Entscheidungen des BGH
A. Vertretenmüssen bei vertragsgemäßem Gebrauch (BGH Urteil vom 2.2.2022 – XII ZR 46/21; JA 2022, 689)
I. Sachverhalt
Die Klägerin (K) verlangt von dem Beklagten (B) nach beendetem Mietverhältnis Schadensersatz. K betreibt eine Tennishalle, in der der B als Freizeitsportler regelmäßig einen Tennisplatz gemietet hat. Am 16. Oktober 2018 spielte B auf dem Platz Nr. 4, dessen seitliche Außenlinie im Abstand von 2,50 m zur Außenwand der Halle verläuft, die gänzlich mit großformatigen Fenstern verglast ist. Im Verlauf des Spiels prallte der B gegen eine der Glasscheiben, die dadurch zerbrach. Der Rückschlag des B entsprach dabei den Regelungen der International Tennis Federation (ITF). B war vor dem riskanten Rückschlag bewusst, dass er das Gleichgewicht verlieren könnte und mit erheblicher Kraft gegen die Scheibe geraten könnte.
Hat K einen Anspruch auf Schadensersatz gegen B dem Grunde nach?
II. Lösung
Der BGH musste hier insbesondere klären, ob ein Vertretenmüssen auch dann angenommen werden kann, wenn eine vom vertragsgemäßen Gebrauch nicht gedeckte Beschädigung der Halle vorliegt, dem Spieler jedoch kein Verstoß gegen die Tennisregeln angelastet werden kann.
1 Ansatzpunkte für die Prüfung
In der vorliegenden Konstellation kommt sowohl ein vertraglicher – §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 535 – als auch ein deliktischer Anspruch – § 823 Abs. 1 – in Betracht.
2 §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 535 – Vertretenmüssen -
Ein Mietvertrag über den in der Halle befindlichen Platz Nr. 4 lag unproblematisch vor. Den Mieter trifft dabei eine Obhutspflicht die Sache schonend und pfleglich zu behandeln sowie alles zu unterlassen was zu einer Verschlechterung der Mietsache führt.
Gemäß § 538 hat der Mieter solche Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache nicht zu vertreten, die durch den vertragsgemäßen Gebrauch herbeigeführt werden. Fraglich ist, ob die Beschädigung auf vertragsgemäßen Gebrauch zurückzuführen ist.
„Vertragsgemäß sind dabei nur solche Auswirkungen auf die Mietsache, welche ausschließlich auf dem üblichen Gebrauch im Rahmen des vereinbarten Vertragszwecks beruhen. Eine Beschädigung der Mietsache kann danach nur insoweit zum vertragsgemäßen Gebrauch gehören, als sie von dem vereinbarten Vertragszweck umfasst wird.“
Dabei ist die Beschädigung der Halle nicht vom Vertragszweck umfasst. B kannte die konkreten örtlichen Gegebenheiten und den für die Ausübung des Sports verfügbaren Raum. Bei gebotener Auslegung des Vertrags konnten die Parteien nicht davon ausgehen, dass die Beschädigung der Außenwände zum vertragsgemäßen Gebrauch des Platzes gehörte.
Damit liegt kein Fall von § 538 vor.
Fraglich ist, ob das Vertretenmüssen nicht daher abzulehnen ist, da der B sich nach den Regeln des TFI regelkonform verhielt.
Grundsätzlich gilt, dass „eine Haftung ausscheidet, wenn es sich um Verletzungen handelt, die sich ein Sportler bei einem regelgerechten und dem - bei jeder Sportausübung zu beachtenden - Fairnessgebot entsprechenden Einsatz seines Gegners zuzieht. In einem solchen Fall hat sich der Schädiger jedenfalls nicht sorgfaltswidrig verhalten. Die Sorgfaltsanforderungen an den Teilnehmer eines Wettkampfs bestimmen sich nach den besonderen Gegebenheiten des Sports, bei dem sich der Unfall ereignet hat. Sie sind an der tatsächlichen Situation und den berechtigten Sicherheitserwartungen der Teilnehmer des Wettkampfs auszurichten und werden durch das beim jeweiligen Wettkampf geltende Regelwerk konkretisiert“
Diese Haftungseinschränkung hat ihre Grenzen im Grundsatz von Treu und Glauben („venire contra factum propium“). Diese Grundsätze gelten jedoch nur im Verhältnis der Spieler zueinander.
Auf den vorliegenden Fall kann der skizzierte Grundsatz nicht übertragen werden. Das Verhältnis zwischen dem Mieter und dem Vermieter ist nicht mit dem Verhältnis der an einem Wettkampf teilnehmenden Sportler vergleichbar. Die Obhutspflichten des Mieters werden daher nicht durch die Regelungen des ITF abschließend konkretisiert. Diese beschäftigen sich auch gar nicht mit der Interessenlage zwischen Mieter und Vermieter. Eine schuldhafte Pflichtverletzung kann daher auch dann angenommen werden, wenn die allgemeinen Regeln der jeweiligen Sportart eingehalten wurden.
B hätte daher davon absehen müssen den regelkonformen, jedoch riskanten Schlag durchzuführen. Er handelte damit zumindest einfach fahrlässig.
Hinweis
In der Klausur könnte noch ein Mitverschulden thematisiert werden. So könnte beispielsweise die geringe Entfernung zwischen der Abgrenzung und dem Tennisplatz als Anknüpfungspunkt herangezogen werden. Ferner gegebenenfalls darauf eingegangen werden, ob in solchen Sporthallen nicht „stärkere“ Verglasungen verbaut sein sollten. Allerdings bot der Sachverhalt zumindest für den zweiten Ansatz keine konkreten Anhaltspunkte.
III Ergebnis
B hat durch die Ausführung des riskanten Schlags seine Obhutspflicht gegenüber dem K schuldhaft verletzt und hierdurch adäquat kausal einen Schaden an der Mietsache verursacht. Er ist damit dem Grunde nach zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet.
Für den deliktischen Anspruch gelten die obigen Ausführungen entsprechend.
B. Mieterwechsel in einer WG (BGH Urteil vom 27.4.2022 – VIII ZR 304/21; BGH NJW-Spezial 2022, 449)
I. Gegenstand der Entscheidung
Im vorliegenden Urteil beschäftigt sich der BGH mit der Frage wie sich ein Mieterwechsel in einer WG vollzieht, wenn keine gesonderte Vereinbarung für einen Mieterwechsel besteht.
II. Lösungsansatz
Unter einer WG ist ein lockerer Zusammenschluss mehrerer Personen zum Wohnen zu verstehen. Regelmäßig liegt hier eine Innengesellschaft vor. Ein zentrales Problem einer solchen Mietpraxis besteht beim Mieterwechsel. Ein Mieterwechsel stellt eine Vertragsänderung dar. Daher ist die Zustimmung aller Beteiligten grundsätzlich notwendig. Damit ist grundsätzlich auch die Zustimmung des Vermieters notwendig.
Der BGH präsentiert im Urteil die Interessenlage der Parteien lehrbuchmäßig. Im Ausgangspunkt stellt der BGH klar, dass allein die Tatsache, dass ein Mietvertrag mit mehreren Mietern geschlossen wurde, die eine Wohngemeinschaft bilden, nicht ausreicht um einen Anspruch der Mieter auf Zustimmung des Vermieters zu einem künftigen Mieterwechsel anzunehmen.
Notwendig ist vielmehr eine interessengerechte Auslegung der Willenserklärungen.
Eine konkludente Verpflichtung des Vermieters einem Mieterwechsel zuzustimmen, sofern nicht erhebliche Gründe (solvent) gegen den neuen Mieter sprechen, liegt insbesondere dann nahe, wenn eine Studenten-WG vorliegt. In diesen Fällen gehen die Parteien bei Vertragsschluss ersichtlich davon aus, dass in kurzen Zeitabständen ein Bedarf für eine Änderung der Zusammensetzung der Wohngemeinschaft auftreten wird. Dies ist bei einer Studenten-WG typischerweise der Fall. Notwendig ist, dass dem Vermieter die Umstände bei Vertragsschluss bekannt sind und er sich bewusst und ohne Vorbehalt in Kenntnis aller Umstände auf die zu erwartende Fluktuation aus dem Mietvertrag einlässt.
Liegt keine Studenten-WG vor, so muss im Einzelfall bestimmt werden, ob sich die Voraussetzungen auch auf die jeweilig in der Klausur präsentierte Form übertragen lassen.
Ist dies nicht der Fall, so besteht nach der Rechtsprechung kein Anspruch auf Zustimmung. In solchen Fällen ist die Untermietlösung zu bemühen. Die neuen Mieter können (nur) als Untermieter (§§ 553, 540) aufgenommen werden.
Es liegt daher maßgeblich in der Hand der Mieter sich bereits bei Vertragsschluss einen entsprechenden Anspruch einräumen zu lassen. Denkbar ist auch eine Gründung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Außengesellschaft, welche den Mietvertrag abschließt. Aufgrund der vielen Möglichkeiten entsprechende Interessen vertraglich zu verwirklichen ist eine Aufweichung des Grundsatzes „pacta sunt servanda“ nicht veranlasst.
Entscheidung des BAG
Zur Bereitstellung von Arbeitsmitteln (BAG 10.22.2021 – 5 AZR 334/21, JuS 2022, 281)
Im vorliegenden Fall beschäftigt sich das BAG mit der Frage, ob der Arbeitgeber zur Bereitstellung von Arbeitsmitteln verpflichtet ist und ob eine Abbedingung einer solchen Pflicht in AGB‘s ohne angemessene Kompensation zulässig ist.
I. Sachverhalt
Der Kläger (K) ist bei der Beklagten (B) bzw. ihrer Rechtsvorgängerin seit dem 13. Dezember 2016 als Fahrradlieferant, sog. „Rider“, beschäftigt. Er liefert mit dem Fahrrad Speisen und Getränke aus, die Kunden über das Internet bei verschiedenen Restaurants bestellen. Die Einsatzpläne und die Adressen der Restaurants und Kunden erhält der Kläger über die Software-Applikation Scoober („Scoober App“), die er auf seinem internetfähigen Mobiltelefon installiert hat. Laut Beschreibung der App im Google Play Store verbraucht diese üblicherweise bis zu zwei GB Datenvolumen pro Monat. Für die Lieferfahrten benutzt K seit Beginn des Arbeitsverhältnisses sein eigenes Fahrrad und sein eigenes Mobiltelefon. Eine entsprechende Regelung ist in den wirksam einbezogenen AGB-Regelungen im Arbeitsvertrag enthalten. Die B gewährt den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern für den Einsatz ihrer Fahrräder gemäß der Klausel eine Reparaturgutschrift von 0,25 Euro je gearbeiteter Stunde. Diese Gutschrift kann ausschließlich bei einem von der B bestimmten Unternehmen eingelöst werden. Für die Nutzung des Mobiltelefons erbringt sie keine gesonderte Zahlung. Ein Hinweis auf etwaige weitergehende gesetzliche Ansprüche enthält die Klausel nicht.
K ist der Ansicht, B sei zur Bereitstellung eines Fahrrads und eines internetfähigen Telefons verpflichtet.
Hat K einen Anspruch auf Bereitstellung eines verkehrstüchtigen Fahrrads und eines internetfähigen Handys mit ausreichendem Datenvolumen?
II. Lösung
Im Wesentlichen stellen sich im vorliegenden Fall zwei essenzielle Fragen. Ist der Arbeitgeber zur Überlassung geeigneter und essenzieller Arbeitsmittel verpflichtet? Kann diese Verpflichtung durch AGB ohne adäquate Kompensation abgeklungen werden?
1. Verpflichtung zur Bereitstellung essenzieller und geeigneter Arbeitsmittel
Diese Frage wird vom Gesetz nicht ausdrücklich behandelt. Allerdings folgt aus § 611a Abs. 1 die grundsätzliche Annahme, dass der Arbeitnehmer nur dazu verpflichtet ist seine weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeitsleistung zu erbringen. Hierdurch wird die „Pflichten- und Verantwortungszuweisung“ im Arbeitsvertrag geprägt.
Dem Arbeitgeber obliegt es den Betrieb zu leiten und die betrieblichen Abläufe zu organisieren. Dieses Grundverständnis wird von § 618 bestätigt. Die Vorschrift spricht von „Räumen, Vorrichtungen oder Gerätschaften, die der Dienstberechtigte zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat“.
„Vor diesem Hintergrund hat der Senat die Kosten für nach den Unfallverhütungsvorschriften erforderliche Schutzausrüstung als „Teil der allgemeinen Betriebskosten, die dem Arbeitgeber in seiner Stellung als Betriebsinhaber zur Last fallen, auch wenn hierüber keine Vereinbarung getroffen ist“, bezeichnet (vgl. BAG 10. März 1976 - 5 AZR 34/75 - zu 2 der Gründe).“
Hinweis: Die neuere Rechtsprechung behandelt die Frage der Bereitstellung der Arbeitsmittel vor allem im Zusammenhang mit Aufwendungsersatzansprüchen des Arbeitnehmers. Gemäß § 670 (analog) ist der Auftraggeber zum Ersatz verpflichtet, wenn der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auftrags Aufwendungen macht, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf. § 670 kann auf Arbeitsverhältnisse entsprechend angewendet werden. Macht der Arbeitnehmer im Interesse des Arbeitgebers Aufwendungen, die nicht durch die Vergütung abgegolten sind, ist der Arbeitgeber deshalb zum Ersatz dieser Aufwendungen verpflichtet.
Aus diesen Erwägungen folgt, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist die notwendigen Arbeitsmittel zu stellen. Spiegelbildlich kann der Arbeitnehmer nicht ohne weiteres dazu verpflichtet werden, diese selbst mitzubringen und im Übrigen auf jeweils gesondert geltend zu machende nachgelagerte Aufwendungsersatzansprüche verwiesen werden.
Hinweis
Kommt der Arbeitgeber dieser Verpflichtung nicht nach, kann der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung zurückbehalten und hat daneben einen gesonderten einklagbaren Anspruch auf Einhaltung der Pflichten (Sogenannte Doppelwirkung).
B ist damit grundsätzlich verpflichtet dem K ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein internetfähiges Mobiltelefon mit ausreichendem Datenvolumen zur Verfügung zu stellen.
2 Wirksame Abbedingung der Verpflichtungen durch AGB?
Die Regelung unterfällt gem. § 307 Abs. 3 Satz 1 der uneingeschränkten Inhaltskontrolle, da eine von Rechtsvorschriften abweichende Vereinbarung vorliegt.
Das BAG stellt klar, dass unter Rechtsvorschriften nicht nur Gesetzesbestimmungen zu verstehen sind, sondern die dem Gerechtigkeitsgebot entsprechenden allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze und damit alle ungeschriebenen Rechtsgrundsätze, die Regeln des Richterrechts oder die aufgrund ergänzender Auslegung nach §§ 157, 242 und aus der Natur des jeweiligen Schuldverhältnisses zu entnehmenden Rechte und Pflichten.
Die Klausel weicht vom oben beschriebenen Grundsatz ab, dass der Arbeitgeber gehalten ist die essenziellen Arbeitsmittel zu stellen. Hier ist ein Grundgedanke des Arbeitsvertrags zu sehen und damit zugleich ein gesetzliches Leitbild im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 1.
„Der Arbeitnehmer hat ein berechtigtes Interesse daran, dass der Arbeitgeber die für die Ausübung der Tätigkeit erforderlichen Arbeitsmittel bereitstellt, weil der Arbeitgeber die Arbeitsabläufe organisiert und dem Arbeitnehmer die auszuübenden Arbeiten im Wege des Weisungsrechts (§ 106 GewO) zuweist“
Die in den AGB vorgenommene Abweichung ist mit den Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren.
Hier findet eine einseitige Benachteiligung des Arbeitnehmers statt. Insbesondere wird die Benachteiligung nicht kompensiert! Durch die einseitige Regelung erlangt der Arbeitgeber einen nicht unerheblichen Vorteil. Der Arbeitnehmer dagegen trägt die Gefahr der erhöhten Abnutzung und das Risiko von Verlust und Beschädigung bei Ausübung der Tätigkeit. Im Rahmen der Gesamtabwägung hat ein etwaiger Anspruch aus § 670 analog außer Betracht zu bleiben. Vorteile werden nur berücksichtigt, wenn sie sich aus der Klausel selbst ergeben. Das vereinbarte „Reparaturguthaben“ stellt keinen angemessenen Ausgleich dar. Dies schon daher, da über die Mittel nicht frei verfügt werden kann. Auch orientiert sich die Entschädigung nicht an der Fahrleistung und damit dem maßgeblichen Verschleiß. Ferner wird keine Nutzungsentschädigung zugebilligt.
In der Gesamtbetrachtung weicht die Klausel in nicht gerechtfertigter Weise vom gesetzlichen Leitbild ab und ist damit unwirksam.
III Ergebnis
K hat einen Anspruch auf Bereitstellung eines verkehrstüchtigen Fahrrads und eines internetfähigen Handys mit ausreichendem Datenvolumen.