I. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
1. Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung des Landes Berlin im Zusammenhang mit der Wahl des Bundeskanzlers
20 Bundestagsabgeordnete der AfD hatten gegen die „2G“-Regeln in Berliner Hotels Verfassungsbeschwerde und einen Eilantrag eingereicht. Es sei Ihnen ob dieser Regelungen nicht möglich, an wichtigen Entscheidungen im Bundestag, u.a. der Wahl des Kanzlers, teilzunehmen.
Der 2. Senat (Beschluss vom 6. Dezember 2021 - 2 BvR 2164/21) nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an und erklärte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung insoweit für gegenstandslos.
Die Entscheidung konkretisiert die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung, insbesondere im Hinblick auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde und erklärt, der Antrag genüge mit Blick auf § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG weder bezüglich der Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes noch bezüglich der geltend gemachten Verletzung von Grundrechten o.ä. den Begründungsanforderungen.
Der Senat führt dazu folgendes aus:
„Angesichts der fehlenden Erschöpfung des Verwaltungsrechtsweges waren die Beschwerdeführer gehalten, zu den Voraussetzungen von § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG substantiiert vorzutragen. Sie haben aber nicht hinreichend dargelegt, dass die gegen § 19 Abs. 2 Satz 2 3. InfSchMV des Landes Berlin eingelegte Verfassungsbeschwerde von allgemeiner Bedeutung ist (a) oder ihnen ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls sie zunächst auf die fachgerichtliche Kontrolle verwiesen werden würden.“ (Rn. 20)
„Auch der Vortrag der Beschwerdeführer zur Verletzung der geltend gemachten Grundrechte ist nicht hinreichend substantiiert.Sie setzen sich insbesondere unzureichend damit auseinander, inwieweit im Verfahren der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Abgeordnetenstatus aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG geltend gemacht werden kann.“ (Rn. 28f)
2. Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen fachgerichtliche Verurteilung zur Unterlassung der Bezeichnung eines Sängers als Antisemiten
Die Beschwerdeführerin bezeichnete einen bekannten deutschen Sänger im Rahmen eines Fachvortrags zum Thema Reichsbürger unter anderem als Antisemiten. Sie wurde anschließend fachgerichtlich verurteilt, es zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß diese Behauptung aufzustellen oder zu verbreiten. Sie rügte nun mit Erfolg Verletzung ihrer allgemeinen Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Zur Begründung wird dargelegt, Äußerungen müssten immer im Blick auf den Zusammenhang gesehen werden. Dies gelte insbesondere im „öffentlichen Meinungskampf“.
Die 1. Senat (Beschluss vom 11.11.2021 - 1 BvR 11/20) führte aus, die Begründungen des Landgerichts
„verkennen im Ergebnis die Voraussetzungen einer verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Sinnermittlung, die vom Wortlaut der Äußerung ausgeht sowie Kontext und Begleitumstände berücksichtigt. Weiter verkennen sie im Ergebnis die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit im öffentlichen Meinungskampf, die bei öffentlich zur Diskussion gestellten, gesellschaftliches Interesse erregenden Beiträgen auch mit scharfen Äußerungen gebraucht werden.“ (Rn. 18)
„Verfassungsrechtlich relevant fehlerhaft ist weiter die Annahme des Berufungsgerichts, im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Rechtspositionen sei der Vorhalt des Antisemitismus bei einem Sänger, der von der Interaktion mit dem Publikum abhängig sei und im besonderen Maße im Licht der Öffentlichkeit stehe, besonders schwerwiegend. Das Berufungsgericht verkennt im Ergebnis die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit, da die Beschwerdeführerin mit ihrem Beitrag nicht lediglich eine private Auseinandersetzung zur Verfolgung von Eigeninteressen geführt hat, sondern im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage erörtert. Zudem muss, wer im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben hat, eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie das persönliche Ansehen mindert. Der Kläger des Ausgangsverfahrens hat sich mit seinen streitbaren politischen Ansichten freiwillig in den öffentlichen Raum begeben. Er beansprucht für sich entsprechend öffentliche Aufmerksamkeit.“ (Rn. 22f.)
II. Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
1. Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bei Leugnung der Existenz der Bundesrepublik Deutschland
„Ein Beamter, der die Existenz der Bundesrepublik Deutschland dadurch leugnet, dass er in einem Antrag auf Erteilung eines Staatsangehörigkeitsausweises durchgehend "Königreich Bayern" statt "Bundesrepublik Deutschland" angibt, verletzt in schwerwiegender Weise seine Verfassungstreuepflicht, § 60 Abs. 1 Satz 3 BBG. Mit diesem Verhalten stellt ein Beamter die Existenz der Bundesrepublik Deutschland in Abrede und lehnt damit die freiheitlich demokratische Grundordnung ab. Er kann deshalb im Disziplinarwege aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden.“ (Urteil vom 02. Dezember 2021 - 2 A 7.21)
2. Keine Ausbildungsförderung für ein Studium, das erst nach Erreichen des Rentenalters beendet sein wird
„Studierenden, die eine Hochschulzugangsberechtigung auf dem Zweiten Bildungsweg erworben haben, steht nur dann ein Anspruch auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) zu, wenn die von ihnen angestrebte Ausbildung planmäßig vor Erreichen des Regelrentenalters abgeschlossen sein wird. Das Ausbildungsförderungsrecht knüpft die Gewährung von Ausbildungsförderung grundsätzlich daran, dass der Auszubildende nicht älter als 30 Jahre bzw. - für Masterstudiengänge - als 35 Jahre alt ist (§ 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG). Diese Altersgrenze und die mit ihr verbundene Typisierung hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1980 unter anderem mit der Erwägung als verfassungsrechtlich gerechtfertigt angesehen, der Gesetzgeber dürfe davon ausgehen, dass bei einer Ausbildung, die erst nach dem 35. Lebensjahr begonnen wird, das Interesse der Allgemeinheit an der Ausschöpfung von Bildungsreserven im Hinblick auf die zu erwartende, nur noch relativ kurze Berufsdauer gering ist. Dies ist mit dem grundrechtlichen Anspruch eines bedürftigen Auszubildenden auf Teilhabe an der staatlichen Ausbildungsförderung (Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz) vereinbar. Ihm steht auch nicht das unionsrechtliche Verbot einer Altersdiskriminierung entgegen.“ (Urteil vom 02. Dezember 2021 - 2 A 7.21)
III. Entscheidungen des EuGH
1. Zur Ermittlung des örtlich zuständigen Gerichts bei Verbreitung von Inhalten über das Internet
Bei einer Verbreitung angeblich verunglimpfender Äußerungen über das Internet kann Ersatz des dadurch im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entstandenen Schadens vor den Gerichten dieses Mitgliedstaates eingeklagt werden. Voraussetzung ist lediglich, dass der Inhalt im Mitgliedsstaat zugänglich war oder ist. (Urteil vom 21.Dezember 2021 – C 251/20)
2. Zum Recht auf ein "normales Familienleben"
Sofern ein minderjähriges Kind, welches Unionsbürger ist und dessen vom Aufnahmemitgliedstaat ausgestellte Geburtsurkunde zwei Personen gleichen Geschlechts als seine Eltern bezeichnet einen Personalausweis oder Reisepass benötigt, ist der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit das Kind besitzt, verpflichtet, ihm diesen auszustellen, ohne die vorherige Ausstellung einer Geburtsurkunde durch seine nationalen Behörden zu verlangen.
Der EuGH (Urteil vom 14. Dezember 2021 - C 490/20) weist darauf hin, dass es gem. Art. 21 Abs. 1 AEUV jedem Unionsbürger die Freizügigkeit zusteht und die RL 2004/38 die Mitgliedsstaaten verpflichtet, gültige Reisedokumente auszustellen. Es gibt auch das Recht, ein „normales Familienleben zu führen, […] mit den Familienangehörigen zusammen[zu]leben“. Daher müssen Abstammungsverhältnisse anerkannt werden.
Hinweis
Alle zitierten Entscheidungen können auf den Webseiten der jeweiligen Gerichte unter Eingabe des Aktenzeichens abgerufen werden.