Der Klägerin ist Gesellschafterin einer Immobilienfonds-OHG. Die Beklagte ist Investorin besagten Immobilienfonds. Das Investmentverhältnis ist wie folgt strukturiert: Die Klägerin soll für die Beklagte die Gesellschafterstellung ausüben. Die Beklagte selbst wird allerdings nicht Gesellschafterin. Nur die Klägerin ist persönlich an der Gesellschaft beteiligt. Gleichwohl stehen nach dem Treuhandvertrag alle Vermögensrechte- und pflichten der Klägerin wirtschaftlich der Beklagten zu. Die Klägerin soll also die Gewinne der Gesellschaft an die Belagte weiterleiten, die Verbindlichkeiten der Klägerin aufgrund der Gesellschafterstellung sollen ebenfalls von der Beklagten getragen werden. Im Vertrag zwischen den Parteien heißt es sinngemäß: "Die Beklagte haftet für die wirtschaftlichen Folgen der Beteiligung der XXX (Klägerin) wie wenn sie selbst unmittelbar Gesellschafterin wäre". Nachdem der Immobilienfonds "Schiffbruch" erleidet und sich die Gläubiger der OHG an die Klägerin wenden, verlangt diese von der Beklagten Freistellung von ihren Verbindlichkeiten oder Zahlung des Ausgleichsbetrages. Die Beklagte verweigert beides kategorisch und erwidert, sie sei von der Klägerin falsch beraten worden. Ihr stehe deshalb ein Schadensersatzanspruch gegen die Klägerin zu. Sie erkläre die Aufrechnung.
Sachverhalte mit erhöhter Personenkomplexität erfordern enorme Konzentrationsleistungen. Hier kann es entlasten, wenn man sich die Personenkonstellation aufzeichnet. Das ist nicht nur ein gutgemeinter "Trick", um den ein oder anderen Punkt mehr zu bekommen, sondern essentiell für das Bestehen einer Klausur: Machen Sie sich eine Skizze! Punkt.
Als nächstes: Wer will was von wem woraus? Und warum?: Die Klägerin will, dass die Beklagte an die Gläubiger der Gesellschaft zahlt. Sollte das nicht möglich sein, will sie, dass die Beklagte an sie, die Klägerin, zahlt. Sie will dies, weil der Vertrag zwischen ihr und der Beklagten das so vorsieht. Es geht also nur um vertragliche Ansprüche. Das bedeutet: Die Schwierigkeit des Sachverhalts liegt nicht darin, möglichst viele versteckte Anspruchsgrundlagen zu finden.
Das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien ist ein Dienstvertrag in Gestalt eines Geschäftsbesorgungsvertrags, §§ 611, 675 BGB. Aus diesem Dienstvertrag hat die Klägerin einen Anspruch auf Aufwendungsersatz gem. § 670 BGB. § 257 BGB stellt klar, dass Aufwendungen auch in Verbindlichkeiten bestehen können und ordnet ferner an, dass der Auftraggeber (Dienstherr, Geschäftsherr) in diesem Falle auch Freistellung (d.h. unmittelbare Befriedigung des Drittgläubigers) schulde. Die Klägerin hat damit einen Anspruch auf Freistellung.
Dieser Anspruch könnte aber durch Aufrechnung, § 398 BGB erloschen sein. Voraussetzung dafür wäre, dass die Auftrechnung mit einer bestimmbaren, bestehenden Forderung erklärt wurde und eine Aufrechnungslage beseht. Die Aufrechnungserklärung liegt vor. Die Aufrechnungslage besteht, wenn zwei gegenseitige gleichartige Ansprüche bestehen. Die Klägerin könnte der Beklagten Schadensersatz wegen Pflichverletzung aus dem Beratungsvertrag schulden, die Klägerin schuldet Freistellung von der Verbindlichkeit der Klägerin. Diese Ansprüche stehen - unabhängig davon ob der Schadensersatzanspruch tatsächlich besteht - nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis, da Freistellung etwas anderes als Zahlung an die Person ist, gegenüber der Freistellung gesschuldet wird. Damit besteht zumindest bis hierhin keine Aufrechnungslage und die Aufrechnung geht ins Leere.
Die Klägerin könnte allerdings auch Zahlung an sich selbst verlangen: Da die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin im Verhältnis zu den Gesellschaftsgläubigern freizustellen, verletzt sie eine Pflicht, wenn sie es nicht tut. Der Klägerin entsteht damit ein Schaden, weil sie den Gläubigern der Gesellschaft immernoch den ausstehenden Betrag schuldet. Da es sich um einen Schaden statt der Leistung handelt, § 281 BGB ist prinzipiell eine Fristsetzung erforderlich - die jedoch aufgrund der beharrlichen Weigerung der Beklagten entbehrlich ist. Damit hat die Klägerin gegen die Beklagte auch einen Zahlungsanspruch.
Mit diesem Zahlungsanspruch stünde der Schadensersatzanspruch der Beklagten gegen die Klägerin in einem Gegenseitigkeitsverhältnis, sodass eine Aufrechungslage gegeben wäre. Dies allerdings nur, wenn die Aufrechnung nicht ausgeschlossen wäre. Ein Ausschluss könnte sich aus dem Gesetz unmittelbar, Vertrag oder aus einer entsprechenden Anwendung des § 242 BGB ergeben. Wirklich in Betracht kommt hier aber nur aus dem Vertrag:
Die Parteien haben schließlich vereinbart, dass die Klägerin wirtschaftlich so zu stellen sei, wie wenn die Beklagte selbst Gesellschafterin wäre. Damit ist fraglich, ob die Beklagte, wäre sie selbst Gesellschafterin, den Gläubigern erfolgreich entgegen halten könnte, die Klägerin schulde ihr Schadensersatz. Wer hier neben der Norm des § 128 HGB auch die Norm des § 129 HGB (ganz heißer Tipp: immer die Normen im Dunstkreis der Problemnorm lesen!!!) sieht, der hat die 17 Punkte schon fast sicher. Diese Norm besagt, dass ein Gesellschafter dem Gläubiger der Gesellschaft, der ihn persönlich in Anspruch nimmt, persönliche Einwendungen und solcher der Gesellschaft entgegenhalten kann. Denkt man sich jetzt die Beklagte als Gesellschafterin, dann könnte Sie also persönliche Einwendungen dem Kläger entgegen halten - darum ginge es hier aber nicht. Der Freistellungsanspruch ist auf den Anspruch des Gesellschaftsgläubigers gerichtet, die Einwendung der Aufrechnung betrifft also einen aus dieser Perspektive Dritten. Zusammenfassend: Würde die Beklagte selbst Gesellschafterin sein, dann könnte sie den Gläubigern der Gesellschaft nicht entgegenhalten, der Kläger schulde ihr noch Geld. Weil aber der Kläger laut Vertrag so gestellt werden soll als sei die Beklagte in Wirklichkeit die Gesellschafterin, kann Sie sich deshalb ihm gegenüber nicht auf die Aufrechnung berufen - die Parteien haben die Aufrechnung in ihrem Geschäftsbesorgungsvertrag ausgeschlossen, §§399, 133, 157 BGB.
Der Anspruch der Klägerin besteht - darauf, ob der Schadensersatzanspruch der Beklagten gegen die Klägerin ebenfalls besteht, kommt es nicht an.
Der Beklagten wäre es jedoch unbenommen den Schadensersatzanspruch im Wege der hilfsweise erhobenen Widerklage zu verfolgen. Sie müsste dann beweisen, dass ein Beratungsvertrag und ein zu vertretender Beratungsfehler vorlag. Sie müsste zudem einen Schaden nachweise, was Ihr aufgrund des Freistellungsanspruchs (bzw. Schadensersatzanspruchs des Klägers) gelänge. Sie müsste nicht nachweisen, dass sie bei ordnungsgemäßer Beratung die Investition so nicht vorgenommen hätte. Das folgt nicht aus den allgemeinen Beweislastregeln, sondern aus der Rechtsprechung zum "beratungsgerechten Verhalten". Das ist aber Sonderwissen, das im ersten Examen nur äußerst unwahrscheinlich thematisiert wird.
Wer mehr über die OHG, die Aufrechnung und die möglichkeiten der hilfsweisen Widerklage erfahren möchte, dem seien unsere GuKOs ZR II, VIII und X oder ein entsprechender ExO empfohlen. Einen Einblick in unser Probeskript zum Gesellschaftsrecht bekommen Sie hier.