Tatbestand:
Die Klägerin K ist freie Trägerin der A-Schule in X.
Am 24.01.2020 buchte die an der A-Schule beschäftigte vertretungsberechtigte Lehrkraft C bei der Beklagten B, einer auf Klassenfahrten und Gruppenreisen spezialisierten Reiseveranstalterin, eine Gruppenreise nach Liverpool für die Zeit vom 15.03. bis zum 21.03.2020.
In dem von der Lehrerin unterschriebenen Buchungsformular ist als „Vertragspartner“ die A-Schule angegeben. Neben der Unterschrift der Lehrerin, die in dem Formular als „Ansprechpartner“ aufgeführt ist, wurde der Stempel der Schule verwendet.
Am 29.01.2020 stellte die B der A-Schule einen Reisepreis in Höhe von 9.666,- € in Rechnung, den die K bezahlte. Mit E-Mail vom 12.03.2020 stornierte die C die Gruppenreise gegenüber der B.
Diese stellte der A-Schule unter dem 31.03.2020 eine Rechnung, aus der sich ein überzahlter Betrag in Höhe von 963,- € ergab, den die B in der Folgezeit an die K zurückzahlte.
Mit anwaltlichen Schreiben vom 01.04.2020 und letztmalig vom 12.05.2020 forderte die K die B vergeblich zur Zahlung des Differenzbetrages in Höhe von 8.703,- € zuletzt bis zum 25.05.2020 auf.
Die K ist der Ansicht, dass aufgrund der auch in England grassierenden Coronavirus-Pandemie bereits zum Zeitpunkt der Stornierung der Reise am 12.03.2020 eine Situation vorgelegen habe, die sie gemäß § 651h Abs. 3 BGB zum entschädigungslosen Reiserücktritt berechtigt habe.
Die B ist der Auffassung, K sei schon gar nicht aktivlegitimiert.
Hat K einen Anspruch gegen B auf Rückzahlung des Reisepreises in Höhe von 8703,00 €?
Ergänzender Hinweis:
Zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung, die nur drei Tage vor Reisebeginn erfolgt ist, war bekannt, dass es sich bei dem SARS-CoV 2 Virus um einen neuartigen Krankheitserreger handelt, der akute Atemwegserkrankungen hervorruft, die im schlimmsten Fall tödlich verlaufen können und gegen den es weder eine Therapiemöglichkeit noch einen Impfstoff gibt.
Hinzu kommt, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO), am 30.01.2020 einen internationalen Gesundheitsnotstand wegen der Infektionsgefahr ausgerufen und COVID-19 am 11.03.2020 zur weltweiten Pandemie erklärt hatte. Eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes bestand zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht.
Die britische Regierung erklärte durch öffentliche Erklärungen, dass eine der schlimmsten Gesundheitskrise vorläge.
Lösung:
A. Anspruch entstanden
I §§ 651h I 2, V, 346 I BGB
K könnte einen Anspruch auf Rückzahlung des restlichen noch nicht erstatteten Reisepreises aus §§ 651h I 2, V, 346 I BGB haben.
1 Pauschalreisevertrag
Hierfür müsste zwischen K und B ein Pauschalreisevertrag im Sinne von § 651a BGB zustande gekommen sein.
Hierfür müsste eine Pauschalreise im Sinne von § 651a BGB vorliegen. Gem. § 651a II BGB ist eine Pauschalreise insbesondere eine Gesamtheit von mindestens zwei verschiedenen Arten von Reiseleistungen für den Zweck derselben Reise.
Im Rahmen der vertraglich vereinbarten Gruppenreise wurde sowohl die Beförderung als auch die Beherbergung der Reiseteilnehmer vertraglich versprochen. Demnach liegen mehrere Reiseleistungen gemäß § 651a III Nummer 1 und Nummer 2 BGB vor, womit eine Pauschalreise angenommen werden kann.
2 Parteien des Pauschalreisevertrags
Fraglich ist wer eigentlich Vertragspartner des mit der Beklagten geschlossenen Reisevertrages geworden ist. Dies ist im Wege der Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Ausgangspunkt der Auslegung ist dabei der Wortlaut der Erklärungen unter Berücksichtigung der Interessenlage der Parteien, der Begleitumstände und des Grundsatzes von Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte.
Damit ist zuvörderst auf die schriftliche Buchung vom 24.1.2020 abzustellen. Aus dem Wortlaut ergibt sich unmissverständlich, dass die in X ansässige A-Schule Vertragspartnerin der B sein sollte. Gerade diese wurde unter der Rubrik „Vertragspartner“ eingetragen. Dies wird durch den Schulstempel im Zusammenhang mit der Unterschrift bestätigt. Die Unterzeichnende Lehrkraft C, wird im Formular eindeutig als (bloßer) „Ansprechpartner“ angeführt.
Aus diesen Angaben folgt eindeutig, dass die C nicht Vertragspartnerin des Pauschalreisevertrags werden sollte.
Fraglich ist, ob die A-Schule Vertragspartnerin werden konnte. Die Schule befindet sich in freier Trägerschaft und ist damit selbst nicht rechtsfähig, sondern stellt lediglich eine rechtlich unselbstständige Organisationseinheit der K dar.
Gemäß der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs ist in solchen Fällen regelmäßig der dahinter stehende Schulträger als juristische Person für die Schule verpflichtet und berechtigt.
Hinweis
Ein anderes Ergebnis wäre dann veranlasst, wenn Sondervorschriften bestünden. So sieht beispielsweise § 113 Abs. 4 Satz 2 niedersächsisches Schulgesetz vor, dass zur Durchführung einer Schulfahrt abgeschlossene Verträge von der Schule im Namen des Landes abgeschlossen werden. Damit wird nicht der Schulträger, sondern das Land verpflichtet. Dies betrifft jedoch nicht den vorliegenden Fall, da sich die Schule in freier Trägerschaft befindet.
Fraglich ist, ob sich etwas anderes daraus ergibt, dass in der Buchung vom 24.1.2020 keine Rede von der K ist. § 164 Abs. 1 Satz 2 BGB besagt, dass eine von einem Vertreter im Rahmen seiner Vertretungsmacht abgegebene Willenserklärung auch dann für und gegen den Vertretenen wirkt, wenn sie der Vertreter zwar nicht ausdrücklich in dessen Namen abgibt, die Umstände jedoch ergeben, dass sie im Namen des Vertretenen erfolgen soll. Hierbei handelt es sich um eine Auslegungsregel.
Diese betrifft zum einen die Frage, ob der Vertreter überhaupt im Namen eines anderen gehandelt hat, aber auch in welchem Namen gehandelt wurde. Die Vorschrift ist insbesondere dann relevant, wenn ungewiss ist, in welchem Namen der Vertreter einen Vertrag abschließt (BGH, Urteil vom 17.12.1987 – VII ZR 299/86).
Die Bestimmung des Vertretenen ist im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung aller Umstände auszulegen, wobei von Bedeutung ist, wie sich die Erklärung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte und die Interessenlage der Parteien für einen objektiven Betrachter in der Lage des Erklärungsgegners darstellt (§§ 133, 157 BGB).
Wie einleitend bereits angedeutet spricht für ein Handeln im Namen der K bereits die Verkehrssitte. Hierfür spricht auch das Interesse der B, welche im Fall einer vertraglichen Bindung mit der Schule einen verlässlichen und solventen Vertragspartner haben will. Dieser ist in der Regel der Träger der Schule.
Die alternativ denkbare Annahme der Vertretung der Schülerinnen und Schüler bzw. ihrer Erziehungsberechtigten durch C hat ausweislich des Schriftverkehrs nicht einmal die B angenommen. So wurden sowohl die Rechnung als auch die Stornorechnung an die A-Schule adressiert und auch Bezahlung und Rückerstattung vollzog sich bloß zwischen der B und der Schule.
Damit ist C als Vertreterin der K aufgetreten und hat diese wirksam berechtigt und verpflichtet. Ein Pauschalreisevertrag gemäß § 651a ist zwischen K und B zustande gekommen.
Der Anspruch könnte durch wirksamen Rücktritt § 651h I 1, 2 BGB entfallen sein.
3 Rücktrittserklärung
Die Stornierung der streitgegenständlichen Reise erfolgte per E-Mail vom 12.3.2020. Die Erklärung ist der Auslegung gem. §§ 133,157 BGB zugänglich und lässt den Willen erkennen sich vom Vertrag zu lösen. Ob auch ein entsprechender Rücktritt von der Vertretungsmacht umfasst war, kann im Ergebnis dahinstehen, da zumindest eine konkludente Genehmigung in Gestalt der Inanspruchnahme der B gem. §§ 180, 177 BGB vorliegt.
4 Rechtsfolge
Der grundsätzlich stets zulässige Rücktritt vom Vertrag vor Reisebeginn gemäß § 651h I BGB führt zum Verlust des Anspruchs auf den vereinbarten Reisepreis. Demnach ist der Anspruch auf den Reisepreis untergegangen. Die Auszahlung hat gemäß § 651h Abs. 5 BGB grundsätzlich unverzüglich, auf jeden Fall aber innerhalb von 14 Tagen nach dem Rücktritt zu erfolgen.
Der Anspruch auf Rückzahlung ist demnach entstanden.
B Anspruch untergegangen
Der Anspruch könnte infolge einer konkludenten Aufrechnung mit einem Entschädigungsanspruch der B untergegangen sein. Hierfür müsste B jedoch ein aufrechenbarer Anspruch zustehen.
I Grundsatz, Entschädigungsanspruch
Gemäß § 651h I 3 BGB kann der Reiseveranstalter im Fall des Rücktritts vor Reisebeginn grundsätzlich eine angemessene Entschädigung verlangen.
Dies gilt jedoch dann nicht, wenn eine Ausnahme vorliegt.
II Ausnahme gemäß § 651h III BGB
Abweichend von Absatz 1 Satz 3 kann der Reiseveranstalter keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Umstände sind unvermeidbar und außergewöhnlich im Sinne dieses Untertitels, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären.
„Gemäß Erwägungsgrund 31 der Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 25.11.2015 über Pauschalreisen und verbundene
Reiseleistungen, Amtsblatt der Europäischen Union L 326/1, liegen derartige Umstände zum
Beispiel dann vor, wenn etwa wegen des Ausbruchs einer schweren Krankheit am Reiseziel
erhebliche Risiken für die menschliche Gesundheit bestehen (vgl. Führich, Rücktritt vom
Pauschalreisevertrag vor Reisebeginn wegen Covid-19-Pandemie, NJW 2020, 2137 Rn. 2).“
„Ob dies, wie erforderlich, zum Zeitpunkt der Reise der Fall sein wird, ist bei einer vor
Reiseantritt abgegebenen Rücktrittserklärung durch eine Prognoseentscheidung zu
beurteilen, im Rahmen welcher danach zu fragen ist, ob die konkrete Reise aus einer ex ante-Betrachtung heraus erheblich beeinträchtigt sein wird (vgl. AG Frankfurt, Urteil vom
11.08.2020 – 32 C 2136/20 -, juris Rn. 38; AG München, Urteil vom 27.10.2020 – 159 C
13380/20 -, juris Rn. 19; LG Frankfurt, Urteil vom 04.05.2021 – 3-06 O 40/20 -, juris Rn. 28;
BeckOK BGB/Geib 58. Ed. 1.5.2021, BGB § 651h Rn. 21a). Die Frage, von welchem
Gefährdungsgrad an insoweit eine erhebliche Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, lässt sich
dabei nur nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung des konkreten Inhalts
des Reisevertrags beantworten (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.2002 – X ZR 147/01 -, juris Rn.
12). Zu berücksichtigen ist daher zum einen mit welcher Wahrscheinlichkeit, für welche
Rechtsgüter Gefahren drohen und zum anderen auch, ob der konkreten Reise, wie etwa im
Falle von Abenteuer- oder Expeditionsreisen, ein gewisses Gefahrenpotential bereits
immanent ist und demzufolge von einer besonderen Risikobereitschaft der Reisenden
ausgegangen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.2002, aaO; AG Stuttgart, Urteil vom
13.10.2020 – 3 C 2559/20 -, juris Rn. 16 m.w.N.; Staudinger, Anmerkung zur Entscheidung
des AG München, Urteil vom 27.10.2020 (159 C 13380/20)“
Fraglich ist wie sich die fehlende Reisewarnung auswirkt. Für eine Beeinträchtigung der Reise durch die COVID-19 Pandemie wird vertreten, dass es für eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne der Vorschrift ausreicht, wenn ein konkretes Risiko für einen erheblichen Gesundheitsschaden besteht, weil im Rahmen der Reise bzw. am Reiseort im Vergleich zum Wohnort des Reisenden und der Zeit der Reisebuchung ein deutlich erhöhtes Ansteckungsrisiko besteht (vgl. AG Stuttgart, Urteil vom 13.10.2020 aaO; AG Köln, Urteil
vom 14.09.2020 – 133 C 213/20 -, BeckRS 2020, 23502 Rn. 18 m.w.N.; BeckOK BGB/Geib
BGB § 651h Rn. 20a m.w.N.; BeckOGK/Harke, 1.5.2021, BGB § 651h Rn. 47 m.w.N.).
Eine fehlende Reisewarnung ist zwar ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen einer hinreichenden Gefahrenlage jedoch keine Voraussetzung für einen entschädigungslosen Rücktritt gemäß § 651h III BGB.
Entscheidend ist vielmehr folgendes:
„Zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung, die nur drei
Tage vor Reisebeginn erfolgt ist, war bekannt, dass es sich bei dem SARS-CoV 2 Virus um
einen neuartigen Krankheitserreger handelt, der akute Atemwegserkrankungen hervorruft,
die im schlimmsten Fall tödlich verlaufen können und gegen den es weder eine
Therapiemöglichkeit noch einen Impfstoff gibt. Hinzu kommt, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO), deren Warnungen im Rahmen
der Prognoseentscheidung ebenfalls von Bedeutung sind am 30.01.2020
einen internationalen Gesundheitsnotstand wegen der Infektionsgefahr ausgerufen und COVID-19 am 11.03.2020 zur weltweiten Pandemie erklärt hatte.“
Damit war klar, dass es sich nicht um ein kurzfristiges Ereignis handelte, sondern um eine dynamische und ernste Situation. Auch war bei der vorliegenden Entwicklung mit einem weiteren Anstieg der Fallzahlen zu rechnen und ein Schutz vor Ansteckung mit zumutbaren Mitteln kaum zu erreichen.
Aus den öffentlich mitgeteilten Informationen war eine erhebliche Gefahrenlage in Bezug auf ein unbekanntes Virus, bei dem die Mortalität der Infektion noch nicht absehbar war und gegen das es weder Therapie noch Impfung gab für das Überschreiten der Erheblichkeitsschwelle ausreichend.
Bei der Bewertung war ferner der Charakter der Reise zu berücksichtigen. Hier handelte es sich um eine Studienreise und damit um eine Reise, die höchstmögliche Sicherheit vermittelte, zumal an dieser Schüler teilnehmen sollten. Hier steht die Erwartung der erziehungsberechtigten Eltern, dass die Schüler in einem sicheren Umfeld reisen können für beide Parteien als wesentlicher Umstand fest.
Auch die Tatsache, dass vorliegend eine Gruppenreise angestrebt wurde führt zu einer Steigerung der Ansteckungsgefahr.
III Zwischenergebnis
Bei Würdigung aller dieser guten Gesamtumstände liegen die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 vor. Ein Entschädigungsanspruch besteht demnach nicht.
C Gesamtergebnis
Aufgrund des wirksamen Rücktritts ohne Entschädigungsverpflichtung besteht ein Anspruch auf Rückzahlung des Reisepreises gemäß §§ 651h I 2, V, 346 I BGB i.H.v. 8703,00€.