Der BGH (Urt. V. 17.02.2016 – 2 StR 25/15) musste sich mit folgendem Sachverhalt befassen:
Der einschlägig vorbestrafte Angeklagte A befuhr mit einem Fahrzeug seiner Freundin, welches er jedenfalls ohne deren Wissen benutzte, ohne Fahrerlaubnis gegen 21.30 Uhr eine abgelegene Straße, auf der es bereits des Öfteren zu kriminellen Handlungen – auch im Bereich des BtMG - gekommen war, als er in eine allgemeine Polizeikontrolle geriet. Er stieg aus dem Auto aus, verschloss es und lief schließlich davon, als er aufgefordert wurde, die Fahrzeugpapiere und den Führerschein vorzuzeigen. Auf dem Beifahrersitz befand sich ein Rucksack, in welchem der Angeklagte eine verschlossene Geldkassette mit Betäubungsmitteln in größeren Mengen aufbewahrte sowie sein Entlassungsschein aus der JVA, aus dem seine persönlichen Daten entnommen werden konnten.
Die Polizei ließ das Fahrzeug abschleppen und brach es nach Einvernahme der Freundin gegen 03.15 Uhr in der Nacht auf. Der Rucksack wurde durchsucht. Infolgedessen fand man den Entlassungsschein und die Gelkassette. Nach Rücksprache mit dem zuständigen Staatsanwalt wurde die Kassette aufgebrochen.
In der Hauptverhandlung wurden die Betäubungsmittel trotz des Widerspruchs der Verteidigung als Beweismittel gegen A verwertet und dieser wurde u.a. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt.
Die Frage, die der BGH nun zu beantworten hatte, lautete: war das Aufbrechen der Geldkassette eine unzulässige Beweisgewinnung und wenn ja, folgt daraus ein unselbstständiges Beweisverwertungsverbot?
Das Aufbrechen des Autos sowie das Durchsuchen desselben konnte auf § 163b I 3 StPO gestützt werden. Danach kann eine Durchsuchung vorgenommen werden, wenn der Betroffene einer Straftat verdächtig ist und seine Identität nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Hierbei reicht ein Anfangsverdacht aus.
Methode
Unterscheiden Sie den Anfangsverdacht, der zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ausreicht, vom hinreichenden Tatverdacht, der gem. § 170 I StPO erforderlich ist zur Erhebung der Anklage. Darüber hinaus gibt es noch den dringenden Tatverdacht, dessen es z.B. bei Erlass eines Haftbefehls gem. § 114 StPO bedarf.
A hatte sich durch seine Flucht zu später Uhrzeit in einem problematischen Gebiet verdächtig gemacht. Da zudem seine Freundin aussagte, Sie habe das Ansichnehmen des Autos nicht mitbekommen, standen zudem Straftaten gem. §§ 242 oder 248b StGB im Raum.
§ 163b I 3 StPO gestattet die Durchsuchung der Person sowie der mitgeführten Sachen sowie darüber hinaus als unselbstständige Begleitmaßnahme auch die gewaltsame Öffnung des Durchsuchungsobjekts (hier des Autos).
Die Identitätsfeststellung war aber abgeschlossen mit dem Auffinden des JVA Entlassungsscheins. Eines Aufbrechens der Geldkassette bedurfte es dafür nicht mehr.
Bei Aufbrechen dieser Kassette handelte es sich damit um eine Durchsuchung gem. § 102 StPO, bei welcher gem. § 105 StPO der Richtervorbehalt gilt. Von diesem Vorbehalt darf nur bei Gefahr im Verzug abgewichen werden. Eine solche Gefahr lag nicht vor, da das Auto sowie dessen Inhalt sichergestellt waren und A sich auf der Flucht und damit nicht in Nähe des Autos befand. Eine Beeinträchtigung des Beweismittels war damit nicht zu befürchten. Gleichwohl wurde der Richter seitens des eingeschalteten Staatsanwalts nicht involviert.
Es liegt damit eine rechtwidrige Beweisgewinnung vor. Ein Beweisverwertungsverbot hat der BGH allerdings abgelehnt. Er führt dazu folgendes aus:
„Ob dies der Fall ist, muss nach der Rechtsprechung im Einzelfall aufgrund einer umfassenden Abwägung des Interesses der Allgemeinheit an der wirksamen Strafverfolgung mit dem Interesse des Betroffenen an der Einhaltung der Verfahrensvorschriften geprüft werden ….Dies gilt auch für eine Durchsuchung zum Auffinden von Beweismitteln …. Die Abwägung ergibt, dass der Verfahrensfehler die Rechte des Angeklagten bei der Beweisgewinnung nicht erheblich beeinträchtigt hat und das Interesse an der Verwertung der in der Geldkassette gefundenen Sachbeweise überwiegt. Dabei fällt ins Gewicht, dass es um den schwerwiegenden Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch den Angeklagten geht, der einschlägig vorbestraft ist. Nachdem seine Identität durch Auffinden des Entlassungsscheins aus der Justizvollzugsanstalt, aus der er bedingt entlassen worden war, bekannt war, ist auch anzunehmen, dass ein Ermittlungsrichter in dem Fall, dass ein Antrag auf Gestattung der Durchsuchung der Geldkassette gestellt worden wäre, höchstwahrscheinlich einen Durchsuchungsbeschluss erlassen hätte. Diese Möglichkeit der hypothetisch rechtmäßigen Beweiserlangung ist im Rahmen der Abwägung zu …. Sie führt dazu, dass aus der ohne richterliche Gestattung erfolgten Durchsuchung kein Beweisverwertungsverbot resultiert. Anhaltspunkte dafür, dass der Richtervorbehalt von den Ermittlungsbeamten bewusst missachtet wurde, liegen nicht vor.“
Wie aus den Ausführungen zu ersehen ist, wird auf der einen Seite die Schwere des begangenen Delikts abgewogen gegen die auf der anderen Seite stehende Schwere des Verstoßes der Ermittlungsbehörden. Dabei ist, so der BGH, der Aspekt der hypothetisch rechtmäßigen Beweiserlangung zu berücksichtigen.
Ob die Begründung des BGH im vorliegenden Fall überzeugt, ist fraglich. So dürfte die Anordnung der Durchsuchung ohne Einschaltung des Richters unter den genannten Umständen eine grobe Pflichtverletzung darstellen. Die Staatsanwaltschaft musste nicht in einer bedrängten, eiligen Situation handeln. Das Aufbrechen der Kassette hätte auch in aller Ruhe am nächsten Tag nach Einschaltung der zuständigen Richterin, des zuständigen Richters erfolgen können. Zudem ist fraglich, ob tatsächlich ein Durchsuchungsbeschluss (hypothetisch) erlassen worden wäre. Zur Aufklärung der in Rede stehenden Straftaten war eine Durchsuchung der Kassette nicht erforderlich. Hier genügte die Einvernahme der Freundin sowie ein Auszug aus dem Zentralregister was das Fahren ohne Fahrerlaubnis betraf. Anhaltpunkte für BtM Delikt lagen nicht vor. Hier reichen sicherlich nicht alleine die Vorstrafen des A aus.
Expertentipp
Wie Sie also sehen, könnten Sie in einer Klausur auch mit guter Begründung zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangen, was bei der Frage nach einem Beweisverwertungsverbot nicht unüblich ist (das liegt im Wesen einer „Abwägung“). Wie so oft kommt es in einer Klausur auf eine überzeugende, juristischen Anforderungen genügende Argumentation an.