Sachverhalt (vereinfacht)
Der A ist als Berufssoldat bei der Bundeswehr beschäftigt. Privat hat er sich seit einiger Zeit der „Gothic-Szene“ angeschlossen und möchte daher lange Haare tragen.
Als er nach einem längeren Urlaub erstmals mit seiner neuen Frisur im Dienst erscheint, weist ihn sein Vorgesetzter darauf hin, dass er die Verpflichtungen der Zentralen Dienstvorschrift – einer besonderen Form einer allgemeinen Weisung – einzuhalten habe. Diese lautet:
„Das äußere Erscheinungsbild der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr
(…)
Die Haare von Soldaten müssen kurz geschnitten sein. Ohren und Augen dürfen nicht bedeckt sein. Das Haar ist so zu tragen, dass bei aufrechter Kopfhaltung Uniform- und Hemdkragen nicht berührt werden.
Die Haartracht von Soldatinnen darf die Augen nicht bedecken. Haare, die bei aufrechter Körper- und Kopfhaltung die Schulter berühren würden, sind am Hinterkopf gezopft auf dem Rücken oder gesteckt zu tragen.
Die differenzierenden Betrachtungsweisen bei der Beurteilung der Haartracht von Soldatinnen und Soldaten berücksichtigen gesellschaftliche Gepflogenheiten und Wertmaßstäbe. Mit den nachfolgenden Regelungen wird Rücksicht darauf genommen, dass Frauen das Tragen von Schmuck und langen Haaren als besonderen Ausdruck ihrer Weiblichkeit empfinden.“
Konkret wurde A aufgefordert, sich innerhalb einer Woche die Haare kürzen zu lassen.
Daraufhin erhebt A „Dienstbeschwerde wegen Diskriminierung“, die an das zuständige Bundesministerium der Verteidigung gerichtet wird. Die Vorschriften über seine Haare würden ihn in seinen Grundrechten verletzen. Zum einen sei sein allgemeines Persönlichkeitsrecht betroffen. Denn die Vorschriften über seine Haartracht würden ihn – anders als beispielsweise die Pflicht im Dienst eine Uniform zu tragen – auch in seinem Privatleben einschränken. Daneben sei er aber auch in seinem Grundrecht auf Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 2 GG verletzt und als Mann gegenüber Soldatinnen diskriminiert. Die gesellschaftlichen Anschauungen hätten sich geändert und es sei unter den aktuellen Gegebenheiten nicht mehr zu rechtfertigen, an ihn als Mann andere Anforderungen an sein Äußeres zu stellen als an Frauen. Jedenfalls aber dürfe eines solche Regelung nicht ohne gesetzliche Grundlage erfolgen.
Das Bundesministerium weist seine Beschwerde zurück. Als gesetzliche Grundlage für die Dienstanweisungen genüge § 4 Abs. 3 Soldatengesetz:
„(3) Der Bundespräsident setzt, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, die Dienstgradbezeichnungen der Soldaten fest. Er erlässt die Bestimmungen über die Uniform der Soldaten und bestimmt die Kleidungsstücke, die mit der Uniform getragen werden dürfen, ohne Uniformteile zu sein. Er kann die Ausübung dieser Befugnisse auf andere Stellen übertragen.“
Dass Frauen – anders als Männer – ihre Haare im Dienst lang tragen dürfen, sei als Förderung von Frauen in der Bundeswehr nach Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG auch verfassungsrechtlich zulässig. Dass die Maßnahme zweckmäßig sei zeige schon der – wenn auch geringe – Anstieg des Frauenanteils in der Bundeswehr seit Einführung der Regelung.
Hat eine zulässige Klage des A gegen die Dienstanweisung Aussicht auf Erfolg?
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
Zunächst ist fraglich, ob und in welcher Form es für die Dienstanweisung zur Bestimmung der Haarlänge einer Ermächtigungsgrundlage bedarf.
Die Grundrechte gelten auch in den sog. „Sonderstatusverhältnissen“, wie z.B. gegenüber Soldaten. Die Vorgaben für die Haartracht von Soldaten greifen auch in Grundrechte des A ein.
Unabhängig davon, ob hier möglicherweise sogar ein Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG vorliegen könnte, liegt jedenfalls ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG vor. Denn
„die Vorgaben beschränken auch das Recht der Soldaten, ihr äußerliches Erscheinungsbild im Rahmen ihrer privaten Lebensführung außerhalb des Dienstes zum Ausdruck ihrer individuellen Identität zu machen. Die Regelung zwingt dazu, auch in der Freizeit einen Kurzhaarschnitt zu trage, und wirkt damit in den Bereich der Privatsphäre hinein. Sie hat für die Betroffenen – wie hier für den A – besondere Bedeutung, die lange Haare aus modisch-ästhetischen Gründen in ihrer Freizeit tragen wollen oder eine längere Haartracht als Ausdruck der privaten Zugehörigkeit zu einer durch gemeinsame Lebenseinstellungen verbundenen Gruppierung oder kulturellen Szene verstehen.“
Daher bedarf diese grundrechtseinschränkende Maßnahme einer gesetzlichen Ermächtigung. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz vom Vorbehalt eines Gesetzes. Dabei ist es grundsätzlich ausreichend, wenn eine konkrete Maßnahme – wie hier die allgemeine Dienstvorschrift und die konkrete Einzelanweisung – auf Grund eines (formellen) Gesetzes ergeht.
Allerdings ergeben sich an eine solche gesetzliche Grundlage verfassungsrechtliche Anforderungen an die Bestimmtheit, die mit der sog. „Wesentlichkeitstheorie“ beschrieben werden:
„Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt im Hinblick auf Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot, dass der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat und nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen darf. Die Tragweite dieses Grundsatzes wird durch die Wesentlichkeitstheorie näher bestimmt. Die Wesentlichkeitstheorie beantwortet nicht nur die Frage, ob überhaupt ein bestimmter Gegenstand gesetzlich geregelt sein muss; sie ist vielmehr auch dafür maßgeblich, wie weit diese Regelungen im Einzelnen gehen müssen. Grundsätzlich können zwar auch Gesetze, die zu Rechtsverordnungen und Satzungen ermächtigen, den Voraussetzungen des Gesetzesvorbehalts genügen, die wesentlichen Entscheidungen müssen aber durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst erfolgen. Die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm muss der Grundrechtsrelevanz der Regelung entsprechen, zu der ermächtigt wird. Je erheblicher diese in die Rechtsstellung des Betroffenen eingreift, desto höhere Anforderungen müssen an den Bestimmtheitsgrad der Ermächtigung gestellt werden. Eine Ermächtigung darf daher nicht so unbestimmt sein, dass nicht mehr vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird. Schon aus der Ermächtigung muss daher erkennbar und vorhersehbar sein, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll.
Fraglich ist, ob § 4 Abs. 3 SoldatenG eine solche – den Anforderungen der Wesentlichkeitstheorie genügende – gesetzliche Ermächtigungsgrundlage darstellt.
Der Wortlaut der Norm erfasst insbesondere die Uniform. Darunter ist – dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend – eine im Dienst getragene, in Form und Farbe einheitlich gestaltete Kleidung zu verstehen. Dieses Verständnis des Begriffs Uniform entspricht auch dessen Verständnis in anderen gesetzlichen Vorschriften, z.B. § 3 VersG oder § 132 Abs. 1 Nr. 4 StGB.
Auch die Erweiterung der Kompetenz durch § 4 Abs. 3 S. 2 SoldatenG auf „bereichsspezifische Regelungen zur Gesichtsverhüllung“ erfasst (nur) Kleidungsstücke, wenn auch hier gerade solche, die nicht zur Uniform gehören. Daraus folgt dem Wortlaut nach eine Beschränkung der Regelungskompetenz auf Kleidungsfragen.
Eine solche Einschränkung ergibt sich auch aus systematischen Gründen: Regelungen, über Kleidungsstücke, die von Soldaten im Dienst getragen werden müssen (einheitliche Uniform) oder nicht getragen werden dürfen (z.B. Gesichtsverschleierung), entfalten keine Wirkungen auf den privaten Bereich der Soldaten. Diese können sich in ihrer Freizeit weiterhin nach Belieben kleiden.
Davon unterscheiden sich Regelungen für die Gestaltung der Haartracht grundsätzlich. Denn derartige Vorgaben beeinflussen auch das Verhalten des Soldaten in seinem Privatleben: Es nicht möglich, im Dienst kurze und in der Freizeit (jedenfalls natürlich) lange Haare zu tragen.
Wie sich aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt, sprechen auch historische Gründe dafür, dass der Erlassgeber durch § 4 SoldatenG nicht zu solchen Regelungen und Eingriffen ermächtigt werden sollte, die nicht nur den dienstlichen, sondern auch den privaten Lebensbereich von Soldaten betreffen. Mit einer Ermächtigung zur Regelung von Kleidung wird
„gerade nichts darüber ausgesagt, dass auch andere Regelungsbereiche von der Ermächtigung erfasst sind, die intensiver in die grundrechtlich geschützte Sphäre eines Soldaten – insbesondere seine außerdienstliche Lebensgestaltung – eingreifen als Vorgaben für seine Kleidung.
Somit ist das Haar nicht Regelungsgegenstand des § 4 Abs. 2 SoldatenG. Eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage kann aber immer nur zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen dienen, als sie in ihr nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt angelegt sind.
Daher ist
„die gesellschaftspolitische Frage, ob die Regelungen zur Haar- und Barttracht männlicher Soldaten in ihrer traditionellen Prägung noch in einem in den Streitkräften verbreiteten und durch gesellschaftliche und verfassungsrechtliche Entwicklungen nicht überholten Modell entsprechen und deswegen zur Gewährleistung eines einheitlichen äußeren Erscheinungsbildes der Streitkräfte von Soldaten gefordert werden können, auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse in öffentlicher Debatte zu klären. Damit sind die wesentlichen Grundentscheidungen für dieses Regelungsmodell dem parlamentarischen Gesetzgeber zugewiesen. Diesem kommt nicht nur die grundsätzliche Entscheidung darüber zu, wieviel Individualität des einzelnen Soldaten neben der für die Streitkräfte charakteristischen Einheitlichkeit des Erscheinungsbildes zum Ausdruck kommen darf. Im pluralistisch besetzen Parlament ist auch die öffentliche Debatte darüber zu führen, ob die unterschiedliche Behandlung von Soldatinnen und Soldaten bei der Haartracht durch das Ziel, Benachteiligungen von Frauen abzubauen, gerechtfertigt ist.
Insgesamt ergibt sich also, dass § 4 Abs. 3 SoldatenG keine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage für den Grundrechtseingriff enthält, weil er keinen hinreichenden Bezug zur Regelung der Haartracht von Soldaten aufweist und ihm auch keine Maßstäbe zu Art, Inhalt und Ausmaß von Eingriffen zu entnehmen sind, die das äußere Erscheinungsbild des Körpers von Soldaten auch in deren Privatsphäre notwendig mitbestimmen.
Die Klage des A ist somit begründet.
Hinweise
Verwaltungsprozessual gibt es im Soldatenrecht einige Besonderheiten, die hier nicht näher vertieft werden sollen. Es gibt ein Wehrbeschwerdeverfahren, das zum Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts führt.
Unter den Bedingungen des – allgemeinen – Beamtenrechts wäre hier zunächst ein Vorverfahren durchzuführen und dann Klage vor dem Verwaltungsgericht zu erheben. Der Verwaltungsrechtsweg wäre nach der aufdrängenden Sonderzuweisung des § 126 BBG eröffnet.
Eine Besonderheit des tatsächlichen Rechtsstreits lag noch darin, dass das BVerwG bislang angenommen hatte, dass die Befugnis, einen uniformverträglichen Haar- und Barterlass anzuordnen, sei in § 4 Abs. 3 SoldatenG gleichsam stillschweigend kraft Sachzusammenhangs mitgegeben. Insoweit sei die Vorprägung des Regelungsgegenstands durch die seit langem für die Bundeswehr bestehenden – und im Übrigen in fast allen Armeen der westlichen Welt existierenden – Regelungen über das äußere Erscheinungsbild von Soldaten ausreichend, um den Anforderungen aus dem Gesetzesvorbehalt und dem Wesentlichkeitsprinzip zu genügen.
Vor diesem Hintergrund stellt das BVerwG daher in der aktuellen Entscheidung fest, dass das Fehlen einer ausreichenden normativen Grundlage für eine Übergangszeit hinzunehmen ist. Für diese Übergangszeit ist es dem A auch zumutbar, die Vorgaben zu seiner Haartracht anzuwenden.