I. Strafrecht AT
1. Objektive Zurechnung des Todes oder der Körperverletzung eines Berufsretters bei den §§ 222, 229 StGB
Der Taterfolg muss kausal nach der „conditio sine qua non“ Formel auf der Tathandlung beruhen. Darüber hinaus muss der Taterfolg aber auch „das Werk“ des Täters sein, was dann der Fall ist, wenn er ihm objektiv zugerechnet werden kann. Dafür muss der Täter ein rechtlich relevantes Risiko gesetzt haben, welches sich in tatbestandstypischer Weise im Erfolg realisiert hat. Der Zurechnungszusammenhang kann durch eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung unterbrochen sein. Diese muss in einer Klausur immer dann thematisiert werden, wenn Berufsretter beim Rettungsvorgang zu Tode kommen oder sich verletzen. In der Regel wird beim Täter diesbezüglich kein Vorsatz zu bejahen sein, weswegen die §§ 222 und 229 StGB (oder im Falle der Brandstiftung die §§ 306a II, 306b I, II Nr. 1 oder 306c StGB) zu prüfen sind.
Der BGH (JuS 2021, 1194) hat dazu folgendes ausgeführt:
„Nach den Grundsätzen der bewussten Selbstgefährdung ist im Bereich der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte ein Verletzungserfolg, insbesondere auch der Tod eines Menschen, einem Dritten, der dafür eine Ursache gesetzt hat, möglicherweise dann nicht zuzurechnen, wenn der Erfolg die Folge einer bewussten, eigenverantwortlich gewollten und verwirklichten Selbstgefährdung ist und sich die Mitwirkung des Dritten in einer bloßen Veranlassung oder Förderung des Selbstgefährdungsaktes erschöpft hat….Jedoch ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Grundsatz der Straffreiheit wegen bewusster Selbstgefährdung …. in solchen Fällen einzuschränken, in denen sich das Opfer durch eine vom Täter geschaffene Gefahrenlage veranlasst sieht, in das Geschehen rettend einzugreifen und dadurch selbst geschädigt wird. Dies gilt, wenn der Täter durch seine deliktische Handlung die naheliegende Möglichkeit einer bewussten Selbstgefährdung dadurch schafft, dass er ohne Mitwirkung und ohne Einverständnis des Opfers eine erhebliche Gefahr für ein Rechtsgut des Opfers oder ihm nahestehender Personen begründet und damit für dieses ein einsichtiges Motiv für gefährliche Rettungsmaßnahmen schafft…Dieser für die Konstellation eines freiwillig eingreifenden Dritten entwickelte Rechtsgrundsatz ist auf die Zurechnung der Schäden solcher Personen übertragbar, die rechtlich aufgrund von Berufspflichten zum Eingreifen in Gefahrenlagen verpflichtet sind und sich in Erfüllung dieser Rechtspflicht selbst gefährden. Deren Tod oder Verletzung ist grundsätzlich demjenigen zuzurechnen, der die Gefahrenlage geschaffen hat…. Denn an die Stelle eines einsichtigen Motivs des freiwilligen Retters tritt hier seine Rechtspflicht zum Eingreifen, die den psychischen Druck zu handeln erhöht und damit die Eigenverantwortlichkeit der Entscheidung des Retters durch die normative Vorgabe einschränkt. Bei berufsmäßigen Rettern kommt noch hinzu, dass sie aufgrund ihrer höheren Fachkompetenz und des damit einhergehenden geringeren Verletzungsrisikos verpflichtet sind, höhere Risiken einzugehen, so dass der Täter auch mit gefährlichen Rettungsmaßnahmen rechnen muss. Ebenso wie dem Täter beim Gelingen der Rettungshandlung des pflichtigen Retters die Erfolgsabwendung zugutekommt, hat er im Fall des Misserfolgs dafür einzustehen. Es ist daher sachgerecht, den pflichtigen Retter in den Schutzbereich der strafrechtlichen Vorschriften einzubeziehen.“
Etwas anderes kann nach Auffassung des BGH (a.a.O.) nur dann gelten, „wenn eine rechtliche Verpflichtung zur konkret vorgenommenen Rettungshandlung aufgrund ihrer Gefährlichkeit nicht bestand, oder die Rettungshandlung außerdem von vornherein sinnlos oder mit offensichtlich unverhältnismäßigen Wagnissen verbunden war“.
2. Konkurrenzen bei sukzessiver Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter
Verletzt ein Täter durch aufeinanderfolgende Handlungen 2 Opfer in ihrer körperlichen Integrität, stellt sich die Frage, wie die Straftatbestände zueinander in Konkurrenz stehen. Da wir es mit jedenfalls 2 natürlichen Handlungen gerichtet gegen 2 Opfer zu tun haben, könnte Tatmehrheit gem. § 53 StGB in Betracht kommen. Man könnte die Handlungen aber auch zu einer rechtlichen Handlungseinheit zusammenfassen und damit zu Tateinheit gem. § 52 StGB kommen.
Der BGH (NStZ 2021, 729) hat dazu folgendes ausgeführt:
„Zwar darf nicht außer Acht gelassen werden, dass höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Personen, insbesondere das Leben von Menschen, einer additiven Betrachtungsweise nur ausnahmsweise zugänglich sind. Greift daher der Täter einzelne Menschen nacheinander an, um jeden von ihnen in seiner Individualität zu vernichten, so besteht sowohl bei natürlicher als auch bei rechtsethisch wertender Betrachtungsweise selbst bei einheitlichem Tatentschluss und engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang regelmäßig kein Anlass, diese Vorgänge rechtlich als eine Tat zusammenzufassen…Anderes kann aber dann gelten, wenn eine Aufspaltung in Einzeltaten wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs willkürlich und gekünstelt erschiene…. So liegt es auch hier. Im vorliegenden Fall verletzte der Angekl. seine Ehefrau und seine Tochter gemeinsam durch fortgesetzte, von ihm begonnenen und ohne Unterbrechung verlaufende Verletzungsakte. Die Verletzungshandlung zum Nachteil seiner Tochter resultierte aus deren Versuch, den Angekl. davon abzuhalten, weiter auf ihre Mutter mit einem Messer einzustechen. Dass sie sich schützend vor ihre Mutter stellte, führte dazu, dass der Angekl. seinen Angriff nunmehr zeitgleich und wechselweise gegen beide Nebenklägerinnen fortsetzte. Eine Aufspaltung dieses eng zusammengehörenden Geschehens wäre mit den genannten Grundsätzen nicht vereinbar. Die einzelnen Tatbeiträge gegen die Nebenklägerinnen ergänzen sich gegenseitig; sie sind untrennbar miteinander verbunden und kennzeichnen das der Tat eigentümliche Unrecht.“
II. Strafrecht BT
1. Das „Vorbeischmuggeln“ von Waren an Selbstbedienungskassen
In immer mehr Supermärkten und Warenhäusern gibt es SB-Kassen, bei denen die Kunden die Waren selbst einscannen und anschließend bezahlen. In der Regel steht in diesem Bereich zwar Personal. Dieses greift aber nur ein, wenn es Probleme beim Einscannen oder Bezahlen gibt. Schmuggelt nun eine (vom Detektiv beobachtete und nach dem Kassenbereich gestellte) Täterin Ware durch diesen Bereich, ohne diese zuvor einzuscannen, dann stellt sich die Frage nach der Strafbarkeit. Denkbar sind die §§ 263 I, 263a I und 242 StGB.
263 I StGB scheidet aus, weil das in diesem Bereich tätige Personal anders als Kassiererinnen und Kassierer jedenfalls keine Vermögensverfügung treffen.
263a I StGB scheidet ebenfalls aus, da keine Beeinflussung des Ergebnisses eines Datenverarbeitungsvorgangs (= Äquivalenz zur Vermögensverfügung) vorliegt. Der Datenverarbeitungsvorgang wird vielmehr umgangen.
Damit kommt § 242 I StGB in Betracht. Die Waren sind für die Täterin fremd. Eine Übereignung findet nur unter der rechtlichen Bedingung der vollständigen Bezahlung des Kaufpreises statt. Da diese Bedingung nicht erfüllt ist, hat auch keine Eigentumsübertragung gem. § 929 BGB stattgefunden.
Die Wegnahme setzt den Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams gegen oder ohne den Willen des Gewahrsamsinhabers voraus.
Hierzu hat das LG Kaiserslautern (FD-StrafR 2021, 442181) folgendes ausgeführt:
„Zwar ist davon auszugehen, dass mit dem Aufstellen von Selbstbedienungskassen durchaus ein generelles Einverständnis in einen Gewahrsamsübergang erklärt werden soll, weil - nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Einsparung von Personalkosten - gerade kein Kassenpersonal zur Verfügung steht, das den einzelnen Kauf- bzw. Zahlvorgang abwickeln soll; die in dem Kassenbereich anwesenden Mitarbeiter dienen allein der Unterstützung bei etwaigen technischen Schwierigkeiten. Jedoch ist unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung und hier namentlich der berechtigten Geschäftsinteressen des Verkäufers zu unterstellen, dass dieser sein Einverständnis nur unter der Bedingung erteilt, dass die Selbstbedienungskasse ordnungsgemäß bedient wird. Hierzu gehört unzweifelhaft das korrekte Einscannen und Bezahlen der tatsächlich zur Selbstbedienungskasse mitgebrachten Ware. Da die Angeschuldigte einen Teil der Waren überhaupt nicht eingescannt hatte, sind die Bedingungen für ein Einverständnis in den Gewahrsamswechsel nicht gegeben.“
Hinweis
Sofern auf den Willen des Gewahrsamsinhabers abzustellen ist, kann es nur um faktische Bedingungen wie die ordnungsgemäße Bedienung der Automaten gehen. Dies ist anders als beim Willen des Eigentümers, bei welchem es auch um rechtliche Bedingungen bei der Eigentumsübertragung gehen kann.
Das LG Kaiserslautern (a.a.O.) hat des Weiteren folgendes zur Vollendung der Tat ausgeführt:
„Da die Angeschuldigte zwar die Kassenzone verlassen hatte, jedoch vor Verlassens des Supermarktes von dem Zeugen R. aufgehalten wurde und sich die Gegenstände auch weiterhin im Einkaufswagen befanden, hatte die Angeschuldigte noch keinen neuen Gewahrsam begründet, sodass richtigerweise von einem Versuch auszugehen war.“
Hinweis
Diese Auffassung erstaunt, geht man doch in der Regel davon aus, dass nach Verlassen des Kassenbereichs die Verkehrsauffassung annimmt, die Waren seien bezahlt und übereignet worden und damit demjenigen, der die Waren transportiert auch den Gewahrsam zuweist. Mit entsprechender Begründung können Sie in einer Klausur damit auch Vollendung bejahen. Der Umstand, dass die Täterin beobachtet wurde, ändert an der Zuweisung des Gewahrsams nichts. Diebstahl ist „keine heimliche Tat“.
2. Sonst noch interessant
- BGH (NStZ 2021, 743) zu § 315b I StGB: Die durch einen Außeneingriff herbeigeführte konkrete Gefahr muss „jedenfalls auch auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte (Dynamik des Straßenverkehrs) zurückzuführen sein.“ Schlägt der Täter die Windschutzscheibe eines nur langsam anfahrenden Autos ein, liegt dieser Zusammenhang nicht vor.
- BGH (NStZ 2021, 734) zu den niedrigen Beweggründen bei § 211 StGB: „Die billigend in Kauf genommene Auslöschung des Lebens eines Zufallsopfers wegen der Orientierung an einem gruppeninternen „Ehrenkodex“ ist keine verständliche Reaktion, sondern eine besonders verachtenswerte Form der Geringschätzung des personalen Eigenwerts des Opfers. Dabei lässt die Tat nachgerade eine Gesinnung der Täter erkennen, die Freude an körperlicher Misshandlung zum Inhalt hat … Aus reiner Willkür spielten sie sich zu Herren über Leben und Tod auf. Das damit bestehende eklatante Missverhältnis zwischen Anlass und Tat ist als sittlich besonders verwerflich zu qualifizieren.“