser Ansicht ist der BGH mit der Maßgabe beigetreten, dass bei säumigen Streitgenossen in Tatsacheninstanzen in nachfolgenden mündlichen Verhandlungen möglich ist, eine von dem anwesenden Streitgenossen mit Wirkung für sie vorgenommene Prozesshandlung zu widerrufen.
Fraglich ist nach welchen Vorschriften der Widerruf erfolgt. Dies könnte sich zum einen aus materiell-rechtlichen oder aus prozessrechtlichen Erwägungen ergeben.
Fraglich ist, ob A die Prozesshandlung des L nach materiell-rechtlichen Vorschriften beseitigen kann.
Prozesshandlungen wie das Anerkenntnis unterliegen jedoch nicht den für materiell-rechtliche Rechtsgeschäfte geltenden Vorgaben. Die für Willenserklärung geltenden Vorschriften über Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit wegen Willensmängeln sind weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 1981 - IVb ZR 589/80, BGHZ 80, 389, 391 ff.; Beschluss vom 13. Dezember 2006 - XII ZB 71/04, MDR 2007, 672; Beschluss vom 14. Mai 2013 - II ZR 262/08, NJW 2013, 2686 Rn. 7).
Unabhängig von den Voraussetzungen einer Anfechtung oder eines Widerrufs sind die materiell-rechtlichen Grundsätze auf den vorliegenden Fall daher nicht übertragbar.
Fraglich ist, ob die prozessgestaltende Handlung nach prozessrechtlichen Grundsätzen widerrufen werden konnte.
Wegen ihrer prozessgestaltenden Wirkung sind Prozesshandlungen grundsätzlich unwiderruflich, wenn sie als so genannte Bewirkungshandlungen die Prozesslage unmittelbar beeinflussen (Senat, Urteil vom 27. Februar 2015 - V ZR 128/14, NJW 2015, 2425 Rn. 27).
Das Anerkenntnis beeinflusst die Prozesslage, da nach Erklärung eine Anerkenntnis gemäße Verurteilung ohne weitere Verhandlung möglich ist (vgl. § 307 ZPO).
Fraglich ist, ob sich ein ausnahmsweise zulässiges Widerrufsrecht im vorliegenden Fall aus teleologischen oder systematischen Erwägungen ergibt.
Eine solche Ausnahme könnte vorliegend aus § 62 ZPO folgen.
„Das mit der Norm verfolgte gesetzgeberische Anliegen besteht darin, die Möglichkeit zu einer einheitlichen gerichtlichen Entscheidung auch dann zu eröffnen, wenn nicht sämtliche notwendige Streitgenossen im Termin zur mündlichen Verhandlung anwesend sind.
Eine Strafsanktion gegen säumige Streitgenossen wird mit der Vorschrift dagegen nicht bezweckt.
Der mit der Regelung einhergehende Eingriff in die Privatautonomie der Säumigen ist nur im Rahmen des Erforderlichen legitim. Die Bindung an eine ohne seine Mitwirkung geschaffene Prozesslage ist nicht erforderlich, wenn eine einheitliche Entscheidung noch ergehen kann, wenn es also nicht zu einer in den Tatsacheninstanzen nicht mehr anfechtbaren Entscheidung gekommen ist (ebenso MüKoZPO/Schultes, 4. Aufl., § 62 Rn. 43; Musielak/Weth, ZPO, 12. Aufl., § 62 Rn. 14). Dies gilt umso mehr, als die säumige Partei - sieht man von § 62 Abs. 1 ZPO ab - sich ansonsten gegen ein an die Säumnis anknüpfendes Urteil mit dem Rechtsbehelf des Einspruchs wehren könnte (§ 338 ZPO). Ein sachlicher Grund warum ihr diese Möglichkeit im Fall der notwendigen Streitgenossenschaft nicht zur Verfügung stehen soll ist nicht erkennbar. Die Regelung des § 62 Abs. 2 ZPO, nach der die säumigen Streitgenossen auch in dem späteren Verfahren zuzuziehen sind, spricht vielmehr dafür, dass diese sich von nachteiligen Prozesshandlungen lösen können, die ihnen von dem anwesenden Streitgenossen aufgezwungen worden sind.
Gestützt wird diese Sichtweise durch die Gesetzesmaterialien. Denn in der Entwurfsbegründung (S. 83, abgedruckt bei Hahn, aaO, S. 174)heißt es zu der von der Vorschrift angeordneten Gesamtwirkung der Erklärungen des anwesenden Streitgenossen: „Sie tritt ein, sobald der Fall der Versäumung vorliegt und währt bis dahin, dass der säumige Streitgenosse sich an dem späteren Verfahren wieder beteiligt“ (in diesem Sinne auch MüKoZPO/Schultes, aaO). Schließlich genießt die Zulassung einer Widerrufsmöglichkeit den Vorzug, dass der Gesetzgeber bei diesem Verständnis mit § 62 Abs. 2 ZPO nicht lediglich die weitere Beteiligung der vormals säumigen Streitgenossen angeordnet und damit nicht eine weithin überflüssige - da selbstverständliche - Regelung getroffen hat.
Damit war der Widerruf des von B1 abgegebenen Anerkenntnisses im vorliegenden Fall möglich.