A Tatbestand (leicht vereinfacht):
Der Beklagte (B) entzog sich mit dem von ihm geführten Kfz einer Verkehrskontrolle auf der Autobahn und verletzte dabei eine Polizeibeamtin. Daraufhin kam es zu einer Verfolgungsjagd, bei der der B zwischen 180 und 200 km/h fuhr, mehrfach die Fahrstreifen wechselte und auch den Standstreifen nutzte. Um den Flüchtigen zu stoppen, wurden die Fahrstreifen mit langsam fahrenden Dienstfahrzeugen und der Standstreifen mit einem Lkw blockiert. Der B versuchte zwischen den beiden Streifenwagen hindurchzufahren und wurde dabei von einem weiteren Polizeifahrzeug von hinten gerammt, so dass er zwischen den beiden Fahrzeugen durchgeschoben wurde. Schließlich konnte das Fluchtfahrzeug an die Mittelleitplanke gedrängt und gestoppt werden. Mit seiner Klage gegen B macht das Land als Kläger (K) den an den Polizeifahrzeugen entstandenen Schaden i. H. von rund 17 000 Euro geltend.
Das LG hat der Klage stattgegeben (LG Darmstadt, BeckRS 2012). Das OLG hat auf Berufung des Bekl. die Klage abgewiesen (OLG Frankfurt a. M., BeckRS 2012). Die zum BGH zugelassene Revision hat Erfolg.
Bestehen Ansprüche des K gegen B wegen Beschädigung der Fahrzeuge?
B. Lösung:
I. Anspruch des K gegen B aus §§ 677, 683 S.1, 670 analog
Hinweis
Diese AGL wird im Urteil nicht angesprochen, sollte jedoch in der Klausur nicht fehlen. Die hier zentral zu erörternde Frage ist die nach der Anwendbarkeit der GoA bei öffentlich rechtlichem Handeln.
Die Anwendbarkeit wird uneinheitlich beurteilt. Die Literatur lehnt die Anwendbarkeit überwiegend ab (u.a. Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht Rn. 412).
Die Rechtsprechung dagegen lehnt die Anwendung der GOA nicht generell ab. Ist die Geschäftsbesorgung im Zusammenhang mit öffentlich-rechtlichen Pflichten ausgeführt worden, ist die Fremdnützlichkeit nicht generell abzulehnen.
Dies kann jedoch dann nicht angenommen werden, wenn die öffentlich rechtliche Norm eine abschließende Sonderregelung darstellt, oder schon kein „auch fremdes Geschäft“ angenommen werden kann.
Im vorliegenden Fall kann kein fremdes Geschäft angenommen werden. Das Anhalten eines Fahrzeugs durch polizeilichen Zwang ist gerade nur der Polizei zugewiesen. Es ist auch nicht mit der Verpflichtung des Beklagten zum Anhalten vergleichbar. Demnach fehlt es im vorliegenden Fall bereits am fremden Geschäft.
Demnach muss ein Anspruch des K gegen B aus der Geschäftsführung ohne Auftrag abgelehnt werden.
II. Anspruch des K gegen B aus § 7 Abs. 1 StVG
Hinweis
Hier kommen wir zur zentralen Anspruchsgrundlage des Falls. Das Deliktsrecht ist mit der Prüfung von § 7 StVG zu beginnen. Hierbei handelt es sich um die günstigste Norm für den Kläger. In der Klausur sollte mit den günstigsten Normen für den Anspruchssteller begonnen werden.
K könnte gegen B einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 17.000 € aus § 7 Abs. 1 StVG haben.
Hierfür müsste B als Halter eines Kfz ein Rechtsgut bei dessen Betrieb verursacht haben und der Anspruch nicht ausgeschlossen sein.
1. Halter
Fraglich ist, ob B Halter des Kfz gewesen ist. Nach allgemeiner Ansicht ist Halter, wer das Fahrzeug für eigene Rechnung gebraucht und die Verfügungsgewalt hierüber besitzt. Dies kann im vorliegenden Fall angenommen werden.
2. Verletzung eines Rechtsguts
Im vorliegenden Fall wurden Fahrzeuge der Polizei beschädigt und damit das Eigentum des K.
3. Beim Betrieb des Kfz
Die Verletzung des Rechtsguts muss nach dem Wortlaut des Gesetzes beim Betrieb des Kfz erfolgen.
a. Betrieb
Im öffentlichen Verkehrsraum stellt die Rechtsprechung auf die verkehrstechnische Auffassung ab. Demnach ist ein Fahrzeug in Betrieb, solange es sich im öffentlichen Straßenverkehr bewegt oder in verkehrsbeeinflussender Weise darin ruht.
Die daneben bestehende maschinentechnische Auffassung ist jedoch nicht ohne Bedeutung! Diese ist dann heranzuziehen, wenn sich ein „Unfall“ außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums ereignet. Hier greift schon die Definition der verkehrstechnischen Auffassung nicht, weshalb auf die maschinentechnische Auffassung zurückzugreifen ist. Fährt ein Kfz im öffentlichen Verkehr mit laufendem Motor, ist eine Differenzierung zwischen beiden Ansichten in der Klausur nicht notwendig. Ein Hinweis auf die Existenz beider Ansätze genügt vollends.
B war im Verkehr unterwegs; demnach kann das Merkmal bejaht werden.
b. Spezifischer Kausalzusammenhang
Neben den allgemeinen Anforderungen an den Kausalzusammenhang ist bei § 7 Abs. 1 StVG ein spezifischer Gefahrzusammenhang notwendig. Demnach muss sich bei dem eingetretenen Schaden die vom Kfz ausgehende typische Betriebsgefahr verwirklicht haben.
Der Annahme der typischen Betriebsgefahr könnten folgende Aspekte entgegenstehen: zum einen hat sich die Polizei hier selbst geschädigt und wurde nicht durch den Beklagten unmittelbar in ihren Rechtsgütern beeinträchtigt, zum anderen verursachte die Polizei die Beschädigung vorsätzlich.
Fraglich ist demnach, ob eine Selbstschädigung den spezifischen Kausalzusammenhang entfallen lässt.
Dies gilt ist anhand der sogenannten Herausforderungsformel, welche von der Rechtsprechung entwickelt worden ist, zu ermitteln. Demnach ist ein ausreichendes herausforderndes Verhalten nötig und im Schaden muss sich das spezifische herausgeforderte Risiko verwirklichen. Zudem muss das herausgeforderte Verhalten verhältnismäßig sein.
aa. Herausforderndes Verhalten des B
In Abgrenzung zum Handeln bei bloßer Gelegenheit muss das Verhalten des B einen ausreichenden Anlass für die nachfolgende Verfolgung nebst Kollision begründet haben.
Dies kann bei einer derartigen, die Allgemeinheit gefährdenden Fahrt angenommen werden.
bb. Verwirklichung eines spezifischen Risikos
Im eingetretenen Schaden muss sich das der Verfolgung spezifisch innewohnende Risiko verwirklicht haben. Dieses Kriterium dient der Abgrenzung zum allgemeinen Lebensrisiko.
Schäden an einem Fahrzeug aufgrund einer verfolgungsbedingten Kollision stellen in Fällen der Polizeiflucht ein spezifisches Verfolgungsrisiko dar.
cc. Verhältnismäßigkeit
„Wesentlicher Gradmesser für eine Herausforderung zur Verfolgung mit der Überbürdung des gesteigerten Verletzungsrisikos auf den Fliehenden ist insb. die angemessene Mittel-Zweck-Relation, nach der die Risiken der Verfolgung und der Beendigung der Flucht nicht außer Verhältnis zu dem Ziel der Ergreifung des Fliehenden stehen dürfen, weil ansonsten die Schädigung nicht mehr in den Schutzbereich der Haftungsnorm fällt (vgl. Senatsurt. v. 13. 7. 1971 – VI ZR 125/70, BGHZ 57, 25; v. 29. 10. 1974 – VI ZR 168/73, BGHZ 63, 189 und v. 12. 3. 1996 – VI ZR 12/95, BGHZ 132, 164 = r+s 96, 438).
Der B hat sich nach den Feststellungen des BG einer Verkehrskontrolle entzogen, dabei eine Polizeibeamtin verletzt und sich danach über viele Kilometer hinweg mit den ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen mit hoher Geschwindigkeit eine Verfolgungsjagd mit mehrfachem Fahrstreifenwechsel unter Mitbenutzung des Standstreifens geliefert. Da von diesem rücksichtslosen Verhalten eine erhebliche Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer ausging, stand die Entscheidung, die Flucht durch eine Kollision mit dem Fluchtfahrzeug auf die erfolgte Art zu beenden, nicht außer Verhältnis zu dem Ziel der Beendigung der Flucht und der Ergreifung des Fliehenden.“
Demnach kann die Verhältnismäßigkeit im vorliegenden Fall angenommen werden.
dd. Zwischenergebnis
Die Polizei durfte sich zu einer Selbstschädigung herausgefordert fühlen. Dieser Annahme steht auch das vorsätzliche Handeln der Polizei nicht entgegen.
„Die Tatsache, dass das Auffahren im Streitfall vorsätzlich erfolgte, um das Fluchtfahrzeug zu stoppen, hat lediglich Bedeutung für die Frage, ob der Unfall für einen der Unfallbeteiligten ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG n.F.bzw. § 7 Abs. 2 StVG a.F.war.“
4. Ausschlussgründe
Ein Ausschluss der Haftung gemäß § 7 Abs. 2 StVG kommt nicht in Betracht.
5. Schaden
Im vorliegenden Fall beläuft sich der Schaden auf 17.000 €. Der Schaden ist nach der Differenzhypothese zu ersetzen. Im Wege der Naturalrestitution kann gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 Ersatz in Geld verlangt werden.
6. Anspruchsminderung gemäß § 17?
Fraglich ist, ob vorliegend eine Anspruchsminderung nach § 17 vorzunehmen ist.
Gemäß § 17 Abs. 3 ist die Haftung ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wird, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugs noch auf einem Versagen seiner Vorrichtungen beruht. Als unabwendbar gilt ein Ereignis nur dann, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat.
Der Anspruch der K ist nicht ausgeschlossen. B hätte durch freiwilliges Anhalten den Zusammenstoß und damit den Schaden verhindern können.
Wenn der Ausschluss nach § 17 Abs. 3 nicht anzunehmen ist, ist grundsätzlich eine Minderung des Anspruchs nach § 17 Abs. 2 zu prüfen. Die Norm dient der Berücksichtigung der Betriebsgefahr der jeweiligen Fahrzeuge. Allerdings ist die Betriebsgefahr der anderen Partei dann nicht zu berücksichtigen, wenn der Unfall für diese ein unabwendbares Ereignis darstellt.
Hinweis
§ 17 Abs. 3 ist daher für jeden am Unfall Beteiligten gesondert zu prüfen. Liegt für einen der Beteiligten ein unabwendbares Ereignis vor, so ist der Anspruch oder die Berücksichtigung der Betriebsgefahr ausgeschlossen.
Fraglich ist, ob ein unabwendbares Ereignis für die Polizei vorlag und damit deren Betriebsgefahr nicht zu berücksichtigen wäre. Da die Polizei vorsätzlich in das Fahrzeug des B gefahren ist, kann nicht von tatsächlicher Unabwendbarkeit ausgegangen werden.
Hinweis
Dieses Ergebnis ist jedoch unter Wertungsgesichtspunkten nicht vorzugswürdig. Immerhin war die Polizei im Sinne der Allgemeinheit verpflichtet so zu handeln. Demnach muss eine Korrektur des Ergebnisses erfolgen.
Eine Unabwendbarkeit ist nicht nur aus tatsächlichen Gründen möglich, sondern kann sich auch aus rechtlichen Gründen ergeben. Ist ein bestimmtes Verhalten aus rechtlicher Sicht geboten, so ist das Verhalten als unabwendbar aus Rechtsgründen einzustufen. Vorliegend kann in Anbetracht der Gefährdung der Allgemeinheit eine Ermessensreduktion auf Null vertreten werden. Demnach kann sich K im vorliegenden Fall auch auf § 17 Abs. 3 berufen.
Fraglich ist, ob eine Minderung des Anspruchs aus § 9 StVG i.V.m. § 254 geboten ist. In diesem Zusammenhang gilt es jedoch zu beachten, dass für die Haftung der Halter und Fahrer untereinander § 17 StVG eine spezielle Vorschrift darstellt und ein Rückgriff auf § 254 unstatthaft ist.
6. Ergebnis
K hat einen Anspruch gegen B auf Zahlung von 17.000 € aus § 7 Abs. 1.
III. Anspruch des K gegen B aus § 18 Abs. 1 StVG
Die Prüfung von § 18 Abs. 1 StVG orientiert sich an § 7 Abs. 1 StVG. Die Voraussetzungen liegen demnach vor. Auch ist der B Führer des Kfz, da dieses eigenverantwortlich lenkt und die tatsächliche Herrschaft über das Fahrzeug ausübt. Im Gegensatz zu § 7 Abs. 1 muss bei § 18 Abs. 1 Verschulden vorliegen. Dieses wird jedoch gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 vermutet. Eine Exkulpationsmöglichkeit ist zudem nicht ersichtlich.
Der Anspruch aus § 18 Abs. 1 ist wie derjenige aus § 7 Abs. 1 nicht zu kürzen. § 18 Abs. 3 in Verbindung mit § 17 Abs. 2,3 ist vorliegend wie oben dargestellt zu bewerten.
Demnach besteht ein inhaltsgleicher Anspruch aus § 18 Abs. 1.
IV. Anspruch des K gegen B aus § 823 Abs. 1 BGB
Hinweis
Zu diesen Ansprüchen durfte sich kurz geäußert werden. In den Fällen von § 7 oder § 18 StVG kommen regelmäßig auch Ansprüche aus dem allgemeinen Deliktsrecht in Betracht. Diese haben in der Praxis und in der Klausur zumeist untergeordnete Bedeutung. Demnach dürfen diese in der Klausur relativ knapp gehalten werden. Allerdings sollte die Prüfung zumindest gedanklich stets durchgespielt werden. Ergeben sich danach Besonderheiten im Rahmen des allgemeinen Deliktsrechts sind diese sauber zu erarbeiten. Ansonsten dürfen die Anspruchsgrundlagen knapp dargestellt werden.
Im vorliegenden Fall ergeben sich keine Besonderheiten. Der positive Nachweis des Verschuldens ist aufgrund der rücksichtslosen Fahrt ohne Weiteres möglich. Das Verhalten des B war damit zumindest fahrlässig im Sinne von § 276 Abs. 2. Im Rahmen der Prüfung eines etwaigen Mitverschuldens ist die Wertung aus § 17 Abs. 2,3 StVG zu beachten.
Demnach besteht ein inhaltsgleicher Anspruch aus § 823 Abs. 1.
Daneben konnte noch § 823 Abs. 2 i.V.m. der StVO geprüft werden.