A. BVerfG, Urt. v. 23.01.2024, - Az. 2 BvB 1/19 –
Keine staatliche Finanzierung der ehemaligen NPD (nunmehr: Die Heimat)
I. Sachverhalt
Gegen die NPD wurden 2001 und 2013 Parteiverbotsanträge gestellt, die beide im Ergebnis erfolglos blieben. Zwar bestätigte der Zweite Senat mit Urteil vom 17. Januar 2017 (BVerfGE 144, 20), dass die Antragsgegnerin nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebe. Jedoch fehlten konkrete Anhaltspunkte von Gewicht, die ein Erreichen dieser verfolgten Ziele zumindest möglich erscheinen ließen. Mangels Potentialität scheiterte somit auch der zweite Antrag.
Der Deutschen Bundestag, der Bundesrates und die Bundesregierung beantragten festzustellen, dass die nunmehr Die Heimat genannte Partei von der staatlichen (Teil-)Finanzierung für politische Parteien ausgeschlossen ist. Gemäß Art. 21 Abs. 3 Satz 1 GG, § 46a Abs. 1 Satz 1 BVerfGG sind Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, für die Dauer von sechs Jahren von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen.
Der Partei flossen in der Vergangenheit nicht unerhebliche Beträge aus der staatlichen Parteienfinanzierung zu – nach der Bundestagswahl 2021 verlor sie jedoch infolge mangelhafter Wahlergebnisse ihren Anspruch auf staatliche Mittel
II. Entscheidung
Der Senat gab dem Antrag statt. Die im Urteil vom 17.01.2017 konkretisierten Maßstäbe wurden auf dieses Verfahren übertragen. Einen Verstoß gegen staatsrechtliche Grundsätze vermochte der Senat nicht zu erkennen: „Der Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien aus der staatlichen Finanzierung stellt sich nicht als eine die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG berührende Aushöhlung des Demokratieprinzips dar. Nach dem grundgesetzlichen Konzept der ‚wehrhaften Demokratie‘ können Parteien, die auf die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgehen, gemäß Art. 21 Abs. 2 GG verboten und damit vollständig an der Wahrnehmung des Verfassungsauftrags zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG gehindert werden. Zugleich schließt das Konzept der ‚wehrhaften Demokratie‘ auch die gleichheitswidrige Benachteiligung solcher Parteien durch den Ausschluss aus der staatlichen Finanzierung ein.“
Auch die in Art. 79 Abs. 3 GG garantierte Substanz des Demokratieprinzips bleibt bestehen, denn dieses Demokratiegebot garantiert die Chancengleichheit der politischen Parteien nur, soweit diese ihrerseits die grundlegenden demokratischen Prinzipien anerkennen und achten. So dies nicht gegeben ist, stellt der darauf gestützte Ausschluss einer Partei von der Vergabe staatlicher Leistungen keinen Eingriff in den durch Art. 79 Abs. 3 GG garantierten Kerngehalt des Demokratieprinzips dar. Hierzu führt der Senat aus:
„Die neu geschaffene Regelung des Art. 21 Abs. 3 Satz 1 GG knüpft den Ausschluss von der staatlichen Finanzierung gerade daran, dass die betroffene Partei selbst die Beseitigung der für den demokratischen Wettbewerb konstitutiven freiheitlichen Grundordnung anstrebt oder den Bestand des Staates gefährdet. Damit betrifft der Ausschluss nur solche Parteien, deren chancengleiche Beteiligung an der politischen Willensbildung nicht Teil des grundgesetzlichen Demokratiekonzepts ist. Der Verzicht auf deren staatliche Unterstützung berührt daher nicht die Substanz des Grundsatzes der Demokratie im Sinne des Art. 79 Abs. 3 GG.“
Auch ist der Antrag inhaltlich begründet, die NPD/Die Heimat „wendet sich weiterhin gegen die Grundprinzipien, die für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbar sind.“ Ihr Parteiprogramm räumt dem Kollektiv der ‚Volksgemeinschaft‘ Vorrang gegenüber dem einzelnen Menschen ein, dies ist mit der Menschenwürde unvereinbar. Die Forderung nach ‚Einheit von Volk und Staat‘ missachtet das Demokratieprinzip. Auch Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit ändern daran nichts: „Insgesamt ergibt sich, dass die Antragsgegnerin trotz einer Entwicklung, die durch Mitgliederschwund, zurückgehende Wahlergebnisse und ein dadurch bedingtes Ausscheiden aus der staatlichen Parteienfinanzierung sowie durch eine strategische Neuorientierung geprägt ist, mit einer Vielzahl von Aktivitäten versucht, ihre verfassungsfeindlichen Ziele umzusetzen. Sie überschreitet damit die Schwelle vom bloßen Bekenntnis der Ablehnung zur Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und ist auf deren Beseitigung ausgerichtet.“
Es ist das erste Mal, dass ein solches Finanzierungsausschlussverfahren verhandelt wurde. Das in Art. 21 Abs. 3 GG geregelte Vorgehen ist verfassungsgemäß und könnte auch künftig zur Anwendung kommen.
B. BVerfG, Beschl. v. 18.12.2023, - Az. 2 BvR 656/20; 1816/22 und 1210/23 –
Suche nach „Vertrauenspersonen“ i.S.v. Art. 104 Abs. 4 GG
I. Sachverhalt
Die drei Beschwerdeführer befanden sich in (Abschiebe-)haft. Im ersten Fall wurde niemand informiert, Gründe dafür sind nicht dokumentiert. Im zweiten Fall wurde richterlich eine Unterrichtung verfügt, dies aber nicht umgesetzt. Im dritten Fall bat die inhaftierte Person eine Klinik zu informieren, das AG kam dieser Bitte nicht nach. In den beiden letztgenannten Fällen wurde seitens der Behörden dargelegt, die Informationen zu den Kontaktpersonen hätten nicht ausgereicht.
II. Entscheidung
Alle drei Beschwerden sind begründet. Hierzu führt der Senat aus: „Art. 104 Abs. 4 GG soll ein spurloses Verschwinden inhaftierter Personen verhindern. Dafür ist von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung einer Freiheitsentziehung unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Vertrauensperson zu benachrichtigen. Art. 104 Abs. 4 GG ist nicht nur eine objektive Verfassungsnorm; sie verleiht dem Festgehaltenen zugleich ein subjektives Recht darauf, dass die Vorschrift beachtet wird.“ Im ersten Fall schon allein deshalb, weil eine Benachrichtigung nicht dokumentiert wurde - ohne Dokumentation kann keine wirksame Kontrolle des Haftgerichts erfolgen. In den beiden weiteren Fällen sei es durchaus zumutbar gewesen, weitere Nachforschungen anzustellen (etwa eine Melderegisterauskunft). Kurz gesagt: Die Behörden müssen sich zumindest bemühen, die Vertrauenspersonen zu finden.
C. BVerwG, Urt. v. 19.12.2023, - Az.10 C 3.22 und 10 C 5.22 –
Kreuze in bayerischen Behörden dürfen hängen bleiben
I. Sachverhalt
Im April 2018 wurde eine Verwaltungsvorschrift erlassen, in allen Behörden des Freistaats im Eingangsbereich ein Kreuz aufzuhängen. Die Klagen dagegen scheiterten vor dem BayVGH (Urt. v. 01.06.2022, Az. 5 N 20.1331 und 5 B 22.674).
II. Entscheidung
Das Leipziger Gericht verneinte teils schon die Zulässigkeit: Da die GeschO für bayer. Behörden eine bloße Verwaltungsvorschrift ist, können diese Normen aus Sicht des Senats mangels rechtlicher Außenwirkung keine Rechte der Kläger verletzen.
Die Vorschrift verletzt materiell weder das Neutralitätsgebot noch die Religionsfreiheit aus Art. 4 GG. Zwar stellen die angebrachten Kreuze für den objektiven Betrachter ein zentrales Symbol des christlichen Glaubens dar, verletzen aber nicht die in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG umfasste Freiheit oder das Diskriminierungsverbot gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der weltanschaulich-religiösen staatlichen Neutralität. Der Staat darf nicht bestimmte Glaubensgemeinschaften privilegieren - eine Bevorzugung christlicher Glaubensgemeinschaften hat der BayVGH aber gerade nicht festgestellt, sondern einen Werbeeffekt für diese durch die Anbringung der Kreuze verneint. Diese Tatsachenfeststellung ist in der Revision nicht angreifbar.
Der Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität „verlangt vom Staat keinen vollständigen Verzicht auf religiöse Bezüge im Sinne einer strengen Laizität, sondern verpflichtet ihn zur Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und verbietet ihm die Identifikation mit einem bestimmten Glauben. Nach dem Kontext und Zweck der Verwendung des Kreuzessymbols identifiziert sich der Freistaat Bayern durch die Aufhängung von Kreuzen nicht mit christlichen Glaubenssätzen. Schon nach dem Wortlaut der im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlichten Regelung des § 28 Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats Bayern soll das Kreuz vielmehr Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns sein. Seine Anbringung im Eingangsbereich von Behörden steht der Offenheit des Staates gegenüber anderen Bekenntnissen und Weltanschauungen nicht im Weg.“