Die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme in diesem Bereich ist wie so vieles im Strafrecht heftig umstritten. Der BGH (Urteil vom 12. 2. 2009 - 4 StR 488/08) musste sich mit folgendem Sachverhalt auseinandersetzen:
A, B und C waren zusammen mit dem Opfer D Insassen einer Justizvollzugsanstalt und teilten sich eine Zelle. Der schüchterne und zurückhaltende D wurde dabei im Laufe mehrerer Wochen insbesondere von A und B „in einer Atmosphäre der Gewalt“ mehrfach misshandelt und auch sexuell gedemütigt. So hatten beide an D bereits zwei Mal zuvor einen „Schein“- Erstickungstod inszeniert, indem sie D u.a. an einen Stuhl fesselten und ihm eine Plastiktüte über den Kopf zogen, die sie erst entfernten, als D zu ersticken drohte. Am Tattag zwang nun B den D, auf einen Stuhl zu steigen und seinen Hals in eine zuvor an einem Heizungsrohr befestigte Schlinge zu legen. Als er dann den Stuhl nach und nach wegschob, schritt der bis dahin nicht beteiligte A ein und beendete das Ganze.
D war wegen dieses Vorfalls vom erstinstanzlich zuständigen Landgericht freigesprochen, da er am Geschehen nicht beteiligt gewesen sei. Diese Entscheidung hat der BGH aufgehoben.
Der unmittelbar handelnde B hat sich zunächst einer gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5 StGB sowie darüber hinaus einer Nötigung gem. § 240 I StGB strafbar gemacht.
Man könnte nun überlegen, ob für A nicht eine mittäterschaftlich begangene Körperverletzung gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5, 25 II StGB in Betracht kommen könnte. Dagegen spricht aber, dass A sich nicht aktiv am Geschehen beteiligt hat und auch keine Anhaltspunkte für einen gemeinsamen Tatplan gegeben sind. Eine Zurechnung der Handlung des B gem. § 25 II StGB kommt daher nicht in Betracht.
Möglich wäre jedoch, dass sich A als Nebentäter gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5, 13 I StGB strafbar gemacht hat, indem er es unterließ, B von der Tatausführung abzuhalten.
Davon ausgehend, dass dem A ein Einschreiten physisch real möglich gewesen wäre, liegt zunächst das Unterlassen einer erforderlichen Handlung vor. Dieses Unterlassen ist auch quasi-kausal für den Erfolg.
Fraglich ist jedoch, ob A eine Garantenstellung innehatte. Der BGH hat eine solche aus Ingerenz bejaht, indem er darauf verweist, dass A durch seine zuvor begangenen Handlungen D zum einen „zum Gehorsam gezwungen“ habe und gleichzeitig B zu verstehen gegeben habe, „dass dieser sich bei weiteren Demütigungen und Misshandlungen vergleichbarer Art keine Hemmungen aufzuerlegen brauche“. A habe damit die Gefahr für das Opfer deutlich erhöht, so dass ihn die Pflicht traf, weitere Straftaten zum Nachteil des D zu verhindern.
Problematisch ist nun aber, ob das Unterlassen des A als täterschaftliches Unterlassen anzusehen ist oder aber nur eine Beihilfe durch Unterlassen zur Tat eines anderen darstellt
Hierzu gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Lösungsansätze. Teilweise wird in der Literatur angenommen, dass der Unterlassende niemals Täter sein könne, teilweise wird genau das Gegenteil angenommen, teilweise wird nach der Art der Garantenstellung differenziert, wonach der Beschützergarant stets Täter sei, der Überwachergarant hingegen nur Teilnehmer, teilweise (wohl h.L.) wird auf das Abgrenzungskriterium abgestellt, das stets bei Täterschaft und Teilnahme herangezogen wird, nämlich auf die Tatherrschaft. (zum Überblick über die verschiedenen Theorien: http://heinrich.rewi.hu-berlin.de/doc/abs_ex_2012/at/16-taeterschaft02.pdf)
Der BGH geht in seiner Entscheidung vom subjektiven Willen des Unterlassenden aus, wobei er zur Ermittlung des Willens auch auf die Tatherrschaft abstellt. Es führt dazu folgendes aus:
„Nach der Rechtsprechung des BGH ist für die Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Beihilfe durch Unterlassen zur Tat eines aktiv Handelnden die innere Haltung des Unterlassenden zur Tat bzw. dessen Tatherrschaft maßgebend. War seine auf Grund einer wertenden Betrachtung festzustellende innere Haltung – insbesondere wegen des Interesses am Taterfolg – als Ausdruck eines sich die Tat des anderen zu eigen machenden Täterwillens aufzufassen, so liegt die Annahme von Mittäterschaft nahe. War sie dagegen davon geprägt, dass er sich dem Handelnden – etwa weil er dessen bestimmenden Einfluss unterlag – im Willen unterordnete und ließ er das Geschehen ohne innere Beteiligung und ohne Interesse am drohenden Erfolg lediglich ablaufen, spricht dies für eine bloße Beteiligung als als Gehilfe ….. Zum anderen kommt Mittäterschaft des Unterlassenden in Betracht, wenn dieser – neben dem aktiv Handelnden – „Herr des Geschehens” war, er also die Tatherrschaft hatte.“
Im vorliegenden Fall hat der BGH A lediglich als Randfigur eingestuft. Es waren keine Anzeichen für ein eigenes Interesse an der Tatausführung erkennbar. Auch hat A das Geschehen in erster Linie ohne erkennbar eigenes Engagement „laufen lassen“. Von daher hat der BGH ein täterschaftliches Unterlassen verneint.
In Betracht kommt dann aber eine Beihilfe durch Unterlassen gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5, 27, 13 StGB. Aufgrund des Vortatverhaltens und des gleichgültigen Geschehen lassen am Tatttag hat A den B darin bestärkt, die Tat zu begehen. Es kommt damit eine psychische Beihilfe durch Unterlassen in Betracht.