Sachverhalt (vereinfacht)
P ist ein Verlag und gibt mehrere Zeitschriften heraus. Im Mai 2017 wurde in einem dieser Magazine ein Bericht über den Fernsehmoderator F veröffentlicht, in dem darüber berichtet wird, dass dieser ein „halb-legales“ Steuersparmodell nutzt, indem er Yachten und andere Luxusgegenstände kauft und vermietet.
F beantragte daraufhin – ohne vorherige Mahnung o.ä. der P – im Eilverfahren vor dem zuständigen Landgericht Hamburg einen Widerruf- und Unterlassungsanspruch. Das LG lehnte diesen Antrag – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – ab. Daraufhin legte F Beschwerde beim OLG Hamburg ein. Diese wurde – erneut ohne mündliche Verhandlung und auch im Übrigen ohne einen Hinweis an den P – abgelehnt. Allerdings verdeutlichte der zuständige Richter in einem Telefongespräch gegenüber dem F seine Rechtsauffassung und legte ihm dar, dass ein geringfügig veränderter Antrag voraussichtlich Aussicht auf Erfolg haben könnte.
Daraufhin stellte F erneut einen Antrag im Eilverfahren vor dem Landgericht Hamburg und berücksichtigte dabei die telefonischen Hinweise des OLG Hamburg. Allerdings lehnte das LG Hamburg seinen Antrag auf Widerruf und Unterlassung wiederum ab. F legte Beschwerde vor dem OLG Hamburg ein. Nunmehr gab das OLG Hamburg dem F Recht und erließ einen Beschluss, nach dem der P-Verlag zur Unterlassung und zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung verpflichtet wurde. Dieser Beschluss wurde P zugestellt, der damit erstmals von der Streitigkeit erfahren hat.
P ist empört. Vielmehr noch als der Inhalt des Beschlusses als solcher, ärgert ihn die Tatsache, dass er über Wochen nichts von dem Verfahren wusste und der Beschluss ohne mündliche Verhandlung ergangen ist. Es könne nicht sein, dass das Gericht wochenlang mit F verhandelt, ihn geradezu „berät“ und P keinerlei Möglichkeit zur Stellungnahme bekommt.
P erhebt daher form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde.
Es ist davon auszugehen, dass der Rechtsweg erschöpft ist und auch der Grundsatz der Subsidiarität der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegensteht.
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Zulässigkeit
Das BVerfG ist für die Verfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG i.V.m. §§ 90 ff. BVerfG zuständig.
P ist als Grundrechtsträger zulässiger Beschwerdeführer. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich auch gegen einen zulässigen Beschwerdegegenstand, nämlich die Entscheidung des Oberlandesgerichts, mit der P verpflichtet wird, einen bestimmten Text zu veröffentlichen bzw. eine Darstellung zu unterlassen und das Verfahren, wie dieses zustande gekommen ist (Urteilsverfassungsbeschwerde).
Das gerichtliche Verfahren verletzt den P zumindest möglicherweise in seinem Justizgrundrecht auf rechtliches Gehör. Zudem ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass P wegen der ungleichen Behandlung durch das Gericht gegenüber F in seinem Grundrecht auf Gleichheit gem. Art. 3 Abs. 1 GG in seiner besonderen Ausprägung des Grundsatzes der „prozessualen Waffengleichheit“ verletzt wurde.
Der Rechtsweg wurde durch P lt. Bearbeitervermerk vor der Verfassungsbeschwerde ausgeschöpft (§ 90 BVerfGG), ein Verstoß gegen den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die form- und fristgerecht (vgl. §§ 23, 93 Abs. 1 BVerfGG) eingelegte Verfassungsbeschwerde ist somit zulässig.
Begründetheit
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts vorliegt, der verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden kann.
In Betracht kommt hier zunächst eine Verletzung des allgemeinen Gleichbehandlungsverbots in der besonderen Ausprägung des Grundsatzes der „prozessualen Waffengleichheit“. Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt – bezogen auf die Gleichbehandlung durch die Justiz – dass Gerichte Parteien in einem Prozess gleichwertig behandeln müssen. Konkret leitet das BVerfG insofern aus Art. 3 Abs. 1 GG eine Pflicht des Richters ab,
„die Gleichstellung der Parteien durch eine objektive, faire Verhandlungsführung, durch unvoreingenommene Bereitschaft zur Verwertung und Bewertung des gegenseitigen Vorbringens, durch unparteiische Rechtsanwendung und durch korrekte Erfüllung seiner sonstigen prozessualen Obliegenheiten gegenüber den Prozessbeteiligten zu wahren. Erforderlich ist danach die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor dem Richter. Die prozessuale Waffengleichheit steht dabei im Zusammenhang mit dem Gehörsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 1 GG, der eine besondere Ausprägung der Waffengleichheit ist. Als prozessuales Urrecht gebietet dieser, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen“.
Dies ist hier nicht geschehen. Während F mehrere Anträge gestellt hat, über die entschieden wurde und mit dem Gericht Rechtsgespräche geführt hat, hat P erst durch die Entscheidung über den letzten – erfolgreichen – Antrag überhaupt Kenntnis von dem Rechtsstreit bekommen.
Fraglich ist, ob diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt werden kann. Dies könnte aus der besonderen Konstellation von presserechtlichen Auseinandersetzungen folgen. Hier geht es regelmäßig um Eilbedürftigkeit. Wenn ein Unterlassungs-, Widerruf- oder Gegendarstellungsanspruch nicht kurzfristig durchgesetzt werden kann, verliert er faktisch seine Wirkung.
Allerdings folgt daraus keine Rechtfertigung dafür, dass der Gegenseite schon die Kenntnis über den Antrag sowie die Ablehnung des Antrags verborgen bleiben muss.
Auch das Unterbleiben der mündlichen Verhandlung könnte möglicherweise gerechtfertigt sein.
§ 937 Abs. 2 ZPO sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, auf eine mündliche Verhandlung zu verzichten. Dies wird in presserechtlichen Streitigkeiten regelmäßig der Fall sein, da dieses Rechtsgebiet von dem Erfordernis der „schnellen Reaktion“ geprägt ist. Dazu das BVerfG wörtlich:
„Dies gilt vor allem im Gegendarstellungsrecht, welches von einer grundsätzlichen Eilbedürftigkeit gekennzeichnet ist. Angesichts der durch das Internet, ständig aktualisierten Online-Angebote und die sozialen Medien beschleunigten Möglichkeiten der Weiterverbreitung von Informationen kann es im Interesse effektiven Rechtsschutzes sogar geboten sein, Unterlassungs- ebenso wie Gegendarstellungsansprüche in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Berichterstattung zur Geltung verhelfen.“
Daher war es hier verfassungsrechtlich nicht von vornherein unzulässig, über die von F beantragte einstweilige Verfügung gegen P ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Einschränkend verlangt das BVerfG aber:
„Der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung berechtigt aber nicht ohne weiteres dazu, die Gegenseite bis zur Entscheidung über den Antrag ganz aus dem Verfahren herauszuhalten. Nach dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit kommt eine stattgebende Entscheidung vielmehr grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Gegenseite zuvor die Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag gelten gemachte Vorbringen zu erwidern. Dabei kann nach Art und Zeitpunkt der Gehörsgewährung differenziert und auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt werden.“
Besonders hebt das BVerfG den Aspekt hervor, dass das Fachgericht beide Parteien – soweit möglich – in denselben Kenntnisstand setzen muss. Wenn es dem Antragsteller Hinweise nach § 139 ZPO erteilt, ist es verfassungsrechtlich geboten, den Gegner vor Erlass einer Entscheidung in den gleichen Kenntnisstand zu versetzen, indem auch ihm die richterlichen Hinweise mitgeteilt werden.
All dies hatte das OLG vorliegend nicht beachtet und damit die Grundrechte des P verletzt. Er hatte zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit, sich überhaupt zu äußern.
Das BVerfG spricht hier in aller Deutlichkeit von einem
„einseitigen Geheimverfahren über einen mehrwöchigen Zeitraum, in dem sich Gericht und Antragsteller über Rechtsfragen austauschen, ohne den Antragsteller in irgendeiner Form einzubeziehen.“
Seine Verfassungsbeschwerde ist damit zulässig und begründet und wird Erfolg haben.
Hinweis und Klausurrelevanz
Beim ersten Lesen des Sachverhalts könnte man auf die Idee kommen, nur ein Klausurersteller könne sich ausdenken, dass die Partei eines Zivilprozesses wochenlang nichts von einem Rechtsstreit erfährt, während die Gegenseite mehrere Anträge über zwei Instanzen stellt und sich zwischendurch sogar von einem Richter „beraten“ lässt. Allerdings ist dies tatsächlich so geschehen und aus der umfassenden Entscheidung des BVerfG ergibt sich, dass eine solche Verfahrensweise in Pressesachen an einigen OLG verbreitet ist.
Grundsätzlich kommt hier auch eine Prüfung des Justizgrundrechts auf rechtliches Gehör vor dem Gericht gem. Art. 103 Abs. 1 GG in Betracht. Das BVerfG sieht den Fall aber als so „ungerecht“ an, dass es vor allem auf den allgemeinen Gleichheitssatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG abstellt, dem es für die Konstellation eines Gerichtsverfahrens den Grundsatz der „prozessrechtlichen Waffengleichheit“ entnimmt.
Das eine öffentlich-rechtliche (Examens-)Klausur allein (!) auf diesen Sachverhalt abstellt, ist eher unwahrscheinlich. Allerdings eignet sich der vorliegende Fall ideal, um z.B. eine Verfassungsbeschwerde, in der es in erster Linie um die Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht geht, durch eine Abwandlung oder Zusatzfrage „aufzupeppen“. Für die mündliche Prüfung sollten Sie sich ohnehin auf die Justizgrundrechte vorbereiten – schon wegen der großen Zahl an Prüfern, die Richter sind.