Sachverhalt
(vereinfacht nach OVG Lüneburg, Beschl. v. 18.07.2017, 11 ME 181/17 und
VG Augsburg, Beschl. v. 07.09.2017, Au 4 S 17.1196)
Der im Jahre 1980 geborene Kläger R ist seit dem Jahre 2010 Inhaber einer Waffenbesitzkarte, in der mehrere Waffen eingetragen sind. Seit 2013 beschäftigt R sich zunehmend mit den Überlegungen und Behauptungen, die in der Szene der sog. „Reichsbürger“ verbreitet werden. Danach handele es sich bei der Bundesrepublik Deutschland nicht um einen Staat, sondern lediglich um eine GmbH. Die deutschen Gesetze seien nur auf solche Personen anwendbar, die sich bewusst und ausdrücklich der Herrschaftsgewalt unterwerfen und ihre Gerichte anerkennen würden.
Während R dies zunächst bloß interessiert und zunehmend begeistert zur Kenntnis nimmt, wendet er seine neuen Erkenntnisse im Jahr 2015 auch praktisch an: Als wegen eines Verstoßes gegen die StVO durch „Falschparken“ ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen ihn eingeleitet wird, erklärt er der zuständigen Behörde, dass das OWiG für ihn „mangels Anwendungsbereich keine Gültigkeit“ habe und es somit an einer Rechtsgrundlage für das Bußgeldverfahren fehle. In einem weiteren Rechtsstreit mit einer Behörde wegen bestimmter Verwaltungsgebühren teilt R im Rahmen einer Anhörung mit, dass er in „Berlin, Freistaat Preußen“ geboren sei und in „Deutsches Reich“ ansässig sei. Die Verwaltungsgebühren werde er erst bezahlen, wenn die Behörde ihm eine notariell beglaubigte „Gründungsurkunde“ der Bundesrepublik Deutschland sowie eine Anerkennung der Souveränität Deutschlands durch die US-amerikanische Botschaft vorlege.
Von diesen Vorgängen erhält auch die nach dem Waffengesetz zuständige Behörde Kenntnis und widerruft die Waffenbesitzkarte mit einem schriftlichen Bescheid. Zur Begründung wird angeführt, dass R als Anhänger der „Reichsbürger-Szene“ nicht mehr über die erforderliche Zuverlässigkeit verfüge.
R hält den Widerruf für menschenrechtsverachtendes Unrecht und sieht Anlass sein in Art. 20 Abs. 4 GG verbürgtes Widerstandsrecht auszuüben.
Auf Anraten eines befreundeten Rechtsanwaltes erhebt er außerdem fristgerecht Klage vor dem Verwaltungsgericht.
Zulässigkeit
Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art, so dass gem. § 40 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.
Die Erteilung der Waffenerlaubnis ist ein Verwaltungsakt und nach dem „actus-contrarius“-Gedanken auch deren Widerruf. Statthaft ist daher die Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO.
Die erforderliche Klagebefugnis gem. § 42 Abs. 2 VwGO folgt daraus, dass der Widerruf zumindest möglicherweise den Kläger in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG sowie in seinem durch die ursprüngliche Erteilung der Waffenerlaubnis verliehenen Recht verletzt.
Gem. § 68 Abs. 1 VwGO ist grundsätzlich vor Klageerhebung ein Widerspruchsverfahren durchzuführen, dass jedoch gem. § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO i.V.m. jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften ggf. entbehrlich sein kann.
Zudem muss der Kläger die Klagefrist beachten, die gem. § 74 Abs. 1 VwGO einen Monat nach Bekanntgabe des angegriffenen Verwaltungsakts – bzw. des Widerspruchsbescheids – beträgt.
Begründetheit:
Die Anfechtungsklage ist begründet, wenn der angegriffene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und der Kläger dadurch ein seinen Rechten verletzt wird, vgl. § 113 Abs. 1 VwGO.
Als belastende Maßnahme bedarf der Widerruf der Waffenerlaubnis einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Dies ist hier § 45 Abs. 2 WaffG, eine Vorschrift die als lex specialis den §§ 48, 49 VwVfG vorgeht.
Nach § 45 Abs. 2 S. 1 WaffG ist eine Erlaubnis nach dem Waffengesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zu einer Versagung hätten führen müssen.
Nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG setzt eine Erlaubnis zum Erwerb und Besitz von Waffen voraus, dass der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit i.S.d. § 5 WaffG besitzt. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG besitzen Personen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden (Nr. 2 a), mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden (Nr. 2 b) oder Waffen oder Munition Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind (Nr. 2 c).
Bei der gesetzlich umschriebenen waffenrechtlichen Zuverlässigkeit handelt es sich um einen gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff.
Im Hinblick auf die waffenrechtliche Zuverlässigkeit von Reichsbürgern führt das OVG Lüneburg dazu aus:
„Angesichts der Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, ist nicht der Nachweis erforderlich, dass der Betroffene den waffenrechtlichen Anforderungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht genügen wird, sondern es reicht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit aus. Ein Restrisiko muss dabei nicht hingenommen werden. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG umschreibt im Hinblick auf die erforderliche Prognose Formen des Umgangs mit Waffen und Munition, die von vornherein im Hinblick auf den Gesetzeszweck spezifisch waffenrechtlich bedenklich, nämlich in hohem Maße gefährlich für die Allgemeinheit sind so, dass eine Widerlegung im Einzelfall nicht zugelassen wird (sog. absolute Unzuverlässigkeit).
Bei der auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen zu erstellenden Prognose ist der allgemeine ordnungsrechtliche Zweck des Gesetzes zu berücksichtigen, beim Umgang mit Waffen und Munition die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu wahren (§ 1 Abs. 1 WaffG), nämlich zum Schutz der Allgemeinheit diese vor den schweren Folgen eines nicht ordnungsgemäßen Umgangs mit Waffen zu bewahren.“
Einen ähnlichen Prüfungsmaßstab bestimmt das VG Augsburg und stellt fest:
„Angesichts des möglichen Schadens bei Nichtbewährung und des präventiven ordnungsrechtlichen Charakters der Forderung nach einer besonderen Zuverlässigkeit im Umgang mit Waffen und Munition genügt es, dass bei verständiger Würdigung aller Umstände eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine nicht ordnungsgemäße Ausübung des erlaubnispflichtigen Umgangs mit Waffen und Munition verbleibt. Die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz ohnehin verbunden sind, sind nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen.“
Daran bestehen hier Zweifel, die ausreichend konkrete Tatsachen gestützt werden können. Über bloße Sympathiebekundungen für die „Reichsbürger“ hinaus hat der Kläger der Behörde gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass er wesentliche Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung nicht anerkennt. Das von Inhabern von Waffenbesitzkarten zu fordernde Vertrauen hat er dadurch tiefgreifend erschüttert. Eines darüberhinausgehenden konkreten Fehlverhaltens im Umgang mit den Waffen bedarf es nicht.
Daher ist der Kläger als waffenrechtlich unzuverlässig zu qualifizieren. Er besitzt nicht die nach § 5 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit, ohne die ihm nach § 4 Abs.1 Nr. 2 WaffG eine waffenrechtlich Erlaubnis nicht erteilt werden kann. Somit sind nachträglich Tatsachen eingetreten, die zur Versagung hätten führen müssen.
Bei § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG handelt es sich um eine gebundene Entscheidung, die der Behörde kein Ermessen einräumt. Daher musste die Behörde Erlaubnis hier widerrufen.
Der Widerruf ist somit rechtmäßig und der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Die Anfechtungsklage des R ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Fazit und Hinweise:
Die Entscheidung des OVG Lüneburg eignet sich deshalb so gut als Vorlage für eine Klausur, weil eine aktuelle Problematik aufgegriffen werden kann, um grundlegende verwaltungsrechtliche Fragen abzuprüfen. In der Darstellung haben wir uns auf den Widerruf des Waffenscheins beschränkt. In einer Examensklausur könnte man den Fall ohne weiteres anreichern um die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit, die Androhung eines Zwangsgeldes und die Festsetzung einer Verwaltungsgebühr. Weiterhin könnte man den Fall dadurch erschweren, dass der Widerruf erst mehr als ein Jahr nach Bekanntwerden der relevanten Tatsachen erfolgt. Damit stellt sich die Frage, ob § 45 WaffG als Spezialvorschrift auch insoweit die §§ 48, 49 VwVfG verdrängt als dass § 48 Abs. 4 VwVfG eine Jahresfrist vorsieht, während das WaffG eine solche Einschränkung der Aufhebungsmöglichkeiten nicht enthält. Nach h.M. gilt das WaffG abschließend, so dass ein Rückgriff auf § 48 Abs. 4 VwVfG nicht möglich ist.