A. BVerfG, Urteil v. 18.09. 2024, - Az. 2 BvE 1/20 und /21 -
Wahl/Abwahl von Ausschussvorsitzenden im Bundestag
I. Sachverhalte
Eine Bundestagsfraktion rügt die Abwahl des ihrer Fraktion angehörenden Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages in der 19. Wahlperiode sowie die sich anschließende Wahl zur Neubesetzung des Vorsitzes, aber auch des Gesundheitsausschusses und des Entwicklungsausschusses in der 20. Wahlperiode, bei denen die von ihr vorgeschlagenen Kandidaten jeweils keine Mehrheit erreichten. Die Antragstellerin sieht sich dadurch in ihren Rechten auf Gleichbehandlung als Fraktion verletzt.
II. Entscheidungen
Der Senat sieht keine Verletzung des Rechts der Antragstellerin auf Gleichbehandlung als Fraktion aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Grundsatz der fairen und loyalen Auslegung und Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages gegeben. Zwar kann sich die Antragstellerin auf das Recht auf Gleichbehandlung bei der Besetzung der Ausschussvorsitze stützen. Die Durchführung von Wahlen zur Bestimmung der Ausschussvorsitze und die Abwahl vom Vorsitz des Rechtsausschusses bewegen sich jedoch im Rahmen der dem Bundestag selbst zustehenden Geschäftsordnungsautonomie (Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG). Vorliegend sind nicht spezifische Statusrechte der Abgeordneten oder Fraktionen, sondern allein Teilhaberechte betroffen, die sich erst durch die in der Geschäftsordnung eingeräumten Rechtspositionen ergeben. Nur in der Geschäftsordnung gewährleistete Rechte können für sich genommen im Organstreit nicht geltend gemacht werden.
Grundsätzlich muss jeder vom Bundestag eingesetzte Ausschuss ein verkleinertes Abbild des Plenums sein und in seiner Zusammensetzung dessen Zusammensetzung widerspiegeln, d.h. möglichst getreu die Stärke der im Plenum vertretenen Fraktionen abbilden. Dieser Grundsatz der Spiegelbildlichkeit gilt jedoch nicht für Gremien, die lediglich organisatorischer Art sind und daher nicht dem Einfluss des Prinzips gleichberechtigter Teilnahme an den dem Bundestag nach dem GG übertragenen Aufgaben unterliegen. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG begründet somit - für sich genommen - keinen Anspruch auf Zugang zu Leitungsämtern, bei denen es nicht zur inhaltlichen Vorformung der parlamentarischen politischen Willensbildung komm, dies erfolgt im Rahmen der dem Bundestag zustehenden Geschäftsordnungsautonomie. Auch hier bleibt der Deutsche Bundestag dem Grundsatz der Gleichheit verpflichtet. Seinen Ausdruck findet dieser verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsanspruch unter anderem im Recht der Abgeordneten und ihrer Zusammenschlüsse auf eine faire und loyale Auslegung und Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Bei der Gestaltung dieser Geschäftsordnung hat der Bundestag einen weiten Spielraum. Hierbei sind nicht nur Erlass, sondern auch Auslegung und Anwendung der Geschäftsordnung. Daher findet eine verfassungsgerichtliche Überprüfung lediglich dahingehend statt, ob die einschlägigen Bestimmungen der Geschäftsordnung oder ihre Auslegung und Anwendung jedenfalls nicht evident sachwidrig und damit willkürlich sind. Daher ist der alleinige verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab das Willkürverbot.
Dieses zugrunde gelegt scheidet eine Verletzung des Rechts der Antragstellerin auf Gleichbehandlung als Fraktion aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Grundsatz der fairen und loyalen Auslegung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages aus: „Die Durchführung von Wahlen zum Ausschussvorsitz im Innen-, Gesundheits- und Entwicklungsausschuss (2 BvE 10/21), deren Vorsitze der Antragstellerin nach § 12 GO-BT grundsätzlich zustehen, verletzen das Recht der Antragstellerin auf Gleichbehandlung nicht. Die Auslegung und Anwendung der Regelungen der §§ 12, 58 GO-BT in dem Sinne, dass Ausschussvorsitzende im Wege einer Mehrheitswahl durch die jeweiligen Ausschüsse bestimmt werden, wahren den Grundsatz einer fairen und loyalen Auslegung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages; sie sind nicht evident sachwidrig.“
Der Senat betont dann das freie Mandat der Abgeordneten: „Eine nach Maßgabe der Geschäftsordnung zulässige Wahl zur Besetzung eines parlamentarischen Leitungsamtes kann nur eine freie Wahl sein. Der mit einer Wahl einhergehende legitimatorische Mehrwert könnte nicht erreicht werden, wenn es eine Pflicht zur Wahl eines bestimmten Kandidaten oder einer bestimmten Kandidatin gäbe. Mit einer freien Wahl wäre es unvereinbar, wenn eine Fraktion das Recht auf ein bestimmtes Wahlergebnis hätte. Die Mitwirkung einer Fraktion bei der Besetzung der Ausschussvorsitze im Deutschen Bundestag kann daher nach Maßgabe der Geschäftsordnung unter den Vorbehalt einer freien Wahl im Ausschuss gestellt werden. Sie ist dann darauf beschränkt, dass eine Fraktion einen Kandidaten für die Wahl vorschlagen kann und dass die freie Wahl ordnungsgemäß durchgeführt wird.“
Auch die vorherige Abwahl war nicht willkürlich. Es ist nicht erkennbar, dass ihr Erwägungen zugrunde gelegen hätten, die keinen sachlichen Zusammenhang zum Amt des Vorsitzes beziehungsweise zu der Befähigung des Vorsitzenden, sein Amt in angemessener Weise auszuüben, erkennen lassen.
B. BVerwG, Urteil v. 24.04.2024, - Az. 8 CN 1.23 -
Keine Verpflichtung einer Kommune zum Weiterbetrieb einer öffentlichen Einrichtung
I. Sachverhalt
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Satzungsänderung bzgl. der Auflösung eines von der Antragsgegnerin betriebenen Großmarkts. § 1 der Satzung für den Großmarkt der Landeshauptstadt Düsseldorf formuliert u.a.: "Die Landeshauptstadt Düsseldorf betreibt den Großmarkt als öffentliche Einrichtung". Die Antragstellerin betreibt auf dieser Grundlage seit mehr als 30 Jahren einen Obst- und Gemüsegroßhandel auf dem Großmarkt, jedoch beschloss der Rat der Antragsgegnerin, die öffentliche Einrichtung Großmarkt aufzulösen. Hierzu verabschiedete er die "Änderungssatzung: Aufhebung des § 1 der Satzung mit der § 1 der Großmarktsatzung um den folgenden Satz 2 ergänzt wurde: "Satz 1 wird mit Wirkung zum 21.12.2024 aufgehoben." Das OVG NRW hat den gegen die Änderungssatzung gerichteten Normenkontrollantrag der Antragstellerin abgelehnt.
II. Entscheidung
Die Revision in der Normenkontrollsache wurde dem BVerwG vorgelegt. Dieses führt aus: „Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Damit wird den Gemeinden ein grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassender Aufgabenbereich sowie die Befugnis zur eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte in diesem Bereich gesichert. Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sind solche Aufgaben, die das Zusammenleben und -wohnen der Menschen vor Ort betreffen oder einen spezifischen Bezug darauf haben“.
Der Kerngehalt dieser kommunalen Selbstverwaltungsgarantie lässt sich wie folgt definieren: „Zum Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung gehört danach kein gegenständlich bestimmter oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbarer Aufgabenkatalog, wohl aber die Befugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern öffentlicher Verwaltung übertragen sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen“.
Aus der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ergibt sich für die Gemeinden aber keine Pflicht, bestimmte Aufgaben der freiwilligen Selbstverwaltung zu übernehmen oder fortzuführen. Dagegen spricht - so das BVerwG - bereits der Wortlaut der Vorschrift, die den Gemeinden ausdrücklich ein Recht gewährleistet, nicht aber Pflichten auferlegt. Auch die historische und systematische (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b GG und etwa Art. 1 Abs. 1 Satz 2, Art. 25 Satz 2, Art. 33 Abs. 1 GG) Auslegung spricht hierfür. Auch Sinn und Zweck des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sprechen gegen die Annahme einer aus der Regelung folgenden kommunalen "Aufgabenerfüllungspflicht": „Das durch die Norm verbürgte "Aufgabenfindungsrecht" im örtlichen Wirkungskreis würde durch eine zugleich aus der Vorschrift folgenden Pflicht zur Aufgabenerfüllung schrittweise ausgehöhlt. Wegen ihrer begrenzten finanziellen Mittel wären Kommunen schnell außerstande, sich neuer freiwilliger Aufgaben anzunehmen, da die Aufgabenerfüllung nur selten kostenneutral möglich sein wird.“
Vorinstanzen: Urteil des OVG NRW v. 14.06.2023, - 4 A 2078/22 - 1. Instanz: VG Düsseldorf - 3 K 7947/21 -
C. BVerwG, Urteil v. 27.06.2024, - Az. 2 C 17.23 -
Anderweitige Verwendung bei Verweigerung der amtsärztlichen Untersuchung
I. Sachverhalt
Einer Lehrkraft wurde nach Konflikten an ihrer Schule die die Fortführung der Dienstgeschäfte wegen pädagogisch unangemessenen Verhaltens und der Missachtung dienstlicher Weisungen untersagt. Zudem wurde eine amtsärztliche Untersuchung angeordnet. Die zu diesem Zweck benannten Untersuchungstermine nahm die Klägerin mehrfach nicht wahr, daraufhin wurde sie wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben.
II. Entscheidung
Die Revision blieb ohne Erfolg. Der Beklagte durfte aus der Weigerung der Klägerin, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, auf ihre Dienstunfähigkeit schließen, da die Untersuchungsanordnung rechtmäßig und die Weigerung der Klägerin daher unberechtigt war. Denn gem. § 26 BeamtStG sind Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) sind. Beim Begriff handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, welcher der uneingeschränkten Nachprüfung der Verwaltungsgerichte unterliegt. Aber: „Um die Dienst(un)fähigkeit beurteilen zu können, müssen die gesundheitlichen Leistungseinschränkungen festgestellt und deren prognostische Entwicklung bewertet werden. Dies setzt in der Regel medizinische Sachkunde voraus, über die nur ein Arzt verfügt.“
Die Folgen der Verweigerung einer angeordneten ärztlichen Untersuchung sind teils in Landesbeamtengesetzen geregelt (vgl. z. B. § 39 Abs. 1 Satz 5 LBG BE, § 53 Abs. 1 Satz 2 LBG BW, § 36 Abs. 1 Satz 2 HBG oder Art. 65 Abs. 2 Satz 2 BayBG, s. im Übrigen auch § 11 Abs. 8 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung), im vorliegenden Fall gibt es eine solche gesetzliche Grundlage nicht. Der Senat führt aus, dass auch ohne gesetzliche Anordnung der Dienstherr berechtigt ist, aus der unberechtigten Weigerung zur Mitwirkung an einer ärztlichen Untersuchung auf eine Dienstunfähigkeit zu folgern: „Kann aufgrund der Weigerung eines Beamten, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, auf dessen Dienstunfähigkeit geschlossen werden, ist in Ermangelung medizinischer Feststellungen von einem nicht vorhandenen Restleistungsvermögen und damit von einer generellen Dienstunfähigkeit auszugehen, die die Pflicht des Dienstherrn zur Suche nach einer anderweitigen Verwendbarkeit des Beamten entfallen lässt.“