Sachverhalt
Das Kernbrennstoffsteuergesetz (KernbrStG) trat am 1.1.2011 in Kraft. Danach unterlag Kernbrennstoff, der zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendet wurde, der Besteuerung gem. § 1 Abs. 1 S. 1 KernbrStG. Nach Auffassung des Gesetzgebers handelte es sich um eine Verbrauchsteuer. Politischer Hintergrund der Einführung der Kernbrennstoffsteuer war die (vor der Fukushima-Katastrophe) geplante Verlängerung der Laufzeiten der Kernreaktoren. Daneben dient die Steuer der Haushaltskonsolidierung des Bundes und steht ohne gesetzlich festgeschriebene Zweckbindung dem allgemeinen Haushalt zur Verfügung. Die wichtigsten Vorschriften lauten:
§ 1 Steuergegenstand
Kernbrennstoff, der zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendet wird, unterliegt der Kernbrennstoffsteuer.
§ 2 Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieses Gesetzes ist Kernbrennstoff: Plutonium 239 und Plutonium 241, Uran 233 und Uran 235.
§ 5 Entstehung der Steuer
Die Steuer entsteht dadurch, dass ein Brennelement in einem Kernreaktor erstmals eingesetzt wird und eine sich selbsttragende Kettenreaktion ausgelöst wird.
K, ein Betreiber eines Kernkraftwerks klagte vor dem zuständigen Finanzgericht Hamburg gegen den Steuerbescheid, den er erhalten hatte. Das Finanzgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob das KernbrStG mit dem GG unvereinbar und daher ungültig ist.
Lösung des BVerfG
Zulässigkeit
Die konkrete Normenkontrolle ist gem. Art. 100 GG Abs. 1 GG i.V.m. § 13 Nr. 11, §§ 80 ff. BVerfGG zulässig. Das Finanzgericht hat seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit ausreichend nachvollziehbar dargelegt. Die Vorlagefrage ist auch entscheidungserheblich, weil das Finanzgericht im Falle der Gültigkeit des KernbrStG zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle seiner Ungültigkeit.
Begründetheit
Keine Gesetzgebungskompetenz nach Art. 71, 73 GG
Möglicherweise hat der Bund eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für das KernbrStG aus Art. 71, Art. 73 Nr. 14. Danach hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebung über die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, die Errichtung und den Betrieb von Anlagen, die diesem Zweck dienen und die Beseitigung radioaktiver Stoffe. Diese Kompetenz hat der Bund insbesondere durch den Erlass des Atomgesetzes ausgeübt. Als Kompetenz kraft Sachzusammenhang könnte sich daraus auch eine Kompetenz zur Regelung von Gebühren und Beiträgen ergeben, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Regelung der Nutzung der Kernenergie stehen. Dagegen gelten die Spezialvorschriften der Art. 105 ff. GG für die gesetzliche Regelung von Steuern. Die Abgrenzung zwischen einerseits Steuern und andererseits Gebühren und Beiträgen ist also entscheidend für die Abgrenzung der Anwendungsbereiche der Art. 70 ff. GG und Art. 105 ff. GG. Das BVerfG nimmt diese Abgrenzung folgendermaßen vor:
„Steuern sind öffentliche Abgaben, die als Gemeinlast ohne individuelle Gegenleistung zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs eines öffentlichen Gemeinwesens erhoben werden. Sie unterscheiden sich von den Vorzugslasten, namentlich von Gebühren und Beiträgen, die als Gegenleistung für staatliche Leistungen erbracht werden. Gebühren und Beiträge werden erhoben, um einen Aufwand der öffentlichen Hand weiterzugeben oder um die Vorteile desjenigen, dem eine öffentliche Leistung gewährt wird, ganz oder teilweise abzuschöpfen.“
Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei der Brennelemente-Steuer um eine Steuer im finanzverfassungsrechtlichen Sinne, denn sie wird ohne individuelle Gegenleistung zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs erhoben. Sie erfüllt nicht die Voraussetzungen einer Gebühr oder eines Beitrags, weil sie – bei umfassender Betrachtung – nicht als ökonomische Kompensation für den von den Betreibern der Kernkraftwerke aus der Laufzeitverlängerung gezogen Sondervorteil zu interpretieren ist, also keine „Konzessionsgebühr“ darstellt, wie das BVerfG detailliert begründet.
Der Bund kann daher seine Gesetzgebungskompetenz nicht aus Art. 71, 73 Nr. 14 GG ableiten.
Kernbrennstoffsteuer keine Verbrauchsteuer nach Art. 105 Abs. 2, 106 Abs. 1 GG
Möglicherweise könnte sich aber eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus den Art. 105 ff. GG ergeben. Zunächst betont das BVerfG die besondere Bedeutung der Finanzverfassung und insbesondere der Zuständigkeitsverteilung. Bemerkenswert ist dabei, wie nachdrücklich das BVerfG darstellt, dass es dabei nicht bloß um formale Fragen geht, sondern dass die Zuständigkeitsverteilung Ausdruck des Bundesstaatsprinzips ist und daneben dem Schutz der Grundrechte dient. Diese „materielle Aufladung“ bloßer staatsorganisationsrechtlicher Vorschriften liest sich so:
„Die Finanzverfassung des Grundgesetzes ist Eckpfeiler der bundesstaatlichen Ordnung. Sie soll eine Finanzordnung sicherstellen, die den Gesamtstaat und die Gliedstaaten am Gesamtertrag der Volkswirtschaft angemessen beteiligt. Bund und Länder müssen im Rahmen der verfügbaren Gesamteinnahmen so ausgestattet werden, dass sie die Ausgaben leisten können, die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlich sind. Die grundgesetzliche Finanzverfassung, wie sie in den Art. 104a ff. GG zum Ausdruck kommt, bildet eine in sich geschlossene Rahmen- und Verfahrensordnung und ist auf Formenklarheit und Formenbindung angelegt. Diese Prinzipien erschöpfen sich nicht in einer lediglich formalen Bedeutung. Sie sind selbst Teil der funktionsgerechten Ordnung eines politisch sensiblen Sachbereichs und verwirklichen damit ein Stück Gemeinwohlgerechtigkeit. (…). Der strikten Beachtung der finanzverfassungsrechtlichen Zuständigkeitsbereiche von Bund und Ländern kommt eine überragende Bedeutung für die Stabilität der bundesstaatlichen Verfassung zu. Bei der Ertragsverteilung der Steuern handelt es sich gemeinsam mit der Verteilung der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen um eine zentrale Frage der politischen Machtverteilung in der Bundesrepublik Deutschland. (…) Über ihre Ordnungsfunktion hinaus entfaltet die Finanzverfassung eine Schutz- und Begrenzungsfunktion. Diese Schutzwirkung entfaltet die Finanzverfassung auch im Verhältnis zum Bürger, der darauf vertrauen darf, nur in dem durch die Finanzverfassung vorgegebenen Rahmen belastet zu werden.
Konkret könnte sich eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 105 GG ergeben. Diese Norm regelt die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und der Länder für den Bereich der Steuern. Danach hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebung über die übrigen Steuern, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuer ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 vorliegen. Die Frage, wann dem Bund das Aufkommen der Steuer zusteht, ist in Art. 106 GG geregelt. Diese Vorschrift regelt die Verteilung des Steueraufkommens zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG steht dem Bund des Aufkommen der Verbrauchsteuern zu. Fraglich ist also, ob die KernbrStG eine „Verbrauchsteuer“ i.S.d. Art. 106 GG ist.
Das BVerfG umschreibt das Wesen der Verbrauchsteuer i.S.d. Art. 106 GG mangels einer Definition durch das Grundgesetz selbst anhand einiger wesentlicher Merkmale:
„Die Verbrauchsteuern sind von den Unternehmenssteuern abzugrenzen, die nicht die Einkommensverwendung, sondern die Einkommenserzielung zum Ausgangspunkt nehmen. Bei der Verbrauchteuer handelt es sich im Regelfall um eine indirekte Steuer, die beim Hersteller erhoben wird und auf eine Abwälzung auf den (End-)Verbraucher angelegt ist. Der Typusbegriff der Verbrauchsteuer erfordert zudem den Verbrauch eines Gutes des ständigen Bedarfs.“.
Mit detaillierter finanzverfassungsrechtlicher Begründung kommt das BVerfG zu dem Ergebnis, dass die Kernbrennstoffsteuer, so wie sie durch das KernbrStG ausgestaltet ist, keine solche Verbrauchsteuer ist:
„Sie ist nach der Konzeption des Gesetzgebers bereits nicht auf eine Abwälzung auf die privaten Verbraucher angelegt. Die Kernbrennstoffsteuer besteuert zudem ein reines Produktionsmittel. Schließlich erfüllt die Kernbrennstoffsteuer nicht das Typusmerkmal der Anknüpfung an ein Gut des ständigen privaten Bedarfs.“
Daher kann der Bund seine Gesetzgebungskompetenz nicht auf Art. 105 i.V.m. Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG stützen.
Kein Steuererfindungsrecht des Bundes
Möglicherweise hat der Bund aber die Kompetenz zur „Erfindung“ einer neuen Steuer, die nicht bereits in dem Katalog des Art. 106 GG enthalten ist. Dafür spricht der allgemein gehaltene Wortlaut, dass der Bund gem. Art. 105 Abs. 2 GG die konkurrierende Gesetzgebung über die „übrigen Steuern“ hat. Das BVerfG lehnt ein solches Steuererfindungsrecht des Bundes aber klar ab. Unter den „übrigen Steuern“ seien ausschließlich die in Art. 106 GG aufgeführten Steuern und Steuerarten zu verstehen. Der einfache Gesetzgeber dürfe nur solche Steuern einführen, deren Ertrag durch Art. 106 GG dem Bund, den Ländern oder Bund und Ländern gemeinschaftlich zugewiesen wird.
Neben hier nicht näher darzustellenden historischen Gründen begründet das BVerfG dies mit einer systematischen und teleologischen Auslegung, deren wesentliche Argumente die folgenden sind:
Hätte der Bund durch Art. 105 GG ein „Steuererfindungsrecht“ für eine Steuer, die in Art. 106 GG nicht genannt wird, bliebe die Ertragshoheit für solche Steuern offen. Das BVerfG sieht also einen zwingenden Zusammenhang zwischen der Frage der Gesetzgebungskompetenz (Art. 105 GG) und der Ertragskompetenz (Art. 106 GG). Es sei aber nicht Aufgabe des einfachen Gesetzgebers, den Steuerertrag zu verteilen. Diese Frage sei in den Art. 106 f. GG abschließend geregelt.
„Schließlich sprechen auch teleologische Gesichtspunkte gegen ein allgemeines Steuererfindungsrecht des Bundes nach Art. 105 Abs. 2 GG. Dem geschlossenen System der Art. 105 f. GG zur Verteilung des Steueraufkommens zwischen Bund, Ländern und Gemeinden kommt eine zentrale Bedeutung zu. Jede Unsicherheit bei der Zuordnung von Erträgen kann zu erheblichen Verwerfungen innerhalb der Finanzverfassung führen und ihrer Befriedungsfunktion widersprechen. (…) Die Geschlossenheit und Ordnungsfunktion der Finanzverfassung sichert zudem das Vertrauen der Bürger darauf, nur in dem durch die Finanzverfassung vorgegebenen Rahmen belastet zu werden. Der Schutz der Bürger vor einer unübersehbaren Vielzahl von Steuern ist eine originärer und eigenständiger Zweck der Kompetenznormen der Finanzverfassung, mit dem die Annahme eines Steuererfindungsrechts nicht in Einklang zu bringen wäre.“
Insgesamt kommt das BVerfG damit zu dem Ergebnis, dass der Bund keine Gesetzgebungskompetenz für das KernbrStG hat und dieses daher formell verfassungswidrig und nichtig ist.
Weiterführende Hinweise
Die Entscheidung hat einen klaren finanzverfassungsrechtlichen Fokus. Vertiefte Kenntnisse in diesem Gebiet sind im Pflichtstoffbereich nicht zu erwarten und das Finanzverfassungsrecht zählt in den meisten Ländern ausdrücklich nicht zum Prüfungsstoff.
Dennoch hat die grundlegende Entscheidung Prüfungsrelevanz. Als Ausschnitt einer umfassenderen, thematisch weitergehenden Klausur ist sie durchaus geeignet, insbesondere wenn die wesentlichen steuerrechtlichen Argumente bereits im Sachverhalt dargestellt zu werden. Sie hebt die besondere Bedeutung der Kompetenzverteilung hervor – ein Kerngebiet des Staatsorganisationsrechts. Interessant ist vor allem, dass das BVerfG diese Kompetenzregeln materiell „auflädt“ und sowohl als Ausdruck des Bundesstaatsprinzips als auch im Hinblick auf ihre grundrecht-schützende Wirkung interpretiert.