Hinweis
Die Urteile können Sie u.a. auf der Seite des Bundesverfassungsgerichts - unter www.bundesverfassungsgericht.de - oder des Bundesverwaltungsgerichts - unter www.bverwg.de - abrufen. Ferner auf der jeweiligen Seite der Justiz des Bundeslandes.
A. BVerfG, Urt. v. 22.02.2023 - 2 BvE 3/19: Eingriff in Chancengleichheit politischer Parteien bedarf eines Parlamentsgesetzes
I. Sachverhalt
Die AfD hat per Organstreitverfahren gegen den Bundestag geklagt und vorgebracht, dass das Haushaltsgesetz 2019 die AfD in ihrem Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb verletzt. Auf Grundlage des Haushaltsgesetzes erhalten politische Stiftungen, die den im Bundestag vertretenen Parteien nahestehen, Zuschüsse. Ein gesondertes Parlamentsgesetz (formelles Gesetz) existiert hierfür nicht.
II. Entscheidung
Das BVerfG hat entschieden, dass ein derartiger Eingriff in das Recht auf Chancengleichheit der politischen Parteien nach Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage bedarf (sofern sich die Legitimation staatlichen Handelns nicht bereits unmittelbar aus der Verfassung ergibt).
Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG ist Ausdruck des Gebots staatlicher Neutralitätspflicht. Vor diesem Aspekt ist der Bereich der Wesentlichkeitstheorie eröffnet, wonach in den grundlegenden normativen Bereichen die Legislative die wesentlichen Entscheidungen selbst treffen muss. Diesem Gesetzesvorbehalt wird das Haushaltsgesetz nicht gerecht. Zwar handelt es sich um ein formelles Gesetz – diesem kommt indes keine Außenwirkung zu. In diesem Bereich muss der Gesetzgeber vielmehr selbst aktiv werden und die konkreten Kriterien für die Gewährung der finanziellen Zuschüsse selbst regeln.
Demnach erfordert der Vorbehalt des Gesetzes, dass die für den demokratischen Willensbildungsprozess wesentliche Frage einer Beeinflussung der zwischen den politischen Parteien bestehenden Wettbewerbslage durch staatliche Leistungen in einem eigenen Gesetz (Parlamentsgesetz) geregelt wird, an dem sich die jeweilige Haushaltsgesetzgebung zu orientieren hat.
B. OVG Münster, Beschl. v. 22.03.2023 - 15 B 244/23: Verweigerung des Zugangs zur öffentlichen Einrichtung bedarf sachlicher Rechtfertigung
I. Sachverhalt
Der Schweizer Historiker Daniele Ganser plant am 27.03.2023 einen „Vortrag Daniele Ganser – Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?“ in der Westfalenhalle in Dortmund. Die Stadt Dortmund hatte die Überlassung der Halle (öffentliche Einrichtung) verweigert, da frühere Äußerungen des Historiker als antisemitisch einzustufen seien. Im Jahr 2019 hat die Stadt Dortmund einen Ratsbeschluss erlassen, wonach „Organisationen, Vereinen und Personen, die etwa den Holocaust leugnen oder relativieren, die Existenz Israels als jüdischen Staat delegitimieren, zu antijüdischen oder antiisraelischen Boykotten aufrufen, diese unterstützen oder entsprechende Propaganda verbreiten (z.B. die Kampagne ,Boycott – Divestment – Sanctions [BDS]‘) oder die anderweitig antisemitisch agieren, keine Räumlichkeiten oder Flächen zur Verfügung gestellt werden“. Einem gegen die Ablehnung gerichteten Eilantrag gab das VG Gelsenkirchen statt.
II. Entscheidung
Die Beschwerde der Stadt Dortmund hat das OVG Münster abgewiesen und das Urteil des VG bestätigt.
Begründet wurde die Entscheidung seitens des OVG Münster damit, dass grundsätzlich ein Anspruch auf Zulassung zu der Westfalenhalle als öffentliche Einrichtung bestehe. Eine Einschränkung der Zulassung muss durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein, die nicht vorliegen.
Vielmehr bewegt sich die Veranstaltung innerhalb des Widmungszwecks, da diese seitens der Stadt grundsätzlich für alle Veranstaltungen aller Art gewidmet wurde. Insbesondere fanden bereits in der Vergangenheit Veranstaltungen zu politischen Themen statt.
Auch fand entgegen der Ansicht der Stadt Dortmund durch den Ratsbeschluss aus 2019 keine Beschränkung des Widmungszwecks statt. Dieser verstößt vielmehr gegen die Meinungsfreiheit, soweit er über den Ausschluss strafbaren Verhaltens hinausgeht. Ein derartiger Eingriff in die Meinungsfreiheit kann nur durch ein hinreichendes Gesetz gerechtfertigt werden. Bei dem Beschluss handelt es sich aber bereits nicht um ein Gesetz. Auch anderweitige Versagungsgründe wie zu erwartende Rechtsverstöße oder strafbare Handlungen seien nicht zu erwarten.
C. VG Berlin, Urt. v. 06.02.2023 - 12 K 52/22: Exmatrikulation einer Studentin infolge chattens mit anderen Studenten während Prüfung rechtmäßig
I. Sachverhalt
Mehrere Studenten tauschten sich während einer Online-Klausur per WhatsApp über die Lösung der Klausur aus. Als die Hochschulleitung entsprechende Screenshots des Chats übersandt bekam, exmatrikulierte sie die betroffenen Studenten.
II. Entscheidung
Das VG Berlin wies die Klage einer Studentin ab und sah die Exmatrikulation als rechtmäßig an. Begründet wurde dies damit, dass der Austausch eine schwerwiegende Täuschung darstellt.
Dabei ist die Maßnahme auch verhältnismäßig. So führt das Gericht aus:
„Ein milderes Mittel als die Feststellung des endgültigen Nichtbestehens und die damit verbundene Exmatrikulation kommt vor dem Hintergrund der dargelegten intensiven Täuschungshandlung nicht in Betracht. Bei Bemessung der Sanktion darf mitberücksichtigt werden, dass die ergriffene Maßnahme auch generalpräventive Wirkung hat“.
Demnach wird der Hochschule gerade die Möglichkeit zugesprochen, durch die Exmatrikulation eine abschreckende Wirkung herbeiführen zu dürfen ob der Vielzahl an Täuschungen bei Online-Klausuren.