A. BGH Urteil vom 6.10.2022 - VII ZR 895/21, NJW 2022, 3791
I. Fragestellung
Im vorliegenden Urteil beschäftigt sich der BGH mit der Frage, zu welchem Zeitpunkt der Zugang einer E-Mail im unternehmerischen Verkehr anzunehmen ist, wenn die Mail auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wurde.
II. Antwort
Der BGH geht von der zweigliedrigen Definition des Zugangsbegriffs aus.
Der Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden setzt voraus, dass sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Umständen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen.
Nach Ansicht des Senats erfolgt der Zugang einer E-Mail im unternehmerischen Verkehr, wenn er innerhalb der Geschäftszeiten eintritt, grds. mit Bereitstellung auf dem Mailserver des Empfängers. Dies führt zwangsläufig zu einer praktischen Entwertung der Widerrufsmöglichkeit gem. § 130 Abs. 1 S. 2 BGB.
Daneben wird in der Literatur, aber auch vom BAG (BAG NJW 2019, 3666 m.w.N.), grundsätzlich gefragt, ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand. Dies ist nach nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen. So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten. Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit lang gehindert war. Ihn trifft die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Unterlässt er dies, wird der Zugang durch solche – allein in seiner Person liegende – Gründe nicht ausgeschlossen.
Überträgt man diese Grundsätze auf den E-Mailverkehr, wäre der Zugang dann anzunehmen, wenn mit der nächsten Einsicht in das Postfach – nach generalisierter Betrachtung - zu rechnen ist.
In der Literatur (Staudinger/Singer/Benedict BGB, 2021, BGB § 130 Rn. 45) wird aus Gründen der Rechtssicherheit dafür plädiert, den zweigliedrigen Zugangsbegriff aufzugeben und den Zugang schon dann anzunehmen, wenn die Willenserklärung in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist. Auch bei diesem Ansatz kommt ein Widerruf praktisch nicht in Betracht.
Das Urteil bringt daher nur vermeintlich Rechtssicherheit und Rechtsklarheit in die schon seit langem umstrittene Thematik.
B. BGH Urteil vom 27.9.2022 – VI ZR 336/21, BGH NJW 2022, 3789
I. Fragestellung
Der BGH beschäftigt sich im vorliegenden Urteil mit der Frage, ob die vorübergehende Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit einer Sache durch unmittelbare Einwirkung auf dieselbe die Beschädigung einer Sache i.S.d. § 7 StVG darstellen kann.
II. Antwort
Der Schadensbegriff des § 7 Abs. 1 StVG ("eine Sache beschädigt") entspricht im Wesentlichen dem des § 823 Abs. 1 BGB ("Eigentum verletzt").
Die Verletzung des Eigentums an einer Sache bzw. die Beschädigung einer Sache kann nicht nur durch eine Beeinträchtigung der Sachsubstanz, sondern auch durch eine sonstige, die Eigentümerbefugnisse treffende tatsächliche Einwirkung auf die Sache selbst, erfolgen, die deren Benutzung objektiv verhindert. Voraussetzung ist stets, dass die Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Verwendung der Sache ihren Grund in einer unmittelbaren Einwirkung auf die Sache selbst hat.
Werden die Eigentümerbefugnisse durch eine tatsächliche Einwirkung auf die Sache derart beeinträchtigt, dass deren Verwendungsfähigkeit vorübergehend praktisch aufgehoben ist, bedarf es für die Annahme einer Eigentumsverletzung bzw. einer Sachbeschädigung grundsätzlich nicht zusätzlich der Überschreitung einer zeitlich definierten Erheblichkeitsschwelle. Die erforderliche Intensität der Nutzungsbeeinträchtigung folgt hier grundsätzlich bereits aus dem Entzug des bestimmungsgemäßen Gebrauchs.
Davon ist etwa dann auszugehen, wenn ein Fahrzeug vorübergehend seine Bewegungsmöglichkeit vollständig verliert, dadurch seiner Funktion - z.B. als Transportmittel - beraubt und dem bestimmungsgemäßen Gebrauch entzogen wird - aber auch im vorliegenden Fall, bei dem Unfallfahrzeuge die Gleise des Verkehrsunternehmens zeitweise blockierten. Hier war der betroffene Gleisabschnitt für den Zeitraum der Räumung, aufgrund eines Auffahrunfalls zweier Pkw, gar nicht nutzbar.
C. BGH Urteil vom 11.10.2022 - VI ZR 35/22, NJW 2023, 47
I. Fragestellung
Kann der Halter eines Porsche Turbo S Cabriolet Nutzungsausfallschaden verlangen, wenn ihm als Zweitfahrzeug ein BMW Kombi zur Verfügung steht?
II. Antwort
Der deliktische Tatbestand war vorliegend unproblematisch erfüllt. Der Geschädigte hatte vorliegend keinen Mietwagen in Anspruch genommen und verlangt Nutzungsausfall wegen der entgangenen Nutzungsmöglichkeit des Porsche. Die Ersatzfähigkeit richtet sich in einem solchen Fall nach § 251 Abs. 1 Alt. 1 BGB, da die Herstellung unmöglich ist.
In diesen Fällen kommt Ersatzfähigkeit des Schadens nur bei Vermögensschäden in Betracht. Dies ergibt sich aus § 253 BGB. Es gilt daher einen strengen Maßstab anzusetzen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beschränkt sich der Nutzungsausfallersatz auf Sachen, deren ständige Verfügbarkeit für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist. Nur in diesen Fällen wird ein Vermögensschaden angenommen.
Hinweis
Die Höhe des Schadensersatzes richtet sich sodann nach objektiven Maßstäben. Hier ist vor allem die Verkehrsauffassung maßgeblich.
Insbesondere ist der Ausfall eines Kfz von dieser Fallgruppe erfasst. Die Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs bringt eine erhebliche Kraft- und Zeitersparnis und zudem begründet sie die Unabhängigkeit vom öffentlichen Nahverkehr. Damit ist die ständige Verfügbarkeit des Fahrzeugs für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung von zentraler Bedeutung.
Ein Ersatz kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn der Geschädigte im Zeitraum des Ausfalls in der Lage ist, das Fahrzeug zu nutzen und auch einen entsprechenden Willen hat. Zusätzlich muss die Entbehrung der Nutzung „fühlbar“ sein. Die „Fühlbarkeit“ wird gerade dann verneint, wenn ein zumutbarer Ersatz besteht.
Der BGH stellt hier recht zügig klar, dass eine fühlbare Beeinträchtigung vorliegend nicht gegeben ist. Diese resultiert auch nicht daraus, dass ein – gegebenenfalls qualitativ schlechteres – Fahrzeug genutzt werden muss. In der Literatur ist dies teilweise auf Kritik gestoßen. So wurde insbesondere vorgetragen, dass im Fall der Wahl eines Mietwagens ein ansatzweise gleichwertiger Wagen gewählt werden kann und der Unterschied der Einbuße (BMW oder Porsche) materiell messbar ist. Unter anderem könne man sich hier an den Preisen für einen Mietwagen orientieren.
Diese Kritik überzeugt nicht. Es ist zwar zutreffend, dass ein Wertunterschied zwischen den Fahrzeugen besteht und auch der Genuss der Fahrt mit verschiedenen Fahrzeugen qualitativ stark voneinander abweichen kann. Wer sich die Herleitung der Anerkennung des Nutzungsausfallschadens jedoch vergegenwärtigt, muss erkennen, dass dieser individuelle Genuss – auch wenn er wirtschaftlich quantifizierbar ist – nicht geschützt wird. Bleibt noch die Frage, ob der BMW tatsächlich als Ersatz zumutbar ist. Berücksichtigt man, dass der Geschädigte selbst das Fahrzeug als zum Fahren taugliche Alternative vorhält, so zeigt er doch selbst, dass dies eine zumutbare Art und Weise der Fortbewegung für ihn darstellt. Die vom Kläger vorgetragene Tatsache, dass der mit dem BMW bestrittene Urlaub jedoch nicht an das Gefühl einer Reise mit dem Porsche heranreichte, trifft sicherlich zu. Es bleibt jedoch dabei, dass nach den Grundsätzen der Rechtsprechung der individuelle Genuss gerade nicht vom Aufwendungsersatzanspruch erfasst ist. Ähnlich wie die entgangene Urlaubszeit oder Freizeit ist auch die nicht ganz so phänomenal erlebte Urlaubszeit nicht ersatzfähig.