A. BGH NJW 2024, 279 ff.
I. Sachverhalt (vereinfacht)
Der auf den Kläger K zugelassene Pkw wurde am 6. Oktober 2020 im Innenhof eines privaten Gebäudekomplexes abgestellt, der von der Hausverwalterin H verwaltet wird. An der Hofeinfahrt war ein Parkverbotsschild mit dem Zusatz „gilt im gesamten Innenhof“ angebracht.
Am 8. Oktober 2020 beauftragte H die Beklagte B das Fahrzeug abzuschleppen, es anschließend zu verwahren und vor Wertminderung sowie unbefugtem Zugriff Dritter zu sichern. B verbrachte das Fahrzeug noch am selben Tag auf ihr Firmengelände.
Am 13. Oktober 2020 forderte K von B schriftlich unter Fristsetzung bis zum 15. Oktober 2020 die Herausgabe des Fahrzeugs. Auf das Schreiben erfolgte keine Reaktion.
Mit seiner Klage hat K von B zunächst die Herausgabe seines Fahrzeugs verlangt. Nach erfolgter Herausgabe während des Prozesses haben die Parteien die Herausgabeklage übereinstimmend für erledigt erklärt. Nicht mehr im Streit steht auch der mit der Widerklage verlangte Ersatz der Abschleppkosten.
Gegenstand des Verfahrens ist nur noch die Widerklage der B insoweit, als diese aus abgetretenem Recht der H Standkosten für den Zeitraum vom 8. Oktober 2020 bis zum 2. September 2021 in Höhe von insgesamt 4.935 € (15 € pro Tag der Verwahrung, übliche Kosten) nebst Zinsen verlangt.
Hat B einen Anspruch auf Ersatz der gesamten Standkosten?
Bearbeitervermerk:
Verjährungsfragen sind nicht zu prüfen.
II. Wesentliche Inhalte des Urteils.
In einer Klausur wäre insbesondere auf die Geschäftsführung ohne Auftrag aus abgetretenem Recht einzugehen. Die Beauftragung des Abschleppunternehmens mit dem Abschleppvorgang stellt ein auch fremdes Geschäft dar und ist, mit Blick auf die Verpflichtung zur Entfernung des Fahrzeugs durch den Halter (u.a. § 862 Abs. 1 S. 1), ein sog. „auch – fremdes“ Geschäft. Dabei wird der Fremdgeschäftsführungswille (h.M.) vermutet. Bei der Prüfung der Willensübereinstimmung muss auf den mutmaßlichen Willen abgestellt werden. Dieser richtet sich im Zweifel nach dem Interesse, demnach nach der objektiven Nützlichkeit der Tätigkeit. Die Befreiung von einer Verpflichtung (siehe oben) ist für den Geschäftsherrn grundsätzlich objektiv nützlich. Daher ist im Zweifel von der Übereinstimmung mit dem mutmaßlichen Willen auszugehen. Dies hat der BGH bereits in BGH NJW 2016, 486 klargestellt. Ohne eindeutige Hinweise gegen einen entsprechenden mutmaßlichen Willen sollte in der Klausur auf diesen systematischen Zusammenhang zwischen dem Interesse und dem mutmaßlichen Willen zurückgegriffen werden. Dem steht auch die damit verbundene Kostenlast bezüglich der Verbringung des Fahrzeugs, Ermittlung des Halters und der Standkosten nicht generell im Wege.
Hinweis
Eine andere Ansicht ist hier nicht unvertretbar. Dann wäre die unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag zu prüfen.
Im Hinblick auf die Standkosten stellt der BGH zunächst deutlich klar, dass Standkosten von § 670 grundsätzlich erfasst sind. Zwar besteht kein unmittelbarer Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung des Abschleppvorgangs, jedoch muss berücksichtigt werden, dass die Suche nach einem kostenlosen Parkplatz für den Geschäftsführer in der Regel unzumutbar sein wird und das Abstellen des Fahrzeugs an ungesicherter Stelle potentielle Haftungsrisiken nach sich zieht. Daher darf der Geschäftsführer den sicheren Weg wählen und das Fahrzeug in Ausübung seines Selbsthilferechts gemäß § 859 Abs. 1 bzw. 3 abschleppen und an geeigneter Stelle sicher verwahren lassen.
Die spannende Frage mit Blick auf die Erforderlichkeit der Aufwendungen nach § 670 betrifft das Zeitmoment. Bis zu welchem Zeitpunkt sind Standkosten ersatzfähig? Hier gilt es zu berücksichtigen, dass die Fortdauer der Geschäftsführung vom Willen des Geschäftsherrn abhängig ist. § 681 Satz 1 stellt klar, dass der Geschäftsherr möglichst schnell über die Geschäftsbesorgung zu informieren ist und dessen Entschließung abzuwarten ist. Aus diesem Grund ist dem Geschäftsführer grds. auch abzuverlangen eine Halteranfrage nach § 39 StVG vorzunehmen. Aus dem Gesagten wird letztlich klar, dass die Erforderlichkeit zumindest ab dem Zeitpunkt entfallen muss, zu dem der Geschäftsherr die Herausgabe verlangt hat. Mit dem Herausgabeverlangen macht der Geschäftsherr deutlich, dass er mit der Fortführung der Geschäftsbesorgung nicht einverstanden ist.
Hinweis
Die hiesige Darstellung folgt dem vom BGH gewählten Aufbau. In der Klausur wäre es vertretbar, bezüglich der Kosten des Abschleppens und der Ermittlung des Halters auf die Geschäftsbesorgung in Gestalt der Veranlassung des Abschleppvorgangs abzustellen und im Hinblick auf die Standkosten eine separate Prüfung vorzunehmen, die die Verwahrung des Fahrzeugs auf dem Gelände des Abschleppunternehmens als (eigenständige) Geschäftsbesorgung zu Grunde legt. Auch wäre zu überlegen, ob nicht eine getrennte Prüfung insoweit erfolgen sollte, dass bezüglich des Zeitraums bis zum 13.10.2020 die berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag geprüft wird und bezüglich des Zeitraums nach dem Herausgabeverlangen von vornherein auf die unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag abgestellt wird, bzw. diese Differenzierung im Rahmen der „Willensübereinstimmung“ vorgenommen wird. Dadurch könnte etwas deutlicher gezeigt werden, dass die Fortführung der Geschäftsbesorgung ab dem Zeitpunkt des Herausgabeverlangens nicht mehr mit dem wirklichen Willen des Geschäftsherrn übereinstimmt. Die im Rahmen der Erforderlichkeit verortete Problematik würde somit teilweise an eine andere Stelle (m.A. nach harmonischer) verlagert werden.
Die Äußerung des Herausgabeverlangens gegenüber dem Abschleppunternehmen wird dem H über § 166 Abs. 1 analog zugerechnet. Damit sind nur 5 Tage erforderlich gewesen, hieraus folgt ein Anspruch auf (nur) 75 €. Eine Kürzung ist nicht veranlasst, da eine Halteranfrage wohl zu keiner Verkürzung des Zeitraums geführt hätte. Auch ist unschädlich, dass der ursprünglich als Freistellungsanspruch bei H entstandene Anspruch sich durch die Abtretung an B in einen Zahlungsanspruch umwandelt.
Sodann ist noch die Frage aufzuwerfen, ob gegebenenfalls über die Grundsätze der unberechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag ein weitergehender Anspruch geltend gemacht werden kann. Da hier ein Rechtsfolgenverweis auf das Bereicherungsrecht erfolgt, müsste eine Bereicherung fortbestehen. Allerdings ist eine solche nicht ersichtlich und auch die Fallgruppe der ersparten Aufwendungen liegt nicht vor. Damit scheidet ein entsprechender Anspruch aus §§ 684 S.1, 812 ff. i.V.m. § 398 ebenfalls aus.
Im Ergebnis führen auch die §§ 823 Abs. 2, 858 I, 398 zu keinem weitergehenden Anspruch. Zwar liegt ein schuldhafter Verstoß gegen ein Verbotsgesetz vor und die Standkosten sind notwendige Folge der Handlung aus § 859 Abs. 1,3, jedoch ist die Fortdauer der Verwahrung zur Beseitigung der Störung nicht unbedingt notwendig! Insoweit erfolgt hier ein Gleichlauf mit den Ausführungen zur Erforderlichkeit im Sinne von § 670.
Im letzten Schritt gilt es in der Klausur § 304 in Verbindung mit § 398 zu erkennen. Wer diesen wichtigen Ansatz in der Klausur erkennt, ist auf einem hervorragenden Weg! Im vorliegenden Fall führt jedoch auch diese Anspruchsgrundlage zu keinem weitergehenden Anspruch. Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs liegen nämlich nicht vor. So hat B weder ein Herausgabeangebot nach § 293 unterbreitet noch ein Angebot unter Ausübung des Zurückbehaltungsrechts aus § 298. Eine anderweitige Bewertung, mit Blick auf den im Prozess gestellten Zahlungsantrag, ist ebenfalls nicht veranlasst. Ein verzugsbegründendes Angebot kann grds. auch konkludent erfolgen. Wird jedoch ein zu hoher Geldbetrag gefordert, ist nur ein unerhebliches Überschreiten des tatsächlich geschuldeten Betrags unschädlich. Ansonsten ist (unter anderem) die Individualisierbarkeit des Anspruchs nicht sichergestellt. Vorliegend wurden jedoch nur 75 € Standkosten geschuldet und nicht 4.935 €, letztere wurden jedoch geltend gemacht, sodass ein nur unerhebliches Überschreiten des tatsächlich geschuldeten Betrags nicht vorliegt.
III. Fazit
Damit lernen wir für die Klausur: Abschleppfälle kommen in sehr verschiedenen Konstellationen vor und sind sowohl zum 1. Staatsexamen als auch zum 2. Staatsexamen sehr beliebt. Daher sollte der Grundaufbau bekannt - und die typischen Probleme sollten geläufig sein. Insbesondere sollte bewusst sein, wo man genau arbeiten muss. Geht es um die Standkosten, so kommt nun eine neue Dimension in die Prüfungsrealität hinein. Der wichtige und ausbildungsrelevante Annahmeverzug kann hier in ganz verschiedenen Konstellationen abgeprüft werden.
In unserem Kurs finden Sie Falltrainings in Videoformat zu Abschleppfällen. Wir wünschen viel Spaß beim Üben.
B. BGH NJW 2023, 2781 f.
I. Sachverhalt
Zwischen dem Kläger K und den Beklagten B bestand seit August 2018 ein Mietverhältnis über von den B als Arztpraxis genutzte Räumlichkeiten.
Mit Schreiben vom 16. März 2022 erklärte K fristgerecht die ordentliche Kündigung zum 30. September 2022.
Nachdem eine Reaktion der B auf die Kündigung ausblieb, ließ K, die eine Anschlussvermietung plante, B mit anwaltlichem Schreiben vom 28. April 2022 auffordern, bis 12. Mai 2022 die fristgerechte Räumung der Mieträume zu bestätigen.
Da B auch hierauf nicht reagierte, forderte K die B mit weiterem Anwaltsschreiben vom 27. Mai 2022 erneut zur Bestätigung der fristgerechten Räumung bis spätestens 10. Juni 2022 auf. Mangels Reaktion der B hierauf hat K im Juli 2022 Klage auf künftige Räumung gegen B erhoben.
Anfang August 2022 führte B Gespräche mit der Nachmieterin und einigte sich mit dieser über die Übernahme von Mobiliar. Dies teilten sie dem K am 11. August 2022 mit und schlugen die letzte Septemberwoche für die Rückgabe der Räumlichkeiten vor.
Nach Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens und Zustellung der Klage nebst Eingangsverfügung am 12. August 2022 hat B die geltend gemachten Ansprüche am 24. August 2022 unter Protest gegen die Kostenlast anerkannt.
Wer muss die Prozesskosten tragen?
II. Wesentliche Inhalte des Urteils
91 Abs. 1 Satz 1 ZPO stellt klar, dass die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Hierzu gibt es jedoch eine sehr wichtige Ausnahme in § 93 ZPO. Hat der Beklagte nicht durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben, so fallen dem Kläger die Prozesskosten zur Last, wenn der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt.
Damit muss die Frage geklärt werden, ob Schweigen als Veranlassung zur Klage betrachtet werden kann.
„Veranlassung zur Klageerhebung im Sinne von § 93 ZPO gibt der Beklagte dann, wenn sein Verhalten vor dem Prozess aus Sicht des Klägers bei vernünftiger Betrachtung hinreichenden Anlass für die Annahme bietet, er werde ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht zu seinem Recht kommen.“
Eine pauschale Antwort verbietet sich, es ist stets eine umfassende Betrachtung des Einzelfalls notwendig. Im Ausgangspunkt muss berücksichtigt werden, dass die Anzeige der Leistungsbereitschaft vor Fälligkeit nicht notwendig ist. Im Zweifel kann der Vertragspartner – ohne Vorliegen besonderer Umstände – davon ausgehen, dass sich die andere Partei redlich verhalten wird. Fraglich ist, ob im Rahmen der gewerblichen Vermietung Ausnahmen von diesem Grundsatz anerkannt werden sollten. So wird teilweise vertreten, dass bei erkennbar berechtigter Kündigung die schutzwürdigen Planungsinteressen des Vermieters zu berücksichtigen sind und eine entsprechende Anzeige der Bereitschaft verlangt werden kann. Der BGH folgte diesem Ansatz nicht und stellt klar, dass eine Erklärungspflicht gerade nicht existiert.
Hier wird insbesondere die Funktion von § 93 ZPO als Korrektiv zu § 257 ZPO hervorgehoben. Dem Vermieter steht es nach der letztgenannten Vorschrift frei, Klage auf künftige Räumung zu erheben. Er kann sich damit ein zum Zeitpunkt der Fälligkeit vollstreckungsfähiges Urteil erstreiten ohne dass bereits die Fälligkeit der Leistung eingetreten ist. Durch diese Möglichkeit wird der Vermieter größtmöglich geschützt. Der Preis für diesen Schutz und die damit einhergehende Verbesserung der Planungssicherheit ist die Gefahr der Tragung der Prozesskosten im Falle eines sofortigen Anerkenntnisses.
Auf Seiten des Mieters gilt es zu berücksichtigen, dass dieser sich gegebenenfalls auch nur deswegen nicht erklären will, weil er die Rechtmäßigkeit der Kündigung prüfen will; dies muss er nicht offenbaren. Auch die Notwendigkeit der Beschaffung von Ersatzräumlichkeiten kann dazu führen, dass sich der Mieter sich nicht erklären kann oder nicht erklären will.
In der Gesamtbetrachtung kann damit im Schweigen des Mieters grundsätzlich kein Anlass zur Klageerhebung gesehen werden.
III. Fazit
Das Urteil des BGH überzeugt. Das bloße Signalisieren der Auszugsbereitschaft ist grds. nicht vollstreckbar. Der unredliche Mieter könnte eine solche Bereitschaft erklären, dann aber entgegen seiner vorher geäußerten Absicht nicht ausziehen. Damit wäre den Planungsinteressen des Vermieters nicht gedient. Vielmehr würde dieser in einer solchen Situation eher davon Abstand nehmen sich einen Titel – durch Tragung der Prozesskosten im Fall des Anerkenntnisses nach § 257 ZPO – zu "erkaufen". Damit kann zusammenfassend festgehalten werden, dass der Vermieter sich seinen Vertragspartner ausgesucht - und ihm die Räumlichkeiten bis zum Ablauf der Kündigungsfrist freiwillig überlassen hat. Die aus der Überlassung resultierende (Planungs-)Unsicherheit, dass der Mieter ggf. nicht auszieht, hat der Vermieter damit selbst angelegt und wird in seinen berechtigten Interessen durch das Gesetz (§ 257 ZPO) ausreichend geschützt. Dass dieses Vorgehen gegebenenfalls einen Preis haben kann, ist unschädlich, da gesetzlich vorgesehen. Freilich steht es dem Vermieter frei, etwaige Erklärungspflichten im Mietvertrag zu vereinbaren und sich auch anderweitig zu überlegen, wie ein bestehender Planungshorizont vertraglich abgesichert werden kann.