Entscheidungen des BGH
1. Die Ersatzfähigkeit eines unfallbedingten Schadens an einem Kfz
Im vorliegenden Urteil (vom 12.10.2021 VI ZR 513/19) ging es um Fragen rund um die Ersatzfähigkeit eines unfallbedingten Schadens an einem Kfz..
Muss sich der Geschädigte bei der fiktiven Abrechnung auf günstigere Reparaturmöglichkeiten verweisen lassen?
„Der Geschädigte muss sich im Rahmen der fiktiven Abrechnung des an seinem fast fünf Jahre alten Fahrzeug entstandenen Schadens unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht (§ 254 II) auf die günstigere Reparaturmöglichkeit in einer vom Schädiger benannten und im Wohnort des Klägers gelegenen Fachwerkstatt L. verweisen lassen.“
Auf welchen Zeitpunkt kommt es für die Beurteilung der Höhe des Schadensersatzanspruchs an? Relevant kann dies z.B. dann werden, wenn die Stundensätze einer Vergleichswerkstatt im Prozess angehoben wurden.
„Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bemisst sich die Höhe des Schadensersatzanspruchs in Geld grundsätzlich nach den Wertverhältnissen im Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung; im Rechtsstreit ist, wenn noch nicht vollständig erfüllt ist, der prozessual letztmögliche Beurteilungszeitpunkt, regelmäßig also der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung, maßgeblich.“
„Wie der Senat (…) entschieden hat, gelten diese Grundsätze auch für die Abrechnung fiktiver Reparatur- oder Wiederbeschaffungskosten. Lediglich im Fall der konkreten Schadensabrechnung ist auf die Umstände desjenigen Zeitpunkts abzustellen, in dem der Zustand im Sinne von § 249 hergestellt worden ist (ebenda).“
Ist die Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung zulässig?
„Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, kann er den Ersatz von Umsatzsteuer nicht verlangen. Dies gilt auch dann, wenn im Rahmen einer durchgeführten Reparatur oder Ersatzbeschaffung tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig.“
Welche Wege der Naturalrestitution stehen dem Geschädigten zur Verfügung?
„Für die Berechnung von Fahrzeugschäden stehen dem Geschädigten regelmäßig zwei Wege der Naturalrestitution zur Verfügung: Reparatur des beschädigten Fahrzeugs oder Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs.“
„Hierdurch soll nicht nur verhindert werden, dass sich der Geschädigte unter Missachtung des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots) die ihm vorteilhaften Elemente der jeweiligen Berechnungsart aussucht („Rosinenpicken“), sondern auch den unterschiedlichen Grundlagen der jeweiligen Abrechnung Rechnung getragen und deren innere Kohärenz sichergestellt werden.“
Welcher Grundsatz ist bei der Wahl der Möglichkeiten zu berücksichtigen?
„Unter den zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten der Naturalrestitution hat der Geschädigte dabei grundsätzlich diejenige zu wählen, die den geringeren Aufwand erfordert. Nur der für diese Art der Schadensbehebung nötige Geldbetrag ist im Sinne des § 249 II 1 zur Herstellung erforderlich (Wirtschaftlichkeitspostulat)“
Was passiert, wenn der Geschädigte die teurere Ersatzbeschaffung statt der Reparatur wählt?
„Beschreitet der Geschädigte nicht den Weg des geringsten Aufwands, so entfällt sein Ersatzanspruch allerdings nicht, sondern ist der Höhe nach auf den nach Maßgabe des Wirtschaftlichkeitspostulats erforderlichen niedrigeren Betrag beschränkt.“
Kann der sog. „Integritätszuschlag“ auch bei der abstrakten Schadensberechnung Berücksichtigung finden?
„Ein etwaiges besonderes Integritätsinteresse des Geschädigten an einer an sich unwirtschaftlichen Restitutionsmaßnahme (Erhalt des ihm vertrauten Fahrzeugs, Beschädigung eines fabrikneuen Fahrzeugs) bleibt hier unberücksichtigt.“
Kann im Rahmen der fiktiven Abrechnung eine angefallene Umsatzsteuer Berücksichtigung finden?
„Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, kann er den Ersatz von Umsatzsteuer nicht beanspruchen. Dies gilt auch dann, wenn im Rahmen einer durchgeführten Reparatur oder Ersatzbeschaffung tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig. Gemäß § 249 II 2 BGB schließt der bei der Beschädigung einer Sache zur Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Die Umsatzsteuer soll hingegen nicht ersetzt werden, wenn und soweit sie fiktiv bleibt Die Vorschrift des § 249 II 2 BGB begrenzt insoweit die Dispositionsfreiheit des Geschädigten“
„Die Umsatzsteuer bleibt nicht nur dann fiktiv in diesem Sinne, wenn es nicht zu einer umsatzsteuerpflichtigen Reparatur oder Ersatzbeschaffung kommt; sie bleibt es vielmehr auch dann, wenn der Geschädigte zwar tatsächlich eine Restitutionsmaßnahme veranlasst, diese Maßnahme aber nicht zur Grundlage seiner Abrechnung macht, sondern seinen Schaden fiktiv und damit ohne Bezug zu den tatsächlich getätigten Aufwendungen auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens abrechnet“
2. Der Widerruf eines Vertrages
Im vorliegenden Fall musste sich der BGH (Urteil vom 20.10.2021 I ZR 96/20) mit der Möglichkeit eines Widerrufs bei einem Vertrag über die Lieferung und Montage eines Treppenlifts auseinandersetzen. Der Vertrag wurde vorliegend außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen.
Hier stellte sich zunächst die Frage, ob das Widerrufsrecht nicht bereits gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 1 ausgeschlossen war. Doch welche Verträge sind von § 312g Abs. 2 Nr. 1 überhaupt erfasst?
„(…) zu den Verträgen zur Lieferung von Waren im Sinne des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB sind Kaufverträge (§ 433 BGB) und Werklieferungsverträge (§ 650 BGB), aber weder Dienstverträge (§ 611 BGB) noch - jedenfalls im Regelfall - Werkverträge (§ 631 BGB) zu zählen.“
Zur genauen Begründung anhand der zugrunde liegenden Richtlinie die Rn. 16 und 17 im Urteil berücksichtigen.
Welche Unterschiede gilt es im Hinblick auf den Beginn der Widerrufsfrist zwischen Kaufverträgen und Dienstleistungsverträgen zu berücksichtigen?
„Während die Widerrufsfrist von 14 Tagen bei Kaufverträgen im Sinne der Richtlinie 2011/83/EU erst mit der Lieferung der Sache an den Käufer beginnt (Art. 9 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie, § 356 Abs. 2 Nr. 1 BGB) und der Verkäufer deshalb in Fällen speziell hergestellter, anderweitig nicht absetzbarer Ware auf den Ausschluss des Widerrufsrechts angewiesen ist, beginnt die Widerrufsfrist bei Dienstleistungsverträgen im Sinne der Richtlinie mit dem Tag des Vertragsabschlusses (Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie, § 355 Abs. 2 BGB), so dass der Unternehmer sich vor Verlusten, die ihm im Falle eines Widerrufs durch die Fertigung speziell hergestellter, nicht anderweitig absetzbarer Ware entstehen, dadurch schützen kann, dass er mit der Leistungserbringung erst nach Ablauf der Widerrufsfrist beginnt.“
Was für eine Vertragsart ist bei einem typischen Einbau eines Treppenlifts anzunehmen? Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die notwendigen Laufschienen jeweils individuell angepasst und hergestellt werden müssen.
„(…) für die Abgrenzung von Kauf- und Werklieferungsverträgen einerseits und Werkverträgen andererseits darauf ankommt, auf welcher der Leistungen bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Schwerpunkt liegt. Dabei ist vor allem auf die Art des zu liefernden Gegenstands, das Wertverhältnis von Lieferung sowie Montage- und Bauleistung sowie die Besonderheiten des geschuldeten Ergebnisses abzustellen. Je mehr die mit dem Warenumsatz verbundene Übertragung von Eigentum und Besitz der zu liefernden Sache auf den Vertragspartner im Vordergrund steht und je weniger dessen individuelle Anforderungen und die geschuldete Montage- und Bauleistung das Gesamtbild des Vertragsverhältnisses prägen, desto eher ist die Annahme eines Kauf- oder Werklieferungsvertrags geboten. Liegt der Schwerpunkt dagegen auf der Montage- und Bauleistung bei der Herstellung eines funktionstauglichen Werks, etwa auf Einbau und Einpassung einer Sache in die Räumlichkeit, und dem damit verbundenen individuellen Erfolg, liegt ein Werkvertrag vor.“
„Danach liegt bei Kaufverträgen, die auch eine Dienstleistung umfassen, wie Verträgen über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Verbrauchsgüter und Verträgen, die die Montage solcher Güter im Verbund mit einem Kaufabschluss vorsehen, ein Kaufvertrag im Sinne der Richtlinie 1999/44/EG vor, wenn die Dienstleistung den Verkauf lediglich ergänzt, nicht jedoch, wenn die Dienstleistung als Hauptgegenstand des Vertrags anzusehen ist“
„Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist bei der Abgrenzung zwischen Werklieferungsvertrag und Werkvertrag auch der Aufwand für die individuelle Erstellung der Laufschiene zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kommt es bei der für die Abgrenzung zwischen Kaufvertrag und Dienstvertrag erforderlichen Prüfung, ob die Dienstleistung den Verkauf lediglich ergänzt oder als Hauptgegenstand des Vertrags anzusehen ist, nicht nur auf Montageleistungen, sondern auch auf Leistungen an, die in der Herstellung oder Erzeugung von für die Erbringung einer Werkleistung erforderlichen Waren besteht (vgl. EuGH, NJW 2017, 3215 Rn. 37, 38, 44, 45 - Schottelius). Auch ein verhältnismäßig geringer Montageaufwand steht daher der Einordung als Werkvertrag nicht entgegen, wenn der Vertragsgegenstand eine Anpassung typisierter Einzelteile an die individuellen Wünsche des Bestellers erfordert.“
3. Wann bricht Kauf die Miete?
Im vorliegenden Fall musste sich der BGH (urteil vom 27.10.2021 XII ZR 84/20) mit der Frage beschäftigen, ob § 566 Abs. 1 entsprechend anwendbar ist, wenn keine Identität zwischen dem Vermieter und dem Veräußerer besteht.
Wann kann § 566 I direkte Anwendung finden?
„Wie das BerGer. richtig sieht, ist § 566 I BGB deshalb grundsätzlich nur bei Identität zwischen Vermieter und Veräußerer unmittelbar anwendbar“
Welchen Zweck verfolgt § 566 I?
„Der in § 566 I BGB geregelte Eintritt des Erwerbers in ein bestehendes Mietverhältnis dient dem Schutz des Mieters, dem eine Wohnung, ein Grundstück (§ 578 I BGB) oder gewerblich genutzte Räume (§ 578 II 1 BGB) aufgrund eines wirksamen Mietvertrags überlassen worden sind. Die ihm dadurch von seinem Vertragspartner eingeräumte Rechtsstellung – der berechtigte Besitz – soll ihm auch gegenüber einem späteren Erwerber des Grundstücks erhalten bleiben.“
Wie bewirkt § 566 I diesen Schutz?
„Hierfür enthält § 566 I BGB eine – ausdrücklich auf die Veräußerung des vermieteten Grundstücks oder Grundstücksteils beschränkte – Durchbrechung des schuldrechtlichen Grundsatzes, wonach Rechte und Pflichten nur zwischen den am Schuldverhältnis beteiligten Personen entstehen. Sie legt dem Mietverhältnis für den Fall der Veräußerung des Mietgrundstücks eine gleichsam dingliche Wirkung bei, indem sie mit dem Übergang des Eigentums am vermieteten Grundstück auf den Erwerber auch die Vermieterrechte und -pflichten auf diesen übergehen lässt.“
Was folgt aus diesem Ausnahmecharakter und was bedeutet dies für die Analogiebildung?
„Als Ausnahmevorschrift ist § 566 I BGB daher eng auszulegen und nur anzuwenden, soweit der mit ihr bezweckte Mieterschutz dies erfordert. Der Ausnahmecharakter der Vorschrift steht jedoch hinsichtlich einer Erweiterung des Veräußerungsbegriffs oder der anderen Tatbestandsmerkmale der Norm einer Analogie nicht generell entgegen.“
Wann kann von einer vergleichbaren Interessenlage ausgegangen werden?
„Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen.“
Auf dieser rechtlichen Grundlage hat der Senat entschieden, dass die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 566 I BGB dann vorliegen, wenn die Vermietung des veräußerten Grundstücks mit Zustimmung des Eigentümers und in dessen alleinigem wirtschaftlichen Interesse erfolgt und der Vermieter kein eigenes Interesse am Fortbestand des Mietverhältnisses hat.
Denn der Gesetzeszweck des § 566 I BGB greift nicht nur dann, wenn das Mietobjekt unmittelbar vom Eigentümer des Mietobjekts vermietet wird, sondern auch dann, wenn ein Nichteigentümer den Mietvertrag im eigenen Namen, aber im wirtschaftlichen Interesse des Eigentümers abschließt. Das Interesse des Mieters, nach einem Wechsel der Eigentumsverhältnisse unbeeinträchtigt die angemieteten Wohn- oder Geschäftsräume weiter nutzen zu können, besteht unabhängig davon, ob er den Mietvertrag mit dem Eigentümer selbst oder einer anderen Person abgeschlossen hat, die hierbei für den Eigentümer mit dessen Wissen und Einverständnis tätig geworden ist
Um bei der Veräußerung eines vermieteten Grundstücks das fehlende Identitätserfordernis durch eine entsprechende Anwendung des § 566 I BGB überwinden zu können, darf allerdings nicht allein das Besitzschutzinteresse des Mieters in den Blick genommen werden. Die für eine Analogie notwendige Vergleichbarkeit der Interessenlagen wird erst dann erreicht, wenn der Eigentümer bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise gleichsam als Vermieter angesehen werden kann. Dann ist es gerechtfertigt, dass er den von einem Dritten abgeschlossenen Mietvertrag gegen sich gelten lassen muss und er sein Eigentum nur mit einem Mietvertrag „belastet“ veräußern kann, an dessen Abschluss er nicht selbst beteiligt war. Deshalb kommt bei Nichterfüllung des Identitätserfordernisses eine analoge Anwendung des § 566 I BGB etwa dann in Betracht, wenn der Eigentümer zur Vermietung seines Grundstücks einen Hausverwalter einsetzt oder als einer von mehreren Eigentümern oder als Alleingesellschafter einer GmbH den Mietvertrag schließt. Nutzt der Eigentümer, statt selbst den Mietvertrag abzuschließen, eine formale rechtliche Konstruktion, um nicht selbst als Vermieter in Erscheinung zu treten, ist es gerechtfertigt, ihn im Rahmen des § 566 BGB so zu behandeln, als habe er den Mietvertrag selbst abgeschlossen. Dadurch wird auch verhindert, dass der Eigentümer, um den von § 566 I BGB gewährten Mieterschutz zu umgehen, nicht selbst den Mietvertrag abschließt, sondern eine dritte Person einschaltet, die formal als Vermieter auftritt, letztlich aber allein im Interesse des Eigentümers handelt.
Die bloße Zustimmung oder das Einverständnis des Eigentümers zur Vermietung seines Grundstücks durch einen Dritten oder die spätere Genehmigung des durch einen Nichteigentümer abgeschlossenen Mietvertrags reichen hingegen nicht aus, um eine analoge Anwendung des § 566 I BGB zu rechtfertigen.“
Hinweis
Alle zitierten Entscheidungen können auf den Webseiten der jeweiligen Gerichte unter Eingabe des Aktenzeichens abgerufen werden.