A. Sachverhalt
Der Kläger (K) ist Haupterwerbslandwirt. K kaufte von der Verkäuferin V im Februar 2014, zum Preis von 4.500 € brutto, eine phosphat- und kaliumhaltige Flüssigkeit (PK-Lösung 5/15) zum Düngen seiner Felder.
K lieferte dem Kläger eine PK-Lösung 5/15, die sie zuvor von der Zwischenhändlerin Z erworben hatte. Die als Fachbetrieb für Abfallentsorgung tätige Z hatte diese Flüssigkeit von der Firma S als Abfall übernommen.
Z bezeichnete die PK-Lösung 5/15 anschließend als "EG-Düngemittel für Ackerbau" und erstellte eine Produktinformation.
Darin heißt es unter anderem:
"PK-Lösung 5-15 EG - DÜNGEMITTEL für Ackerbau PK-Dünger flüssig für Ackerbau Nährstoffgehalte 5% P2O5 wasserlösliches Phosphat 15% K2O wasserlösliches Kaliumoxid [Name und Anschrift der Beklagten zu 2]“
Sodann folgen Hinweise zur sachgerechten Anwendung:
„Die jeweils gültige Düngeverordnung ist zu beachten. Die Anwendung sollte im Sinne der guten fachlichen Praxis entsprechend dem Nährstoffbedarf erfolgen. Ausbringung mittels Pflanzenschutzspritze oder Güllefass. Aufgrund des hohen pH-Wertes nicht zur Blattdüngung geeignet, jedoch mit Schleppschläuchen im Bestand möglich bzw. nach der Ernte."
V holte die Flüssigkeit auf Veranlassung der Z mit einem Tanklastzug bei der S ab und lieferte sie an den K. K brachte die Flüssigkeit im März 2019 auf seinen Rapsfeldern aus. Etwa zehn Tage später stellte er fest, dass sich die Rapspflanzen überwiegend violett färbten und nicht mehr wuchsen.
Es stellte sich heraus, dass die Flüssigkeit mit Herbiziden (Mittel zum Abtöten von Unkraut) verunreinigt gewesen war. K macht den entgangenen Ertrag, die Kosten der Schadensermittlung und -beseitigung als Schaden geltend.
Hat K gegen Z einen Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach?
Bearbeitervermerk: Es ist davon auszugehen, dass die Verunreinigung der PK-Lösung 5/15 bereits bei der Übergabe von S an Z vorgelegen hat.
B. Lösung
I. § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG
K könnte gegen Z ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG zustehen.
Da vorliegend Düngemittel in Gestalt einer Flüssigkeit verkauft wurden, sind die Regelungen des Produkthaftungsgesetzes gem. den §§ 16, 19 ProdHaftG anwendbar.
Auch kam es durch die Verwendung des Düngemittels zu einer Beschädigung der Pflanzen. Allerdings muss gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG durch das fehlerhafte Produkt eine andere Sache beschädigt worden sein, die ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt und hierzu vom Geschädigten hauptsächlich verwendet worden ist.
K ist Haupterwerbslandwirt und hat den Dünger im Rahmen seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit erworben. Er verwendet diesen damit für berufliche Zwecke.
Ein Anspruch aus § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG kommt nicht in Betracht.
II. § 823 Abs. 1 BGB
K könnte gegen Z ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 1 BGB zustehen.
1. Rechtsgutverletzung
Eine Rechtsgutverletzung ist hier durch die Schädigung der Kulturpflanzen und eine etwaige Verunreinigung des Ackerbodens eingetreten.
2. Verletzungshandlung
Die Rechtsgutverletzung müsste durch ein Verhalten des Z eingetreten sein. Anknüpfungspunkt für ein deliktisches Handeln des Z könnte vorliegend in einem Unterlassen bestehen. Ein Unterlassen ist dann tatbestandsmäßig, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln gegenüber dem Geschädigten bestand.
Vorliegend könnte Z allgemeine Verkehrssicherungspflichten verletzt haben.
„Nach ständiger Senatsrechtsprechung ist derjenige, der eine Gefahrenlage - gleich welcher Art - schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren und die den Umständen nach zuzumuten sind. Dabei sind Sicherungsmaßnahmen umso eher zumutbar, je größer die Gefahr und die Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung sind (vgl. Senatsurteile vom 16. Juni 2009 - VI ZR 107/08, BGHZ 181, 253 Rn. 18; vom 31. Oktober 2006 - VI ZR 223/05, NJW 2007, 762 Rn. 11 mwN).“
Z hat durch den Vertrieb und die Weitergabe von (verunreinigten) Düngemitteln eine Gefahrenquelle geschaffen.
Entscheidend für den Umfang der Verkehrssicherungspflichten ist, in welcher Funktion Z tätig geworden ist. Je nachdem ob dieser als bloßer Vertriebshändler oder Hersteller aufgetreten ist treffen ihn unterschiedliche Anforderungen an die Verkehrssicherung.
Vertriebshändler sind für die Sicherheit der von ihnen vertriebenen Produkte nur sehr eingeschränkt verantwortlich. Insbesondere eine Haftung für Konstruktions- und Fabrikationsfehler scheidet grundsätzlich aus. Vertriebshändler sind nur dann verpflichtet, die von ihnen vertriebene Ware auf gefahrenfreie Beschaffenheit zu untersuchen, wenn aus besonderen Gründen Anlass dazu besteht, etwa weil ihnen bereits Schadensfälle bei der Produktverwendung bekannt geworden sind oder wenn die Umstände des Falles eine Überprüfung nahelegen.
Vertiefung
Pflichten eines Vertriebshändlers
Einem Vertriebshändler können nicht schon deshalb die für den Warenhersteller geltenden Gefahrabwendungspflichten auferlegt werden, weil er das von ihm erworbene und anschließend vertriebene Produkt mit einem eigenen Markenzeichen in den Verkehr gegeben hat. Diesem Umstand allein kommt außerhalb des Produkthaftungsgesetzes grundsätzlich keine entscheidende haftungsrechtliche Bedeutung zu.
Den Hersteller trifft grundsätzlich die weitestgehende (umfassende) Verantwortung für einen in seinem Tätigkeits- und Wissensbereich entstandenen Produktfehler. Zur Gewährleistung der erforderlichen Produktsicherheit hat der Hersteller unter anderem bereits im Rahmen der Konzeption und Planung des Produkts diejenigen Maßnahmen zu treffen, die zur Vermeidung einer Gefahr objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind.
Entscheidend ist demnach, ob Z als Vertriebshändler oder Hersteller einzuordnen ist.
Indem die Z als Fachbetrieb für Abfallentsorgung von S die phosphat- und kaliumhaltige Flüssigkeit als Abfall übernahm und die Flüssigkeit als "EG Düngemittel für Ackerbau" bezeichnete, hierfür eine Produktinformation erstellte und an die K weiterverkaufte, schuf sie ein neues Erzeugnis, das Produkt Düngemittel. Dieses brachte sie erstmals in den Verkehr, indem auf ihre Weisung die S die Flüssigkeit der K überließ.
Der Hersteller ist grundsätzlich verpflichtet dafür zu sorgen, dass niemand durch sein Produkt verletzt wird. Der Produzent muss dafür sorgen, dass sein Produkt ordnungsgemäß entwickelt wird (Konstruktionspflichten). Ferner muss er den Abnehmer über den Gebrauch und die möglichen Folgen bzw. Gefahren der Produktnutzung informieren (Instruktionspflichten) und darüber hinaus das Produkt auf dem Markt beobachten (Produktbeobachtungspflichten). Der Produzent muss insbesondere bei der Herstellung alle möglichen und zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen treffen damit kein fehlerhaftes Produkt in den Markt gelangt (Fabrikationspflichten).
Fraglich ist, ob notwendige Maßnahmen im Rahmen der Herstellung unterlassen wurden und damit eine Pflicht zum Handeln (Fabrikationspflicht) verletzt wurde.
Aufgrund der Gefahren durch Verunreinigungen von Düngemitteln für Landwirte, deren Mitarbeiter, die Böden und die Pflanzen der Endkunden ist eine als Abfall übernommene Flüssigkeit, welche als Düngemittel weiter vertrieben werden soll, grundsätzlich auf Verunreinigungen zu untersuchen.
Dabei darf sich der Produzent nicht (blind) darauf verlassen, dass der Vorbesitzer, welcher den Abfall abgibt, die Flüssigkeit bereits ordnungsgemäß auf Verunreinigungen untersucht hat. Hier gilt es insbesondere zu berücksichtigen, dass die Verkehrserwartungen an die Sicherheit von „Abfall“ ganz andere sind als die an das Produkt „Düngemittel“.
Damit unterließ Z die notwendige Untersuchungshandlung und verletzte dadurch die im Verkehr erforderliche Sorgfalt.
3. Kausalität
Hätte Z die notwendigen Untersuchungen vorgenommen, so wäre die Verunreinigung ermittelt - und die Flüssigkeit nicht in dieser Form weitergegeben worden. Damit wäre die Rechtsgutverletzung bei K nicht eingetreten. Die Zerstörung der Pflanzen durch ein verunreinigtes Mittel stellt einen typischen Schaden dar weswegen die Eigentumsverletzung sowohl äquivalent als auch adäquat kausal auf dem Verhalten des Z beruht. Der notwendige Zurechnungszusammenhang folgt aus der Verkehrssicherungspflichtverletzung.
4. Rechtswidrigkeit
Die Verwirklichung des Tatbestandes indiziert die Rechtswidrigkeit.
5. Verschulden
Z müsste schuldhaft, demnach fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt haben. Grundsätzlich ist der Anspruchssteller verpflichtet, das Verschulden des Anspruchsgegners darzulegen und zu beweisen. Besonderheiten ergeben sich bei Schadensersatzansprüchen gegen einen Hersteller. Hier hat der Geschädigte gerade keinen Einblick in den Organisations- und Verantwortungsbereich des Herstellers. Ein Nachweis des Verschuldens oder der objektiven Pflichtwidrigkeit ist daher regelmäßig erheblich erschwert. Nach ständiger Rechtsprechung wird im Rahmen der Produzentenhaftung die Beweislast im Rahmen des Verschuldens umgekehrt. Hier muss der Produzent beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft.
Ein Nachweis kommt vorliegend nicht in Betracht, vielmehr steht fest, dass entsprechend notwendige Untersuchungen nicht vorgenommen wurden.
6. Rechtsfolge
Sofern K ein Schaden entstanden ist, ist dieser nach Maßgabe der §§ 249 ff. BGB zu ersetzen.