A. BVerwG, Urteile vom 7 Juli und 21 August 2023, - 6 A 2.21, 3.21 und 4.21 -
Vereinsrechtliches Verbot von Ansaar International e. V. und einer Teilorganisation bestätigt, Verbot des Vereins WWR-Help rechtswidrig
I. Sachverhalte
Der klagende Verein Ansaar International e. V. ist als Hilfsorganisation weltweit tätig. Mit der genannten Verfügung verbot das BMI den Kläger mitsamt acht Teilorganisationen, u.a. Somalisches Komitee Information und Beratung in Darmstadt und Umgebung e.V. sowie Vereins WWR-Help. WorldWide Resistance-Help e.V. weil sie mit Zwecken und Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufen und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie den Gedanken der Völkerverständigung richte. Begründet wurde dies zum einen mit der Unterstützung terroristischer Vereinigungen. Der Kläger unterstützt - teilweise auch über seine Teilorganisationen - humanitäre Projekte in den Herrschafts- und Einflussbereichen der Jabhat al-Nusra (al-Nusra) bzw. Hai´at Tahrir al-Sham (HTS) in Syrien, der HAMAS im Gazastreifen und der Al-Shabab in Somalia. Dies ist nur möglich, wenn auch diese Organisationen vergütet werden. Des Weiteren unterstützt er die al-Nusra bzw. HTS mit der Lieferung militärischer Ausrüstungsgegenstände und Geld für Waffenkäufe. Er erfüllt damit u.a. den Straftatbestand der Terrorismusunterstützung und richtet sich überdies gegen den Gedanken der Völkerverständigung.
Der Kläger hat gegen die Verbotsverfügung Klage erhoben und geltend gemacht, er verwirkliche keine Verbotsgründe. Verhalten von Hilfsorganisationen könne ihm nicht zugerechnet werden. Mit seinen humanitären Projekten unterstütze er keine Terrororganisationen. Ebenso wenig liefere er Ausrüstungsgegenstände und Geld für Waffenkäufe an die al-Nusra. Seine Missionierungstätigkeit habe keine islamistische Ausrichtung, sondern sei von der Religionsfreiheit gedeckt. Angesichts seiner weltweiten humanitären Hilfeleistungen sei das Verbot zudem unverhältnismäßig.
II. Entscheidungen
Die Klage, über die das Bundesverwaltungsgericht erst- und letztinstanzlich entscheidet, hat hinsichtlich Ansaar International e.V. und der Hilfsorganisation Somalisches Komitee Information und Beratung in Darmstadt und Umgebung e.V. keinen Erfolg. Die Beklagte ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger, der seit seiner Gründung im Jahre 2012 bis zum Erlass der Verbotsverfügung weit über 30 Millionen Euro an Spendengeldern vereinnahmt hat, sämtliche Verbotsgründe des Art. 9 Abs. 2 GG erfüllt. Der Verbotsgrund der Strafgesetzwidrigkeit ist gegeben, weil der Kläger terroristische Vereinigungen unterstützt hat. Bei humanitären Hilfeleistungen in terroristisch kontrollierten Krisengebieten ist das nur anzunehmen, wenn mit den Hilfeleistungen der Tatbestand der Unterstützung terroristischer Vereinigung verwirklicht wird und die Hilfeleistungen nicht die allgemeinen Prinzipien der Menschlichkeit, Neutralität und Unparteilichkeit achten. Neutralität und Unparteilichkeit der Hilfeleistungen fehlen jedenfalls dann, wenn sich die Hilfsorganisation mit den Zielen der in dem Krisengebiet herrschenden Terrororganisation identifiziert. Das ist beim Kläger der Fall.
Mit seinen humanitären Projekten wie der Lieferung von Krankenwagen, der Verteilung von Lebensmitteln, dem Bau und Betrieb von Schulen und Krankenhäusern im Dominanzbereich der al-Nusra bzw. HTS in Syrien hat er diese terroristischen Vereinigungen unterstützt. Derartige Hilfeleistungen sind ohne Geldzahlungen bzw. die Ablieferung von Hilfsgütern an diese Terrorgruppen unmöglich. Schließlich identifizierte sich der Kläger mit den Zielen von al-Nusra bzw. HTS und Al-Shabab, vor allem mit der Errichtung eines Gottesstaats - verbunden in Bezug auf die al-Nusra zugleich mit der Vernichtung Israels - und mit der Einführung der Scharia. In Bezug auf den Gazastreifen erfüllte zwar nicht der Kläger, aber die Vereinigung WWR mit ihren dortigen Projekten den Verbotsgrund der Strafgesetzwidrigkeit. Denn WWR unterstützte einen Sozialverein der HAMAS und damit die HAMAS unmittelbar. Das Verhalten des WWR muss sich der Kläger für den Zeitraum von 2016 bis März 2019 zurechnen lassen, weil WWR währenddessen eine Teilorganisation des Klägers gewesen ist. Im Übrigen hat der Kläger auch deshalb strafgesetzwidrig gehandelt, weil er die Terrororganisation al-Nusra - über die Zahlung generell verlangter Zwangsabgaben hinaus - mit im Ausland beschafften Geräten sowie mit nach Syrien transferierten Geldern aktiv unterstützt hat.
Die vorstehend aufgeführten Aktivitäten des Klägers erfüllen zugleich den Verbotsgrund des Sichrichtens gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Dieser Verbotsgrund ist darüber hinaus gegeben, weil der Kläger eine auf die Errichtung eines Gottesstaats und die Einführung der Scharia - notfalls auch mittels Gewalt - gerichtete Missionierungstätigkeit ausgeübt hat. Diese Aktivitäten prägen den Kläger. Obwohl er zahlreiche humanitäre Projekte durchführt, die nicht im Zusammenhang mit der Verwirklichung von Verbotsgründen stehen, lassen seine Unterstützung terroristischer Vereinigungen sowie seine Missionierungstätigkeit den Schluss zu, dass er maßgeblich auf diese ausgerichtet ist. Der Kläger hat die von ihm eingeworbenen Spenden in erheblichem Umfang für diesen Teil seiner Aktivitäten eingesetzt. Mildere Mittel als das ausgesprochene Vereinsverbot sind angesichts des vom Kläger aufgebauten umfangreichen Vereinsgeflechts nicht ersichtlich.
Bzgl. Somalisches Komitee Information und Beratung in Darmstadt und Umgebung e.V. ist dieser Verein in das Vereinsgeflecht von Ansaar International eingebunden. Seine Einnahmen stammten im Wesentlichen aus diesem Geflecht, mit dem gemeinsame Projekte unter der Führungsrolle von Ansaar International durchgeführt worden seien. Zudem hat der Kläger Ansaar International ein Konto zum Sammeln von Spenden zur Verfügung gestellt und es dieser Vereinigung ermöglicht, Spendenquittungen im Namen des Klägers auszustellen.
Die Klage von WWR-Help hat hingegen Erfolg. Gegenstand der Prüfung in diesem Verfahren war ausschließlich das Vorliegen der Voraussetzungen einer Teilorganisation und nicht die Verwirklichung von Verbotsgründen. Von einer Teilorganisation ist auszugehen, wenn eine Identität zwischen dem Verein als Ganzem und seiner Gliederung - der Teilorganisation - besteht. Hierfür ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen. Die Voraussetzungen einer Teilorganisation müssen noch im Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung vorliegen.
Nach diesem Maßstab hat es sich bei dem Kläger lediglich im Zeitraum von Anfang 2016 bis März 2019 um eine Teilorganisation von Ansaar International gehandelt. Demgegenüber rechtfertigen die nach diesem Zeitraum gegebenen Umstände nicht länger die Annahme einer Teilorganisation.
B. BVerwG, Urteil vom 19. September 2023, – 6 A 12.21 -
Klagen gegen das vereinsrechtliche Verbot der Bandidos Motorcycle Club Federation West Central und regionalen Chapters überwiegend erfolglos
I. Sachverhalt
Der weltweit agierende Bandidos Motorcycle Club (BMC) versteht sich als ein sog. 1%er-Motorradclub bzw. als sog. Outlaw Motorcycle Gang (OMCG). Er ist europaweit als Drei-Ebenen-Verband organisiert. An der Spitze steht die Bandidos MC Federation Europe. Deren Mitglieder sind die regionalen Federations, in denen die örtlichen Chapter zusammengeschlossen sind.
Ab 2018 kam es in Nordrhein-Westfalen zu schweren Straftaten, zum Teil mit Toten und Schwerverletzten, in deren Folge gegen Funktionäre der Federation sowie gegen Angehörige ihrer Mitglieds-Chapter Strafverfahren geführt wurden. Am 18. April 2021 beschloss die Mitgliederversammlung der Federation deren Auflösung. Ende Mai bzw. Anfang Juni 2021 wurden die Federations Mid, North und South Region gegründet, denen jeweils ein Drittel der Mitglieds-Chapter der verbotenen Federation zugeordnet wurde.
Mit Verfügung vom 7. Juli 2021 verbot das Bundesministerium des Inneren die Federation und 38 Mitglieds-Chapter als gebietlichen Teilorganisationen, weil sie mit ihren Zwecken und Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufe. Die Federation vertrete als Teil des Bandidos MC einen Gebiets- und Machtanspruch im Rockermilieu, der zu bewaffneten und brutalen Auseinandersetzungen mit konkurrierenden Gruppierungen geführt habe. Ihr seien nicht nur die von ihren eigenen Funktionären, sondern auch die von Angehörigen ihrer Mitglieds-Chapter begangenen Straftaten zuzurechnen. Die Federation habe trotz der von ihr beschlossenen Selbstauflösung als verbotsfähiger Verein jedenfalls in Gestalt der Federations Mid, North und South Region als identitätswahrender Nachfolgeorganisationen weiterexistiert.
II. Entscheidung
Das für die Klagen erst- und letztinstanzlich zuständige Bundesverwaltungsgericht hat festgestellt, dass es sich bei den Federations Mid, North und South Region nicht um identitätswahrende Nachfolgeorganisationen der verbotenen Federation handelt. Hierfür wäre eine offensichtliche Identität in gebietlicher, organisatorischer und personeller Hinsicht erforderlich, die nicht besteht.
Die Anfechtungsklagen der verbotenen Federation und der übrigen Kläger hat das Bundesverwaltungsgericht abgewiesen. Die Federation stellte bei Erlass der Verbotsverfügung ungeachtet des von der Mitgliederversammlung am 18. April 2021 gefassten Auflösungsbeschlusses noch einen verbotsfähigen Verein dar, weil ihre Liquidation in vermögensrechtlicher Hinsicht noch nicht abgeschlossen war. Die Federation hat den Verbotsgrund der Strafgesetzwidrigkeit verwirklicht. Nach den tatsächlichen Feststellungen, die das Landgericht Hagen in einem strafgerichtlichen Verfahren gegen führende Funktionäre dieser Federation in überzeugender Weise getroffen hat, sind die kriminalitätsfördernden Strukturen der Federation in die Realität umgesetzt worden. Dies ist durch die seitens der Führung der Federation in die Wege geleitete Beschaffung von illegalen Waffen sowie durch die Auszeichnung von Chapter-Mitgliedern geschehen, die vereinsbezogene Straftaten begangen haben. Darüber hinaus sind der Federation die von den Angehörigen ihrer Mitglieds-Chapter begangenen Straftaten zuzurechnen, weil es sich bei den Chaptern um gebietliche Teilorganisationen der Federation handelt, die gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 VereinsG als bloße Gliederungen des Gesamtvereins zu behandeln sind. Die Strafgesetzwidrigkeit prägt die Federation insgesamt, so dass das Verbot verhältnismäßig ist. Für die Verbotsbehörde bestand auch kein Anlass, diejenigen Mitglieds-Chapter von dem Verbot auszunehmen, aus denen heraus keine vereinsbezogenen Straftaten begangen worden sind. Denn diese haben sich nicht in beachtlicher Weise von den strafgesetzwidrigen Zwecken distanziert.
C. BVerwG, Urteil vom 14. September 2023, - 2 C 9.22 -
Rehabilitierungsinteresse bei abgelehnter „Entfristung“ des Beamtenverhältnisses auf Zeit einer Professorin
I. Sachverhalt
Die Klägerin war an einer Universität in Brandenburg Inhaberin einer W 2-Professur für Didaktik der Geographie im Beamtenverhältnis auf Zeit für fünf Jahre. Das dortige Landesrecht sieht für Professoren vor, dass es einer erneuten Ausschreibung und der Durchführung eines Berufungsverfahrens nicht bedarf, wenn ein befristetes Beamtenverhältnis auf Zeit fortgesetzt werden soll. Die von der Klägerin etwa ein halbes Jahr vor Fristende begehrte „Entfristung“ kam nicht zustande; nach Beteiligung der Gremien stellte die Hochschule keinen entsprechenden Antrag beim Ministerium. Das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren der Klägerin blieb noch während der Dauer des Beamtenverhältnisses auf Zeit in beiden Instanzen erfolglos. Die im Anschluss hieran erhobene Klage auf Schadensersatz gegen die Universität und das Land hatte beim Landgericht und beim Oberlandesgericht ebenfalls keinen Erfolg.
Die Klägerin begehrte im verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren die Übertragung der von ihr zuvor innegehabten Professur und die Berufung in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit, hilfsweise die Feststellung, dass sie zum Fristablauf einen Anspruch auf Umwandlung ihres Beamtenverhältnisses auf Zeit in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit gehabt habe. Auch hiermit ist sie in den Vorinstanzen nicht erfolgreich gewesen.
II. Entscheidung
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Sache hinsichtlich des Feststellungsbegehrens an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen und im Übrigen die Revision zurückgewiesen. Zwar ist die Berufung der Klägerin in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit ausgeschlossen, weil die Universität das von ihr ursprünglich abgedeckte Fach mittlerweile dauerhaft anderweitig besetzt hat. Allerdings besteht für die hilfsweise begehrte Feststellung das erforderliche Feststellungsinteresse. Dieses folgt aus einem Rehabilitierungsinteresse im Hinblick auf die mit der „Nichtentfristung“ gegenwärtig noch verbundene Beeinträchtigung des beruflichen Fortkommens der Klägerin. Ob die Ablehnung der „Entfristung“ des Beamtenverhältnisses auf Zeit rechtswidrig war, kann auf der Grundlage der Feststellungen im Berufungsurteil nicht beantwortet werden. Deshalb war die Sache insoweit an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Vorinstanzen:
OVG Berlin-Brandenburg, OVG 4 B 1/20 - Urteil vom 22. Februar 2021 -
VG Potsdam, VG 2 K 804/16 - Urteil vom 18. Januar 2017 -