Dem Urteil des BAG (v. 23.7.2015 – 6 AZR 457/14 = NZA 2015, 1380 = BeckRS 2015, 70999) lag folgender – leicht vereinfachter – Sachverhalt zugrunde:
Die 1950 geborene K erlernte den Beruf der medizinisch-technischen Assistentin und war ab dem 16.12.1991 bei der beklagten Gemeinschaftspraxis auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags vom 21.11.1991 als Arzthelferin angestellt. Sie erhielt zuletzt ein monatliches Bruttogehalt i.H.v. 1703 € zzgl. einer Umsatzbeteiligung. B ist eine von zwei Fachärzten für Urologie betriebene urologische Praxis mit eigenem Labor. Ein Schwerpunkt liegt auf der Behandlung von an Krebs erkrankten Patienten. Beide Ärzte nehmen an der „Vereinbarung über die qualifizierte ambulante Versorgung krebskranker Patienten“ (Onkologie-Vereinbarung) zwischen der AOK-Plus Sachsen-Thüringen und der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen teil. Dies erfordert u.a. die Beschäftigung von onkologisch qualifiziertem Personal in ausreichender Anzahl.
Neben K waren im Jahr 2013 vier Arbeitnehmerinnen in der Praxis beschäftigt. Frau Y war damals 53 Jahre alt und seit ca. 21 Jahren beschäftigt. Sie hat einen Abschluss als medizinisch-technische Fachassistentin für klinische Chemie. Im Labor der B führte sie mikrobiologische Untersuchungen sowie PSA- und Testosteron-Messungen durch und erstellte Spermiogramme. Zudem ist sie die Hygieneverantwortliche der Praxis und hat seit 2008 an diversen Schulungen auf diesem Gebiet teilgenommen. Des Weiteren besuchte sie seit 2010 Fortbildungen auf dem Gebiet der Onkologie. Frau P war damals 39 Jahre alt und seit ca. 20 Jahren in der Praxis beschäftigt. Sie ist ausgebildete Röntgenassistentin und verfügt über einen aktuellen Nachweis der Fachkunde im Strahlenschutz. Sie ist für das Qualitätsmanagement, die QM-Zertifizierungen und deren Umsetzung in der Praxis verantwortlich. Frau S war 44 Jahre alt und ebenfalls seit ca. 20 Jahren bei der B tätig. Sie kann eine abgeschlossene Ausbildung als medizinische Fachangestellte aufweisen und hat erfolgreich an einer onkologischen Qualifikation teilgenommen. Frau P war 27 Jahre alt und seit ca. 10 Jahren bei der Bekl. beschäftigt. Sie ist medizinische Fachangestellte sowie Röntgenassistentin und ebenfalls onkologisch qualifiziert.
Ebenso wie ihre Kolleginnen war K mit Terminverwaltung, Patientenannahme, Praxisorganisation und Verwaltungsarbeiten betraut. Sie führte selbstständig Blutentnahmen durch und verabreichte Injektionen. Ob sie weitere Leistungen am Patienten erbracht hat, ist streitig. Zuletzt war sie überwiegend im Labor beschäftigt und führte dort – wie ihre Kollegin Y – u.a. mikroskopische und mikrobiologische Untersuchungen sowie PSA- und Testosteron-Messungen durch. Außerdem erstellte sie ebenfalls Spermiogramme. Bis einschließlich 2009 verfügte die K über den Nachweis der Fachkunde im Strahlenschutz und erbrachte selbstständig Röntgenleistungen. In der Folgezeit wurde sie weiterhin mit Röntgenleistungen betraut. Ob sie diese dann noch selbstständig oder unter der Aufsicht eines Strahlenschutzverantwortlichen erbrachte, ist streitig.
Ab dem Jahr 2008 wurde in mehreren Schritten durch Vereinbarungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung mit dem GKV-Spitzenverband die Abrechnung von Laborleistungen modifiziert (sog. Laborreform). Zum 1.1.2014 sollte als § 25 Abs. 4a eine Regelung in den Bundesmantelvertrag-Ärzte aufgenommen werden, wonach Laborleistungen nur an Fachärzte überwiesen werden dürfen, bei denen diese Leistungen zum Kern des Fachgebiets gehören. Dies ist bei den Gesellschaftern der B nicht der Fall. Damit war ab dem 1.01.2014 mit einem erheblichen Rückgang des Arbeitsanfalls im Labor zu rechnen. Sie entschlossen sich deshalb zu einer Umstrukturierung ihrer Praxis. Laborarbeiten sollten ab dem 1.1.2014 nur noch durch Frau Y erbracht werden. Bei Bedarf sollten gegebenenfalls andere Labore in Anspruch genommen werden.
Das Arbeitsverhältnis der K kündigten die Gesellschafter der B mit Schreiben vom 24.5.2013 zum 31.12.2013. Dieses lautet auszugsweise wie folgt:
„…seit über 20 Jahren gehen wir nun beruflich gemeinsame Wege. Wir haben in dieser Zeit viel erlebt, auch manche Veränderung. Inzwischen bist Du pensionsberechtigt und auch für uns beginnt ein neuer Lebensabschnitt in der Praxis. Im kommenden Jahr kommen große Veränderungen im Laborbereich auf uns zu. Dies erfordert eine Umstrukturierung unserer Praxis. Wir kündigen deshalb das zwischen uns bestehende Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der vertraglichen Frist zum 31.12.2013.“
Zum 3.01.2014 stellte die B die 35-jährige Krankenschwester H ein. Diese hat keine Laborkenntnisse und wird nicht mit Tätigkeiten im Labor betraut. Ihr obliegt die medizinische und hygienische Grundversorgung der Patienten.
Mit ihrer Klage hat sich K gegen die Kündigung vom 24.5.2013 gewandt und ihre Weiterbeschäftigung verlangt. Die Kündigung sei wegen unzulässiger Altersdiskriminierung unwirksam. Der Wortlaut des Kündigungsschreibens lasse eine Benachteiligung wegen des Alters vermuten, da darin auf ihre „Pensionsberechtigung“ abgestellt werde.
B hat zur Rechtfertigung u.A. angeführt, dass K im Verhältnis zu den anderen Mitarbeiterinnen weniger qualifiziert sei.
Wurde das Arbeitsverhältnis zwischen K und B wirksam zum 31.12.2013 aufgelöst?
Falllösung
Fraglich ist, ob durch die Kündigung vom 24.05.2013 das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2013 aufgelöst wurde.
I. Ursprünglich wirksamer Arbeitsvertrag
K ist seit dem Jahre 1991 bei B beschäftigt, sodass ein wirksamer Arbeitsvertrag ursprünglich bestanden hat.
I. Einhaltung der Schriftform (§ 623 BGB)
Die B müsste zunächst die erforderliche Form eingehalten haben. Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform (§ 623 BGB). Hier hat B der K mit Schreiben vom 24.05.2014 gekündigt, sodass die Schriftform gegeben ist.
II. Einhaltung der Kündigungsfrist
B müsste des Weiteren die erforderliche Kündigungsfrist eingehalten haben. K war mehr als 20 Jahre bei B beschäftigt, sodass die Kündigungsfrist gemäß § 622 Abs. 2 Nr. 7 BGB sieben Monate beträgt. Hier wurde der K am 25.05.2013 zum 21.12.2013 gekündigt, sodass die erforderliche Kündigungsfrist eingehalten wurde.
III. Kündigung bedarf der sozialen Rechtfertigung gemäß § 1 Abs. 2, 3 KschG?
Fraglich ist zunächst, ob die Kündigung der sozialen Rechtfertigung nach § 1 Abs. 2, 3 KSchG bedarf. Dann müsste der Geltungsbereich des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes nach § 23 Abs. 1 KSchG eröffnet sein. Dies ist gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 KSchG nicht der Fall, wenn in dem Unternehmen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt sind. Hier sind vier Arbeitnehmer beschäftigt, sodass es sich um einen sogenannten Kleinbetrieb handelt, sodass die Vorschriften nicht einschlägig sind.
IV. Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG?
Fraglich ist aber, ob die Kündigung gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstößt. Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, könnte nach § 134 BGB i.V.m. §§ 7 Abs. 1 AGG unwirksam sein.
§ 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen (BAGE 147, 60 = NZA 2014, 372 Rn. 14 f.). Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um eine Kündigung während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG oder einen Kleinbetrieb handelt.
1. Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG?
Nach § 7 Abs. 1 Hs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden. K ist als Beschäftigte Arbeitnehmerin i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 1 AGG. B beschäftigt die K und ist damit Arbeitgeber i.S.d. § 6 Abs. 2 AGG.
Das BAG führt hierzu folgendes aus:
„[24. [...] [Zu den in § 1 AGG genannten Gründen] [...] zählt auch das Lebensalter [...]. Das Benachteiligungsverbot bezieht sich auf unmittelbare und mittelbare Benachteiligungen. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 I 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.
[25]c) § 22 AGG trifft hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen Nachteil und durch § 1 AGG verbotenem Anknüpfungsmerkmal eine Beweislastregelung, die sich zugleich auf die Darlegungslast auswirkt. Nach § 22 Hs. 1 AGG genügt eine Person, die sich wegen eines der in § 1 AGG genannten Gründe für benachteiligt hält, ihrer Darlegungslast, wenn sie Indizien vorträgt und gegebenenfalls beweist, die diese Benachteiligung vermuten lassen [...]. Dies gilt auch bei einer möglichen Benachteiligung durch eine ordentliche Kündigung, die nicht den Anforderungen des Kündigungsschutzgesetzes genügen muss [...]. [...] Für die Vermutungswirkung des § 22 AGG ist es ausreichend, dass ein in § 1 AGG genannter Grund „Bestandteil eines Motivbündels“ ist, das die Entscheidung beeinflusst hat. Eine bloße Mitursächlichkeit genügt [...]. Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an [...].
[26]d) Hiervon ausgehend ist eine unmittelbare Benachteiligung der Kl. durch die Kündigung vom 24.5.2013 wegen ihres Lebensalters zu vermuten.
[27] aa) Die Kl. wurde jedenfalls im Verhältnis zu ihrer Kollegin [Y] [...] durch die streitgegenständliche Kündigung weniger günstig behandelt, denn dieser wurde nicht gekündigt. Beide befanden sich auf Grund ihrer Tätigkeit im Labor der Bekl. in einer vergleichbaren Situation, denn sie verrichteten dort vergleichbare Tätigkeiten. Beide führten mikroskopische und mikrobiologische Untersuchungen sowie PSA- und Testosteron-Messungen durch. Zudem erstellten beide Spermiogramme. Dies ist ausreichend für die Annahme einer vergleichbaren Situation i.S.d. § 3 I 1 AGG. Beide sind unstreitig für die Tätigkeiten im Labor qualifiziert. Die von der Bekl. hervorgehobenen zusätzlichen Qualifikationen von Frau [Y] [...] stehen nicht im Zusammenhang mit dem durch die Laborreform angeblich erforderlichen Personalabbau. Nach dem Vortrag der Bekl. war ab dem 1.1.2014 mit einem erheblichen Rückgang des Arbeitsanfalls im Labor zu rechnen. Dies bezieht sich auf die Tätigkeiten, welche sowohl die Kl. als auch Frau [Y] [...] verrichteten.
[28]bb) Das LAG hat rechtsfehlerfrei angenommen, der Hinweis auf die „Pensionsberechtigung“ der Kl. im Kündigungsschreiben vom 24.5.2013 lasse gem. § 22 AGG vermuten, dass das Alter der Kl. jedenfalls auch ein Motiv für die Kündigung war und die Kl. die weniger günstige Behandlung unmittelbar wegen ihres Alters erfahren hat. [...]
[30](2) Wird ein Arbeitnehmer wegen der Möglichkeit des Bezugs einer Rente wegen Alters weniger günstig behandelt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation, liegt eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Lebensalters iSd § 3 I 1 AGG vor [...].
[31](3) Mit dem LAG ist hier eine unmittelbare Benachteiligung der Kl. wegen ihres Lebensalters und damit wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes zu vermuten. Das Kündigungsschreiben führt an, die Kl. sei „inzwischen pensionsberechtigt“. Das LAG hat zutreffend ausgeführt, dass damit das Alter der Kl. in Bezug genommen wird, denn mit dieser Formulierung wird offensichtlich auf die – zumindest in absehbarer Zeit – bestehende Möglichkeit der Beanspruchung gesetzlicher Altersrente hingewiesen. Diese setzt nach den §§ 35 ff. SGB VI bei jedem Tatbestand ein Mindestalter voraus. Die Möglichkeit des Bezugs von Altersrente ist daher untrennbar mit dem Alter verbunden. Das LAG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass es unwahrscheinlich sei, dass die „Pensionsberechtigung“ und damit das Alter der Kl. für die Kündigungsentscheidung keine Rolle gespielt habe. Durch die Verwendung des Wortes „deshalb“ im zweiten Absatz des Schreibens habe zwar wohl nur eine Verbindung zwischen der Kündigung und der Umstrukturierung der Praxis auf Grund der Veränderungen im Laborbereich hergestellt werden sollen. Gleichwohl sei nicht zu erkennen, dass der Hinweis auf die „Pensionsberechtigung“ allein der Tatsache geschuldet gewesen sein soll, die betrieblich notwendige Kündigung freundlich und verbindlich zu formulieren. Hierfür hätte es ausgereicht die Leistungen und Verdienste der Kl. in den Vordergrund zu rücken. Dieses Verständnis des Kündigungsschreibens begegnet keinen revisionsrechtlich relevanten Bedenken. Es entspricht vielmehr der naheliegenden Einschätzung, dass mit der angeführten „Pensionsberechtigung“ die soziale Absicherung der Kl. in den Vordergrund gestellt werden sollte, um die mit der Kündigung verbundenen Härten für die Kl. zu relativieren. Dies spricht dafür, dass das Lebensalter bei der Kündigungsentscheidung berücksichtigt wurde.
[32]cc) Die Bekl. hat nicht iSd § 22 AGG bewiesen, dass entgegen dieser Vermutung kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.
[33](1) Besteht eine Benachteiligungsvermutung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist [...]. Bei einer wegen des Alters vermuteten Benachteiligung ist die Darlegung und gegebenenfalls der Beweis von Tatsachen erforderlich, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als das Alter, die zu der weniger günstigen Behandlung geführt haben und dass in dem Motivbündel das Alter keine Rolle gespielt hat [...].
[34](2) Die Bekl. hat behauptet, dass der Kl. ausschließlich wegen ihres im Verhältnis zu ihren Kolleginnen niedrigeren Qualifikationsniveaus gekündigt worden sei. Die Kl. hat dies bestritten. Da sich die Beweisangebote der Bekl. nur auf die jeweiligen Qualifikationen der Mitarbeiterinnen und die betrieblichen Anforderungen beziehen, konnte die Bekl. nicht beweisen, dass die Rentenberechtigung der Kl. und damit ihr Alter bei der Kündigungsentscheidung keine Rolle gespielt hat. Die angenommene Altersversorgung der Kl. kann auch bei Bestehen der angeführten Qualifikationsunterschiede ein weiteres Motiv für die Kündigung der Kl. gewesen sein [...].“
Mithin ist eine unmittelbare Benachteiligung der K aufgrund ihres Alters gegeben. Somit ist auch grundsätzlich ein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG zu bejahen.
2. Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung nach § 10 AGG?
Fraglich ist aber, ob die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nach § 10 AGG gerechtfertigt ist. Nach § 10 S. 1 AGG ist Ungeachtet des § 8 AGG eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist.
Hierzu führt das BAG folgendes aus:
„[36] [...] Ziele, die als „rechtmäßig“ iSd [Norm] [...] angesehen werden können, stehen als „sozialpolitische Ziele“ im Allgemeininteresse. Dadurch unterscheiden sie sich von Zielen, die im Eigeninteresse des Arbeitgebers liegen, wie Kostenreduzierung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Freilich ist es nicht ausgeschlossen, dass eine nationale Vorschrift bei der Verfolgung der genannten sozialpolitischen Ziele den Arbeitgebern einen gewissen Grad an Flexibilität einräumt [...]. Eine unabhängig von Allgemeininteressen verfolgte Zielsetzung eines einzelnen Arbeitgebers kann aber keine Ungleichbehandlung rechtfertigen. [...]
[37]bb) Derjenige, der sich auf die Zulässigkeit einer unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters nach § 10 S. 1 AGG beruft, trägt die Darlegungs- und Beweislast bezüglich des Vorliegens eines legitimen Ziels im Sinne dieser Vorschrift. [...]
[38]cc) Die Bekl. hat zur Rechtfertigung der anzunehmenden Ungleichbehandlung der Kl. vor dem LAG nur angeführt, dass diese im Verhältnis zu den anderen Mitarbeiterinnen weniger qualifiziert und deren (zusätzliche) Qualifikationen für den Betrieb der Praxis erforderlich seien. Damit hat sie kein im Allgemeininteresse bestehendes Ziel benannt, sondern lediglich ihr eigenes Interesse an möglichst hoch qualifiziertem Personal in den Vordergrund gestellt. Soweit das LAG angenommen hat, dass die Bekl. ein legitimes Ziel verfolgt habe, weil sie andere Arbeitnehmer, insbesondere Frau [Y] [...], welche mangels „Pensionsberechtigung“ und wegen unter Umständen längerer Arbeitslosigkeit sozial schutzbedürftiger seien, vor der Kündigung habe schützen wollen, entspricht dies nicht dem Vortrag der Bekl. in den Tatsacheninstanzen. Die Revision rügt diesbezüglich zu Recht einen Verstoß gegen § 286 I 1 ZPO. Die Bekl. hat die soziale Schutzbedürftigkeit von Frau [Y] [...] im Verhältnis zur Kl. nicht thematisiert, sondern nur darauf hingewiesen, dass auch Frau [Y] [...] mit einem Lebensalter von 53 Jahren und 21 Jahren Betriebszugehörigkeit eine erhebliche soziale Schutzwürdigkeit erreicht habe. Es wurde aber nicht behauptet und konkret belegt, dass Frau [Y] [...] trotz ihrer hervorgehobenen Qualifikation wegen ihres Alters Schwierigkeiten haben würde, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Es wurde auch nicht die „Pensionsberechtigung“ der Kl. einer angenommenen Schutzbedürftigkeit von Frau [Y] [...] gegenübergestellt. Dies gilt auch bezüglich der anderen Arbeitnehmerinnen. Das LAG hat seiner Beurteilung ein von der Bekl. nicht behauptetes Ziel zu Grunde gelegt und damit den Prozessstoff fehlerhaft gewürdigt. Zwar waren die Sozialdaten der Beschäftigten Teil des Parteivortrags. Aus diesen darf seitens des Gerichts aber keine mögliche soziale Zielsetzung zu Gunsten der insoweit darlegungsbelasteten Partei abgeleitet werden. Soweit die Bekl. nunmehr mit der Revisionserwiderung die Auffassung des LAG bestätigt, ist dies als neuer Tatsachenvortrag im Revisionsverfahren unbeachtlich (§ 559 I ZPO). Gleiches gilt für die erstmals im Revisionsverfahren behauptete Zielsetzung einer ausgewogenen Personalstruktur und Personalplanung zur Sicherung des Erhalts der anderen Arbeitsplätze.
[39]dd) Entgegen der Ansicht des LAG und der Bekl. hat der Gesetzgeber die Möglichkeit eines (zeitnahen) Rentenbezugs auch nicht nach § 10 S. 3 Nrn. 5 und 6 AGG als generell zulässiges Differenzierungskriterium angesehen. § 10 S. 3 Nr. 5 AGG gilt gerade nicht für Kündigungen („ohne Kündigung“). Die zu dieser Vorschrift ergangene Rechtsprechung kann daher nicht herangezogen werden [...]. § 10 S. 3 Nr. 6 AGG bezieht sich auf die Ausgestaltung von Sozialplänen. Diese kommen nur bei einer wirksamen Kündigung zum Tragen [...].
[40] ee) Soweit das LAG anführt, die Kündigung entspreche sogar den Anforderungen an eine nach § 1 III 1 KSchG vorzunehmende Sozialauswahl, kann dahingestellt bleiben, ob dies zutreffend ist. Die Zulässigkeit der Berücksichtigung einer altersbedingten Rentennähe im Rahmen dieser Sozialauswahl ist umstritten [...]. Dessen ungeachtet kann aus der Vereinbarkeit einer Sozialauswahl mit den Vorgaben des § 1 III 1 KSchG nicht geschlossen werden, es liege keine unzulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters vor. Die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sind vielmehr im Rahmen der Prüfung der Sozialwidrigkeit von Kündigungen zu beachten [...]. Außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes hat die Prüfung – wie dargelegt – ohnehin unmittelbar am Maßstab des Benachteiligungsverbots des § 7 I AGG zu erfolgen.“
Daher ist im Ergebnis die zu vermutende unterschiedliche Behandlung der K wegen des Alters nicht nach § 10 AGG zulässig.
3. Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung nach § 8 Abs. 1 AGG?
Die unterschiedliche Behandlung der K könnte wegen beruflicher Anforderungen i.S.d. § 8 Abs. 1 AGG zulässig sein. Nach § 8 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.
B hat bezüglich keiner der in der Praxis anfallenden Tätigkeiten behauptet, dass diese ab einem bestimmten Alter nicht mehr verrichtet werden könnten. Die genannten Anforderungen an die Qualifikation der Beschäftigten sind auch unabhängig von deren Lebensalter. Daher kann sich auch keine Zulässigkeit der unterschiedlichen Behandlung aus § 8 Abs. 1 AGG ergeben.
V. Ergebnis
Die Kündigung ist unwirksam gemäß § 134 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG. Mithin hat die Kündigung vom 24.5.2013 das Arbeitsverhältnis nicht zum 31.12.2013 beendet.
Die Leitsätze des BAG im Überblick:
1. Die Erwähnung der „Pensionsberechtigung“ des betroffenen Arbeitnehmers in einer Kündigungserklärung des Arbeitgebers kann eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Lebensalters nach § 22 AGG vermuten lassen.
2. Zur Widerlegung der Vermutung ist die Darlegung und gegebenenfalls der Vollbeweis von Tatsachen erforderlich, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als das Alter, die zu der Kündigung geführt haben.
3. Gelingt es dem Arbeitgeber nicht, die Vermutung zu widerlegen, ist die Kündigung unwirksam, wenn die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nicht gemäß § 10 oder § 8 AGG zulässig ist. Dies folgt im Kleinbetrieb aus § 134 BGB in Verbindung mit §§ 7 I, 1, 3 AGG.
Anmerkung: Zur Vertiefung der Thematik kann auf die kritische Anmerkung von Bauer (FD-ArbR 2015, 371354 [beck-online] = ArbRAktuell 2015, 375 [beck-online]) verwiesen werden. Weitere Ausführungen zu diesem Thema finden Sie auch in unseren ExO`s und im GuKO ZR. Eine Leseprobe aus unserem Skript finden Sie hier: http://www.juracademy.de/web/skript.php?id=37439.