Sachverhalt (vereinfacht)
(nach OVG NRW, Beschl. v. 12.09.2018, 6 A 2272/18 und OVG NRW, Beschl. v. 23.07.2018, 6 B 556/18)
Der 1992 geborene Kläger K trägt auf dem linken Unterarm eine Tätowierung in Gestalt eines Löwenkopfes mit einer Größe von ca. 20 x 14 cm.
Er bewarb sich auf eine Stelle im gehobenen Polizeivollzugsdienst des Landes NRW. Das Auswahlverfahren hat er erfolgreich durchlaufen, die formalen Voraussetzungen für eine Ernennung zum Beamten erfüllt er vollständig. Dennoch lehnte die zuständige Einstellungsbehörde des Landes NRW eine Einstellung des K mit Hinweis auf die Tätowierung ab.
In der Begründung der Ablehnung verweist die Einstellungsbehörde darauf, dass auch heute noch eine Tätowierung geeignet sein könne, dass Vertrauen der Bürger in die Amtsführung von Polizisten zu beeinträchtigen. Insbesondere unter älteren Menschen herrsche nach wie vor die Auffassung, dass Tätowierungen im Milieu von Straftätern und Sittenstrolchen vorkommen, für einen Staatsdiener aber nicht adäquat seien. Im Hinblick auf die gesetzliche Grundlage wird in der Begründung des Bescheids darauf hingewiesen, dass die allgemeinen Vorschriften über beamtenrechtliche Verhaltenspflichten gem. §§ 34, 35 BeamtenstatusG ausreichend seien. Hilfsweise könne die Ablehnung des K auf die Vorschriften über die Dienstkleidung gestützt werden (§ 45 LBG NRW).
K hält die Entscheidung für offensichtlich rechtswidrig. Er ist der Auffassung, dass die „harmlose“ Tätowierung seine Eignung als Polizist nicht in Frage stellt. Die allgemeine Einstellung zu Tätowierungen habe sich in der Gesellschaft grundlegend geändert. Insbesondere aber fehle eine gesetzliche Grundlage für eine Ablehnung seiner Bewerbung wegen der Tätowierung.
K erhebt fristgerecht Klage gegen die Ablehnung seiner Bewerbung.
Zulässigkeit
Hier liegt eine aufdrängende Sonderzuweisung vor, da es sich um eine beamtenrechtliche Streitigkeit handelt (§ 54 BeamtStG).
K begehrt mit seiner Klage die Einstellung als Beamter, zumindest die erneute Entscheidung über seine Bewerbung. Statthaft ist somit die Verpflichtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO.
Die erforderliche Klagebefugnis gem. § 42 Abs. 2 VwGO folgt aus Art. 33 Abs. 2 GG. Danach hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte. Daraus folgt zwar kein unmittelbarer Anspruch auf Einstellung. In Art. 33 Abs. 2 GG wurzelt aber der Bewerbungsverfahrensanspruch. Dies ist der Anspruch darauf, dass der Zugang zu einem öffentlichen Amt nicht anhand einer ermessensfehlerhaften oder aus anderen Gründen rechtswidrigen Entscheidung abgelehnt wird. Dies ist hier zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen, da K allein wegen seiner Tätowierung nicht zum Polizeibeamten ernannt wird.
Nach § 54 Abs. 2 BeamtStG ist vor allen Klagen in beamtenrechtlichen Streitigkeiten grundsätzlich ein Vorverfahren durchzuführen. Dies ist allerdings nicht erforderlich, wenn ein Landesgesetz dies ausdrücklich bestimmt. Nach § 103 LBG NRW findet für Klagen der Beamten ein Widerspruchsverfahren nicht statt. Die in § 103 Abs. 1 S. 2 LBG NRW vorgesehenen Ausnahmen sind hier nicht einschlägig. Die Unstatthaftigkeit des Widerspruchsverfahrens in beamtenrechtlichen Streitigkeiten wird insoweit erweiternd ausgelegt, als sie auch für Klagen auf Einstellung als Beamter anwendbar ist und nicht nur für Klagen der Beamten. Somit ist das Widerspruchsverfahren hier nicht erforderlich.
Die Vorschriften über die Klagefrist (§ 74 VwGO) sowie der Beteiligten- und Prozessfähigkeit (§§ 61, 62 VwGO) und den richtigen Klagegegner (§ 78 Nr. 1 VwGO) stehen der Zulässigkeit der Klage hier nicht entgegen.
Somit ist die Klage des K zulässig.
Begründetheit:
Die Verpflichtungsklage des K ist begründet, wenn der angegriffene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und der K dadurch ein seinen Rechten verletzt wird, vgl. § 113 Abs. 1 VwGO. Dies ist der Fall, wenn K einen Anspruch auf Einstellung oder auf erneute Entscheidung über seine Bewerbung hat.
Da er das Auswahlverfahren erfolgreich durchlaufen hat und auch alle sonstigen formalen Voraussetzungen für eine Einstellung in den Polizeivollzugsdienst des Landes erfüllt, kann seine Ablehnung nur auf die Tätowierung gestützt werden. Fraglich ist, ob das rechtmäßig ist.
Dabei ist bereits problematisch, ob für die ablehnende Verwaltung eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist und dies ggf. vorliegt.
Bei der Ablehnung einer Bewerbung als Beamter handelt es sich nicht um einen klassischen belastenden Verwaltungsakt. Aus Art. 33 Abs. 2 GG folgt kein unmittelbarer Anspruch auf Einstellung, sondern nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Auswahl im Rahmen der Bestenauslese. Allerdings vermittelt Art. 33 Abs. 2 GG, wonach jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte hat, ein grundrechtsgleiches Recht auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl. Ein Bewerber um ein öffentliches Amt kann verlangen, dass seine Bewerbung nur aus Gründen zurückgewiesen wird, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung betreffen.
Dazu führt das OVG Münster aus und lehnt sich dabei an die sog. „Wesentlichkeits“-Rechtsprechung des BVerfG an:
„Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen. Wann es aufgrund der Wesentlichkeit einer Entscheidung einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, hängt vom jeweiligen Sachbereich und der Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes ab (…) Als wesentlich sind insbesondere Regelungen zu verstehen, die für die Verwirklichung von Grundrechten erhebliche Bedeutung haben und sie besonders intensiv betreffen.“
Außerhalb des Bereichs der klassischen Eingriffsverwaltung hängt der Anwendungsbereich des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes also – wie hier – von der Grundrechtsintensität staatlichen Handelns ab.
Im Hinblick auf die Tätowierung eines Bewerbers für eine Stelle als Polizeibeamter entscheidet das OVG Münster:
„Die Austarierung widerstreitender Grundrechte oder kollidierender Verfassungsoptionen ist Sache des Parlaments. Wesentliche Inhalte des Beamtenverhältnisses sind daher durch Gesetz zu regeln. Mit der Bestimmung unzulässiger Tätowierungen werden Eignungsanforderungen festgelegt, die zur zwingenden Ablehnung eines Einstellungsbegehrens führen. Insoweit ist vor allem das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) der tätowierten Bewerberinnen und Bewerber berührt, die damit ihr äußeres Erscheinungsbild bestimmen, wobei auch und gerade die private Lebensführung betroffen ist. (…) Eine Entscheidung des Gesetzgebers ist auch deshalb geboten, weil Tätowierungen die Eignung nicht bereits aus sich heraus infolge naturgesetzlicher Gegebenheiten beeinträchtigen können. Vielmehr ergibt sich dies erst aufgrund gesellschaftlicher Vorstellungen, deren Bedeutung einzuschätzen und deren rechtliche Relevanz festzulegen typischerweise Aufgabe des Gesetzgebers ist.“
Die Regelung zulässiger Tätowierungen im Beamtenverhältnis bedarf also einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Regelung.
Eine solche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage ist nicht gegeben. Aus den allgemeinen beamtenrechtlichen Pflichten lässt sich ein Verbot der Tätowierung nicht hinreichend bestimmt entnehmen. Den Hinweis auf die Vorschrift zur Dienstkleidung, § 45 LBG NRW, lehnt das OVG NRW ab. Damit werde ein völlig anderer Sachverhalt angesprochen als die Tätowierung, die – anders als Dienstkleidung, die im Anschluss an die Dienstausübung wieder abgelegt werden kann – einen untrennbaren Bestandteil des Körpers ausmache.
Somit fehlt es also bereits an der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigung für die Ablehnung der Bewerbung des K auf Grund seiner Tätowierung.
Der Verwaltungsakt ist somit rechtswidrig und K in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt.
Die Klage des K ist also zulässig und begründet.
Fazit und Hinweise:
Der Fall verbindet grundsätzliche Probleme des verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes, der aus Art. 20 Abs. 3 GG folgt, mit beamtenrechtlichen Fragestellungen.
Rechtsstreitigkeiten über die Ablehnung der Einstellung als Polizist wegen einer Tätowierung haben in den letzten Monaten mehrere OVGs beschäftigt. Neben den hier dargestellten Entscheidungen des OVG NRW gibt es vergleichbare Entscheidungen z.B. des VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 12.7.2018, 4 S 1439/18) und des OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 28.08.2018, OVG 4 S 36.18). Sie alle nehmen Bezug auf grundsätzliche Ausführungen des BVerwG zu diesem Problem in einer Entscheidung vom 17.11.2017 (2 C 25.17).
Daher ist damit zu rechnen, dass vergleichbare Sachverhalte in Zukunft Gegenstand von (Examens-)Klausuren werden.