Mit dieser Frage hatte sich im letzten Jahr der BGH zu befassen. Der Entscheidung (BGH Beschl. v. 05.06.2019 – 1 StR 34/19) lag folgender Sachverhalt zugrunde:
A hatte finanzielle Schwierigkeiten und entschloss sich, diese mit einer Erpressung zu lösen. Er befüllte dementsprechend 5 Gläser Babynahrung mit einem tödlich wirkenden Gift und stellte diese Gläser an einem Samstagabend in 5 unterschiedlichen Geschäften in die Regale. Er nahm dabei billigend in Kauf, dass Babys und Kleinkinder sterben könnten. Anschließend schickte er anonym Mails an das BKA, eine Verbraucherschutzorganisation und an 6 Einzelhandelskonzerne mit welcher er mitteilte, dass er in der Stadt F. in fünf Märkten namentlich bezeichneter Einzelhandelskonzerne genau fünf mit einer tödlichen toxischen Menge versetzte und nach Marke und Geschmacksrichtung konkret bezeichne Produkte befänden. Ferner erklärte er, dass er eine Zahlung in Höhe von 11,75 Mio € verlange, andernfalls werde er weitere Gläser mit Babynahrung vergiften und ohne weitere Warnung in die Regale stellen. Der Polizei gelang es, alle Gläser teilweise noch am Sonntag, teilweise aber auch erst zu Wochenbeginn in den geöffneten Märkten sicherzustellen. A wurde kurz darauf festgenommen.
A könnte sich nun zum einen gem. §§ 211, 212, 22, 23 StGB strafbar gemacht haben, indem er die Gläser mit Gift befüllte und sie in die Regale stellte. Daneben könnte er sich auch gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1, 22, 23 StGB und gem. §§ 253, 255, 251, 22, 23 StGB strafbar gemacht haben.
Beginnen wir mit der Strafbarkeit gem. §§ 211, 212, 22, 23 StGB.
Die Tat wurde nicht vollendet, da keine Kinder gestorben sind und der Versuch des Mordes, welcher ein Verbrechen ist, ist strafbar, § 23 I StGB.
Der Tatentschluss des A war zunächst darauf gerichtet, jedenfalls ein Kind durch den Verzehr der Babynahrung zu töten. Insoweit konnte ihm erstinstanzlich dolus eventualis nachgewiesen werden.
Hinweis
Hieran kann man durchaus zweifeln. Es darf davon ausgegangen werden, dass A von vorneherein vorhatte, die nachfolgenden Schreiben zu verfassen und von daher damit rechnete, dass die Babynahrung rechtzeitig gefunden werden wird. Gleichwohl muss es für das Landgericht Anhaltspunkte gegeben haben, die zu der Annahme führten, dass A bei dem Einsortieren der Gläser (= Zeitpunkt der Vornahme der Tathandlung) in die Regale billigend in Kauf nahm, dass diese nicht rechtzeitig gefunden werden.
Fraglich ist zunächst, ob sich der Tatentschluss auf die Begehung einer heimtückischen Tötung richtete.
Heimtücke liegt dann vor, wenn der Täter bewusst die Arg- und darauf beruhende Wehrlosigkeit des Opfers zu Tötung ausnutzt. Bei Babys und Kleinkindern liegt allerdings noch keine Fähigkeit zum Argwohn vor, die Voraussetzung für das Ausnutzen einer Arglosigkeit ist. Überwiegend wird es aber als ausreichend angesehen, wenn die Arg- und Wehrlosigkeit eines schutzbereiten Dritten – hier die Eltern – zur Tatbegehung ausgenutzt wird (BGH Urt. v. 21.11.2012 – 2 StR 309/12).
Darüberhinausgehende Einschränkungen nimmt der BGH nicht vor. Auch von der feindlichen Willensrichtung hat er sich zugunsten der Rechtsfolgenlösung (https://www.juracademy.de/rechtsprechung/article/rechtsfolgenloesung-ueberholt-feindliche-willensrichtung-heimtuecke) weitestgehend verabschiedet. In der Literatur wird teilweise zusätzlich ein „verwerflicher Vertrauensbruch“ zwischen Täter und Opfer verlangt (Schönke/Schröder-Eser/Sternberg-Lieben § 211 Rn 26), der hier nicht vorliegt. Problematisch an dieser Eingrenzung des Tatbestandsmerkmals ist allerdings, dass durch das Einbeziehen der Täter-Opfer-Beziehung das Tatbestandsmerkmal unbestimmt wird und die Definition damit gegen Art. 103 II GG verstößt, weswegen es nur auf das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit ankommen kann. In Härtefällen kann mit der Rechtsfolgenlösung des BGH eine Absenkung des Strafrahmens über § 49 I Nr. 1 StGB analog in Betracht kommen.
Der Tatentschluss war damit auf eine heimtückische Tötung gerichtet.
Der billigend in Kauf genommene Tod jedenfalls eines Kindes sollte als Warnung und damit als Mittel der Drohung zur Begehung der räuberischen Erpressung dienen. A trieb also ein unnatürliches Streben nach Gewinn um jeden Preis, weswegen er auch habgierig handelte.
Der Tod sollte ferner der Ermöglichung der zu begehenden räuberischen Erpressung dienen, weswegen auch Ermöglichungsabsicht angenommen werden kann.
Der Tatentschluss war damit auf die Begehung eines Mordes gerichtet.
Da A seine eigene Tathandlung bereits ausgeführt hatte, er anschließend den Kausalverlauf aus den Händen gab und nach seiner Vorstellung eventuell schon am Samstagabend, jedenfalls aber am nächsten Werktag Kunden die Ware mit ziemlicher Sicherheit gekauft hätten, setzte A auch unmittelbar an.
Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich.
Fraglich ist aber, ob A durch die nachfolgend verfassten Mails nicht gem. § 24 I 1, 2. Alt StGB zurückgetreten sein könnte.
Nach Vorstellung des A hätte der tatbestandliche Erfolg alsbald eintreten können, so dass der Versuch aus seiner Sicht nicht fehlgeschlagen war. Er hatte vielmehr alles Erforderliche zur Tatbestandsverwirklichung getan, womit ein beendeter Versuch zum Zeitpunkt des Abfassens der Schreiben angenommen werden kann.
Von einem solchen Versuch kann der Täter durch Verhinderung der Vollendung zurücktreten. Streitig ist nun, welche Anforderungen an die Verhinderungsbemühungen zu stellen sind.
Nach der Bestleistungstheorie muss der Täter die bestmögliche Verhinderung wählen. Argumentiert wird u.a. mit einem systematischen Vergleich mit Abs. 1 Satz 2: müsse der Täter bei einem untauglichen Versuch ein „ernsthaftes“ Bemühen an den Tag legen, dann müsse dies erst recht für den tauglichen Versuch gelten (Mitsch, Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Strafrecht AT § 23 Rn 39). Demzufolge wäre A hier nicht strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten, da es bessere Verhinderungsmöglichkeiten gegeben hätte, wie z.B. das Informieren der Polizei unter konkreter Benennung der Orte, an denen die Gläser stehen uvm. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass Abs. 1 Satz 1 gerade nicht von einem „ernsthaften“ Bemühen, sondern nur von der Verhinderung der Vollendung spricht.
Nach der herrschenden Chanceneröffnungstheorie, wonach beim Rücktritt vor allem auch der Opferschutz zu berücksichtigen ist, reicht hingegen das Ingangsetzen einer Kausalkette aus. Dementsprechend hat der BGH im vorliegenden Fall folgendes ausgeführt:
„Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt ein Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB auch dann in Betracht, wenn der Täter unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung nicht die sicherste oder „optimale“ gewählt hat, sofern sich das auf Erfolgsabwendung gerichtete Verhalten des Versuchstäters als erfolgreich und für die Verhinderung der Tatvollendung als ursächlich erweist….. Es kommt nicht darauf an, ob dem Täter schnellere oder sicherere Möglichkeiten der Erfolgsabwendung zur Verfügung gestanden hätten; das Erfordernis eines „ernsthaften Bemühens“ gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB gilt für diesen Fall nicht…. Erforderlich ist aber stets, dass der Täter eine neue Kausalkette in Gang gesetzt hat, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich oder jedenfalls mitursächlich geworden ist…. Ohne Belang ist dabei, ob der Täter noch mehr hätte tun können, sofern er nur die ihm bekannten und zur Verfügung stehenden Mittel benutzt hat, die aus seiner Sicht den Erfolg verhindern konnten…. Ausgehend von diesen Maßstäben ist der Angeklagte durch Verhinderung des Taterfolgs der Tötung von Menschen gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB wirksam vom – beendeten – Versuch des Mordes zurückgetreten“
Für den Rücktritt ist aber auch Voraussetzung, dass der Täter die Tat aufgibt. Fraglich ist, wie es sich auswirkt, dass A vorhatte, evtl. zu einem späteren Zeitpunkt erneut vergiftete Babynahrung in Regale zu stellen. Zu beachten ist aber, dass es zunächst nur um die Aufgabe der konkreten Tat durch die im Obersatz benannte Handlung geht. Der BGH hat dazu folgendes ausgeführt:
„Zwar ist es für einen Rücktritt erforderlich, dass der Täter den Tatvorsatz vollständig aufgibt. Deshalb reicht es nicht aus, wenn der Täter den Taterfolg weiterhin billigend in Kauf nimmt, etwa indem er dem Opfer „nach Art eines Glücksspiels eine Chance gibt“ … Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor. Vielmehr enthielt der an die Polizei und die betroffenen Einzelhandelsunternehmen gegebene Hinweis auf die vergiftete Babynahrung konkrete Angaben, die der Polizei gezielte Maßnahmen zum Auffinden und zur Sicherstellung der vergifteten Produkte vor dem Verzehr ermöglichten…. Einem wirksamen Rücktritt steht auch nicht entgegen, dass der Angeklagte seinen Willen nicht aufgegeben hatte, zu einem späteren Zeitpunkt erneut vergiftete Babynahrung in die Regale von Lebensmittelmärkten zu stellen, sofern seine Zahlungsforderungen nicht erfüllt würden. Denn zu einem hierdurch begangenen erneuten Mordversuch hatte der Angeklagte noch nicht im Sinne von § 22 StGB angesetzt. Die Androhung einer solchen Gefährdung von Leib oder Leben wird aber vom Tatbestand der räuberischen Erpressung (§ 255 StGB) erfasst.“
Eine Strafbarkeit gem. §§ 211, 212, 22, 23 StGB kommt damit nicht in Betracht.
Weiterhin könnte sich A aber wegen besonders gefährlicher, versuchter räuberischer Erpressung gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1, 22, 23 StGB strafbar gemacht haben, indem er die vergifteten Gläser mit Babynahrung aufstellte und danach die Mails verschickte.
Der Tatentschluss war zunächst unproblematisch auf die Verwirklichung des Grunddelikts gerichtet. Fraglich ist, ob A bei Begehung der Tat auch ein gefährliches Werkzeug gem. § 250 II Nr. 1 StGB verwenden wollte. In Betracht kommen hier die vergifteten Gläser mit Babynahrung. Der BGH führt dazu folgendes aus:
„Indem der Angeklagte zur Erpressung unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 255 StGB) fünf Gläser mit in für Kleinkinder tödlicher Dosis vergifteter Babynahrung in die Verkaufsregale von Einzelhandelsmärkten stellte, verwendete er ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB …. Eine Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 255 StGB kann auch zum Nachteil von mit dem Erpressungsopfer nicht identischen Personen angedroht werden – hier gegenüber Kindern der Käufer von Babynahrung.“
Tatentschluss, unmittelbares Ansetzen, Rechtswidrigkeit und Schuld können damit bejaht werden.
Ein Rücktritt durch das Absenden der Mails kommt hier nicht in Betracht, da die Mails ja gerade die Drohung enthielten, die die tatbestandliche Handlung darstellt. Das Absenden der Mails stellt das unmittelbare Ansetzen dar und kann damit in diesem Zusammenhang kein Rücktritt sein. Auch kommt ein Rücktritt von der Qualifikation durch das Absenden der Mails nicht in Betracht.
Expertentipp
Achten Sie darauf, dass Sie beim Rücktritt zwischen dem Grunddelikt und den weiteren Tatbeständen wie Qualifikationen und Erfolgsqualifikationen unterscheiden. Es ist möglich, dass der Täter nicht von der Verwirklichung des Grunddelikt sehr wohl aber von der Verwirklichung der (Erfolgs-) Qualifikationen zurückgetreten ist.
Der BGH führt dazu folgendes aus:
„Ein Rücktritt von dieser Qualifikation scheidet aus, weil der Angeklagte durch die Verwendung des Drohmittels die Qualifikation bereits vollendet hatte und die qualifikationsbegründende erhöhte Gefahr schon eingetreten war … Durch die Verhinderung des Verzehrs der von ihm ausgebrachten fünf Gläser mit vergifteter Babynahrung infolge seiner E-Mail ist der Angeklagte daher von dieser Qualifikation nicht wirksam zurückgetreten. Hierfür hätte er seinen Tatentschluss im Ganzen aufgeben müssen … Der Erpressungsvorsatz des Angeklagten bestand jedoch bis zu seiner Festnahme durchgehend fort.“
A hat sich damit gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1, 22, 23 StGB strafbar gemacht.
Bleibt nun noch zu prüfen, ob A sich auch gem. §§ 253, 255, 251, 22, 23 StGB strafbar gemacht haben könnte.
Hinweis
Es handelt sich hier um einen Versuch der Erfolgsqualifikation, bei welchem der Täter die Folge jedenfalls billigend in Kauf genommen hat, diese aber ausgeblieben ist. Dieser Versuch ist vom erfolgsqualifizierten Versuch abzugrenzen, bei welchem das Grunddelikt im Versuch stecken geblieben dabei aber der Erfolg eingetreten ist.
Tatentschluss, unmittelbares Ansetzen, Rechtswidrigkeit und Schuld können unproblematisch bejaht werden.
Auch hier wiederum stellt sich nun aber die Frage nach dem Rücktritt. Beachten Sie, dass es nun um die Todesfolge geht, die nach Vorstellung des Täters als Folge des § 251 StGB hätte eintreten sollen aber nicht eingetreten ist.
Der BGH hat konsequent zu dem oben bei § 211, 212, 22, 23 StGB Ausgeführten den Rücktritt bejaht, indem er ausführt:
„Auch vom (beendeten) Versuch der (besonders) schweren räuberischen Erpressung mit Todesfolge (§§ 251, 250, 255, 22, 23 StGB) ist der Angeklagte wirksam zurückgetreten, indem er die Vollendung der Todesfolge als Erfolgsqualifikation im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB verhindert hat… Rücktritt vom versuchten erfolgsqualifizierten Delikt ist in den Fällen des Versuchs der Erfolgsqualifikation auch dadurch möglich, dass der Täter das Eintreten der Folge verhindert.“
Es bleibt mithin bei einer Strafbarkeit gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1, 22, 23 StGB.
Expertentipp
In einer Klausur läge die Herausforderung bei einem solchen Fall darin, beim Rücktritt sauber zwischen dem Grunddelikt und den (Erfolgs-) Qualifikationen zu trennen. Von daher empfiehlt es sich, jedenfalls die §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 StGB und die §§ 253, 255, 251, 22, 23 StGB getrennt zu prüfen. Denkbar ist auch, zunächst mit dem versuchten Grunddelikt zu beginnen und die Qualifikation gem. § 250 II Nr. 1 StGB getrennt davon zu thematisieren.