Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte nach einem Hundebiss auf Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Der Kläger ging am 16. Juli 2011 gegen 22:00 Uhr auf dem Weg zur Hauptstraße an dem Grundstück der Beklagten vorbei. Er führte seinen Hund, einen Labrador-Mischling, angeleint bei Fuß, wobei die Hundeleine um sein linkes Handgelenk gewickelt war. Auf dem Grundstück der Beklagten befand sich deren Hund, ein Golden Retriever.
Der Hund der Beklagten rannte – infolge unzureichender Sicherung des Grundstücks - auf den Kläger und dessen Hund zu. Es kam zu einem Gerangel und einem Kampf zwischen den Hunden, wobei der Hund der Beklagten immer wieder am Kläger hochsprang. Zwischen den Hunden stehend und mit der sein Handgelenk umwickelnden Leine war der Kläger in seiner Abwehr eingeschränkt und konnte sich nicht befreien. In dieser Situation wurde er von dem Hund der Beklagten gebissen. Er trug blutende Wunden davon und seine Hose wurde zerrissen.
Bei der Bearbeitung ist davon auszugehen, dass beide Hunde das gleiche abstrakte Gefahrpotenzial aufweisen.
- Hat der Kläger Anspruch auf Geldersatz wegen seiner zerstörten Hose?
- Hat der Kläger Anspruch auf Schmerzensgeld?
- Hat der Kläger Anspruch auf Ersatz der fiktiven Behandlungskosten, da er auf einen Arztbesuch verzichtet hat?
Lösung:
I § 833 Satz 1
Hinweis: Sortieren sie ihre Anspruchsgrundlagen grundsätzlich nach der Günstigkeit für den Mandanten.
1 Halter eines Tieres
Hierfür müsste die Beklagte Halterin des Hundes sein. Tierhalter ist derjenige, der nach der Verkehrsanschauung darüber entscheidet, ob Dritte der von einem Tier ausgehenden nur unzulänglich beherrschbaren Gefahr ausgesetzt werden. Grundsätzlich ist dies unter Abwägung aller Umstände zu bestimmen.
Hiervon kann in Ermangelung besonderer Angaben im Sachverhalt bezüglich der Beklagten ausgegangen werden.
2 Schadensverursachung „durch ein Tier“
Die Formulierung des Gesetzes verlangt, dass die Rechtsgutsverletzung ihre Ursache zumindest auch in der Manifestation einer spezifischen Gefahr des Tieres haben muss. Die spezifische Gefahr eines Tieres ist dann verwirklicht, wenn die Unberechenbarkeit des selbstständigen Tierverhaltens in der Gefährdung oder Verletzung des Rechtsguts verwirklicht wird.
Die Einwirkung eines ausgebrochenen Hundes auf einen Menschen stellt eine typische, der Unberechenbarkeit des Verhaltens zurechenbare, Gefahr dar.
3 Verschulden
§ 833 Satz 1 statuiert eine Gefährdungshaftung. Demnach ist ein Verschulden nicht notwendig. Eine Möglichkeit zur Exkulpation könnte sich jedoch aus § 833 Satz 2 ergeben. Hierfür müsste es sich beim im vorliegenden Fall betroffenen Hund um ein Haustier handeln, welches dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Halters zu dienen bestimmt ist.
Zwar handelt es sich beim Hund um ein gezähmtes Tier und damit ein Haustier, jedoch ist aus dem Sachverhalt nicht ersichtlich, dass dieser den oben genannten Zwecken dient. Damit handelt es sich um ein sog. Luxustier, welches allein § 833 Satz 1 unterfällt.
4 Schaden und Kausalität
Ein Schaden ist vorliegend in Form der Verletzungen und dem Sachschaden gegeben. Der Schaden beruht zudem adäquat kausal auf der Rechtsgutsverletzung.
5 Ersatzfähigkeit des Schadens
Fraglich ist, inwieweit die geltend gemachten Schäden ersatzfähig sind.
Der Sachschaden an der Hose ist gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 ersatzfähig. Ein Ersatz für die erlittenen Schmerzen kann gemäß § 253 Abs. 2 begehrt werden.
Grundsätzlich sind auch die Kosten einer Heilbehandlung ersatzfähig. Auch steht es grundsätzlich dem Verletzten frei statt Naturalrestitution im engeren Sinne Geldersatz zu verlangen. Sodann ist das Integritätsinteresse in Form eines Geldbetrags, d.h. desjenigen Betrags, der zur Herstellung des Zustands erforderlich ist, wiederherzustellen. Integritätsinteresse ist das Interesse des Geschädigten am Bestand seiner Rechte und Rechtsgüter in ihrer konkreten Gestalt.
Die hier beschriebene Dispositionsfreiheit in Form einer Ersetzungsbefugnis findet ihre Grenze bei Personenschäden. Würde man einen entsprechenden Ersatz zubilligen so würde die Wertung von § 253 Abs. 1 umgangen werden. Ferner ist eine Kommerzialisierung des menschlichen Körpers mit den gesetzlichen Wertungen auch unter Berücksichtigung des Einflusses der Grundrechte nicht anzuerkennen.
Damit kann kein Ersatz der fiktiven Behandlungskosten verlangt werden.
Expertentipp
Prüfen sie bei mehreren Schadensposten diese grundsätzlich zusammen. Es ist in der Regel nicht zweckdienlich wegen jedes einzelnen Schadensposten eine gesonderte Prüfung vorzunehmen.
6 (Echtes) Mitverschulden
Fraglich ist, ob sich der Kläger ein Mitverschulden anrechnen lassen muss. Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass dieser durch sein Verhalten die bestehende Gefahr erhöht oder sich einem besonderen Risiko (so zum Beispiel beim aktiven Eingreifen und Abwehren eines fremden Hundes) ausgesetzt hätte.
7 Mitverschulden entsprechend § 254 Abs. 1.
Fraglich ist, ob dem Geschädigten ein Mitverschulden aufgrund der seinem Tier innewohnenden Gefahr anzulasten ist. Dies gilt es dann anzunehmen, wenn sich auch auf Seiten des Geschädigten die typische Tiergefahr realisiert hat (zur Definition, siehe oben).
Es kann vorliegend dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein rein passives Verhalten eines Tieres der Annahme der Verwirklichung einer spezifischen Tiergefahr entgegensteht.
Laut Sachverhalt kam es zu einem Gerangel zwischen beiden Tieren. In diesem Gerangel ist die Manifestation des der tierischen Natur innewohnenden unberechenbaren und selbstständigen Verhaltens zu sehen.
Für die Begründung der Mithaftung an sich ist es ohne Bedeutung was Auslöser des Gerangels war und ob einer der beiden Hunde in dem Geschehen eine dominante Rolle spielte. Diese Umstände sind allein für die Bildung der jeweiligen Quote maßgeblich.
Hiernach wäre eine Anspruchskürzung vorzunehmen.
ABER: Ausschluss der Kürzung in Folge Mitverantwortlichkeit wegen § 840 Abs. 3 analog?
Fraglich ist, ob die Kürzung aufgrund der in § 840 Abs. 3 innewohnenden Wertung abzulehnen ist.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist § 840 Abs. 3 entsprechend anzuwenden, wenn der Halter neben der Haftung aus § 833 Satz 1 auch aus § 823 haftet.
Haftung des Halters aus § 823 Abs. 1
aa) Rechtsgutsverletzung
Der Kläger wurde in seiner Gesundheit sowie an seinem Eigentum geschädigt.
bb) Verletzungshandlung
Eine Verletzungshandlung kann in einem Tun oder einem Unterlassen bestehen. Eine aktive Handlung des Halters ist nicht ersichtlich. Fraglich ist, ob ein tatbestandsmäßig relevantes Unterlassen vorlag. Unterlassen ist nur dann tatbestandsmäßig relevant, wenn eine Pflicht zum Handeln bestand. Vorliegend könnte eine Pflicht in Form einer Verkehrssicherungspflicht vorgelegen haben.
Derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, ist grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um die Verwirklichung naheliegender Gefahren und den daraus folgenden Eintritt von Schäden anderer möglichst zu verhindern (sog. Verkehrssicherungspflicht). Die demnach gebotene Verkehrssicherung umfasst alle Maßnahmen, die ein umsichtiger, verständiger und vernünftiger Angehöriger des betroffenen Verkehrskreises für notwendig und ausreichend halten darf, wobei zu berücksichtigen ist, dass nicht jeder abstrakten, sondern nur jeder naheliegenden Gefahr vorgebeugt werden kann.
Eine so verstandene Gefahrenquelle mit der naheliegenden Schädigung anderer ist bei der Haltung von Hunden gegeben, da diese eine abstrakte Gefahrenquelle darstellen.
Dies zeigt schon die Wertung des § 833 Satz 1. Wer die Herrschaft über gefährliche Gegenstände oder Tiere innehat muss im Rahmen des zumutbaren alle Vorkehrungen treffen, die geeignet und erforderlich sind, um von ihnen ausgehende Gefahren für Dritte zu vermeiden.
Die Beklagte hat vorliegend das Grundstück nicht derart gesichert, dass ein Verlassen des unbeaufsichtigten Hundes gewährleistet wurde. Auch ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen, dass der Hund zum Zeitpunkt des Verlassens des Grundstücks entsprechend den Verhältnissen beaufsichtigt wurde.
Das Unterlassen war daher pflichtwidrig.
cc) Rechtswidrigkeit
Der Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht indiziert die Rechtswidrigkeit. Entgegenstehende Anhaltspunkte sind dem Sachverhalt nicht zu entnehmen.
dd) Verschulden
Gemäß § 823 Abs. 1 hat die Beklagte für Vorsatz und Fahrlässigkeit einzustehen. In dem sie das Grundstück nicht ausreichend sicherte und den Hund nicht entsprechend beaufsichtigte handelte sie zumindest fahrlässig im Sinne des § 276 Abs. 2.
ee) Kausal verursachter Schaden
Die oben genannten Schäden wurden adäquat kausal verursacht.
ff) Kürzung des Anspruchs gemäß § 254 (analog)
Eine Kürzung des Anspruchs wegen echten Mitverschuldens ist nicht vorzunehmen (siehe oben). Fraglich ist, ob auch im Rahmen von § 823 Abs. 1 eine Kürzung gemäß § 254 Abs. 1 analog wegen der oben erörterten Tiergefahr vorzunehmen ist. Unter Berücksichtigung der Wertung von § 840 Abs. 3 kommt der Tiergefahr im Rahmen von § 823 Abs. 1 keine Bedeutung zu.
gg) Zwischenergebnis
Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Ersatz von Schmerzensgeld und Geldersatz wegen der zerstörten Hose besteht aus § 823 Abs. 1 in voller Höhe.
8 Gesamtergebnis
Daher ist auch die Haftung aus § 833 Satz 1 nicht wegen Bestehens der Tiergefahr des eigenen Hundes zu kürzen. Diese Konsequenz ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung von § 840 Abs. 3 und der inzident festgestellten Haftung.
Die oben genannten Positionen sind daher voll ersatzfähig.