A. BVerwG, Urteil v. 25.07. 2024, - Az. 3 CN 3.22 –
Verbot der Öffnung größerer Einzelhandelsgeschäfte in Sachsen war rechtmäßig
I. Sachverhalt
Gemäß § 7 Abs. 2 SächsCoronaSchVO war die Öffnung von Ladengeschäften vom 20.04. bis 03.5. 2020 grundsätzlich untersagt. Ausgenommen waren Ladengeschäfte des Einzelhandels jeder Art bis zu einer Verkaufsfläche von 800 qm. Für Einkaufszentren und großflächigen Einzelhandel sah § 7 Abs. 1 Sächs-CoronaSchVO gesonderte Regelungen vor. Die Antragstellerin betreibt einen Elektronikfachmarkt mit einer Verkaufsfläche von 1425 qm.
Der Normenkontrollantrag, mit dem Feststellung begehrt wurde, dass § 7 SächsCoronaSchVO unwirksam war, blieb vor dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht ohne Erfolg.
II. Entscheidung
Auch die Revision hatte keinen Erfolg. Die angegriffenen Maßnahmen konnten nach Ansicht des Senats auf § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes in der Fassung vom 27. März 2020 (IfSG) gestützt werden. Ausgehend von der – insoweit für BVerwG bindenden - Auslegung der Landesverordnung durch das Oberverwaltungsgericht genügten die in § 7 Abs. 1 und 2 SächsCoronaSchVO getroffenen Regelungen dem Bestimmtheitserfordernis (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Öffnungsverbote waren verhältnismäßig und damit notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne von § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG.
Die Differenzierung zwischen Geschäften mit unterschiedlicher Größe war mit dem Gleichheitssatz vereinbar. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass großflächige Geschäfte aufgrund ihres umfangreicheren Warenangebots regelmäßig eine größere Attraktivität und Anziehungswirkung für Kunden hätten als kleinere Geschäfteverbunden mit einer Erhöhung des Infektionsrisikos. Die Bewertung des OVG Bautzen, dies sei ein tragfähiger Grund, der die Ungleichbehandlung der großflächigen Geschäfte rechtfertige, ist nicht zu beanstanden. Die Verkaufsfläche war insoweit ein geeigneter Maßstab; die gewählte Grenze von 800 qm nicht zu beanstanden.
B. OVG NRW, Beschl. v. 16.07.2024, - Az. 13 B 1281/23 – bzw. VGH Bayern, Beschl. v. 15.01.2024, - Az. 20 CS 23.1910, 20 CE 23.1935 -
Unterschiedliche Auffassungen zum Nachweis eine Masern-Schutzimpfung
I. Sachverhalte
In NRW hatte das zuständige Gesundheitsamt die Eltern eines schulpflichtigen Kindes aufgefordert, entweder den Nachweis über die Masernimpfung oder die Impfunfähigkeit ihrer Tochter gegen Masern vorzulegen. Anderenfalls hatte es ein Zwangsgeld in Höhe von 500 Euro angedroht. Das Gesundheitsamt stützte den Bescheid auf § 20 Abs. 12 Satz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG), wonach es einen Nachweis über die Masernimpfung „anfordern“ kann.
Die Eltern hatten geltend gemacht, diese Norm ermächtige von vornherein nicht zum Erlass von Verwaltungsakten, die mit Zwangsgeld vollstreckt werden könnten. Auch laufe dies auf eine faktische Impfpflicht hinaus, die verfassungswidrig sei.
Der VGH Bayern hatte in einem ähnlichen Fall im Januar 2024 entschieden, dass die Vorlage eines Impfnachweises nicht mit Zwangsgeld durchgesetzt werden dürfe.
II. Entscheidungen
Das OVG NRW erklärte mit Verweis auf § 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG, dass „Widerspruch und Anfechtungsklage“ gegen die Anordnung möglich sind. Das ist nur bei Verwaltungsakten der Fall, somit liegt ein solcher vor und kann auch zwangsweise durchgesetzt werden. Zur Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes ging das OVG in Münster auch auf das Urteil des BVerfG zu Masernimpfungen in Kitas ein (Beschl. v. 21.07.2022 – Az. 1 BvR 469/20 u.a.). Dort begründete das BVerfG die Verfassungskonformität der Nachweispflicht auch damit, dass die Impfung letztlich freiwillig sei, weil es keine Kitapflicht gebe (die Entscheidung wurde von uns im August 2022 besprochen). Da in diesem Falle aber eine Schulpflicht bestehe, laufe es – so die Eltern - auf eine verfassungswidrige faktische Impfpflicht für Schulkinder hinaus.
Dem schloss sich das OVG nicht an: Die Entscheidungsfreiheit wegen fehlender Kita-Pflicht sei im Beschluss des BVerfG nicht das tragende, sondern lediglich ein ergänzendes Argument gewesen. Auch bei nicht schulpflichtigen Kindern sie die Freiheit „ohnehin nur eine theoretische“. Denn: „Ein Betreuungsplatz in einer nicht erlaubnispflichtigen Tagespflege dürfte nur in wenigen Fällen verfügbar bzw. falls vorhanden für die Eltern finanzierbar sein“. Insofern hält das OVG die Situation bei Kitas und Schulen für annähernd vergleichbar. In der Verhältnismäßigkeitsprüfung verweist der Senat auf das hohe Infektionsrisiko für Kinder in Gemeinschaftseinrichtungen sowie in der Gefährlichkeit der Masernerkrankung; der Infektionsschutz durch die Nachweispflicht rechtfertige den Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Kinder und in das Erziehungsrecht der Eltern.
Nicht gelten ließ das OVG auch das Vorbringen, in der Verwandtschaft sei aufgrund der Masernimpfung eine Krankheit aufgetreten sei. Es komme allein auf eine medizinische Kontraindikation beim Kind selbst an.
Der bayerische VGH war im Gegensatz zum OVG der Ansicht, dass die Entscheidungsfreiheit für das BVerfG sehr wohl eine tragende Rolle gespielt habe: Das BVerfG habe „maßgeblich“ darauf abgestellt „ob jeweils auch ein Verzicht auf die Impfung – und sei es unter Inkaufnahme gravierender Nachteile – möglich bleibt“. 20 Abs. 12 Satz 5 IfSG, wonach der Erlass eines Betretungsverbots (für Gemeinschaftseinrichtungen) bei schul- und unterbringungspflichtigen Personen ausnahmsweise gesetzlich ausgeschlossen ist, lasse einen „Freiheitsraum für den Verzicht auf eine Impfung“. Dieser dürfe nicht durch Zwangsmaßnahmen unterlaufen werden. Der VGH stützt seine Auffassung auf den (mutmaßlichen) Willen des Gesetzgebers: Im Bundesrat war vorgeschlagen worden, generell keine Betretungsverbote für Bildungseinrichtungen vorzusehen, da es „auch bei nicht schulpflichtigen Personen in keinem angemessenen Verhältnis [stehe], wegen des angestrebten Masernschutzes den Bildungsanspruch einzelner zu beeinträchtigen“.
C. Urteile des VG Düsseldorf v. 19.06.2024, – Az. 22 K 4836/23 und 22 K 4909/23 -
AfD-Mitglieder „waffenrechtlich unzuverlässig“
I. Sachverhalt
Das klägerische Ehepaar hatte Erlaubnisse zum Besitz von Waffen. Beide sind Mitglied der AfD. Mit Verweis darauf wurden die Erlaubnisse widerrufen, da beide „unzuverlässig“ seien. Hiergegen erhoben sie Klage.
II. Entscheidung
Die Kammer wies beide Klagen ab. Zur Begründung führte sie an, schon die Mitgliedschaft in einer Partei, bei der der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen besteht, führt regelmäßig zur Vermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit. Dies gilt auch, wenn die Partei nicht vom Bundesverfassungsgericht wegen Verfassungswidrigkeit verboten wurde, da im Waffenrecht besonders strenge Maßstäbe gelten müssen. Das Parteienprivileg des Art. 21 GG ist nicht verletzt; eine waffenrechtliche Zuverlässigkeitsprüfung erfolgt personenbezogen. Die Einstufung durch den Verfassungsschutz hat eine starke Indizwirkung.