I. Entscheidungen des BVerfG
1. Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Ausschluss von der Teilnahme an einer Gedenkstunde aufgrund der „2G+-Regel“ im Deutschen Bundestag wird verworfen
Der 2. Senat am BVerfG (Beschluss vom 26. Januar 2022 - 2 BvE 1/22) erläutert mir dieser Entscheidung erneut die Anforderungen im Rahmen eines Antrags auf einstweilige Anordnung
Im Organstreitverfahren ist zu berücksichtigen, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung einen Eingriff des Bundesverfassungsgerichts in die Autonomie eines anderen Verfassungsorgans bedeutet. Das Verfahren nach § 32 BVerfGG ist nicht darauf angelegt, möglichst lückenlosen vorläufigen Rechtsschutz vor dem Eintritt auch endgültiger Folgen zu bieten (Rn. 31). Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 32 BVerfGG gehört eine den Anforderungen des § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG entsprechende Begründung. Insbesondere bedarf es einer substantiierten und nachvollziehbaren Darlegung, dass dem Antragsteller für den Fall, dass eine einstweilige Anordnung nicht erlassen wird, ein schwerer Nachteil droht und deren Erlass aus diesem oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Daneben hat der Antragsteller substantiiert darzulegen, dass der Antrag in der Hauptsache weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist und dass bei der in diesem Fall gebotenen Folgenabwägung die besseren Gründe für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung sprechen (Rn. 32). Diesen Anforderungen wurde dieser Antrag nicht gerecht, weswegen das Gericht den Antrag verworfen hat.
2. Das Verbot des Umschlags (Be-, Ent- und Umladen) von Kernbrennstoffen in den Häfen der Freien Hansestadt Bremen ist mit dem Grundgesetz unvereinbar
Der 2. Senat am BVerfG (Beschluss vom 07. Dezember 2021 – 2 BvL 2/15) erachtet den konkreten Normenkontrollantrag nach Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 9. Juli 2015 - 5 K 171/13 – zunächst für zulässig und begründet.
In der Sache stellt er fest, dass § 2 Absatz 3 des Bremischen Hafenbetriebsgesetzes vom 21. November 2000 mit Artikel 71 und Artikel 73 Absatz 1 Nummer 14 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig sei.
Zur Vorlage zum BVerfG oder EuGH führt der Senat aus (Rn. 45): „Sind sowohl die verfassungsrechtliche als auch die unionsrechtliche Rechtslage umstritten, besteht zwischen der Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (Art. 100 Abs. 1 GG) und dem Vorabentscheidungsersuchen (Art. 267 AEUV) an den Gerichtshof der Europäischen Union keine feste Rangfolge. Das Vorlagegericht entscheidet vielmehr nach eigenem Ermessen über das weitere Vorgehen.“
Zur Unvereinbarkeit mit der Kompetenzordnung des GG erklärt der Senat (Rn. 47ff.):
„Das Grundgesetz geht von einer in aller Regel abschließenden Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern aus (48). Doppelzuständigkeiten sind den Kompetenznormen fremd und wären mit ihrer Abgrenzungsfunktion unvereinbar. Mit Hilfe der in den Art. 73 und Art. 74 GG enthaltenen Kataloge grenzt das Grundgesetz die Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern durchweg alternativ voneinander ab. Weist die Materie eines Gesetzes Bezug zu verschiedenen Sachgebieten auf, die teils dem Bund, teils den Ländern zugewiesen sind, besteht die Notwendigkeit, sie dem einen oder anderen Kompetenzbereich zuzuweisen. Nach der Systematik der grundgesetzlichen Kompetenzordnung wird der Kompetenzbereich der Länder daher grundsätzlich durch die Reichweite der Bundeskompetenzen bestimmt, nicht umgekehrt (51f.). Öffnungsklauseln in Bundesgesetzen sind grundsätzlich zulässig (vgl. Art. 71 und Art. 72 Abs. 1 GG), gewähren den Ländern jedoch keine über die Öffnung hinausgehenden Spielräume. Konzeptionelle Entscheidungen des Bundesgesetzgebers dürfen durch die Landesgesetzgeber nicht verfälscht werden (53). Für die Abgrenzung und den Inhalt der Gesetzgebungsbefugnisse von Bund und Ländern ist schließlich allein das Grundgesetz maßgeblich. Ob eine gesetzliche Regelung einem Kompetenztitel in Art. 73, Art. 74 oder Art. 105 GG zugeordnet werden kann, richtet sich nach ihrem (unmittelbaren) Regelungsgegenstand (64f.). Nach diesen Maßstäben fehlt dem Landesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz für § 2 Abs. 3 BremHafenbetrG.
Dem Bund steht die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis für die friedliche Nutzung der Kernenergie (Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG) zu. Die Länder sind nach Art. 70 Abs. 1 GG dagegen befugt, das Recht der öffentlichen Sachen zu regeln. § 2 Abs. 3 BremHafenbetrG betrifft jedenfalls im Schwerpunkt die friedliche Nutzung der Kernenergie. Mangels bundesgesetzlicher Ermächtigung im Atomgesetz ist § 2 Abs. 3 BremHafenbetrG daher mit Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG unvereinbar und nichtig (74ff.).“
II. Entscheidungen des BVerwG
1. Vereinsrechtliches Verbot von Teilorganisationen der PKK bestätigt
Das mit Verfügung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) vom 1. Februar 2019 ausgesprochene Verbot eines Verlages und einer Musikproduktionsfirma als Teilorganisationen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ist rechtmäßig, wie das BVerwG (urteil vom 26. Januar 2022 – 6 A 7.19) bestätigte.
Das BMI erachte zwei Firmen als Teilorganisationen der PKK, verbot diese gemäß Art. 9 Abs. 2 GG und löste sie auf. Es handele es sich um Teilorganisationen der bereits im Jahre 1993 verbotenen PKK. Zur Begründung verwies das BMI darauf, dass die PKK die Klägerinnen zur Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts der Organisation nutze, indem diese PKK-Propagandamaterial verbreiteten und durch dessen Verkauf die PKK finanziell unterstützten. Nach Überzeugung des Gerichts handelt es sich um einen Verlag, dem in der PKK-Struktur die Aufgabe zukommt, Propagandamaterial zu vertreiben sowie eine Musikproduktionsfirma, die ebenso nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse die Voraussetzungen einer Teilorganisation der PKK erfülle. Bedenken aus verfassungsrechtlicher Sicht bestünden gegen das Verbot nicht.
2. Themenbezogene Widmungsbeschränkung verletzt Meinungsfreiheit
Die Beschränkung des Widmungsumfangs einer kommunalen öffentlichen Einrichtung, die deren Nutzung allein aufgrund der Befassung mit einem bestimmten Thema ausschließt, verletzt nach Meinung der BVerwG (Urteil vom 20. Januar 2022 – 8 C 35.20) das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Der kommunalrechtliche Anspruch der Gemeindeangehörigen, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen, besteht nur im Rahmen der von der Gemeinde für die jeweilige öffentliche Einrichtung festgelegten Widmung.
Der Stadtrat München hatte beschlossen, für Veranstaltungen, die sich mit den Inhalten, Themen und Zielen der sogenannten BDS-Kampagne ("Boycott, Divestment and Sanctions") befassen, diese unterstützen, diese verfolgen oder für diese werben, keine städtischen Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Der Begründung zufolge sollen städtische Räume nicht für eine Unterstützung der Kampagne genutzt werden; schon die Befassung mit ihr wird ausgeschlossen um Umgehungen zu verhindern. Dies erachtet das Leipziger Gericht nun für rechtswidrig und unwirksam, weil sie das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) verletzt.
Der Stadtratsbeschluss greife in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit ein, weil er eine nachteilige Rechtsfolge - den Ausschluss von der Benutzung öffentlicher Einrichtungen - an die zu erwartende Kundgabe von Meinungen zur BDS-Kampagne oder zu deren Inhalten, Zielen und Themen knüpft. Die darin liegende Beschränkung der Meinungsfreiheit sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Der Stadtratsbeschluss sei kein Rechtssatz i.S.v. Art. 5 Abs. 2 GG und träfe keine in diesem Sinne allgemeine Regelung. Weder sei er meinungsneutral noch mit dem Schutz von Rechtsgütern zu rechtfertigen, die schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützen sind.
Hinweis
Alle zitierten Entscheidungen können auf den Webseiten der jeweiligen Gerichte unter Eingabe des Aktenzeichens abgerufen werden.