A. Aktuelle Entscheidungen des BVerfG
I. Beschluss des 2. Senats vom 25. Januar 2023 - 2 BvR 2189/22 – Wahlwiederholung in Berlin
Der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts hat einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, der darauf abzielte, die Wirkung des Urteils des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin vom 16. November 2022 - VerfGH 154/21 u. a. - einstweilig auszusetzen. Der Senat hat die Entscheidung über die einstweilige Anordnung gemäß § 32 Absatz 5 Satz 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) ohne Begründung bekanntgegeben. Diese wird den Beteiligten gesondert übermittelt.
II. Beschluss Kammer des 1. Senats vom 15. Dezember 2022 - 1 BvR 2146/22 – Fehlendes Tempolimit auf Autobahnen keine Grundrechtsverletzung
Die Kammer wies eine Verfassungsbeschwerde ab, in der Klimaschützer ein fehlendes Tempolimit als gesetzgeberisches Unterlassen bemängelten. Das Tempolimit sei zum Erreichen der Klimaschutzziele und Art. 20a GG geboten.
Die Kammer führte aus: „Zwar gewinnt das im Klimaschutzgebot des Art. 20a GG enthaltene Ziel der Herstellung von Klimaneutralität bei fortschreitendem Klimawandel in allen Abwägungsentscheidungen des Staates weiter an relativem Gewicht.
Die Beschwerdeführenden legen aber nicht substantiiert dar, dass gerade das Fehlen eines allgemeinen Tempolimits eingriffsähnliche Vorwirkung auf ihre Freiheitsgrundrechte entfalten könnte. Insbesondere der Vortrag, im Verkehrssektor werde es am Ende dieses Jahrzehnts zu erheblichen Freiheitsbeschränkungen kommen, weil die im Klimaschutzgesetz bis zum Jahr 2030 dem Verkehrssektor zugewiesene Emissionsmenge aktuell zu schnell aufgezehrt werde, vermag eine eingriffsähnliche Vorwirkung des Unterlassens eines Tempolimits nicht zu begründen. Die Beschwerdeführenden haben schon ihre Annahme, das dem Verkehrssektor bis zum Jahr 2030 zugewiesene Emissionsbudget werde überschritten, nicht näher belegt.“
B. Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
I. Urteil vom 30. November 2022 - BVerwG 6 C 10.21 - Anspruch auf kostenfreie Kopien der Arbeit/Gutachten im 2. Staatssexamen
Absolventen der zweiten juristischen Staatsprüfung haben gemäß Art. 15 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 5 Satz 1 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) einen Anspruch darauf, dass ihnen das LJPA unentgeltlich eine Kopie der von ihnen angefertigten Aufsichtsarbeiten und der Gutachten zur Verfügung stellt.
II. Urteil vom 26. Januar 2023 - BVerwG 7 CN 1.22 - Eine Naturschutzbehörde darf nicht im Wege einer Naturschutzgebietsverordnung Flugverbote für Luftfahrzeuge anordnen.
Der 7. Senat gab dem Normenkontrollantrag einer Firma die Ballonfahrten anbietet statt.
Diese wandte sich gegen eine Naturschutzgebietsverordnung die u.a. verbot, im Naturschutzgebiet mit bemannten Luftfahrzeugen zu starten, eine Mindestflughöhe von 600 m zu unterschreiten oder zu landen. Zur Begründung führt der Senat aus: „Eine Naturschutzbehörde ist nicht befugt, eine Flughöhenfestlegung im Wege einer Naturschutzgebietsverordnung für Luftfahrzeuge anzuordnen. Diese Sperrwirkung folgt aus dem Regelungskonzept des Luftverkehrsgesetzes, für das der Bund insoweit abschließend von seiner ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit für das Luftverkehrsrecht Gebrauch gemacht hat. Hiernach können Beschränkungen der Nutzung des Luftraums nur durch das Bundesverkehrsministerium erfolgen. Dies gilt auch, wenn Europäisches Naturschutzrecht es verlangt, Gebiete mit Flugbeschränkungen zu belegen. Die gebotene Bestimmtheit der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung schließt es aus, dass verschiedene Behörden zur verbindlichen Regelung einer Frage nebeneinander zuständig sind.“
C. Entscheidung des Bundesfinanzhofs
Bundesfinanzhof, Urteil des 9. Senats v. 30. Januar 2023 - X R 15/20 – Solidaritätszuschlag „noch verfassungskonform“
Der BFH hat eine Klage gegen den Solidaritätszuschlag abgewiesen. Die Abgabe ist nicht verfassungswidrig, sondern „noch mit dem Grundgesetz vereinbar“ entschied der IX. Senat.
Die Klägerseite argumentierte, 1. sei der Zweck entfallen - da der Solidarpakt II zur Unterstützung der neuen Bundesländer ausgelaufen sei, müsse auch der Soli ein Ende haben. 2. sei der „Soli“ ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot, da lediglich die oberen 10 Prozent der Einkommensteuerzahler belastet würden.
Der Bundesfinanzhof folgte dieser Argumentation nicht und legte dar:
Zunächst stehe dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für den Soli zu, eine Aushöhlung des Systems von Steuern, die Bund und Länder gemeinsam zugutekommen sah der Senat nicht.
Auch eine Zweckwidrigkeit oder Wegfalls dessen verneinte er. Eine Ergänzungsabgabe habe die Aufgabe eine höhere Abgabenlast zu decken ohne neue Steuern einzuführen oder andere zu erhöhen. Zwar könne eine Ergänzungsabgabe verfassungswidrig werden, wenn sich Verhältnisse, die für ihre Entstehung gesprochen habe, grundlegend ändern, insbesondere, wenn eine dauerhafte Finanzierungslücke entstanden ist. Diese müsse dann über allgemeine Steuern gedeckt werden. Allerdings besteht nach Überzeugung des BFH weiterhin ein wiedervereinigungsbedingter Finanzbedarf des Bundes. Insofern sei unerheblich, ob die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag zweckgebunden für den Aufbau Ost verwendet werden. Die Entscheidung darüber, welche Aufgaben wann in Angriff genommen werden und wie sie finanziert werden, gehöre zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die sich einer gerichtlichen Nachprüfung entziehe. Eine Verfassungswidrigkeit ergäbe sich auch nicht wegen Zeitablauf oder wegen veränderter Umstände. Insoweit sei keine Vorgabe erkennbar, wonach eine Ergänzungsabgabe nur befristet oder nur für einen kurzen Zeitraum erhoben werden dürfe. Der Gesetzgeber müsse prüfen, ob noch Finanzierungsbedarf bestünde. Genau dies sei bereits geschehen, die niedriger werdenden Kosten der Wiedervereinigung werden berücksichtigt, da nur noch 10 Prozent der Steuerzahler herangezogen werden.
Dies sei auch kein Gleichheitsverstoß. Eine sogenannte "Reichensteuer" sei als Ungleichbehandlung gerechtfertigt. Bei Steuern, die an der Leistungsfähigkeit der Steuerzahler ausgerichtet sind, dürfen soziale Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Die seit 2021 geltende Staffelung der Soli-Zahlung sei daher gerechtfertigt.
Da der Senat auch nicht von der Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlags überzeugt sei komme eine Vorlage an das BVerfG nicht in Betracht.