Expertentipp
Die Urteile können Sie u.a. auf der Seite des Bundesverfassungsgerichts - unter www.bundesverfassungsgericht.de - oder des Bundesverwaltungsgerichts - unter www.bverwg.de – oder auf den Landeswebsites abrufen. Ferner auf der Seite des Europäischen Gerichtshofs www.curia.europa.eu/
A. BVerfG, Beschl. v. 19.05. 2023, Az. 2 BvR 1631/22: Missbrauchsgebühr bei offenkundig erfolglosen Anträgen
I. Sachverhalt
Der Beschwerdeführer erhob zum wiederholten Male mehrere Verfassungsbeschwerden und gleichzeitig Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz nach einem für ihn erfolglosen Gerichtsverfahren.
II. Entscheidung
Die Kammer verband die Verfahren und nahm alle Anträge als offenkundig unbegründet nicht zur Entscheidung an:
„Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerden sind unzulässig, da sie den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG offensichtlich nicht genügen und eine Grundrechtsverletzung auch sonst nicht ersichtlich ist.“
Das BVerfG folgte hier der etablierten Linie: Es ist keine Superrevisionsinstanz sondern prüft lediglich den Bruch spezifischen Verfassungsrechts und insbesondere Eilanträge müssen substantiiert begründet sein.
Zudem verwies die Kammer auf die Möglichkeit eines Vorgehens gegen missbräuchliche Anträge:
„Der Beschwerdeführer wird für künftige Verfahren erneut darauf hingewiesen, dass ihm bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 BVerfGG eine Missbrauchsgebühr von bis zu 2.600 Euro auferlegt werden kann. Ein Missbrauch kann unter anderem vorliegen, wenn das Bundesverfassungsgericht durch für jedermann erkennbar substanzlose Verfassungsbeschwerden oder völlig aussichtslose einstweilige Rechtsschutzanträge an der Erfüllung seiner Aufgaben gehindert wird, wodurch anderen Rechtsuchenden der ihnen zukommende Grundrechtsschutz nur verzögert gewährt werden kann. Die fortlaufende Erhebung zahlreicher völlig unzureichend begründeter Verfassungsbeschwerden sowie das Stellen nicht nachvollziehbar begründeter einstweiliger Rechtsschutzanträge muss von jedem Einsichtigen als aussichtslos angesehen werden.“
B. EuGH, Urt. v. 05.06.2023, Az. C-204/21: Justizreform in Polen verstößt gegen EU-Recht
I. Sachverhalt
Die polnische PiS-Regierung treibt seit einiger Zeit einen Umbau der Justiz voran. So gibt es eine Disziplinarkammer für Richter und nur noch eingeschränkten Rechtsschutz. Auch sah das Gesetz vor, dass polnische Richter eine schriftliche Erklärung mit Angaben zu Mitgliedschaften in Vereinen usw. abgeben mussten, welche sodann im Internet veröffentlicht werden sollten. Vorgebliches Ziel war, die Unparteilichkeit der Richter zu stärken. Auf Betreiben der Kommission wurde ein Zwangsgeld verhängt, daraufhin wurden Änderungen in Polen vorgenommen und das Zwangsgeld halbiert.
II. Entscheidung
Der EuGH erklärte die Regelungen erneut für unvereinbar mit Grundsätzen der EU. „Der Wert der Rechtsstaatlichkeit gibt der Union als Rechtsgemeinschaft schlechthin ihr Gepräge und schlägt sich in Grundsätzen nieder, die rechtlich bindende Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten enthalten“. Unter Berufung auf vorherige Rechtsprechung (Urt. v. 15.07.2021, Az. C-791/19) urteilte der EuGH erneut: die Disziplinarkammer am Obersten Gericht in Polen erfüllt die Anforderungen an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Richtern nicht. Alleine die bloße Aussicht auf disziplinarrechtliche Konsequenzen bei Anwendung des Unionsrechts ist bereits geeignet, die Unabhängigkeit von Gerichten zu gefährden. Zudem sind die Vorgaben so weit und ungenau, dass eine Auslegung sein könnte nationale Gerichte daran zu hindern, ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH anzustreben. Damit jedoch würde der Zugang zu einem unparteiischen, unabhängigen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht vereitelt.
Die Vorschriften zur Veröffentlichung von Mitgliedschaften verstoßen gegen die Grundrechte der betroffenen Richter auf Schutz personenbezogener Daten und Achtung des Privatlebens. Die Angaben lassen Rückschlüsse auf religiöse, politische oder weltanschauliche Überzeugungen zu und können zu einer „Stigmatisierung“ führen.
Die Disziplinarkammer wurde Anfang Juni abgeschafft.
C. VG Freiburg, Urt.v. 02.05.2023, Az. 3 K 3268/21 und VG Mainz, Urt. v. 12.05.2023, Az. 4 K 573/22.MZ
I. Sachverhalte
Eine Polizistin nahm eine COVID-Impfung vor, nachdem sie über diese Möglichkeit sowie den Ablauf von ihrer Dienststelle informiert worden war. Der Impftermin wurde über das Polizeipräsidium vereinbart, die Beamtin erhielt für die Wahrnehmung eine Arbeitszeitgutschrift von zwei Stunden. Kurz nach der Impfung traten allergische Reaktionen auf, sie musste für mehrere Tage im Krankenhaus aufgenommen werden.
Eine Grundschullehrerin ließ sich infolge ihrer Einstufung in die Priorisierungsgruppe II in einem Impfzentrum gegen COVID-19 impfen. In Folger der Impfung traten diverse körperliche Beschwerden und Einschränkungen auf. Die Beamtin beantragte die Anerkennung eines Impfschadens als Dienstunfall, was das beklagte Land Rheinland-Pfalz ablehnte mit der Begründung, es fehle an einem dienstlichen Zusammenhang.
II. Entscheidung
In beiden Fällen sahen die Verwaltungsgerichte keine Dienstunfälle als gegeben an und lehnten den dienstlichen Zusammenhang ab.
Nebenwirkungen einer Impfung sind nicht bereits deshalb ein Dienstunfall, weil die Impfung während der Arbeitszeit erfolgte und der Termin durch die Dienststelle vereinbart wurde. Denn: Der Körperschaden trat nicht „in Ausübung oder infolge des Dienstes“ ein. Die erforderliche enge ursächliche Verknüpfung des Unfallereignisses mit dem Dienst fehlt - die für Beamten geltende Unfallfürsorge schützt allein bei solchen Unfällen, die infolge von dienstlichen Risiken eintreten. Ein solcher Dienstbezug lag bei der Impfung jedoch nicht vor: a) ist das Impfzentrum kein Dienstort im dienstunfallrechtlichen Sinne, b) stellte die Impfung auch keine dienstliche Veranstaltung dar.
Bei der Lehrerin urteilte das VG Mainz nicht anders: Es fehlt an dem notwendigen engen Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Schuldienst. Das Impfzentrum liegt weder organisatorisch noch in sonstiger Hinsicht in der Verantwortung des Dienstherrn. Eine Einstufung in die Priorisierungsgruppe II führt auch nicht anderen Beurteilung, denn diese stellt keine dienstliche Anordnung zur Impfung dar. Zwar gab es auch ein dienstliches Interesse an einer schnellstmöglichen Impfung der Lehrerin – diese hat jedoch nicht das private Interesse der Beamtin an einem möglichst frühen Impfschutz überwogen.