Tatbestand (vereinfacht):
Der Kläger (K) erwarb im Februar 1976 einen PKW vom Beklagten (V). An diesem Fahrzeug funktionierte der Gaszug nicht einwandfrei. Nach Betätigung des Gaspedals bewegte sich dieses nicht immer wieder in die Ausgangsstellung zurück. Daraufhin wurde der Gaszug mehrmals ausgetauscht.
Am 5. Juli 1976 verursachte K mit dem Fahrzeug in B. einen Auffahrunfall, weil der Wagen trotz Wegnahme des Fußes vom Gaspedal weiter beschleunigte, wobei der Wagen des K stark beschädigt wurde.
Es stellte sich bei Begutachtung heraus, dass der Mangel am Gaszug dadurch bedingt war, dass die Tastrolle, die die Kurvenscheibe abtastet, abgeflacht ist, die Scheibe sich darauf festsetzte und dann nicht mehr durch die Rückholfeder zurückgeholt werden kann. Außerdem hat die Kurvenscheibe, die auf die Drosselklappenwelle am Ende aufgenietet ist, zu viel Spiel und ruft dadurch eine Verkantung hervor - mit der Folge, dass sich der Gaszug in der Gaszughülle verklemmt.
K Fragt sich, ob deliktische Ansprüche gegen V in Betracht kommen.
Lösung:
Ein Anspruch des K gegen V aus § 823 I käme dann in Betracht, wenn ein Rechtsgut verletzt worden wäre.
Fraglich ist, ob ein Rechtsgut verletzt wurde. In Betracht kommt eine Eigentumsverletzung am PKW.
Der Mangel am Gaszug (und die zugehörige Mechanik) selbst stellt jedoch keinen tauglichen Anknüpfungspunkt dar. Dieser war von Anfang an Defekt. K hat insoweit schon mangelhaftes Eigentum erworben.
Ob die Beschädigung/Zerstörung der zuvor mangelfreien Teile am KFZ eine Verletzung des Eigentums nach § 823 I begründen kann, richtet sich danach, ob die Schädigung dem Äquivalenzinteresse (hier ist das Vertragsrecht originär zuständig) oder dem Integritätsinteresse (hier greift das Deliktsrecht) zuzuordnen ist.
Unter Äquivalenzinteresse ist das Interesse am Erhalt des Gleichgewichts zwischen Leistung und Gegenleistung zu verstehen.
Unter dem Integritätsinteresse wird das Interesse des Gläubigers verstanden, dass seine Rechte und Rechtsgüter in ihrem konkreten Bestand erhalten bleiben.
Dabei ist der deliktische Rechtsgüterschutz nicht darauf beschränkt, dass nur andere Sachen als die Kaufsache vor Schäden zu bewahren ist. Das Integritätsinteresse kann auch dann betroffen sein, wenn die mangelhafte Sache mit einer Mangelfreien zu einer Gesamtsache verbunden wird oder der Mangel zu weiteren Schäden an der Kaufsache selbst führt.
Im vorliegenden Fall hat ein zunächst am Gaszug und der zugehörigen Technik bestehender Mangel zu weiteren Schäden an der Kaufsache geführt. Eine Eigentumsverletzung kommt daher dem Grunde nach in Betracht.
Fraglich ist wie die Abgrenzung zwischen Äquivalenzinteresse und Integritätsintersse zu erfolgen hat.
Die Abgrenzung orientiert sich am Merkmal der Stoffgleichheit. Dabei kann Stoffgleichheit dann angenommen werden, wenn sich der Endschaden mit dem (durch die Mangelhaftigkeit) von Anfang an anhaftendem Mangelunwert deckt. Von Stoffgleichheit kann ausgegangen werden, wenn die Sache vom Mangel derart erfasst wird, dass sie nach natürlicher und wirtschaftlicher Betrachtung unter Beachtung wertender Kriterien wertlos erscheint.
Liegt Stoffgleichheit zwischen dem Schaden und dem Mangel vor, so ist nur das Äquivalenzinteresse betroffen. Ist diese zu verneinen ist, das Integritätsinteresse betroffen und § 823 I kommt in Betracht.
„Die deliktischen Verkehrspflichten sind grundsätzlich nicht darauf gerichtet, die Erwartung des Käufers zu schützen, Wert und Nutzungsmöglichkeit einer mangelfreien Sache zu erhalten; der Schutz dieser Erwartung ist - von hier nicht vorliegenden Sonderfällen vorsätzlicher Schädigung i.S. von § 826 BGB abgesehen - allein Aufgabe der Vertragsordnung. Es geht deshalb nicht an, mittels einer juristischen Konstruktion, die in dem Erwerb einer mangelhaften Sache eine Eigentumsverletzung sieht, den Schutz solcher Interessen der Deliktsordnung zuzuführen; es ist vielmehr allgemein anerkannt, dass ein solcher Schaden nicht deliktische Ersatzansprüche auslösen kann (so schon RG JW 1905,367,368; vgl. BGHZ 39,366; 55,392,398; 67,359,364; BGH Urteile vom 11. Januar 1978 - VIII ZR 1/77 - NJW 1978,1051; vom 5. Juli 1978 - VIII ZR 172/77 - NJW 1978,2241,2242). Deckt sich der geltend gemachte Schaden mit diesem Unwert, welcher der Sache wegen ihrer Mangelhaftigkeit von Anfang an schon bei ihrem Erwerb anhaftete, dann ist er allein auf enttäuschte Vertragserwartungen zurückzuführen, und es ist insoweit für deliktische Schadensersatzansprüche kein Raum (so schon Dunz/Kraus, Haftung für schädliche Ware 1969,66). Wo dagegen der Schaden nicht mit der im Mangel verkörperten Entwertung der Sache für das Äquivalenz- und Nutzungsinteresse »stoffgleich« ist, kann sich im Schaden (auch) das verletzte Integritätsinteresse des Eigentümers oder Besitzers, zu dessen Schutz der Hersteller nach den Umständen verpflichtet ist, niederschlagen; dieser kann dann grundsätzlich auch von der deliktischen Herstellerhaftung aufgefangen werden, selbst wenn mit dieser vertragliches Gewährleistungs- oder Ersatzrecht konkurriert Denn es ist ebenfalls anerkannt, dass insoweit die Deliktsordnung nicht von der Vertragsordnung verdrängt wird und umgekehrt. Grundsätzlich folgt jede Haftung den eigenen Regeln (BGHZ 67,359,362; St. Rspr.).
Die Abgrenzung im Einzelfall kann problematisch sein. Demnach ist es notwendig Kriterien zu erarbeiten, um die jeweiligen Fälle „fassbar“ zu machen.
„„Der Senat verkennt nicht, dass in der Praxis gelegentlich die Abgrenzung Schwierigkeiten machen muss, wann wegen »Stoffgleichheit« des geltend gemachten Schadens mit einem der Sache von Anfang an anhaftenden Mangelunwert, dessen Ausgleich nach Vorstehendem allein der Vertragsordnung überlassen bleiben muss, und wann die Beschädigung oder Zerstörung der Sache aufgrund von Versäumnissen des Herstellers, die sich in dem Mangel niederschlagen, ein über das Nutzungs- und Äquivalenzinteresse hinausgehendes und deshalb der Deliktshaftung zugängliches Integritätsinteresse ihres Eigentümers oder Besitzers verletzt. Fallgestaltungen, in denen der Mangel die Sache von vornherein derart ergreift, dass sie von Anfang an insgesamt wertlos ist und schon deshalb solche »Stoffgleichheit« bejaht werden muss, wenn der Mangel später in der Zerstörung oder »Beschädigung« der Sache offen zu Tage tritt (vgl. etwa die Fälle in RG JW 1905,367 und BGHZ 39,366), werden seltener sein; weit häufiger wird es um Fälle gehen, in denen der Mangel zunächst nur einem mehr oder weniger begrenzten Teil der Sache anhaftet. Doch müssen dafür Abgrenzungskriterien gefunden werden, die für die Praxis brauchbar sind (so mit Recht Schmidt-Salzer BB 1979,1,10).
Wie im „Schwimmschalterfall“ (BGHZ 67, 359) könnte darauf abgestellt werden, ob nur ein „funktional abgrenzbarer Teil“ der Sache mangelhaft war, welcher im Verhältnis zur Gesamtsache nur einen untergeordneten Wert hat. Dieses Kriterium allein ist jedoch nicht stets ausreichend und insb. nicht abschließend (dies hat die Vorinstanz angenommen).
Der BGH nennt zudem weitere Ansatzpunkte, die zur Abgrenzung herangezogen werden können:
„Die Stoffgleichheit muss danach z. B. in den Fällen bejaht werden, in denen das mit dem Fehler behaftete Einzelteil mit der Gesamtsache bzw. dem später beschädigten (zunächst aber einwandfreien) anderen Teil zu einer nur unter Inkaufnahme von erheblichen Beschädigungen trennbaren Einheit verbunden ist (BGH Urteil vom 24. Juni 1981 - VIII ZR 96/80 - NJW 1981,2248,2249)“.
„Auch dann, in denen der Mangel nicht in wirtschaftlich vertretbarer Weise behoben werden kann (eine Voraussetzung, die in dem vom VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes durch Urteil vom 25. Mai 1972 - VII ZR 165/70 - BauR 1972,379 entschiedenen Fall möglicherweise schon deshalb erfüllt war, weil die gesamte erweiterte Anlage zu schwach angelegt war).“
Etwa noch verbleibende Abgrenzungsschwierigkeiten müssen von Fall zu Fall nach Maßgabe einer wirtschaftlichen, natürlichen und wertenden Betrachtung gelöst werden, wobei Art und Ausmaß des geltend gemachten Schadens und des diesem zugrunde liegenden Mangels sowie dessen Bedeutung für die Erhaltung der Sache, sowie der Inhalt der Verkehrspflichten des Herstellers, die sich in diesen Faktoren widerspiegeln, berücksichtigt werden (vgl. Steffen aaO). Dabei kann es von Bedeutung sein, dass sich die an ihn zu stellenden Anforderungen - wie stets bei der deliktischen Herstellerhaftung - auch nach dem Verwendungszweck des Produkts und der Verbrauchererwartung, unter Umständen sogar nach dem Kaufpreis richten.
Ob im vorliegenden Fall ein „funktional abgrenzbarer Mangel“ anzunehmen ist, lässt der BGH ausdrücklich offen.
Er verneint die Stoffgleichheit unter Bezugnahme auf eine natürliche Betrachtungsweise.
Im Streitfall kann damit offen bleiben, ob die Gaszuganlage des Pkw im Sinn von BGHZ 67,359 als funktionell begrenzter Teil des Kraftfahrzeugs angesehen werden kann oder ob sich, wie das Berufungsgericht annimmt, der Übertragungsdefekt des Gaszuges nicht funktionell abgrenzen lässt. Erschwert oder verhindert ein solcher Defekt beim Betrieb des Kraftfahrzeugs die Dosierung der Gaszufuhr und führt das zu einem Zusammenstoß, bei dem - wovon für das Revisionsverfahren auszugehen ist - das Fahrzeug beschädigt wird, so ist der Schaden an dem Fahrzeug, ohne Rücksicht auf die Ursächlichkeit des Mangels für ihn, schon bei einer natürlichen Betrachtungsweise nicht »stoffgleich« mit dem Unwert, den der Defekt für das Nutzungs- und Äquivalenzinteresse des Fahrzeugbesitzers bedeutet. Entscheidend ist im vorliegenden Fall, dass die Mängel des Gaszuges keineswegs das Fahrzeug, das betriebsfähig blieb, von Anfang an »wertlos« gemacht haben, sondern dass die von ihnen ausgehenden Unfallgefahren hätten vermieden werden können, wenn der Defekt rechtzeitig entdeckt und behoben worden wäre, was ohne besonderen wirtschaftlichen Aufwand und ohne Beschädigung anderer Teile des Fahrzeugs möglich gewesen wäre. Im Unfallschaden an dem Pkw hat sich deshalb nicht etwa der durch die Mangelhaftigkeit der Gaszuganlage dem Fahrzeug von Anfang an anhaftende Minderwert manifestiert, der auf diesem Weg zwangsläufig in Erscheinung treten musste; vielmehr ist der Schaden auf das Zusammentreffen unglücklicher Umstände zurückzuführen, zu denen es nicht hätte kommen müssen, wenn dem Kläger die Quelle der Gefahr rechtzeitig bewusst gemacht worden wäre.
Beachte: Die Tatsache, dass eine Behebung des Mangels ohne besonderen wirtschaftlichen Aufwand möglich wäre ist von großer Bedeutung. Beachte zur Abgrenzung den „Hebebühnenfall“ (BGH NJW 1983, 812).
Eine Eigentumsverletzung i.S.d. § 823 I kann angenommen werden.
Expertentipp
Große Teile der Literatur lehnen die Anwendung des Deliktsrechts auf die Weiterfressermängel gänzlich ab.
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