Entscheidungen des BGH
I. Zur Wirksamkeit eines "testamentum mysticum"
Der BGH (Urteil vom 10.11.2021 IV ZB 30/20 - NZFam 2022, 140) musste sich mit der Wirksamkeit eines Testaments und im Zuge dessen mit folgender Frage beschäftigen:
Reicht es für die Wirksamkeit eines Testaments aus, wenn die Individualisierbarkeit der Erben erst durch Bezugnahme auf andere Schriftstücke möglich ist, die nicht (hier maschinenschriftlich) der Testamentsform genügen (sog „testamentum mysticum“)?
Bezugnahmen auf nicht der Testamentsform entsprechende Schriftstücke sind zur näheren Erläuterung gewisser Bestimmungen grundsätzlich zulässig. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die letztwillige Verfügung selbst jedoch für sich genommen formwirksam sein muss. Insoweit muss diese hinreichend bestimmt und vollständig sein.
Außerhalb des Testaments liegende Umstände können zur Auslegung eines Testaments herangezogen werden, wenn das ermittelte Auslegungsergebnis im Testament andeutungsweise oder versteckt zum Ausdruck gekommen ist. Ist dies jedoch – wie im vorliegenden Fall – nicht möglich und die Identifizierung der Erben überhaupt erst durch Rückgriff auf die formunwirksame Anlage möglich, so liegt ein Verstoß gegen § 2247 vor. Die Erbeinsetzung war insoweit unwirksam.
II. Die identifizierende Verdachtsberichterstattung
Im vorliegenden Fall musste sich der BGH (Urteil vom 16.11.2021 VI ZR 1241/20) mit den Anforderungen an eine identifizierende Verdachtsberichterstattung (volle Namensnennung und Abbildung der Person) in einem Onlineartikel beschäftigen.
Ist eine solche Berichterstattung stets ohne etwaige Anhörung des Betroffenen möglich?
„Für eine identifizierende Verdachtsberichterstattung ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst "Öffentlichkeitswert" verleihen, erforderlich. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.
Das grundsätzliche Erfordernis einer Möglichkeit zur Stellungnahme soll sicherstellen, dass der Standpunkt des von der Verdachtsberichterstattung Betroffenen in Erfahrung und gegebenenfalls zum Ausdruck gebracht wird, der Betroffene also selbst zu Wort kommen kann. Dies setzt voraus, dass der Betroffene nicht nur Gelegenheit zur Stellungnahme erhält, sondern dass seine etwaige Stellungnahme auch zur Kenntnis genommen und der Standpunkt des Betroffenen in der Berichterstattung sichtbar wird.“
Sind die Anforderungen nicht erfüllt kommt ein Anspruch des Betroffenen wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Wort- und Bildberichterstattung auf Unterlassung in Betracht.
III. Baustellenlärm als Mietmangel
Im vorliegenden Fall musste sich der BGH (16.11.2021 VI ZR 1241/20) mit der Frage beschäftigen, ob Baulärm vom Grundstück eines Dritten stets einen Mietmangel begründet.
Kann sich ein Mangel schon daraus ergeben, dass vom Vorliegen einer stillschweigend getroffenen Beschaffenheitsvereinbarung zur „Freiheit der Wohnung von Baulärm“ stets ausgegangen werden kann?
„Der vertraglich geschuldete Zustand bestimmt sich in erster Linie nach den Beschaffenheitsvereinbarungen der Mietvertragsparteien, die auch durch schlüssiges Verhalten (konkludent) getroffen werden können. Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung können dabei auch Umstände sein, die von außen auf die Mietsache unmittelbar einwirken (sog. Umweltfehler), wie etwa Immissionen, denen die Mietsache ausgesetzt ist. Soweit allerdings Parteiabreden zur Beschaffenheit der Mietsache fehlen, wird der zum vertragsgemäßen Gebrauch geeignete Zustand unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nach der Verkehrsanschauung bestimmt.“
„(…) auch eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus. Für die Annahme einer solchen Willensübereinstimmung bezüglich einer „Umweltbedingung“ reicht es jedoch nicht aus, dass der Mieter bei Vertragsschluss einen von außen auf die Mietsache (nicht) einwirkenden Umstand - wie hier die Abwesenheit von Baulärm - in einer für ihn vorteilhaften Weise wahrnimmt und er sich (möglicherweise auch) wegen dieses Umstands dafür entscheidet, die Wohnung anzumieten.“
„Zur konkludent geschlossenen Beschaffenheitsvereinbarung wird dieser Umstand vielmehr nur, wenn der Vermieter aus dem Verhalten des Mieters nach dem objektiv zu bestimmenden Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) erkennen musste, dass der Mieter die Fortdauer dieses bei Vertragsschluss bestehenden Umstands über die unbestimmte Dauer des Mietverhältnisses hinweg als maßgebliches Kriterium für den vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung ansieht, und der Vermieter dem zustimmt. Eine einseitig gebliebene Vorstellung des Mieters genügt für die Annahme einer diesbezüglichen Willensübereinstimmung selbst dann nicht, wenn sie dem Vermieter bekannt ist. Erforderlich ist jedenfalls, dass der Vermieter darauf in irgendeiner Form zustimmend reagiert.“
Der BGH stellt vielmehr klar, dass der Vermieter regelmäßig keinen Einfluss darauf hat, dass die zu Mietbeginn bestehenden Verhältnisse während der gesamten Dauer des Mietvertrages unverändert fortbestehen. Es kann daher gerade nicht angenommen werden, dass der Vermieter die vertragliche Haftung für den Fortbestand der Umweltbedingungen ohne besondere Erklärung übernehmen will.
Wonach richtet sich die Bestimmung des Mangels ohne gesonderte Abrede?
„Soweit danach konkrete Parteiabreden zur Beschaffenheit der Mietsache fehlen, beantwortet sich die Frage, was im Einzelnen zu dem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand der in Rede stehenden Wohnung gehört, den der Vermieter gemäß § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB während der Mietzeit zu erhalten hat, nach den gesamten Umständen des Mietverhältnisses und den daraus in - gegebenenfalls ergänzender - Auslegung abzuleitenden Standards, insbesondere nach der Mietsache und deren beabsichtigter Nutzung sowie der Verkehrsanschauung unter Beachtung des in § 242 BGB normierten Grundsatzes von Treu und Glauben.“
Wie ist die Risikoverteilung etwaiger „Umweltänderungen“ zwischen Mieter und Vermieter zu verteilen?
„(…) dem Vermieter kann nicht einseitig das Risiko einer geräusch- und schmutzintensiven Nutzungsänderung auf einem Nachbargrundstück zugewiesen werden. Es kommt vielmehr darauf an, welche Regelung die Mietvertragsparteien bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte als redliche Vertragspartner getroffen hätten, wenn ihnen bei Vertragsschluss die von ihnen nicht bedachte Entwicklung in Gestalt der erhöhten Immissionsbelastung bewusst gewesen wäre. Hiernach begründen bei Fehlen anderslautender Beschaffenheitsvereinbarungen nachträglich erhöhte Geräusch- und Schmutzimmissionen durch Dritte jedenfalls dann grundsätzlich keinen gemäß § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Mietminderung führenden Mangel einer Mietwohnung, wenn auch der Vermieter sie ohne eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeiten als unwesentlich oder ortsüblich hinnehmen muss (§ 906 BGB); insoweit nimmt der Wohnungsmieter an der jeweiligen Situationsgebundenheit des Mietgrundstücks teil.“
Findet § 906 direkte oder entsprechende Anwendung?
906 findet weder unmittelbar noch entsprechend Anwendung, „sondern im Rahmen der gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung des Mietvertrags lediglich ihre nachbarrechtliche Ausstrahlungswirkung zur Konturierung der im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu bestimmenden mietvertraglichen Rechte und Pflichten der Parteien berücksichtigt.“
„Dabei hat sich der Senat von der Erwägung leiten lassen, dass die in § 906 BGB angelegten Wertungen im Nachbarrecht eine Konkretisierung des allgemeinen Gebots von Treu und Glauben darstellen, mithilfe derer ein bei der Nutzung benachbarter Grundstücke möglicherweise auftretender Konflikt in einen vernünftigen Ausgleich gebracht werden soll. Diese im Bürgerlichen Gesetzbuch getroffene gesetzliche Wertung wird einbezogen, um der ergänzenden Vertragsauslegung im Verhältnis der Mietvertragsparteien noch stärkere rechtliche Konturen zu verleihen.“
„Damit sind letztlich Wertungsgesichtspunkte maßgebend, die gleichermaßen bei der Anwendung der Vorschrift des § 906 BGB - mit den Merkmalen der wesentlichen Beeinträchtigung, der ortsüblichen Benutzung und der Zumutbarkeit von Abhilfemaßnahmen - prägend sind. Die Frage, ob Geräuschimmissionen im Sinne von § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB wesentlich sind, beurteilt sich nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen und danach, was ihm unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist, wobei die Grenze der im Einzelfall zumutbaren Geräuschbelästigung immer nur aufgrund wertender Beurteilung festgesetzt werden kann. Dabei kann im Fall von Geräuschimmissionen aus dem häuslichen Bereich im Rahmen des § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB gerade auch die Sozialadäquanz der störenden Tätigkeit zu berücksichtigen sein, um einen angemessenen Ausgleich der widerstreitenden nachbarlichen Interessen herbeizuführen.“
Dieser Maßstab ist sodann auf den jeweiligen Einzelfall in der Klausur zu übertragen und die Wertungen entsprechend vorzunehmen.
IV. Zur Vererblichkeit von Geldentschädigungsansprüchen wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung
Im vorliegenden Fall musste sich der BGH (Urteil vom 29.11.2021 VI ZR 258/18) mit der Frage beschäftigen unter welchen Umständen ein Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts vererblich ist.
Auf folgende Unterscheidung kommt es dabei maßgeblich an:
„Der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung wird grundsätzlich erst mit Rechtskraft eines dem Verletzten die Geldentschädigung zusprechenden Urteils vererblich; ein nicht rechtskräftiges, nur vorläufig vollstreckbares Urteil genügt nicht.“