Sachverhalt (vereinfacht)
Im Jahr 2015 erschien in dem Nachrichtenmagazin N. ein Beitrag über einen Skandal im Rahmen der Fusion von zwei Landesbanken. Insbesondere wurde dabei auch ausführlich über den Anfangsverdacht und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den K, einen leitenden Mitarbeiter der Landesbank, berichtet. Hintergrund waren Verdachtsmomente über angebliche (illegale) Abhörmaßnahmen innerhalb der Landesbank, die K maßgeblich zu verantworten habe. Es ist davon auszugehen, dass die Berichterstattung den Maßstäben an eine zulässige Verdachtsberichterstattung genügt und auch ansonsten weder zivil- noch presserechtlich unzulässig war.
Im Oktober 2017 wurde das Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.
Der K verklagte N daraufhin mit dem Ziel, diese zum Abdruck eines „Nachtrags“ zu verpflichten. In zweiter Instanz verurteilte das OLG den N. dazu einen Text zu veröffentlichen, in dem zum einen darüber berichtet wird, dass das Strafverfahren gegen K mangels Tatverdacht eingestellt wurde. Zum anderen soll N. erklären:
„Im Januar 2015 haben wir durch die Berichterstattung den Verdacht erweckt, der K habe an angeblichen Abhörmaßnahmen mitgewirkt. Diesen Verdacht halten wir aus heutiger Sicht nicht aufrecht. Der Verlag.“
Der Text muss im Inhaltsverzeichnis angekündigt und in derselben Rubrik veröffentlicht werden, wie die ursprüngliche Berichterstattung.
Seine zivilrechtliche Grundlage hat der Anspruch des K in §§ 1004, 823 BGB als sog. „presserechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch“.
Nach einer erfolglosen Nichtzulassungsbeschwerde legte N form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde ein.
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Zulässigkeit
Das BVerfG ist für die Verfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG i.V.m. §§ 90 ff. BVerfG zuständig.
N ist als Grundrechtsträger zulässiger Beschwerdeführer. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich auch gegen einen zulässigen Beschwerdegegenstand, nämlich die Entscheidung des Oberlandesgerichts, mit der N verpflichtet wird, einen bestimmten Text zu veröffentlichen (Urteilsverfassungsbeschwerde).
Diese Verpflichtung verletzt den N zumindest möglicherweise in seinem Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. N ist auch selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen. Die erforderliche Beschwerdebefugnis liegt damit vor.
Der Rechtsweg wurde durch den N vor der Verfassungsbeschwerde ausgeschöpft (§ 90 BVerfGG), ein Verstoß gegen den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist nicht ersichtlich. Die form- und fristgerecht (vgl. §§ 23, 93 Abs. 1 BVerfGG) eingelegte Verfassungsbeschwerde ist somit zulässig.
Begründetheit
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts vorliegt, der verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden kann.
Hier kommt vor allem eine Verletzung der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG in Betracht.
Zunächst umreißt das BVerfG den Schutzbereich der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG:
„Das Grundrecht der Pressefreiheit gewährleistet seinem Träger das Recht, das von ihm verlegte Presseerzeugnis nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten. Diese Freiheit ist sowohl in positiver wie in negativer Hinsicht geschützt. Insbesondere gehört es zu den verfassungsrechtlich gesicherten Aufgaben der Presse, investigativ und in den Grenzen des Zulässigen über Verdächtigungen von hohem öffentlichen Interesse zu berichten. Der Träger der Pressefreiheit soll grundsätzlich selbst entscheiden dürfen, was er in sein Presseerzeugnis aufnehmen will und was nicht. Hinsichtlich des Inhalts der Berichterstattung ist die Presse durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt. Hierzu gehört in seiner negativen Ausprägung auch das Recht, sich die Äußerung und Verbreitung einer fremden Meinung nicht als eigene zurechnen lassen zu müssen.“
Die Verurteilung aus der die Verpflichtung zur Veröffentlichung einer bestimmten Formulierung folgt, ist auch ein Eingriff in die so verstandene Pressefreiheit.
Fraglich ist, ob dieser Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann.
Nach Art. 5 Abs. 2 GG genießen die Meinungs- und Pressefreiheit keinen vorbehaltlosen Schutz, sondern finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre.
Die §§ 1004, 823 BGB sind solche allgemeinen Gesetze.
Zwar ist die Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften Aufgabe der Zivilgerichte und nicht des Bundesverfassungsgerichts, das keine Superrevisionsinstanz ist. Jedoch prüft das BVerfG die Verletzung „spezifischen Verfassungsrechts“, die insbesondere dann gegeben ist, wenn ein Gericht die Bedeutung der Grundrechte grundlegend verkennt.
Das BVerfG wägt nun die beiden betroffenen Grundrechtspositionen – Meinungs- und Pressefreiheit des N und allgemeines Persönlichkeitsrecht des K aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG – gegeneinander ab.
Dabei führt das BVerfG aus:
„Verfassungsrechtlich ist vom Grundsatz her nichts dagegen einzuwenden, wenn die Rechtsprechung aus den Vorschriften der §§ 823 und 1004 BGB einen „äußerungsrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch“ ableitet, der selbständig neben dem an andere Voraussetzungen gebundenen Gegendarstellungsrecht steht und eingreift, wenn eine ursprünglich rechtmäßige Meldung über eine Straftat sich aufgrund späterer gerichtlicher Erkenntnisse in einem anderen Licht darstellt und die durch die Meldung hervorgerufene Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts andauert.“
Allerdings stellt das BVerfG klar, dass die Presse nur in Ausnahmefällen zu einem solchen „Nachtrag“ verpflichtet werden darf:
„Eine im Nachgang zu rechtmäßigen Presseberichten angeordnete nachträgliche Mitteilung über erst später bekanntwerdende Umstände unterscheidet sich in ihren Anforderungen jedoch grundsätzlich von der Richtigstellung gegenüber ursprünglich rechtswidrigen Presseberichten (…). Die Entscheidung, über welche Ereignisse berichtet wird, gehört zum wesentlichen Inhalt der Pressefreiheit, weshalb die Presse nicht einer generellen Pflicht unterworfen werden darf, die Berichterstattung über ein einmal aufgegriffenes Thema bei neuen Entwicklungen fortzusetzen oder im Nachgang zu einer Berichterstattung nachzuforschen, ob sich ein Verdacht bewahrheitet hat oder nicht. Der für die freiheitliche demokratische Grundordnung konstituierende Charakter der Pressefreiheit erfordert, dass Eingriffe durch die Zuerkennung von Ansprüchen auf nachträgliche Mitteilung in Anschluss an eine ursprünglich rechtmäßige Verdachtsberichterstattung auf Ausnahmefälle begrenzt bleiben müssen.“
Für den konkreten Fall folgert das BVerfG daraus, dass das Urteil die Bedeutung der Pressefreiheit der N nicht ausreichend gewichtet und daher die N in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG verletzt. Denkt man die Entscheidung des OLG konsequent zu Ende, folgt daraus eine Pflicht für die Presse, auch nach der Berichterstattung die Umstände eines Sachverhalts allgemein weiter zu verfolgen und von den Betroffenen neu herangebrachte Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
Insbesondere hat das Zivilgericht hier nicht ausreichend berücksichtigt, dass die ursprüngliche Berichterstattung über die Verdachtsmomente als solche rechtmäßig war. Insofern geht der Nachtrag in Inhalt, Form und Umfang über das zumutbare Maß hinaus:
„Zum Schutz des Persönlichkeitsrechts des Klägers hätte die von einer kurzen Zusammenfassung der angegriffenen Berichterstattung eingeleitete Mitteilung, dass das gegen ihn geführte staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei, ausgereicht. Mehr hätte der N unter Berücksichtigung der Meinungs- und Pressefreiheit nicht abverlangt werden dürfen.“
Schließlich beruht die Entscheidung des OLG auch auf diesen verfassungsrechtlichen Fehlern, denn es ist nicht auszuschließen, dass es bei Beachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe zu einer anderen Entscheidung in der Sache gekommen wäre.
Fazit und Bewertung
Es handelt sich um eine Entscheidung, die eine klassische Grundrechtskollision zum Inhalt hat: die Abwägung zwischen der Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG andererseits. Erforderlich sind hier nicht vertiefte presserechtliche Kenntnisse, Maßstab ist Verletzung spezifischen Verfassungsrechts.
Zudem ist die Entscheidung ein anschauliches Beispiel dafür, was praktische Konkordanz konkret bedeutet: Die Verurteilung der N objektiv darüber zu berichten, dass das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegenüber K eingestellt wurde, ist verfassungsgemäß. Dagegen überschreitet die Verpflichtung eine Distanzierung gegenüber der früheren – in sich rechtmäßigen! – Verdachtsberichterstattung zu veröffentlichen, die Grenzen der Zumutbarkeit und stellt somit eine Verletzung der Pressefreiheit dar.