Der BGH (Beschluss v. 07.09.2017 – 2 StR 18/17) musste sich mit folgendem Sacherhalt befassen: A und G trafen sich in regelmäßigen Abständen zum gemeinsamen Trinken. Am Tatabend wollte sich nun der erheblich alkoholisierte G plötzlich dem A sexuell nähern und griff ihm in den Schritt. Dies empfand der ebenfalls erheblich alkoholisierte A als massive Grenzüberschreitung, die ihn stark aufwühlte, weswegen er G auf die Lippe schlug. Infolge des Schlages und der damit einhergehenden emotionalen Erregung stieg Speisebrei in der Speiseröhre des G auf. Da aber der Würgereflex aufgrund der Alkoholisierung ausblieb, kam es zu einer Aspiration in die Lunge. G fiel hin, begann zu röcheln und verstarb wenige Minuten später infolge Erstickens. A, der glaubte, G lebe noch, zog ihm die Hose herunter und durchtrennte mit einem Messer seinen Penis. In seiner späteren Vernehmung führte er aus, das Ganze sei passiert, weil G ihm „an die Eier gegangen sei“, weswegen er ihn geschlagen und ihm „die Eier abgeschnitten“ habe. Zum Zeitpunkt des Schlages hatte A nur Körperverletzungsvorsatz, zum Zeitpunkt des Messereinsatzes hingegen wohl bedingten Tötungsvorsatz.
Das LG hatte beide Handlungen zu einem einheitlichen Geschehensablauf zusammengefasst, da diese eine Reaktion auf die Annäherung des G gewesen und dazu bestimmt gewesen seien, diesen körperlich zu züchtigen. Dass der Tod tatsächlich früher als geplant eintrat, nämlich durch das Ersticken am Erbrochenen, wurde als unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf betrachtet.
Damit hat das LG versucht, einen „umgekehrten Jauchegrubenfall“ zu konstruieren. Beim „Jauchegrubenfall“ (BGHSt 14, 193) hatte sich folgendes ereignet: A und B gerieten miteinander in Streit, in deren Verlauf die A der B Sand in den Mund steckte, um sie am Schreien zu hindern. Dabei nahm sie den Tod der B billigend in Kauf. Nachdem B in Ohnmacht gefallen war, nahm A irrig an, diese sei gestorben und warf sie, um die vermeintliche Leiche zu beseitigen, in eine Jauchegrube. Tatsächlich starb B erst durch Ersticken in der Jauchegrube und damit – anders als im obigen Fall – später als gedacht.
Nun besteht allerdings der wesentliche Unterschied beider Fälle darin, dass beim Jauchegrubenfall das Koinzidenzprinzip beachtet wurde, beim Amputationsfall hingegen nicht.
Aus § 16 I StGB ergibt sich, dass der Vorsatz des Täters zum „Zeitpunkt der Begehung der Tat“ vorliegen muss. Es muss also einen zeitlichen Gleichlauf zwischen Handlung (bzw. Unterlassen) und Vorsatz geben. Dabei reicht es aus, wenn der Vorsatz zum Zeitpunkt des Eintritts der Tat in das Versuchsstadium vorliegt. Die Handlung, an welche beim Koinzidenzprinzip angeknüpft wird, ist also jene, die beim Versuch das unmittelbare Ansetzen begründet.
Beim Jauchegrubenfall hatte die A zum Zeitpunkt des Stopfens des Sandes in den Mund der B Tötungsvorsatz. Mit dieser Handlung trat das Tötungsdelikt auch in das Versuchsstadium ein. Dass der Tötungsvorsatz danach beim Versenken der Leiche nicht mehr vorhanden war, ist aufgrund des oben ausgeführten damit zunächst einmal unerheblich, es sei denn, der tatsächliche Eintritt des Todes – Ersticken in der Jauchegrube – stellte zum vorgestellten Eintritt des Todes - Ersticken durch Sand im Mund – eine wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf dar, was aber nicht der Fall ist. Zu Recht wurde die Täterin von daher wegen eines vollendete Tötungsdelikts bestraft durch Vornahme der ersten Handlung.
Sofern man im vorliegenden „Amputationsfall“ tatsächlich eine einheitliche Tat annehmen wollte, hätte das zur Folge, dass der Täter zum Zeitpunkt des Eintretens der Tat in das Versuchsstadium Tötungsvorsatz hätte haben müssen. Dies war aber gerade nicht der Fall. Als A dem G auf die Lippe schlug, die „unterstellt einheitliche“ Tat damit in das Versuchsstadium brachte, hatte er nur Körperverletzungsvorsatz. Den Tötungsvorsatz fasste er erst später.
Damit ist aber der nachfolgende Tötungsvorsatz ein unbeachtlicher dolus subsequens. Der Täter kann sich somit nur gem. § 223 StGB durch den Schlag auf die Lippe und wegen untauglichem, versuchten Totschlag oder Mord (evtl. Rache als niedrigem Beweggrund) gem. §§ 211, 212 StGB strafbar gemacht haben.