Entscheidungen des BGH
I. Zu den rechtlichen Auswirkungen einer Corona-bedingten Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts
Der BGH (Urteil vom 12.1.2022 – XII ZR 8) musste sich mit der Frage beschäftigen, ob eine Pandemie bedingten Geschäftsschließung zu einer Anpassung der gewerblichen Miete führen kann.
Welche Sonderregelungen gibt es?
Sonderregelungen zu dieser Thematik finden sich in Art. 240 § 2 EGBGB. Hier wurde ein besonderer Kündigungsschutz für die Mieter im Fall der nicht rechtzeitigen Zahlung aufgenommen. Für Geschäftsräume verweist Art. 240 § 7 auf § 313 BGB und vermutet im Fall erheblicher Nutzungseinschränkungen aufgrund von Maßnahmen wegen der COVID-19 Pandemie, dass sich nach Vertragsschluss Umstände, die zur Grundlage des Mietvertrags geworden sind, schwerwiegend verändert haben.
Sind das abschließende Regelungen?
Der BGH stellt bezüglich Art. 240 § 2 EGBGB klar, dass keine abschließende Regelung vorliegt. Dies resultiert unter anderem aus der bereits genannten ergänzenden Regelung, welche zumindest noch auf § 313 BGB verweist.
Sind die behördlich angeordneten Einschränkungen als Mietmangel einzuordnen?
Der BGH stellt klar, dass kein Mietmangel anzunehmen ist. Die Beschränkung des Verbrauchs beruht nicht auf der konkreten Beschaffenheit oder dem Zustand bzw. der Lage der Mietsache, sondern hat seine Wurzeln im Geschäftsbetrieb des Mieters.
Ist in solchen Fällen Unmöglichkeit anzunehmen?
Auch dies lehnt der BGH ab. Hier wird die Sache gerade zur vereinbarten Nutzung gewährt. Dass diese Nutzung aufgrund gesetzlicher Bestimmungen im Ergebnis nicht ausgeübt werden kann, führt nicht zur Unmöglichkeit.
Welche Lösung bietet der BGH?
Die Lösung wird in der Störung der sogenannten großen Geschäftsgrundlage gesehen. Darunter versteht man die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht etwa durch Revolution, Krieg, Vertreibung, Hyperinflation oder eine (Natur-)Katastrophe ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde. Allerdings betont der BGH, dass hier keine pauschale Lösung vorzunehmen ist. Vielmehr ist eine umfassende Abwägung der Umstände im Einzelfall vorzunehmen. So sind die konkreten Auswirkungen auf den Mieter und den Vermieter im Einzelfall zu betrachten. So auch deren wirtschaftliche Situation und die gegebenenfalls empfangenen staatlichen Hilfen. In der Klausur bedeutet dies, dass an dieser Stelle alle Angaben aus dem Sachverhalt in eine schlüssige Abwägung eingebaut werden müssen.
II. Zur sachenrechtlichen Einordnung von Modulen einer Photovoltaikanlage
Der BGH (Urteil vom 22.10.2021 – V ZR 63/20 ) musste sich vorliegend im Kern mit der Frage beschäftigen, ob ein Modul einer Freiland-Photovoltaikanlage sonderrechtsfähig ist. Dieses Urteil eignet sich hervorragend, um Inhalte des BGB AT in die Klausur zu transferieren.
Die Photovoltaikmodule waren im vorliegenden Fall auf gerüstähnlichen Ständern mithilfe von Schrauben, Klemmen und sonstigen Verbindungselementen verbunden. Diese Elemente ließen sich ohne größeren Aufwand auseinandernehmen. Auch die Gerüste konnten vollständig zerlegt und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden.
Ursprünglich waren die einzelnen Teile sonderrechtsfähig. Fraglich war vorliegend jedoch, ob die Verbindung mit dem Grundstück dazu führte, dass die Module wesentliche Bestandteile des Grundstücks im Sinne von § 94 BGB oder durch Zusammensetzung wesentliche Bestandteile der Anlage nach § 93 BGB geworden sind und damit ihre Sonderrechtsfähigkeit aufgehoben wurde.
Der BGH stellt klar, dass die hier vorliegende „gerüstähnliche Aufständerung“ nicht unter den Begriff des Gebäudes im Sinne des § 94 Abs. 1 Satz 1 BGB fällt und damit die einzelnen Module auch keine zur Herstellung eingefügten Sachen im Sinne des Abs. 2 sind.
Darüber hinaus stellt der BGH klar, dass es sich bei der Konstruktion um Scheinbestandteile eines Grundstücks nach § 95 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt. Diese sind nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden. Die vorübergehende Nutzungsabsicht ist im vorliegenden Fall trotz der Nutzungsabsicht über die gesamte wirtschaftliche Lebensdauer der Anlage zu vermuten. Unter anderem wurde beim Vertrag der Parteien die Verpflichtung zur Entfernung der Anlage nach Ablauf der Nutzungsdauer vereinbart.
Abschließend stellt sich noch die Frage, ob die einzelnen Module als wesentliche Bestandteile der Anlage gemäß § 93 BGB anzusehen sind. In diesem Fall wäre die Sonderrechtsfähigkeit der Module mit der Verbindung mit der Anlage aufgehoben worden.
Entscheidend ist, ob im Zeitpunkt der Verbindung die Sache unter wirtschaftlichen und technischen Gesichtspunkten in der Gesamtsache aufgegangen ist, weil eine anschließende Trennung zur Zerstörung wirtschaftlicher Werte führen würde. Dabei sind spätere Wertveränderungen nicht zu berücksichtigen. Aufgrund der unproblematisch möglichen Trennung ohne Wertverlust sind die Module auch nicht als wesentliche Bestandteile der Anlage einzuordnen.
Ergänzend stellt der BGH noch klar, dass § 95 BGB keine analoge Anwendung auf bewegliche Sachen findet.
III. Zur Vermutung des § 344 Abs. 1 HBG
Im vorliegenden Fall (Urteil vom 10.11.2021 – VIII ZR 187/20) beschäftigt sich in der BGH unter anderem mit der Frage, ob § 344 Abs. 1 HGB bei der Einordnung des Handelns eines Kaufmanns als Verbraucher einschlägig sein kann.
Wie ist die Eigenschaft „Verbraucher“ zu bestimmen?
Wie Sie sicherlich bereits wissen ist das Verbraucher- oder Unternehmerhandeln grundsätzlich objektiv nach der Zweckrichtung des Rechtsgeschäfts zu bestimmen. Eine andere Bewertung kommt nur in Betracht, wenn die dem Vertragspartner erkennbaren Umstände eindeutig und zweifelsfrei darauf hinweisen, dass die natürliche Person in Verfolgung ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt.
Betrachtet man die negative Formulierung aus § 13 BGB wird klar, dass rechtsgeschäftliches Handeln einer natürlichen Person im Zweifel als Verbraucherhandeln anzusehen ist. Insoweit wird die Verbrauchereigenschaft vermutet.
Folgt etwas anderes aus § 344 Abs. 1 HGB?
Die Vorschrift stellt klar, dass von einem Kaufmann vorgenommene Rechtsgeschäfte im Zweifel als zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehörig gelten. Damit stellt sich die Frage, ob die oben genannten Grundsätze auch dann Anwendung finden, wenn eine natürliche Person als Kaufmann auftritt.
Der BGH stellt klar, dass die Vorschrift an den obigen Grundsätzen nichts ändert und führt u.a. Folgendes an:
„Den Vorschriften der §§ 13, 14 BGB kommt nach dem in Erfüllung europäischer Vorgaben zum Verbraucherschutz entwickelten gesetzgeberischen Konzept unter anderem die Funktion zu, die Voraussetzungen für das Eingreifen der an verschiedenen Stellen im Bürgerlichen Gesetzbuch verankerten verbraucherschützenden Normen, etwa - wie hier - beim Verbrauchsgüterkauf (§§ 474 ff. BGB) oder beim Verbraucherdarlehensvertrag (§§ 491 ff. BGB), einheitlich zu bestimmen (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 79). Sie treffen zu diesem Zweck in Bezug auf die unionsrechtlich geprägte Abgrenzung zwischen Verbraucher- und Unternehmerhandeln (vgl. Art. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 93/13/EWG [Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen]; Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und c der Richtlinie 1999/44/EG [Verbrauchsgüterkaufrichtlinie]; BTDrucks. 14/6040, S. 242 f.) eine eigenständige Regelung, die der Einordnung des rechtsgeschäftlichen Handelns einer natürlichen Person dient, die eine gewerbliche oder selbständige (neben-)berufliche Tätigkeit ausübt, mithin nach diesen Bestimmungen grundsätzlich sowohl Verbraucher als auch Unternehmer sein kann. Dabei kommt der - für das Eingreifen einer ihr günstigen Verbraucherschutznorm regelmäßig beweisbelasteten - Prozesspartei (allein) insofern eine Erleichterung zu, als sich - wie oben aufgezeigt - aus der Negativformulierung im zweiten Halbsatz des § 13 BGB eine Vermutung zugunsten des Verbraucherhandelns ergibt.“