Hinweis
Damit Sie in Ihren Prüfungen bestmöglich vorbereitet sind, scannen wir regelmäßig die Entscheidungen von BGH & Co. Dieser Beitrag befasst sich im Strafrecht mit 2 interessanten Entscheidungen zum Thema „Klimaschutz Aktivismus und seine Rechtfertigung“.
I. Der übergesetzliche Rechtfertigungsgrund des zivilen Ungehorsams
Mit einem möglichen übergesetzlichen Rechtfertigungsgrund musste sich das OLG Celle (JuS 2023, 82) auseinandersetzen. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Klimaschutz Aktivist A hat mit Wandfarbe bei 2 Aktionen folgende Worte auf die Fassade des Zentralgebäudes der Leuphana Universität in Lüneburg gesprüht: „Leuphana divest: Kohle aus Nord/LB“. Damit wollte er darauf hinweisen, dass die Universität, die mit Nachhaltigkeit werbe, zugleich mit bei Banken angelegten Geldern in nicht nachhaltige Gas- und Kohleunternehmen investiere. Mit seiner Aktion wollte er auf den Klimawandel hinweisen und die Universität zum Handeln bewegen. Es entstand insgesamt ein Schaden in Höhe von mehr als 12.000 €.
A wurde erstinstanzlich verurteilt wegen Sachbeschädigung gem. § 303 II StGB, wobei die Geldstrafe lediglich unter Vorbehalt erfolgte und ansonsten eine Verwarnung ausgesprochen wurde.
Das OLG Celle befasste sich zunächst mit einer Rechtfertigung der Sachbeschädigung aus § 34 StGB. Es erkennt eine gegenwärtige Gefahr aufgrund der Erderwärmung für jegliches Leben als Notstandslage an, verneint aber die Geeignetheit der Handlung:
„Eine Rechtfertigung aufgrund Notstands gemäß § 34 StGB scheidet aufgrund einer fehlenden Geeignetheit des Handelns des Angeklagten für die von ihm bezweckte Abwehr der Gefahr eines möglicherweise unumkehrbaren Klimawandels aus. Denn die Beschädigung der Fassade der … Universität ist nicht in der Lage, dem Klimawandel entgegen zu wirken. Soweit die Revision hierzu sinngemäß der Auffassung ist, eine derartige einzelne Handlung könne zwar allein die Abwehr der Gefahr nicht herbeiführen, wohl aber eine Vielzahl einzelner Bemühungen, so dass die Geeignetheit dieser Vielzahl der Bemühungen auch für jede einzelne Handlung angenommen werden müsse, geht dies fehl. Denn es ist offenkundig, dass auch eine Vielzahl von Beschädigungen der Fassade von Universitätsgebäuden ebenso wenig wie eine einzelne Beschädigung durch den Angeklagten Auswirkungen auf den Klimawandel haben können. Es handelt sich stattdessen bei dem Verhalten des Angeklagten jeweils um rein politisch motivierte Symboltaten.“
Alsdann setzt sich das Gericht mit einer möglichen Rechtfertigung wegen „zivilen Ungehorsams“ auseinander und lehnt einen solchen Rechtfertigungsgrund im Ergebnis ab:
„Unter zivilem Ungehorsam wird gemeinhin ein Verhalten verstanden, mit dem ein Bürger durch demonstrativen, zeichenhaften Protest bis hin zu aufsehenerregenden Regelverletzungen einer als verhängnisvoll oder ethisch illegitim angesehenen Entscheidung entgegentritt bzw. in einer Angelegenheit von wesentlicher allgemeiner Bedeutung, insbesondere zur Abwendung schwerer Gefahren für das Allgemeinwesen in dramatischer Weise auf den öffentlichen Meinungsbildungsprozess einwirken möchte (vgl. BVerfGE 73, 206, Rn 91).
Eine Rechtfertigung tatbestandlichen Verhaltens vor dem Hintergrund eines zivilen Ungehorsams ist jedoch ausgeschlossen.
Niemand ist berechtigt, in die Rechte anderer einzugreifen, um auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen und eigenen Auffassungen Geltung zu verschaffen (vgl. BGHSt 23, 46, Rn 16; LK-Rönnau, Vor § 32 Rn 142; S/S-Lenckner/Perron, § 34 Rn 41a; jeweils m.w.N.). Dies ergibt sich bereits aus Art. 20 Abs.4 GG. Denn durch die Beschränkung des Rechts zum Widerstand auf eine Situation, in der die grundgesetzliche Ordnung der Bundesrepublik im Ganzen bedroht ist, besteht im Umkehrschluss eine Friedenspflicht zu allen anderen Zeiten. Wer auf den politischen Meinungsbildungsprozess einwirken möchte, kann dies daher in Wahrnehmung seiner Grundrechte aus Art.5 GG (Meinungsfreiheit), Art.8 GG (Versammlungsfreiheit), Art.17 GG (Petitionsrecht) und Art.21 Abs.1 GG (Freiheit der Bildung politischer Parteien), nicht aber durch die Begehung von Straftaten tun.
Würde die Rechtsordnung insoweit einen Rechtfertigungsgrund akzeptieren, der allein auf der Überzeugung des Handelnden von der Überlegenheit seiner eigenen Ansicht beruht, so liefe dies auf eine grundsätzliche Legalisierung von Straftaten zur Erreichung politischer Ziele hinaus, wodurch eine Selbstaufgabe von Demokratie und Rechtsfrieden durch die Rechtsordnung selbst verbunden wäre und die mit den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Rechtsordnung schlechthin unverträglich ist (BGHSt a.a.O; LK-Rönnau a.a.O.).“
II. Die Rechtswidrigkeit einer Nötigung gem. § 240 II StGB
Die Blockade Aktionen der „Letzten Generation“ haben große mediale Aufmerksamkeit erregt. Nachdem einige Gerichte die Aktivisten gem. § 240 I StGB verurteilt hatten, hat das AG Berlin Tiergarten (BeckRS 2022, 31817) am 05.10.2022 die Rechtswidrigkeit gem. § 240 Abs. 2 verneint und die Täter freigesprochen. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
A hat am 23.6.2022 gemeinsam mit 66 anderen Aktivisten die Kreuzung Frankfurter Tor/F. Allee im Rahmen einer politischen Demonstration „Öl sparen statt Bohren“ blockiert und dadurch über einen Zeitraum von ca. 3,5 Stunden erhebliche Verkehrsbeeinträchtigungen erzeugt. Zur Erschwerung der polizeilichen Räumungsmaßnahmen hat er sich mit der rechten Hand mit Sekundenkleber auf der Fahrbahn festgeklebt, so dass zunächst ca. 10 Minuten lang der Klebstoff gelöst werden musste, bis es möglich war, ihn fortzutragen.
Eine Strafbarkeit gem. § 113 I StGB hat das AG abgelehnt, da A weder durch Gewalt noch durch Drohung Widerstand geleistet habe. Das AG hat folgendes zum Gewaltbegriff ausgeführt:
„Rein passiver Widerstand und ziviler Ungehorsam, wie auch Gewalt gegen sich selbst sind zudem grundsätzlich nicht geeignet, Gewalt i.S.v. § 113 Abs. 1 StGB, nämlich gerichtet gegen die Vollstreckungsbeamten darzustellen. Ausweislich der dienstlichen Äußerung des „ablösenden“ Beamten, hat bis zum Tage der Äußerung (23.8.2022) noch keine aus dem Kreise der Demonstranten stammende Person das Lösen bzw. das Aufbringen des Lösungsmittels erschwerende aktive Handlungen unternommen. Der Äußerung ist auch zu entnehmen, dass körperliche Tätigkeiten der Beamten lediglich in dem „Heben“ der betreffenden festgeklebten Hände bestehen, um das Lösungsmittel auch unter die Hand zu bringen - ein Vorgang, welcher aus Sicht der Beamten keine Erheblichkeitsschwelle körperlicher Betätigung erreicht. Irgendeine Form psychisch vermittelter Gewalt oder solcher, die zumindest mittelbar eine körperliche Zwangswirkung auf die Beamten ausübt, wie etwa beim Überwinden sich versteifender oder sich der Festnahme durch starres Einrammen der Beine in den Boden widersetzender Täter liegen nicht vor. Das bloße Bestreichen der Finger und der übrigen Hand mit einem mit Lösungsmittel getränkten Pinsel oder Lappen seitens der Polizeibeamten vermittelt durch die Angeschuldigte unter den Gewaltbegriff des § 113 Abs. 1 StGB zu subsumieren, überschritte das Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG.“
Es hat sich alsdann mit § 240 I StGB befasst und in Anlehnung an die „2. Reihe Rechtsprechung“ des BGH Gewalt durch das Blockieren der Fahrbahn bejaht. Danach wird zwar durch das Setzen auf die Straße noch nicht die erste Reihe der herannahenden Autofahrer genötigt, da diese das Hindernis noch überwinden können aber nicht wollen, mithin also nur psychisch gezwungen werden. Die nachfolgenden Autofahrer jedoch sind zum einen durch die 1. Reihe als auch durch die hinter ihnen stehenden Fahrzeuge blockiert. Diese bilden ein physisches Hindernis, so dass Gewalt bejaht werden kann.
In einer Klausur sollten Sie die Nötigung in mittelbarer Täterschaft prüfen. Die Autofahrer der ersten Reihe sind gem. § 34 gerechtfertigt und werden insoweit als Werkzeuge eingesetzt, um die weiteren Fahrzeugführer zum Anhalten zu bewegen.
Da § 240 I StGB ein offener Tatbestand ist, ist die Rechtswidrigkeit nicht durch die Verwirklichung des Tatbestands indiziert, sondern muss gem. Abs. 2 positiv festgestellt werden. Die Rechtswidrigkeit ist zu bejahen, wenn entweder das Mittel, oder der Zweck oder die Zweck-Mittel-Relation als verwerflich anzusehen sind. Bei Demonstrationen ist allerdings nach der Rechtsprechung des BVerfG in besonderer Weise Art. 8 GG zu berücksichtigen. Das führt das AG folgendes aus:
„Deshalb sind im Lichte von Art. 8 GG zum Schutz vor übermäßigen Sanktionen seitens des Bundesverfassungsgerichts besondere Anforderungen an die Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel gem. § 240 Abs. 2 StGB aufgestellt worden.
Bei dieser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Zweck-Mittel-Relation sind insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente sind hierbei die Dauer und die Intensität der Aktion (a), deren vorherige Bekanntgabe (b), Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten (c), die Dringlichkeit des blockierten Transports (d), aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand (e). Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Strafgericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist (f). Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben (vgl. BVerfGE 104, 92, 112).“
Entsprechend den so definierten Anforderungen verneint das AG nachfolgend die Verwerflichkeit mit folgenden Argumenten:
- Die von der Blockade betroffenen Zeugen der sog. zweiten Reihe sind - anders als der Strafbefehlsentwurf glauben machen will - nicht während des gesamten polizeilichen Einsatzes von der ersten polizeilichen Anforderung bis zur vollständigen polizeilichen Freigabe der Straße beeinträchtigt worden …, sondern längstens für ca. zwei Stunden, ….
- „Blockadeaktionen“ wurden durch die politische Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ medial angekündigt, zwar nicht konkret dahin, wann oder wo genau entsprechende Demonstrationen stattfinden (das wäre allerdings auch nicht zu erwarten, da dann jede mediale Aufmerksamkeit dank gezielter polizeilicher Vorfeldmaßnahmen abhanden käme), allerdings dahin, dass im Stadtgebiet oder auf Autobahnen bzw. an Autobahnabfahrten ab einem bestimmten Zeitpunkt entsprechende Aktionen geplant sind
- Verkehrsleitende Maßnahmen (Ableitungen und Vorsperren) wurden seitens der Polizei bereits ab 9:04 Uhr vorgenommen, so dass die anfänglich zwischen 850 m und 1,8 km vorgefundenen Rückstauungen alsbald erheblich reduziert werden konnten.
- Eine Behinderung notwendigen Verkehrs, namentlich des Verkehrs von Rettungsfahrzeugen war durch die hier maßgebliche Blockade allerdings nicht gegeben
Ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Versammlungsort sowie den Betroffenen der Demonstration mit dem Ziel der Demonstration besteht in gleich zweierlei Hinsicht. Ziel der Demonstration war es, die Aufmerksamkeit auf das dringliche Handeln im Rahmen des Klimawandels zu richten und dahingehend konkret dahin, dass jede Form verschwenderischen Umgangs mit fossilen Brennstoffen zu verringern sei, anstatt weiterhin neue Ölquellen zu explorieren und etwa in der Nordsee oder durch Fracking weitere fossile Brennstoffe zu fördern („Öl sparen statt Bohren“, so die Transparentaufdrucke, zu den Zielen der Demonstrationen und der dahinter stehenden Initiative im Übrigen: https://letztegeneration.de). Diese Thematik betrifft alle Menschen, da es um das Weltklima geht, also auch die durch die Blockade betroffenen Fahrzeugführer, für welche - so gesehen - die Demonstranten mit demonstrieren. Sie betrifft indes gerade auch die durch die Blockade betroffenen Fahrzeugführer insoweit, als diese als Nutzer von PKW maßgeblich an dem Verbrauch von Öl beteiligt und damit Teil der Klimaproblematik sind und nicht - wie von den Demonstranten gefordert - zur Beschleunigung des Erreichens der Klimaziele auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen. Ein konkreter Zusammenhang der Demonstration mit den von der Demonstration Betroffenen liegt mithin positiv wie negativ vor.