Mit diesen Fragen hat sich jüngst das OLG Hamm (Beschl. v. 12.2.2019 – 4 RVs 9/19, BeckRS 2019, 3129) beschäftigt. Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde:
A, der keine Fahrerlaubnis besaß, suchte am Tattag seine ehemalige Freundin F auf und klingelte bei ihr an der Türe. F, die sich von ihm belästigt fühlte, öffnete nicht sondern verständigte stattdessen die Polizei. Die herbeieilenden Polizeibeamten M und N entdeckten A im Schritttempo fahrend auf der L-Straße und beschlossen, eine Fahrzeugkontrolle gem. § 36 StVO durchzuführen. M stellte sich dazu mittig auf die Fahrbahn, N stellte sich leicht versetzt in Richtung Fahrbahnrand hinter M auf. Beide nahmen ihre Taschenlampen und leuchteten in Richtung A, M gab A zudem durch Handzeichen zu erkennen, er möge rechts heranfahren und anhalten.
A, der zu diesem Zeitpunkt noch einen Abstand von zunächst ca. 30 bis 40, dann 20 bis 30 Meter zu den Polizisten hatte, befürchtete eine Strafverfolgung und fuhr mit aufheulendem Motor unmittelbar auf M zu. Er wollte damit erreichen, dass M und N die Straße freimachten, damit er seine Fahrt fortsetzen konnte. Ein Verletzungsvorsatz konnte ihm nicht nachgewiesen werden. A hielt es zwar für möglich, dass es zu einer Kollision und damit zu einer Verletzung kommen könnte, er vertraute aber auf die Reaktion der Beamten. Tatsächlich trat M 2 Schritte zur Seite, so dass A ihn mit einem Abstand von einer Armlänge passierte.
Bevor wir uns nun dem § 114 StGB widmen, schauen wir zunächst einmal, welche anderen Normen darüber hinaus noch in Betracht kommen könnten. Eine Strafbarkeit gem. den §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5, 22, 23 StGB kommt nicht in Betracht, da A keinen Körperverletzungsvorsatz hatte.
Natürlich müsste in einer Klausur an § 315b I Nr. 3, III iVm § 315 III 1b StGB gedacht werden. Dafür müsste A im öffentlichen Straßenverkehr einen „ebenso gefährlichen Eingriff“ vorgenommen haben. Da § 315b StGB in Abgrenzung zu § 315c StGB grundsätzlich nur Eingriffe erfasst, die von außen in den Straßenverkehr erfolgen, kommt eine Strafbarkeit nur dann in Betracht, wenn der Täter das Fahrzeug „pervertiert“, also als Waffe zweckentfremdet und dabei die entsprechende „Pervertierungsabsicht“ und zudem Schädigungsvorsatz aufweist. An letzterem fehlt es, so dass auch eine Strafbarkeit gem. § 315b I Nr. 3, III iVm § 315 III 1b StGB ausscheidet.
Natürlich hat A sich gem. § 21 I Nr. 1 StVG strafbar gemacht und zwar 2 Mal, da der Aufenthalt bei der Freundin eine Zäsur darstellt.
Kommen wir damit zu § 114 I, II iVm § 113 II Nr. 1 und 2 StGB.
A könnte sich gem. § 114 I, II iVm § 113 II Nr. 1 und 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er auf M und N zufuhr und nur mit einer Armlänge Abstand an ihnen vorbeifuhr.
Objektiver Tatbestand
M und N waren als Amtsträger zur Vollstreckung von Gesetzen berufen. Indem sie eine Fahrzeugkontrolle gem. § 36 StVO durchführten, führten sie auch eine Diensthandlung aus.
Fraglich ist nun, ob A die Beamten, indem er auf sie zufuhr, tätlich angegriffen hat. Dies ist vorliegend insbesondere deswegen problematisch, weil A keinen Verletzungsvorsatz hatte.
Was unter einem tätlichen Angriff zu verstehen ist, ist streitig.
In Ansehung des gegenüber § 113 StGB erhöhten Strafrahmens wird teilweise eine engere Definition als jene, die bisher dem „tätlichen Angriff“ bei § 113 I StGB zugrunde lag, gefordert. Demnach sollen nur Handlungen erfasst sein, die konkret geeigent sind, die körperliche Unversehrtheit des Amtsträgers auch tatsächlich und nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen, wobei sich der Vorsatz des Täters auf diese Beeinträchtigung beziehen muss (Dallmeyer in: BeckOK-StGB, 40. Ed., § 114 Rdn. 5; Busch/Singelnstein NStZ 2018, 510, 512; Puschke/Rienhoff JZ 2017, 924, 929 f.). Da A vorliegend davon ausging, es werde zu keiner Verletzung kommen, läge nach dieser engen Definition kein tätlicher Angriff vor.
Das OLG Hamm schließt sich dieser engen Definition des Begriffs nicht an. Im Einzelnen führt es dazu folgendes aus:
„Ein tätlicher Angriff ist eine mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper des Beamten oder Soldaten zielende Einwirkung (Fischer a.a.O., § 114 Rdn. 5; König/Müller ZIS 2018, 96, 99). Eine körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz des Täters ist nicht erforderlich (Schönke/Schröder/Eser, StGB, 30. Aufl., § 114 Rdn. 4)
Dies ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber bei der Formulierung des Tatbestands den Wortlaut der zuvor in § 113 Abs. 1 StGB a.F. enthaltenen Formulierung übernommen hat. Nach seinem Willen sollte die Begehungsform des tätlichen Angriffs aus § 113 StGB herausgelöst und in § 114 StGB als selbständiger Straftatbestand mit erhöhtem Strafrahmen ausgestaltet werden (BT-Drs. 18/11161 S. 9). … Danach reichte es für die Annahme eines tätlichen Angriffs i. S. v. § 113 StGB aus, wenn sich der Vorsatz des Täters auf die Angriffshandlung beschränkt und den Erfolg eines Tötungs- oder Körperverletzungsdelikts nicht mit umfasst. Insoweit wurde nicht einmal die körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz des Täters für erforderlich gehalten (RGSt 41, 181, 182; BSG NJW 2003, 164 m.w.N.; Zöller/Steffens JA 2010, 161, 163). Dass der Gesetzgeber im Jahre 2017 an dieser Auslegung des Begriffs für § 114 StGB nicht weiter hat festhalten wollen, ist nicht zu erkennen (wie hier: Kulhanek JR 2018, 551, 554).“
Der oben genannten Gegenauffassung hält es entgegen, dass
„es gerade die Intention des Gesetzgebers bei Schaffung des § 114 StGB war, den Schutz der Amtsträger durch eine erhöhte Strafandrohung bei tätlichen Angriffen, und zwar solchen i.S.v. § 113 StGB a.F. (s.o.), zu erhöhen. Diese gesetzgeberische Intention würde bei der geforderten engen Auslegung unterlaufen, ja gerade in ihr Gegenteil verkehrt, weil dann sogar die Bandbreite strafbarer Handlungen, die einen tätlichen Angriff bilden könnten, im Vergleich zu § 113 StGB eingeschränkt würde. Eine solche explizit der gesetzgeberischen Intention, welche auch durch die Übernahme der Formulierung aus § 113 StGBa.F. im Wortlaut der Norm zum Ausdruck kommt, zuwiderlaufende Auslegung würde schon Bedenken im Hinblick auf das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1 und 2 GG aufwerfen. Dieses legt nahe, dem gesetzgeberischen Willen Rechnung zu tragen, sofern man dadurch nicht mit anderen Prinzipien (etwa dem Bestimmtheitsgrundsatz etc.) in Konflikt gerät (Schlehofer JuS 1992, 572, 575). Bedenken im Hinblick auf das Schuldprinzip bestehen hingegen nicht. Es ist nicht zu erkennen, dass der Gesetzgeber mit seiner Strafrahmenwahl einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, den Bereich eines gerechten Schuldausgleichs für Handlungen, die entweder tatsächlich nicht geeignet sind, die körperliche Unversehrtheit des Amtsträgers mehr als nur unerheblich zu beeinträchtigen oder bei denen eine entsprechende Beeinträchtigung nicht vom Vorsatz des Täters umfasst ist, verlassen hätte. Entsprechenden Umständen des Einzelfalls kann das Gericht durch eine Strafhöhe im unteren Bereich des Strafrahmens Rechnung tragen (wie hier: Kulhanek JR 2018, 551, 555).
Soweit die o.g. Gegenansicht ausführt, dass das Schutzgut des § 114 StGB die körperliche Unversehrtheit des Amtsträgers sei, ist dem zuzugeben, dass der Gesamtzusammenhang der Gesetzesbegründung hierauf hindeutet (bei allgemeinen Diensthandlungen sind die Polizisten häufig nicht auf tätliche Angriffe vorbereitet und können sich nicht schützen, vgl. BT-Drs. 18/11161 S. 10), auch wenn das explizit dort nicht so ausgeführt wird. Aber auch, wenn die gesetzgeberische Intention tatsächlich nur auf den Schutz der körperlichen Integrität des Amtsträgers gezielt haben sollte und nicht etwa auch auf seine Handlungs- oder Entschließungsfreiheit, würden Fälle, in denen der Täter eine objektiv gefährliche, verletzungsgeeignete Handlung vornimmt, aber keinen Verletzungsvorsatz hat, von dieser Intention umfasst sein.“
Das OLG Hamm hat sich damit der h.M. im Schrifttum angeschlossen und das objektiv gefährliche Zufahren auf M und N als tätlichen Angriff gewertet. Als Definition merken wir uns daher folgendes:
Merke
Ein tätlicher Angriff ist eine mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper des Beamten oder Soldaten zielende Einwirkung. Eine körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz des Täters ist nicht erforderlich. Jedenfalls eine objektiv gefährliche, verletzungsgeeignete Handlung kann auch dann, wenn der Täter keinen Verletzungsvorsatz hat, ein tätlicher Angriff sein.
Der objektive Tatbestand ist damit verwirklicht.
Subjektiver Tatbestand
A handelte auch vorsätzlich.
Objektive Bedingung der Strafbarkeit
Die Diensthandlung von M und N war auch rechtmäßig gem. § 113 III 1 StGB. Irrtümer des A sind nicht ersichtlich.
Rechtswidrigkeit und Schuld
A handelte ferner rechtswidrig und schuldhaft.
Besonders schwerer Fall gem. § 113 II Nr. 1 StGB
Das Fahrzeug könnte ein gefährliches Werkzeug sein, welches A bei sich führte.
Da der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 113 II Nr. 1 StGB auf die Verwendungsabsicht verzichtet hat, muss der Begriff nun wie bei den §§ 244 I Nr. 1a und 250 I Nr. 1a StGB definiert werden. Dort ist die Definition allerdings streitig. Aufgrund der expliziten Streichung des subjektiven Elements wird der Begriff hier aber objektiv definiert werden müssen. Bei den §§ 244 I Nr. 1a und 250 I Nr. 1a StGB ist nach den objektiven Definitionsansätzen ein gefährliches Werkzeug ein solches, welches objektiv geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu bewirken und eine Waffenersatzfunktion bzw. Waffenähnlichkeit aufweist. In Anbetracht des hohen Verletzungspotentials eines gegen den Körper gerichteten Angriffs durch Zufahren mit einem Auto wird man eine Vergleichbarkeit mit Schlagwaffen herstellen können und das Auto als gefährliches Werkzeug ansehen können.
Fraglich ist, ob A das Auto „bei sich geführt“ hat. Der Wortlaut lässt vermuten, dass es sich kleinere Gegenstände handeln muss. Die gesetzgeberische Intention, wonach besonders gefährliche Begehungsweisen erfasst sein sollen, spricht allerdings dafür, auch das „Führen“ eines Autos als „bei sich führen“ zu verstehen.
Analog § 15 StGB muss der Täter auch vorsätzlich handeln, was auch ohne Verletzungsvorsatz, auf den es hier nicht ankommt, bejaht werden kann.
Besonders schwerer Fall gem. § 113 II Nr. 2 StGB
Fraglich ist, ob A zudem M und N in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht hat. Bei der Gefahr muss es sich um eine konkrete Gefahr handeln, also einen Zustand, bei dem es nur noch vom rettenden Zufall abhängt, ob die Gefahr in eine Schädigung umschlägt. Da M hier durch 2 Schritte zur Seite dem Auto des A ausweichen konnte, dürfte eine solche Gefahr nicht anzunehmen sein. Darüber hinaus ist wohl auch der Gefährdungsvorsatz abzulehnen.
A hat sich damit gem. § 114 I, II iVm § 113 II Nr. 1 StGB strafbar gemacht.
A hat sich zudem gem. § 113 I ,II Nr. 1 StGB strafbar gemacht, da es sich bei der Diensthandlung von M und N um eine Vollstreckungshandlung handelte und A durch das Zufahren mit Gewalt Widerstand leistete.
Ferner hat A sich gem. § 240 strafbar gemacht, der jedoch hinter § 114 StGB zurück tritt.
Hinweis
Das Konkurrenzverhältnis zwischen § 113 und § 114 StGB ist streitig. Teilweise wird § 114 als Qualifikation zu § 113 verstanden, so dass § 114 den § 113 StGB verdrängt (Spezialität), teilweise als eigenständige Norm, so dass Tateinheit angenommen werden kann, wobei dann wiederum Konsumtion angenommen wird, mit der Folge, dass auch dann der Täter nur aus § 114 StGB bestraft wird.