In diesem Beitrag wollen wir uns einmal 3 Entscheidungen des BGH zu den §§ 315b und 315 d StGB anschauen, die in 2021 / 2022 ergangen sind.
I. § 315b I StGB und die verkehrsspezifische Gefahr
315b I StGB setzt voraus, dass der Täter durch Vornahme einer der in den Nummern 1-3 genannten Handlungen zum einen abstrakt die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährdet und darüber hinaus eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert herbeiführt.
Nun möchte man meinen, dass diese Voraussetzungen bei einem Steinewerfer vorliegen, der von einer Brücke aus Steine auf ein unten fahrenden Auto wirft und dieses am Dach trifft.
Der BGH (JuS 2022, 462) hat jedoch den verkehrsspezifischen Gefahrzusammenhang zwischen der Handlung und der konkreten Gefahr verneint. Er führt dazu folgendes aus:
„Der Eintritt einer konkreten verkehrsspezifischen Gefahr als Folge des Abwurfs der Steine kann dem Urteil nicht entnommen werden… Zwar hat der Angekl. iSd § 315 b I Nr. 3 StGB in die Sicherheit des Straßenverkehrs eingegriffen. Der Fahrzeugführer konnte aber den Pkw unbeeinträchtigt weiterführen, so dass es in der Folge nicht zu einer kritischen Verkehrssituation im Sinne eines ‚Beinaheunfalls‘ kam. Soweit die Tathandlung (Fallenlassen der Steine) unmittelbar zu einem Sachschaden (Verletzungserfolg) geführt hat, ergeben die Feststellungen nicht, dass diese Verletzung auch auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte, mithin die Dynamik des fahrenden Kraftfahrzeugs zurückzuführen ist… Mit dem Eintritt des Sachschadens am Dach des Fahrzeugs verwirklichte sich deshalb keine verkehrstypische Gefahr. … Denn der vorgestellte Schadenseintritt ist nicht auf die für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen, er unterscheidet sich vielmehr nicht von einer Sachbeschädigung eines abgestellten Fahrzeugs. Die Dynamik des zu schädigenden Fahrzeugs wirkt sich im Fall einer ausschließlich beabsichtigten Beschädigung des Fahrzeugdachs gerade nicht auf den Schadenseintritt aus.“
Damit verengt der BGH den Tatbestand ohne Not und macht eine Bestrafung des Täters von der zufälligen Coolness bzw. Schreckhaftigkeit des Opfers bzw. vom zufälligen Auftreffen der Steine auf dem Auto (Windschutzscheibe oder Dach) abhängig (kritisch auch Hecker JuS 2022, 462). Hätte der Autofahrer aufgrund des Geräuschs das Lenkrad verrissen, dann hätte der BGH den Zusammenhang bejaht.
II. Die Eigenhändigkeit bei § 315d I Nr. 2 StGB
Täter des § 315d I Nr. 2 und 3 StGB kann nur ein Kraftfahrzeugführer sein, der an einem Rennen teilnimmt (Nr. 2) oder aber sich rücksichtslos und grob verkehrswidrig fortbewegt.
Der BGH (NStZ 2022, 292) hat deutlich gemacht, dass es sich bei den beiden Verwirklichungsformen des § 315d I StGB um eigenhändige Delikte handelt. Aufbauend darauf muss auch die konkrete Gefahr des § 315d II, der eine Qualifikation zu § 315d I Nr. 2 und 3 StGB darstellt, durch das eigene Fahrverhalten entstanden sein. Eine Zurechnung des Verhaltens eines anderen Rennteilnehmers, der z.B. in einer Kurve überholt und mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidiert, über § 25 II StGB kommt damit nicht in Betracht. Dazu der BGH:
„§ 315 d Abs. 2 StGB ist ein eigenhändiges Delikt. Ein Teilnehmer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315 d Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt den Qualifikationstatbestand des § 315 d Abs. 2 StGB in objektiver Hinsicht deshalb nur, wenn er durch sein eigenes Fahrverhalten während der Rennteilnahme eine konkrete Gefahr für eines der genannten Individualrechtsgüter verursacht und zwischen seinem Verursachungsbeitrag und dem Gefährdungserfolg ein innerer Zusammenhang besteht.
Nebentäterschaft kann vorliegen, wenn ein und derselbe Gefährdungserfolg von mehreren Rennteilnehmern herbeigeführt wird. Dies setzt voraus, dass sich die Rennteilnehmer in derselben kritischen Rennsituation befinden und zwischen den jeweiligen Mitverursachungsbeiträgen und dem konkreten Gefährdungserfolg ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht.“
III. § 315d I Nr. 3 StGB und die Absicht
Bereits im letzten Jahr hat der BGH (JuS 2021, 700) „en passent“ zu § 315d I Nr. 3 StGB ausgeführt, dass die Absicht, die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, nicht das alleinige (End-) Ziel des Täters sein muss, sondern auch dann bejaht werden kann, wenn es dem Täter vorrangig darum geht, der Polizei zu entkommen und dies nur durch das Erreichen der höchstmöglichen Geschwindigkeit (als Zwischenziel) erlangen kann. Er hat dazu folgendes ausgeführt:
„Das Absichtsmerkmal des § 315 d I Nr. 3 StGB beinhaltet den zielgerichteten Willen des Täters, mit dem von ihm geführten Kfz auf einer nicht ganz unerheblichen Wegstrecke die nach seiner Vorstellung unter den konkreten Gegebenheiten – wie Motorisierung, Verkehrslage, Streckenverlauf, Witterungs- und Sichtverhältnisse etc. – maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen.
Es reicht aus, dass der Täter das Erreichen der situativen Grenzgeschwindigkeit als aus seiner Sicht notwendiges Zwischenziel anstrebt, um ein weiteres Handlungsziel zu erreichen. Dieses Verständnis des Absichtsmerkmals in § 315 d I Nr. 3 StGB hat zur Folge, dass beim Vorliegen der weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen auch sog. Polizeifluchtfälle … von der Strafvorschrift erfasst werden, sofern festgestellt werden kann, dass es dem Täter darauf ankam, als notwendiges Zwischenziel für eine erfolgreiche Flucht über eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dabei wird allerdings zu beachten sein, dass aus einer Fluchtmotivation nicht ohne Weiteres auf die Absicht geschlossen werden kann, die gefahrene Geschwindigkeit bis zur Grenze der situativ möglichen Höchstgeschwindigkeit zu steigern.“
Hinweis
Das BVerfG (2 BvL 1 /20 - FD StrafR 2022, 446926) hat mittlerweile entschieden, dass das Tatbestandsmerkmal "die Absicht, eine höchstmögliche Geschindigkeit zu erreichen" dem Bestimmtheitsgrundsatz gem. Art. 103 II GG genügt und die Auslegung des BGH, wonach sich die Zielsetzung des Täters auf eine unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten nicht ganz unerhebliche Wegstrecke beziehen müsse,nicht zu beanstanden sei. Die Eingrenzung auf eine "nicht unerhebliche Wegstrecke" nehme zwar ordnungswidrige aber nicht sogleich strafbare Verhaltensweisen in ausreichend bestimmten Maße von der Strafbarkeit aus.