Die §§ 315b Abs. 1, 315c Abs. 1und 315 d Abs. 2 StGB setzen als Taterfolg eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert voraus. Diese Gefahr muss auf dem jeweiligen Verstoß also auf der spezifischen Handlung des Täters beruhen (gefahrspezifischer Zusammenhang). Hier kann es wichtig werden, je nach Norm sorgfältig zu differenzieren.
Subjektiv muss der Täter zumindest mit der Möglichkeit einer solchen Gefahr rechnen und diese billigend in Kauf nehmen, wobei die Abgrenzung zum Tötungsvorsatz nicht immer einfach ist, wie wir nachfolgend sehen werden.
Wir wollen uns die jeweiligen Probleme nun anhand von2 „Raser“ Entscheidungen des BGH ansehen.
A. Die konkrete Gefahr und der gefahrspezifische Zusammenhang
Der Entscheidung des BGH (Beschl. v. 26.10.2022 − 4 StR 248/22, abgedruckt in NStZ 2023, 499) lag folgender Sachverhalt zugrunde:
„Nach den Feststellungen befuhr der Angeklagte am 2. Februar 2021 gegen 22.30 Uhr eine auf einer Strecke von 1,7 Kilometern bis zur nächsten Ampel gerade verlaufende Straße in B. mit einem Audi RS 5 Sportback mit 450 PS, der aufgrund einer Sonderausstattung eine Höchstgeschwindigkeit von 286 km/h erreichen konnte. In dem Fahrzeug befanden sich außer ihm noch drei weitere junge Männer, die mit dem Angeklagten befreundet waren. Aus Imponiergehabe ihnen gegenüber beschloss der Angeklagte, seine Fahrkünste unter Beweis zu stellen und die Beschleunigungskraft seines Fahrzeugs maximal auszureizen. Da er die Strecke kannte, wusste er, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf dem ersten Abschnitt 50 km/h und im weiteren Verlauf – dem Bereich, in dem das Fahrzeug später von der Straße abkam – nur noch 30 km/h betrug. Der Angeklagte war sich auch der an diesem Tag herrschenden Witterungsverhältnisse bewusst; es hatte geregnet und die Temperaturen lagen knapp über dem Gefrierpunkt. Er erkannte, dass sich auf der Strecke Spurrillen befanden, in denen sich Wasser angesammelt hatte. Um des erstrebten Zieles willen, die unter den konkreten situativen Gegebenheiten maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen, fand er sich mit der Gefahr eines Kontrollverlustes mit der Folge eines Unfalls mit erheblichen Personen- und Sachschäden jedoch ab. Seinem Tatplan entsprechend gab er Gas und überholte mehrere vor ihm fahrende Kraftfahrzeuge, wobei er wiederholt die Fahrspur wechselte, ohne den Blinker zu betätigen. Einer der überholten Fahrzeugführer nahm wahr, dass die Scheiben in seinem Auto „wackelten“, weil der Angeklagte derart schnell an ihm vorbeifuhr. Eine Fahrerin erschrak und hatte Mühe, ihr Fahrzeug zu stabilisieren; ihre Sicht war durch das aufwirbelnde Regenwasser kurzfristig erheblich beeinträchtigt. Bei der gesamten Fahrt kam es zu einer Gefährdung der Mitinsassen des Angeklagten sowie der anderen im Umfeld des Angeklagten befindlichen Verkehrsteilnehmer und ihrer Fahrzeuge, die deutlich über die abstrakte Möglichkeit eines Schadenseintritts hinausging. Dass der Eintritt eines Schadensfalls mit erheblichem Sach- und/oder Personenschaden nur vom Zufall abhing, drängte sich dabei für jeden besonnenen und gewissenhaften Verkehrsteilnehmer auf. Nachdem der Angeklagte eine Geschwindigkeit von mindestens 150 km/h erreicht hatte, berührte er mit dem Vorderrad seines Fahrzeugs die Bordsteinkante und verlor dadurch die Kontrolle über das Fahrzeug. Der Wagen kam von der Fahrbahn ab und wurde durch die Kollision mit einem Baum und anderen am Fahrbahnrand befindlichen Gegenständen in mehrere Einzelteile zerrissen. Die drei Mitfahrer erlitten dadurch tödliche Verletzungen; der Angeklagte wurde nur leicht verletzt.“
Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen Gefährdung des Straßenverkehrs gem. § 315c Abs. 1 Nr. 2b und d StGB sowie tateinheitlich dazu wegen Teilnahme an einem unerlaubtem Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge gem. § 315d Abs. 1, 2 und 5 StGB.
Der BGH hob die Verurteilung gem. § 315c 1 Nr. 2b und d StGB auf. Dabei definiert er zunächst, was unter einer konkreten Gefahr zu verstehen ist, indem er ausführt:
Eine konkrete Gefahr liegt vor, „wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wurde, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Erforderlich ist die Feststellung eines „Beinahe-Unfalls“, also eines Geschehens, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, es sei „noch einmal gut gegangen.
Für die Annahme einer konkreten Gefahr genügt es daher nicht, dass sich Menschen oder Sachen in enger räumlicher Nähe zum Täterfahrzeug befunden haben. Umgekehrt wird die Annahme einer Gefahr aber auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Schaden ausgeblieben ist, weil sich der Gefährdete – etwa aufgrund überdurchschnittlich guter Reaktion – noch zu retten vermochte“
Nun könnte man in Anbetracht des Umstands, dass die Beifahrer verstorben sind, voreilig geneigt sein, die konkrete Gefahr zu bejahen. Zu beachten ist aber, dass sich diese bei § 315 c 1 Nr. 2b und d StGB aus den Tathandlungen ergeben muss und nicht aus der überhöhten Geschwindigkeit und den Gefahren des „Rennens gegen sich selbst“. Der BGH führt dazu folgendes aus:
„Gemessen hieran fehlt es in Bezug auf die Verkehrsverstöße des Angeklagten im ersten Streckenabschnitt – dem mehrfachen falschen Überholen im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b) StGB und dem zu schnellen Fahren an unübersichtlichen Stellen im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe d) StGB – an Feststellungen, die einen „Beinahe-Unfall“ belegen. Die von den Zeugen geschilderten Wahrnehmungen einer Vibration der Windschutzscheibe oder von aufwirbelndem Spritzwasser und die dadurch bei ihnen ausgelösten Reaktionen eines Erschreckens reichen für die Annahme eines „Beinahe-Unfalls“ nicht aus.“
Kommen wir damit zu § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und 5 StGB.
Der Grundtatbestand des Abs. 1 ist verwirklicht. Der Angeklagte überschritt die zulässige Höchstgeschwindigkeit um das Fünffache, als er mit 150 km/h die Bordsteinkante berührte und infolgedessen die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor. Dies war grob verkehrswidrig und rücksichtslos. Subjektiv handelte er in der Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Diese wird bestimmt anhand der Leistungsfähigkeit des Autos und unter Zugrundlegung der konkreten Umstände, wie Fahrbahnverhältnisse, Sicht, Verkehrsverhältnisse etc.
Abs. 2 ist eine Qualifikation zu Abs. 1 und setzt voraus, dass der Täter eine konkrete Gefahr für Leib und Leben anderer oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert schafft. Hier könnte eine Gefahr für die Insassen durch das „Rennen gegen sich selbst“ geschaffen worden sein, die sich in deren Tod realisierte. Voraussetzung dafür ist, dass die Insassen „andere“ sind. Der BGH bejaht dies, indem er ausführt:
„Dass es sich bei den gefährdeten und getöteten Personen um Mitinsassen des Tatfahrzeugs handelte, steht der Anwendung dieser Qualifikationstatbestände nicht entgegen. Die diesbezügliche Rspr. des Senats zum persönlichen Schutzbereich des § 315 c Abs. 1 StGB … gilt auch für § 315 d Abs. 2 und 5 StGB. Andere Menschen im Sinne dieser Vorschriften sind auch die Insassen des Fahrzeugs, das der Täter führt, jedenfalls wenn es sich – wofür hier keine Anhaltspunkte bestehen – bei ihnen nicht um Tatbeteiligte iSv § 28 Abs. 2 StGB handelt … Der Gesetzgeber hat mit der Verwendung der Begrifflichkeiten des § 315 c Abs. 1 StGB in § 315 d Abs. 2 StGB ausdrücklich auf deren Auslegung durch Rspr. und Literatur zurückgegriffen … Durch die Normierung der in § 315 d Abs. 1 StGB beschriebenen Tathandlungen sollten Strafbarkeitslücken geschlossen werden, die dadurch entstanden waren, dass die Beteiligung an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen bislang nur als Ordnungswidrigkeit ausgestaltet war (vgl. § 29 Abs. 1, § 49 Abs. 2 Nr. 5 StVO aF). Für eine restriktive Auslegung von § 315 d Abs. 2 und 5 StGB im Vergleich zu § 315 c Abs. 1 StGB ist daher unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Norm kein Raum.“
Hinweis
Anders beurteilt der BGH die Situation, wenn die Insassen den Täter anstiften oder Beihilfe leisten. Sie repräsentieren dann nicht mehr die Allgemeinheit und werden aus dem Schutzbereich herausgenommen.
Da auch der entsprechende Gefährdungsvorsatz bejaht werden kann, hat sich der Angeklagte auch gem. § 315d Abs. 2 StGB strafbar gemacht.
Auf § 315d Abs. 2 StGB setzt nun die Erfolgsqualifikation des Abs. 5 auf, die vorliegend verwirklicht ist, da die Insassen verstorben sind. Gem. § 18 StGB reicht diesbezüglich Fahrlässigkeit aus.
B. Der Gefährdungsvorsatz und seine Abgrenzung zum Tötungsvoratz
Einer weiteren „Raser“ Entscheidung des BGH (Urt. v. 16.2.2023 − 4 StR 211/22, abgedruckt in NStZ 2023, 546) lag folgender Sachverhalt zugrunde:
„Nach den Feststellungen verabredete der Angeklagte am Ostermontag des Jahres 2019 mit dem früheren Mitangeklagten Se. ein Kraftfahrzeugrennen durch das Stadtgebiet von M. . Während dem Angeklagten, der nicht über eine Fahrerlaubnis verfügte, der PKW Mercedes AMG E63 S mit 612 PS seiner Familie zur Verfügung stand, nutzte der frühere Mitangeklagte einen PKW Jaguar Range Rover Sport mit einer Motorleistung von 528 PS. Dem Angeklagten und dem früheren Mitangeklagten ging es darum, ihre Kraftfahrzeuge jeweils mit maximaler Kraft zu beschleunigen und das andere Fahrzeug zu überholen. Die beiden Kontrahenten trafen sich gegen 21.50 Uhr auf einem Parkplatz und befuhren zunächst mit angepasster Geschwindigkeit die B. Straße, die über Bahngleise führt und in die Bi. straße einmündet; diese verläuft nahezu geradlinig durch ein Wohngebiet und verfügt über jeweils eine Fahrspur in jede Fahrtrichtung. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit ist auf 50 km/h beschränkt. Von beiden Seiten münden Straßen in die vorfahrtsberechtigte, durch Straßenlaternen beleuchtete Bi. straße ein. Nach Passieren der von der späteren Unfallstelle ca. 226 Meter entfernten Bahngleise lenkte der Angeklagte sein Fahrzeug in Umsetzung der Rennabrede auf die Gegenfahrspur und beschleunigte maximal; auch der frühere Mitangeklagte beschleunigte sein Fahrzeug jedenfalls über einige Zeit mit Vollgas bis zu einer Geschwindigkeit von mindestens 92 km/h. Der Angeklagte erreichte etwa 101 Meter vor der späteren Unfallstelle eine Geschwindigkeit von 157 km/h. Aufgrund der deutlich überlegenen Motorleistung seines Fahrzeuges hatte er bereits einen Vorsprung vor dem schwächer motorisierten PKW seines Kontrahenten erzielt. In diesem Moment nahm er wahr, dass die Geschädigte mit ihrem PKW Citroën Saxo ‒ aus seiner Sicht von links aus einer Seitenstraße (der D. -straße) kommend ‒ unter Missachtung der Vorfahrt in Fahrtrichtung des Angeklagten in die Bi. straße einbog. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, leitete der weiterhin die Gegenfahrspur mit einer Geschwindigkeit von nunmehr 167 km/h befahrende Angeklagte eine Vollbremsung ein. Zugleich versuchte er, dem PKW der Geschädigten auszuweichen. Zu diesem Zweck lenkte er sein Fahrzeug zunächst leicht nach rechts zurück auf die rechte Fahrspur, und anschließend, da die Geschädigte bereits annähernd bis zur Mittellinie in die Bi. straße eingebogen war, wieder nach links in Richtung der Gegenfahrspur. Gleichwohl konnte er eine Kollision nicht vermeiden und fuhr mit einer Geschwindigkeit von noch 105 km/h mit der rechten Vorderseite seines Fahrzeugs auf das Heck des Fahrzeugs der Geschädigten auf. Diese erlitt infolge der Kollision schwerste Verletzungen und verstarb im Krankenhaus.“
Das Landgericht hatte den Tötungsvorsatz beim Angeklagten nicht feststellen können, hatte dann aber mit einer nach Ansicht des BGH widersprüchlichen Argumentation den Gefährdungsvorsatz bei § 315d Abs. 2 StGB bejaht. In der Tat ist die Abgrenzung schwierig, insbesondere wenn man bedenkt, dass jeweils dolus eventualis ausreicht.
Das LG hat dem Angeklagten im Rahmen der §§ 212, 211 StGB noch unterstellt, dass er wohl mit der Möglichkeit einer todbringenden Kollision gerechnet habe, diese aber nicht billigend in Kauf genommen habe. Das fasst der BGH wie folgt zusammen:
„Das LG hat das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes mit der Begründung bejaht, dem Angekl. sei klar gewesen, dass er sein Fahrzeug innerhalb einer geschlossenen Ortschaft im Bereich eines Wohngebiets maximal beschleunigen und die Gegenfahrspur befahren werde; ihm sei weiterhin bewusst gewesen, dass andere Verkehrsteilnehmer jederzeit aus den angrenzenden Straßen einfahren, er mit ihnen kollidieren und eine solche Kollision zu ihrem Tod führen könnte. Das voluntative Element des bedingten Tötungsvorsatzes hat das LG mit der Begründung verneint, der Angekl. habe trotz objektiv hoher Gefährlichkeit der Tathandlung darauf vertraut, dass es nicht zu einem Unfall und zur Tötung anderer Verkehrsteilnehmer kommen werde; aufgrund des Umstands, dass es sich bei der von ihm befahrenen Straße um eine gut ausgebaute Vorfahrtsstraße handelte, das Rennen nach seiner Vorstellung nicht lange dauern und er den Range Rover rasch überholen werde, habe er nicht ausschließbar darauf vertraut, dass andere Verkehrsteilnehmer seine Vorfahrt beachten oder „grundsätzlich, wenn auch eingeschränkt, in der Lage sein würden, sein äußerst riskantes Fahrverhalten und das seines Kontrahenten zu erkennen und sich auf die hieraus ergebende Gefahrenlage einzustellen“; er habe darauf vertraut, dass es „letztlich nicht zu einem Zusammenstoß“ kommen werde.“
Hinweis
In allen „Raser“ Konstellationen ist stets das voluntative Element problematisch, da an dieser Stelle die Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit stattfindet. In Anbetracht der Gefährlichkeit der Handlung ist es zumeist, wie hier auch, hingegen unproblematisch, das Wissenselement zu bejahen, setzt es doch nur voraus, dass der Täter die konkrete Gefahr und den Schadenseintritt für möglich hält.
Die Argumentation des LG, die zur Verneinung des Tötungsvorsatzes geführt hat, ist mach Meinung des BGH nicht zu beanstanden. Verwirrend soll nun aber die Bejahung des Gefährdungsvorsatzes sein. Bei § 315d Abs. 2 StGB muss der Täter die konkrete Gefahr für möglich halten und sich mit dieser abfinden. Bedenkt man, dass eine Gefahr – wie oben ausgeführt – dann konkret ist, wenn es nur noch vom Zufall abhängt, ob sie in einen Schaden umschlägt, dann kann man sich vorstellen, dass die Abgrenzung schwierig ist dazu auch Anm. Steins NStZ 2023, 548. Dem LG scheint sie nach Auffassung des BGH nicht gelungen zu sein:
„Unter den hier gegebenen besonderen Umständen hätte das LG jedoch im Einzelnen darlegen und tragfähig belegen müssen, welche Geschehensabläufe sich der Angekl. vorgestellt hat, die zwar nicht zu einer Kollision mit anderen Verkehrsteilnehmern, aber zu einem Beinaheunfall in dem beschriebenen Sinne führen könnten. Hieran fehlt es.“