Sachverhalt (vereinfacht):
Die Klägerin E macht als Rechtsnachfolgerin ihres im Laufe des Verfahrens verstorbenen Ehemannes, des staatenlosen ursprünglichen Klägers D. (nachfolgend: Erblasser), einen Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch mehrere von der Beklagten im Internet veröffentlichte Artikel geltend.
Der 1920 in der Ukraine geborene Erblasser kämpfte im zweiten Weltkrieg in der Roten Armee, ehe er in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet. Gegen ihn war erstmals in den 1970er-Jahren in den Vereinigten Staaten von Amerika der Verdacht aufgekommen, er sei als Kollaborateur der Nationalsozialisten an der Massenermordung von Juden in Konzentrationslagern beteiligt gewesen.
In Israel wurde ihm wegen des Vorwurfs in den Jahren 1942 und 1943 im Vernichtungslager Treblinka tätig gewesen zu sein der Prozess gemacht. Dieser endete mit einem Freispruch.
Im Mai 2011 verurteilte ihn das Landgericht München II wegen von März bis September 1943 im Vernichtungslager Sobibor erfolgter 16facher Beihilfe zum Mord an 28.060 vornehmlich aus den Niederlanden stammenden Juden zu einer Freiheitsstrafe. Sowohl der Erblasser als auch die Staatsanwaltschaft legten Revision ein, über die nicht mehr entschieden wurde, weil der Erblasser am 17. März 2012 starb.
Die Beklagte berichtete in dem von ihr betriebenen Internetportal regelmäßig unter voller Namensnennung über das Strafverfahren, unter anderem am 14. Mai 2010 unter der Überschrift
"Vor Gericht spielt er den bettlägrigen, alten Mann. D. singt und lacht im Knast". Mit der im November 2011, also noch zu seinen Lebzeiten zugestellten Klage nahm der Erblasser die Beklagte im Hinblick auf diesen und eine Reihe weiterer dort veröffentlichter Artikel wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe eines Mindestbetrages von 5.100 € nebst Zinsen in Anspruch.
Die Klägerin führt den Prozess als Alleinerbin fort.
Kann nun die Klägerin E Ansprüche auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geltend machen?
Bearbeitervermerk:
Bei der Bearbeitung, ist vom (ursprünglichen) Bestehen eines Anspruchs auf Geldentschädigung aus § 823 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG auszugehen.
Leitsatz:
„Der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung ist grundsätzlich nicht vererblich. Dies gilt auch, wenn der Anspruch noch zu Lebzeiten des Geschädigten anhängig oder rechtshängig geworden ist (Fortführung von BGH, Urteil vom 29. April 2014 - VI ZR 246/12, BGHZ 201, 45 ff.).“
Lösung:
I E könnte einen Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1922 i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus übergegangenem Recht haben.
1 Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit
Es ist davon auszugehen, dass der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch gemäß Art. 40 Abs. 1 Satz 1 EGBGB iVm Art. 1 Abs. 2 lit. g der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II-VO; ABl. 2007 L 199 S. 40) nach deutschem Recht zu beurteilen ist.
2 Erbenstellung der E
Die E ist laut Sachverhalt Alleinerbin.
3 Vererblichkeit der Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
Die Frage, ob ein Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts vererblich ist, richtet sich auf der Grundlage des für das Rechtsverhältnis maßgebenden Einzelstatuts (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2014 - IV ZB 9/14, NJW 2015, 623 Rn. 28 mwN; Staudinger/Dörner, BGB, 2007, Art. 25 EGBGB Rn. 135; BeckOK-BGB/Lorenz, Art. 25 EGBGB Rn. 31 [Stand: 1. November 2015]; MünchKomm-BGB/Dutta, 6. Aufl., Art. 25 EGBGB Rn. 196)
a Generelle Vererblichkeit
Hier verweist der BGH insbesondere auf eine bereits zu dieser Frage ergangene Entscheidung.
„Der erkennende Senat hat im Urteil vom 29. April 2014 (VI ZR 246/12, BGHZ 201, 45 Rn. 8 ff. - Berichterstattung über trauernden Entertainer) klargestellt, dass der Anspruch auf Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts grundsätzlich nicht vererblich ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Erblasser vor Rechtshängigkeit des anhängig gemachten Anspruchs stirbt (ebenso Senatsurteil vom 29. November 2016 - VI ZR 530/15, VersR 2017, 301 Rn. 8). Soweit sich die Revision gegen dieses Urteil wendet (so auch BeckOGK/Preuß, § 1922 Rn. 353.1 [Stand: 1. März 2017]; Beuthien, GRUR 2014, 957 ff.; Ludyga, ZUM 2014, 706 f.; MünchKommBGB/Leipold, 7. Aufl., § 1922 Rn. 121 f.; Schubert, JZ 2014, 1056 ff.; Staudinger/Kunz, BGB, 2017, § 1922 Rn. 311 ff.; Staudinger/Melestean, Jura 2016, 783, 789 ff.), sieht der Senat keine Veranlassung, davon abzurücken. Mit ihren Argumenten hat sich der Senat bereits in dieser Entscheidung auseinandergesetzt.“
b Vererblichkeit, wenn der Erblasser erst nach Rechtshängigkeit der Klage verstorben ist
Diese Frage wurde im oben genannten Urteil vom BGH offen gelassen. Fraglich ist, ob die Rechtshängigkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen Unvererblichkeit des Anspruchs rechtfertigt.
Der BGH entscheidet sich dabei keine Ausnahme wegen Anhängigkeit oder Rechtshängigkeit der Klage vor dem Tod des Anspruchsinhabers anzunehmen.
Insbesondere lässt sich eine Ausnahme nicht mit Hinweis auf § 847 Abs. 1 Satz 2 BGB alter Fassung oder wegen der Streichung des § 34 Abs. 1 Nummer 2 Satz 2 Halbsatz 2 BGSG annehmen. Die Begründung des Regierungsentwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, durch das der Schmerzensgeldanspruch vom Deliktsrecht (§ 847 BGB aF) in das allgemeine Schadensrecht (§ 253 Abs. 2 BGB) überführt wurde, stellt ausdrücklich klar, dass der auf den Schutzauftrag aus Artikel 1 und 2 Abs. 1 GG zurückgehende Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von den §§ 847, 253 BGB geltenden Rechts unabhängig ist, so dass Änderungen dieser Vorschriften ihn auch nicht tangieren können (BT-Drucks. 14/7752, S. 24 f.).
Hinweis
Der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird nach der Rechtsprechung gerade nicht § 253 Abs. 2 (analog) entnommen, sondern ergibt sich direkt aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG.
Fraglich ist, ob sich aus der Rechtsordnung ein allgemeiner Grundsatz ergibt, dass rechtshängig gemachte Ansprüche vererblich sind.
Auch diesem Ansatz erteilt der BGH eine Absage.
„Materiellrechtlich entfaltet die Rechtshängigkeit zwar rechtserhaltende Wirkungen, wenn eine Rechtsnorm die Durchsetzbarkeit oder den Bestand eines Rechts, regelmäßig eines Anspruchs, ausschließt, sofern das Recht nicht innerhalb einer bestimmten Frist rechtshängig gemacht wird (vgl. Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 262 Rn. 6 ff.; Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 262 Rn. 9; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 14. Aufl., § 262 Rn. 1).
Motiv dieses Zusammenspiels von Rechtsverlust und Rechtserhalt ist typischerweise, dass der Schuldner oder Rechtsgegner nach einer bestimmten Zeit Klarheit darüber erhalten soll, ob das Recht verfolgt wird oder nicht. Besonders deutlich wird dies am Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Da die Verjährungsvorschriften dem Rechtsfrieden, der Rechtsklarheit und dem Zweck dienen, den Schuldner vor Beweisnöten zu bewahren, die mit einem zu langen zeitlichen Abstand zum Entstehen des Anspruchsgrunds eintreten können (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2014 - XII ZB 181/13, NJW 2015, 1014 Rn. 46; Urteil vom 22. April 2010 - Xa ZR 73/07, NJW 2011, 218 Rn. 25; jeweils mwN), verjährt ein Anspruch nicht, wenn er innerhalb der laufenden Verjährungsfrist gerichtlich geltend gemacht wird.
Entsprechendes gilt für andere Normen, die für die gerichtliche Geltendmachung eine bestimmte Frist setzen (vgl. etwa § 562b Abs. 2 Satz 2, § 801 Abs. 1 Satz 3, § 864 Abs. 1, § 977 Satz 2, § 1002 Abs. 1, § 1965 Abs. 2 Satz 1 BGB, § 440 Abs. 3 HGB).“
Bei der Frage der Vererblichkeit eines Geldentschädigungsanspruchs wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts stellt sich dieser Regelungszusammenhang aber nicht. Hier geht es nicht darum, dass der Anspruch aus Gründen des Rechtsfriedens, der Rechtsklarheit oder zum Schutz des Verletzers zu Lebzeiten des Verletzten geltend gemacht werden muss, um Rechtsnachteile zu verhindern. Vielmehr folgt die Unvererblichkeit unabhängig von der Schutzwürdigkeit des Verletzers oder des Rechtsverkehrs aus der Funktion dieses Geldentschädigungsanspruchs (vgl. Senatsurteil vom 29. April 2014 - VI ZR 246/12, BGHZ 201, 45 Rn. 17 ff.).
Der Rechtshängigkeit kann zwar auch eine rechts(ver)stärkende Wirkung zukommen. Abgesehen davon wurde mit § 847 Abs. 1 Satz 2 aF BGB nicht das Ziel verfolgt einen grundsätzlich unvererblichen Anspruch ausnahmsweise vererblich auszugestalten.
Vielmehr schuf der historische Gesetzgeber diese Norm, weil er es als etwas Anstößiges ansah den Erben die Verfolgung eines Anspruchs zu gestatten, an dessen Geltendmachung der Verletzte vielleicht nicht dachte, sei es, weil er den betreffenden Schaden gar nicht empfunden hatte, sei es, weil er aus persönlichen Rücksichten die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen wünschte. Nur aus Gründen praktischer Zweckmäßigkeit zur Vermeidung der sonst zu besorgenden Streitigkeiten hielt es der Gesetzgeber für ratsam, den Übergang des Anspruchs auf die Erben nicht schon dann zuzulassen, wenn der Verletzte die Geldentschädigung nur außergerichtlich verlangt hatte, sondern nur dann, wenn der Anspruch vertragsmäßig anerkannt oder rechtshängig geworden war.
Dem Erben sollte mithin nur dann die Anspruchsverfolgung gestattet werden, wenn erstens der Wille des Verletzten hierzu klar erkennbar war und zweitens Streit über die Äußerung dieses Willens ausgeschaltet werden konnte.
Die Frage, ob die Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vererblich ist, ist daher stets an der Funktion des Geldentschädigungsanspruchs zu orientieren. Ein Geldentschädigungsanspruch kommt nur dann in Betracht, wenn eine schwere Persönlichkeitsverletzung vorliegt. Hier steht der Genugtuungsgedanke im Vordergrund. Der BGH hat bereits entschieden, dass eine Anhängigkeit des Anspruchs nicht dazu führt, dass der Gedanke der Genugtuung mit dem Tod des Verletzten an Bedeutung verliert.
Diese Erkenntnis ist auf rechtshängige Ansprüche auf Geldentschädigung zu übertragen.
„Denn ebenso wenig wie der Erblasser Genugtuung bereits mit der Einreichung der Klage erlangt, erlangt er sie mit deren Zustellung (vgl. Stender-Vorwachs, NJW 2014, 2831, 2833; MünchKomm-BGB/Leipold, 7. Aufl., § 1922 Rn. 122; Geiger, jurisPR-FamR 22/2014 Anm. 1 [sub. C.]; Spickhoff, LMK 2014, 359158 [sub. 2]). Sie tritt erst mit der rechtskräftigen Zuerkennung eines Anspruchs auf Geldentschädigung ein. Denn mit der Rechtskraft und nicht - wie die Revision meint - mit der Zustellung der Klage, mit der allenfalls eine Aussicht auf Genugtuung entsteht, wird eine gesicherte Position erlangt. Der Senat hat in dem Urteil vom 29. April 2014 (VI ZR 246/12, aaO, Rn. 18) formuliert, sterbe der Erblasser, bevor sein Entschädigungsanspruch erfüllt worden sei, verliere die mit der Geldentschädigung bezweckte Genugtuung regelmäßig ebenfalls an Bedeutung. Daraus kann nicht abgeleitet werden, Genugtuung werde erst mit der Erfüllung erlangt (aA Spickhoff, LMK 2014, 359158 [sub. 2.]; Beuthien, GRUR 2014, 957, 958). Stirbt der Erblasser nach Rechtskraft der Entscheidung, geht der rechtskräftig zuerkannte Anspruch auf seinen Erben über.“
II Ergebnis
Somit ist nicht von der Vererblichkeit des Anspruchs auszugehen.