Mit dem strafrechtlichen Rechtsmäßigkeitsbegriff einer Diensthandlung musste sich das OLG Karlsruhe (BeckRS 2023, 3937) befassen. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
„Die Zeuginnen P. und K., Angehörige des Gemeindevollzugsdienstes der Stadt B., stellten am 05.08.2021 gegen 19.40 Uhr fest, dass ein Pkw widerrechtlich in einer Brandschutzzone in der Innenstadt von B. abgestellt war. Daraufhin „tippten“ sie eine Verwarnung, führten eine Halteranfrage durch und ordneten an, dass das Fahrzeug abzuschleppen sei. Mit der Durchführung der Maßnahme beauftragten sie ein Abschleppunternehmen. In der Folge erschien das Ehepaar C. vor Ort. Frau C. öffnete die Fahrzeugtür, nahm auf dem Fahrersitz Platz und wollte wegfahren, was die Zeuginnen P. und K. unterbanden. „Aus dem Nichts“ erschien nun der Angeklagte, zog Frau C. aus dem Fahrzeug und fuhr mit aufheulendem Motor los, obwohl die Zeuginnen ihn lautstark („Stopp, Halt!“) und mit Handzeichen zum Stehenbleiben aufforderten. Mit ihrer Anordnung wollten die Zeuginnen die Personalien aller Beteiligten erheben, die Verantwortlichkeit für das Abstellen des Pkw in der Brandschutzzone klären und vor Ort mit diesen und dem Abschleppunternehmer die Kostentragung regeln. Der Angeklagte fuhr – die Anhalteanordnung wahrnehmend, aber ignorierend – auf die sich in einer Entfernung von ungefähr 3-4 Meter vor dem Fahrzeug befindliche Zeugin P. zügig zu, um diese „am Vollzug der Maßnahme“ zu hindern. Die Zeugin P. musste zur Seite springen, um nicht von dem sich von der Örtlichkeit entfernenden Fahrzeug erfasst zu werden.“
In einer Klausur müssten Sie sich neben den nachfolgend zu prüfenden §§ 113, 114 StGB auch mit der versuchten gefährlichen Körperverletzung gem. §§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 22, 23 StGB und dem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gem. § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB befassen.
Damit ein „Inneneingriff“ einem „Außeneingriff“ bei § 315b StGB gleichgestellt werden kann, muss der Täter neben der absichtlich begangenen Pervertierung des Verkehrsvorgangs auch Schädigungsvorsatz haben, wobei dolus eventualis ausreicht. Diesen Schädigungsvorsatz braucht er auch bei der versuchten Körperverletzung. In beiden Fällen muss er also mit einer Schädigung der körperlichen Integrität der P zumindest rechnen und diese billigend in Kauf nehmen.
Vorliegend gab es nicht genügend Anhaltspunkte für einen dolus eventualis. Evtl. kann dem Angeklagten noch unterstellt werden, dass er beim zügigen Zufahren auf P mit der Möglichkeit einer Verletzung der P gerechnet hat. Ob er diese Verletzung aber billigend in Kauf genommen oder aber pflichtwidrig auf deren Ausbleiben vertraut hat, muss offenbleiben. Von daher ist jedenfalls „in dubio pro reo“ von bewusster Fahrlässigkeit auszugehen.
Kommen wir damit zu §§ 113, und 114 StGB, die nach h.M. zueinander in Tateinheit stehen, um dem unterschiedlichen Rechtsgutsgewicht des primär staatlichen Interessen dienenden § 113 und dem wiederum primär auf Individualschutz ausgerichteten § 114 Rechnung zu tragen. Schönke/Schröder-Eser StGB § 114 Rn. 12
- 113 StGB setzt im Tatbestand voraus, dass der Täter vorsätzlich
- gegen einen Vollstreckungsbeamten
- bei der Vornahme einer Vollstreckungshandlung
- Widerstand leistet durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt.
Bei § 114 wiederum ist Voraussetzung, dass der Täter vorsätzlich
- gegen einen Vollstreckungsbeamten
- bei der Vornahme einer Diensthandlung
- diesen tätlich angreift.
Bei den Zeuginnen P und K handelt es sich um Amtsträgerinnen gem. § 11 Abs. 1 Nr. 2b StGB, die zum einen berechtigt waren, im Wege der Ersatzvornahme das Abschleppen des verbotswidrig abgestellten Fahrzeugs anzuordnen und anschließend die unmittelbare Ausführung dieser Maßnahme durch Anrufen eines Abschleppunternehmens zu veranlassen als auch zum anderen den Angeklagten durch eine Anhalte - Verfügung dazu zu bringen, vor Ort zu bleiben, um die Verantwortlichkeit und die Frage der Kostenübernahme zu klären.
Die Zeuginnen sind damit Vollstreckungsbeamtinnen, die eine Vollstreckungshandlung vornahmen.
Ein Widerstandleisten mit Gewalt gem. § 113 Abs. 1 StGB setzt ein zielgerichtetes und aktives, für das Opfer körperlich spürbares Tun voraus, Lackner/Kühl-Heger StGB § 113 Rn. 4 welches problemlos in dem Zufahren auf P liegt.
Ein tätlicher Angriff gem. § 114 Abs. 1 StGB liegt nach h.M. vor, wenn der Täter mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper des Opfers einwirkt, wobei eine körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz nicht erforderlich ist. (OLG Karlsruhe, a.a.O.; BGH NJW 2020, 2347)
Hinweis
Eine in der Lit. Vertretene Gegenauffassung Rengier Strafrecht BT II, 24. Aufl. 2023 § 53 Rn. 48f versteht den tätlichen Angriff enger und verlangt eine von einem Gefährdungsvorsatz getragene Handlung, die konkret geeignet sein muss, die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen.
Beide Tathandlungen liegen nach Auffassung des OLG Karlsruhe vor (a.a.O.). Da der Angeklagte auch vorsätzlich handelte, sind die Tatbestände der §§ 113 Abs. 1 und 114 Abs. 1 StGB verwirklicht.
Kommen wir damit zu § 113 Abs. 3 StGB. Danach ist die Tat dann nicht strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Zur Bestimmung der Rechtsmäßigkeit ist nach h.M. der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff zugrunde zu legen. Dazu führt das OLG (a.a.O.) folgendes aus:
„Der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung im Rahmen von § 113 Abs. 3 StGB ist nach der Rechtsprechung der sog. strafrechtliche Rechtsmäßigkeitsbegriff zu Grunde zu legen (zuletzt BGHSt 60, 258 = NJW 2015, 3109 m.w.N.; bestätigt von BVerfG NVwZ 2007, 1180). Es kommt nur darauf an, dass die äußeren Voraussetzungen zum Eingreifen des Hoheitsträgers gegeben sind, er also örtlich und sachlich zuständig ist, er die vorgeschriebenen wesentlichen Förmlichkeiten einhält und das ihm gegebenenfalls eingeräumtes Ermessen pflichtgemäß ausübt. Die Grenzen der Pflicht zur Duldung einer nach den maßgeblichen außerstrafrechtlichen Rechtsvorschriften rechtswidrigen hoheitlichen Maßnahme sind dort erreicht, wo diese mit dem Grundsatz der Rechtsbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) schlechthin unvereinbar sind (BVerfG NJW 1991, 3023; BGHSt 4, 161 [164] = NJW 1953, 1032).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe haben die Zeuginnen P. und K. ihre an den Angeklagten gerichtete Anordnung unter pflichtgemäßer Würdigung der tatsächlichen Eingriffsvoraussetzungen getroffen: Die zur Klärung der Verantwortlichkeiten für den Ordnungsverstoß und für die Pflicht zur Kostentragung für die Ersatzvornahme (Anfahrt des Abschleppdienstes, vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 27.06.2002 – 1 S 1531/01) notwendigen Ermittlungen waren Bestandteil der im Rahmen des Aufgabenbereichs der Zeuginnen zu treffenden Ordnungsmaßnahmen. Zum einen stand für diese die „Rolle“ des Angeklagten (Fahrer, Halter oder Unbeteiligter) noch nicht fest. Im Übrigen widerspricht es auch nicht pflichtgemäßer Ermessensausübung, vor Ort die Kostentragung für die (sich erledigende) Abschleppmaßnahme zu klären, etwa durch Herbeiführung einer Einigung des Kostenpflichtigen mit dem Abschleppunternehmer, wodurch sich ein Heranziehungsbescheid der Behörde erledigt.“
Da das Auto zudem gem. § 113 Abs. 2 Nr. 1 StGB ein gefährliches Werkzeug darstellt, hat sich der Angeklagte auch wegen Widerstandsleisten in einem besonders schweren Fall strafbar gemacht.