Darf man einen Staatsanwalt beleidigen?
Gem. § 185 StGB macht sich strafbar, wer einen anderen Menschen beleidigt. Auf der anderen Seite schützt Art. 5 I GG die Meinungsfreiheit, die jedoch wiederum „ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze“ findet. Mit dem Spannungsfeld zwischen zulässiger Meinungsäußerung und unzulässiger Beleidigung muss sich immer wieder das BVerfG befassen.
Einer neuerlichen Entscheidung des BVerfG (NStZ 2022, 734) lag folgendes Sachverhalt zugrunde:
A wurde wegen unrechtmäßigen Bezugs von Arbeitslosengeldes zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft. Da A jedoch glaubte, unrechtmäßig verfolgt worden zu sein, verfasste er eine Strafanzeige gegen den zuständigen Mitarbeiter der Agentur für Arbeit. Wenige Tage später erhielt er eine Einstellungsnachricht der zuständigen Staatsanwaltschaft. Daraufhin verfasste A eine E-Mail an den “Oberstaatsanwalt Landshut“, mit welcher er sich über die Einstellung und den zuständigen Staatsanwalt beschweren wollte. Darin führt er u.a. folgendes aus.
Expertentipp
„(…,) Ich lege Widerspruch ein gegen die Einstellung des Verfahrens oben genannten Aktenzeichens. Es ist nicht richtig, (…) das hier keine ersichtliche Straftat vorliegt. (…) Durch die falsche Zeugenaussage der Agentur für Arbeit (…) hat dann ihr Mitarbeiter, dessen Name man mir nicht sagen will, daraus eine absurde Anklageschrift verfasst, die ein achtjähriges Kind das die zweite Klasse einer Grundschule erfolgreich abgeschlossen hat, erkennen konnte. Nur ein studierter Jurist hat dies offensichtlich nicht erkannt. Zudem wurde von der StA gar nicht ermittelt, sondern sich blind auf die Falschaussage der Agentur für Arbeit verlassen und daraus eine Anklageschrift verfasst. In der Anklageschrift sind gravierende Mängel, keine Beweise wurden gesichert. So wusste die Agentur für Arbeit durch ein Schreiben von mir, das ich ab 15.12.2016 einer Beschäftigung nachgehe. (…) Schwere Ermittlungsfehler und ein selten „dämlicher“ Staatsanwalt, der nicht lesen und schreiben kann. Auf Grund des Strafbefehls hätte ich gar nicht erst verurteilt werden dürfen, (…).“
Wegen dieser Äußerungen erließ das AG einen Strafbefehl wegen Beleidigung gem. § 185 StGB. Nach Ausschöpfen des Rechtswegs, in welchem letztlich die Entscheidung bestätigt wurde, legte A Urteils-Verfassungsbeschwerde ein.
In einer Klausur müssten Sie sich zunächst fragen, ob A den Tatbestand des § 185 verwirklicht hat. Aus dem systematischen Zusammenhang mit den §§ 186 und 187 StGB ergibt sich, dass eine Beleidigung gem. § 185 zum einen durch ein ehrverletzendes Werturteil und zum anderen durch eine unwahre und ehrverletzende Tatsachenbehauptung im Zwei-Personen-Verhältnis möglich ist.
Als ehrverletzende Äußerungen kommen hier vor allem die Passagen des Schreibens in Betracht, mit denen A „den Staatsanwalt“ als dämlich und des Lesens und Schreibens nicht mächtig bezeichnet.
Da sich die Mail an eine dritte Person richtet, könnten auch die §§ 186 und 187 StGB in Betracht kommen, wenn die Äußerungen Tatsachenbehauptungen darstellten.
Tatsachen sind konkrete Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die sinnlich wahrnehmbar in die Wirklichkeit getreten und damit dem Beweis zugänglich sind (Schönke/Schröder-Eisele/Schittenhelm § 186 Rn. 3).
Zwar ist die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können, dem Beweis zugänglich. Aus dem Gesamtkontext muss aber entnommen werden, dass A nicht wirklich davon ausging, der Staatsanwalt sei Analphabet, sondern vielmehr dessen intellektuelle Fähigkeiten in Gänze herabsetzen wollte. Bei der Äußerung handelt es sich mithin um ein Werturteil, dessen Kundgabe unter § 185 fällt. Dieses Werturteil ist auch herabsetzend und wurde gegenüber dem Adressaten der Mail kundgetan. Zwar war A nicht der Name des zuständigen Staatsanwaltes bekannt – tatsächlich handelte es sich auch um eine Staatsanwältin – das beleidigungsfähige Objekt kann aber aus den Umständen heraus identifiziert werden.
Der objektive Tatbestand ist damit verwirklicht. A handelte auch mit Wissen und Wollen und damit vorsätzlich.
Fraglich ist, ob A nicht gem. § 193 StGB gerechtfertigt sein könnte. Hier ist nun Art. 5 I GG zu berücksichtigen.
Eine Rechtfertigung käme nicht in Betracht, wenn es sich bei den Äußerungen des A um Schmähkritik handelte. Dazu das BVerfG:
Expertentipp
„Der Charakter einer Äußerung als Schmähung oder Schmähkritik im verfassungsrechtlichen Sinn folgt nicht schon aus einem besonderen Gewicht der Ehrbeeinträchtigung als solcher und ist damit nicht ein bloßer Steigerungsbegriff. Auch eine überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik macht eine Äußerung noch nicht zur Schmähung, so dass selbst eine Strafbarkeit von Äußerungen, die die persönliche Ehre erheblich herabsetzen, in aller Regel eine Abwägung erfordert (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>). Eine Äußerung nimmt den Charakter als Schmähung vielmehr erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.“
Da sich A in erster Linie gegen den Einstellungsbescheid wehren wollte, ist ein Sachzusammenhang vorhanden, so dass eine Schmähkritik nicht angenommen werden kann. In diesem Zusammenhang ist so das BVerfG auch zu berücksichtigen, dass „Teil der Meinungsfreiheit ist, dass Bürger von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende gerichtliche Sanktionen bilden.“
Liegt keine Schmähkritik vor, so muss nachfolgend unter Berücksichtigung der konkreten Umstände der Äußerung eine Abwägung der jeweils geschützten Interessen erfolgen. Dazu das BVerfG:
Expertentipp
„Bei der Gewichtung der durch eine Äußerung berührten grundrechtlichen Interessen ist insbesondere davon auszugehen, dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet….Allerdings bleibt auch der Gesichtspunkt der Machtkritik in eine Abwägung eingebunden und erlaubt nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern….Mit Blick auf Form und Begleitumstände einer Äußerung kann nach den Umständen des Falles insbesondere erheblich sein, ob sie ad hoc in einer hitzigen Situation oder im Gegenteil mit längerem Vorbedacht gefallen ist….Abwägungsrelevant kann ferner sein, ob Äußernden aufgrund ihrer beruflichen Stellung, Bildung und Erfahrung zuzumuten ist, auch in besonderen Situationen – beispielsweise gerichtlichen und behördlichen Verfahren – die äußerungsrechtlichen Grenzen zu kennen und zu wahren….In diesem Zusammenhang ist ebenfalls erheblich, ob und inwieweit für die betreffende Äußerung ein konkreter und nachvollziehbarer Anlass bestand oder ob sie aus nichtigen oder vorgeschobenen Gründen getätigt wurde. Hierbei ist auch der Gesichtspunkt des sogenannten „Kampfs um das Recht“ zu berücksichtigen. Danach ist es im Kontext rechtlicher Auseinandersetzungen grundsätzlich erlaubt, besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Rechtspositionen und Anliegen zu unterstreichen….Des Weiteren ist bei der Abwägung die konkrete Verbreitung und Wirkung einer Äußerung in Rechnung zu stellen … Maßgeblich hierfür sind Form und Begleitumstände der Kommunikation. Erhält nur ein kleiner Kreis von Personen von einer ehrbeeinträchtigenden Äußerung Kenntnis oder handelt es sich um eine nicht schriftlich oder anderweitig perpetuierte Äußerung, ist die damit verbundene Beeinträchtigung der persönlichen Ehre geringfügiger und flüchtiger als im gegenteiligen Fall.“
In Anbetracht all dieser Kriterien hat das BVerfG dem A die Wahrnehmung berechtigter Interessen zugestanden und seine Äußerung über § 193 StGB als gerechtfertigt angesehen.