Der BGH (Urteil v. 15.02.2018 - 4 StR 506/17) hatte sich zu Beginn dieses Jahres mit einem Paradefall zu beschäftigen, bei welchem beide Fragen idealtypisch behandelt wurden, weswegen wir uns diese Entscheidung einmal näher ansehen wollen.
A, der ein Küchenmesser bei sich führte, stieg zu der Taxifahrerin T ins Taxi und bat sie, ihn in einen um diese Uhrzeit menschenleeren Wendehammer zu bringen. Nachdem T in die Straße eingebogen war, hielt sie das Fahrzeug an und bat A, auszusteigen, da sie – wie sich zeigen wird zu Recht – befürchtete, überfallen zu werden. Dabei lief der Motor, das Automatikgetriebe war auf „D“ gestellt und T stand mit dem Fuß auf der Bremse. Als A, nachdem er ausgestiegen war, an der Fahrertür erschien und sein Portemonnaie aus der Hosentasche zog, glaubte T, er wolle bezahlen und nahm ebenfalls ihr Portemonnaie in die Hand. In diesem Moment riss A die Tür auf und versuchte das Portemonnaie der T zu ergreifen, was jedoch misslang, da T es auf den Beifahrersitz warf. Nunmehr drückte A die T nach vorne auf das Lenkrad und beugte sich ins das Fahrzeug, um an das Portemonnaie zu gelangen. Bei dem dabei entstandenen Gerangel rutschte T vom Bremspedal ab, so dass das Fahrzeug sich in Bewegung setzte, über die Straße rollte und gegenüber an eine Mauer stieß. A, der währenddessen über T gebeugt blieb, ging nunmehr um das Fahrzeug herum, öffnete die Beifahrertüre, ergriff das Portemonnaie und floh mit ca. 400,00 €. T erlitt neben einer Prellmarke am Rücken und einer Beule am Kopf eine ca. 4 cm lange Schnittwunde am rechten Unterarm durch das von A mitgeführte Messer, wobei nicht geklärt werden konnte, wie die Verletzung entstanden war.
In der Klausur würden sie nun zunächst die §§ 249, 250 II Nr., 1, I Nr. 1a StGB prüfen, auch wenn § 316a StGB den höheren Strafrahmen hat. Dies tun Sie vor allem, um Inzidentprüfungen zu vermeiden, die zwar zulässig aber auch immer eine beliebte Fehlerquelle sind.
Im objektiven Tatbestand des § 249 StGB müssten Sie bei der Wegnahme die Abgrenzung zu den §§ 253, 255 StGB kurz ansprechen. Nach Auffassung des BGH, der auf das äußere Tatbild abstellt, liegt unproblematisch eine Wegnahme vor, die Literatur würde danach fragen, ob T evtl. eine Vermögensverfügung vorgenommen hat, was hier zu verneinen sein dürfte, da sie weder eine Hüterstellung zum Portemonnaie hatte, die eine Mitwirkung erforderlich gemacht hätte, noch nach dem vorangegangenen Geschehen geglaubt haben wird, sich nunmehr – mit ihrem Fahrzeug an der Nauer stehend - noch dem Gewahrsamsverlust entgegen stellen zu können.
Bei § 250 müssten Sie zunächst mit Abs. 2 Nr. 1 beginnen. Da jedoch nicht geklärt werden konnte, wie T sich die Schnittverletzung zuzog, muss „in dubio pro reo“ zugunsten des A angenommen werden, dass es nicht durch eine vorsätzliche „Verwendung“ des Messers sondern unabsichtlich infolge des Gerangels geschah.
Bei § 250 I Nr. 1a müsste geklärt werden, ob das Küchenmesser eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug ist. Eine Waffe ist es unstreitig nicht, so dass nur das gefährliche Werkzeug in Betracht kommt. Hier ist die Definition äußerst streitig. Nach der auch vom BGH vertretenen objektiven Ansatz, der darauf abstellt, ob der Gegenstand „waffenähnlich“ ist, dürfte das zu bejahen sein, da die meisten Messer mit solchen, die dem Waffengesetzt unterfallen, vergleichbar sind. Nach den subjektiven Ansätzen müsste geklärt werden, warum A das Messer bei sich trug.
Nunmehr sollten Sie sich mit § 316a I StGB befassen. Indem A die T nach vorne auf das Lenkrad drückte, verwirklichte er zunächst einen Angriff auf den Leib und die Entschlussfreiheit der T. Fraglich ist nun, ob T zu diesem Zeitpunkt nach Kraftfahrzeugführerin war und ob der Angriff unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs geschah.
Unproblematisch ist das Opfer dann noch Führer eines Kraftfahrzeugs, wenn der Angriff während der Fahrt geschieht oder aber während eines verkehrsbedingten Haltens. Hier hatte T das Fahrzeug aber angehalten. Nach Auffassung des BGH ändert dies jedoch zu Recht nichts an der Opfereigenschaft:
„Diese nach dem Tatbestand des § 316a StGB erforderliche zeitliche Verknüpfung dauert auch bei einem – wie hier – nicht verkehrsbedingten Halt an, solange der Fahrer sich in dem Fahrzeug aufhält und mit dessen Betrieb oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist.“
Dass A mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen befasst war, zeigt schon der Umstand, dass das Taxi infolge des Gerangels losrollte, als der Fuß der A von der Bremse abrutschte.
Eng damit zusammenhängend ist nun die Frage zu beantworten, ob der Angriff unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs erfolgte. Auch dies bejaht der BGH zu Recht:
„In objektiver Hinsicht ist dies der Fall, wenn der Führer eines Kraftfahrzeugs im Zeitpunkt des Angriffs in einer Weise mit der Beherrschung seines Kraftfahrzeugs und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist, dass er gerade deswegen leichter zum Angriffsobjekt eines Überfalls werden kann…. Befindet sich das Fahrzeug beim Verüben des Angriffs in Bewegung, liegt diese Voraussetzung regelmäßig vor, weil dem Führer eines sich fortbewegenden Kraftfahrzeugs die Gegenwehr gegen den Angriff infolge der Beanspruchung durch das Lenken des Fahrzeugs wegen der damit verbundenen Konzentration auf die Verkehrslage und die Fahrzeugbedienung erschwert ist. Subjektiv ist ausreichend, dass sich der Täter – entsprechend dem Ausnutzungsbewusstsein bei der Heimtücke nach § 211 Abs. 2 StGB – in tatsächlicher Hinsicht der die Abwehrmöglichkeiten des Tatopfers einschränkenden besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs bewusst ist. Nicht erforderlich ist hingegen, dass er eine solche Erleichterung seines Angriffs zur ursächlichen Bedingung seines Handelns macht…
Nach den Feststellungen hatte … (T) das von ihr geführte Taxifahrzeug aus nicht verkehrsbedingten Gründen angehalten, zunächst, um den Angeklagten „aus Angst“ aussteigen zu lassen, sodann, um den Fahrpreis zu kassieren. Bei einem solchen nicht verkehrsbedingten Halt müssen daher neben der Tatsache, dass der Motor des Kraftfahrzeugs noch läuft, weitere verkehrsspezifische Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, dass das Tatopfer als Kraftfahrzeugführer beim Verüben des Angriffs noch in einer Weise mit der Beherrschung des Kraftfahrzeugs oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt war, dass es gerade deshalb leichter Opfer des räuberischen Angriffs wurde und der Täter dies für seine Tat ausnutzte ….. Diese Voraussetzungen liegen insbesondere vor, wenn der Fahrer das Automatikgetriebe auf Dauerbetrieb belässt und mit dem Fuß auf der Bremse bleibt, um das Weiterrollen des Fahrzeugs zu verhindern ….oder wenn sich das Fahrzeug nach dem Anhalten mit laufendem Motor während der heftigen Gegenwehr seines angegriffenen Führers plötzlich in Bewegung setzt … Diese beiden in der Rechtsprechung des Senats anerkannten Fallgruppen sind in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation jeweils gegeben.“
Da auch in subjektiver Hinsicht die Voraussetzungen vorliegen, hat A sich auch gem. § 316a I StGB strafbar gemacht. Die Norm steht wegen des Klarstellungsinteresses in Tateinheit zu den §§ 249, 250 I Nr. 1a StGB.
Expertentipp
Zudem sollten Sie in der Klausur noch an § 239a I StGB denken, der im Ergebnis aber zu verneinen ist. Hier hat sich A zwar der T bemächtigt, indem er sie nach vorne drückte, es fehlt aber an der „stabilen Bemächtigungslage“, die in einem 2-Personen-Verhältnis gegeben sein muss.