Sachverhalt
1963 kündigte eine Verlagshandlung GmbH (A) an, sie werde den Roman "Mephisto - Roman einer Karriere" von Klaus Mann veröffentlichen. Der Roman schildert den Aufstieg des hochbegabten Schauspielers Hendrik Höfgen, der seine politischen Überzeugungen verleugnete und alle menschlichen und ethischen Bindungen abstreifte, um im Pakt mit den Machthabern des nationalsozialistischen Deutschlands eine künstlerische Karriere zu machen. Der Roman stellt die psychischen, geistigen und soziologischen Voraussetzungen dar, die diesen Aufstieg möglich machten. Zu Beginn wird klar gemacht, dass es sich nicht um eine Biographie handeln soll, der Romanfigur des H diente aber der Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter Gustaf Gründgens (G) als Vorbild, was unschwer zu erkennen war.
Der Adoptivsohn und Alleinerbe (B) des kurz zuvor verstorbenen G erhob gegen die A vor dem Landgericht Hamburg Klage auf Unterlassung, die dieser damit begründete, der Roman vermittele ein verfälschtes, grob ehrverletzendes Persönlichkeitsbild des Gründgens. Frei erfundene Details seien mit Tatsachen vermischt, der Bezug zum Leben des G ständig erkennbar, so dass beim unbefangenen Leser der Eindruck einer Biographie entstehe. Hierdurch würde das Persönlichkeitsrecht des G, welches über den Tod hinauswirke, und das Andenken an den Künstler in nachhaltiger Weise verletzt.
Nachdem das Landgericht Hamburg die Klage abgewiesen hatte, erschien der Roman zunächst im September 1965. Doch erwirkte B schließlich im Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Hamburg ein Verbot, den Roman zu vervielfältigen, zu vertreiben und zu veröffentlichen. Das Oberlandesgericht begründete dies vor allem damit, der Roman verletze den G in seiner Ehre, seinem Ansehen und seiner sozialen Geltung und verunglimpfe sein Andenken. Der BGH bestätigte die Entscheidung des Oberlandesgerichts. Die A reichte daraufhin Verfassungsbeschwerde beim BVerfG ein. Sie wendete ein, bei dem Roman handle es sich um ein Kunstwerk, dem damit besondere verfassungsrechtlicher Schutz zukomme. Im Übrigen habe der Autor selbst klargestellt, dass er keine Biographie habe schreiben wollen, weshalb dem Roman auch folgender Vermerk beigefügt sei: "Alle Personen dieses Buches stellen Typen dar, nicht Porträts.“
Lösung
Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.
A Zulässigkeit
Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde der A richtet sich nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und §§ 13 Nr. 8a, 23, 90 ff. BVerfGG. Dies ist unproblematisch.
B Begründetheit
Die A müsste durch die Entscheidung des BGH in ihrem Grundrecht der Kunstfreiheit verletzt worden sein.
I Schutzbereich
1 Sachlicher Schutzbereich
Der sachliche Schutzbereich der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG müsste eröffnet sein. Hierzu gibt es verschiedene Ansätze: Beginnen sollte man mit dem formalen Kunstbegriff. Dieser erfordert, dass das Kunstwerk in einer bestimmten Form vorliegt, z.B. in Form eines Gemäldes, eines Gedichts usw. Oft wird dies bereits einschlägig sein. Nach dem BVerfG ist Kunst freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zur unmittelbaren Anschauung gebracht werden. Ebenso findet sich der offene Kunstbegriff, der eine fortlaufende Interpretation des Werkes in den Vordergrund stellt. Bei einem literarischen Werk ist nach allen diesen Ansätzen von einem Kunstwerk auszugehen. Daher ist der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG durch das Verbot des Buches betroffen.
2 Persönlicher Schutzbereich
Sodann ist fraglich, ob die A überhaupt als Grundrechtsträgerin im Sinne des Art. 5 Abs. 3, 19 Abs. 3 GG handelt. Die A-GmbH als Verlag tritt als Vermittler zwischen dem Künstler und der Öffentlichkeit auf, sie verbreitet das Kunstwerk. Daher ist sie auch Grundrechtsträgerin
II Eingriff
Ein totales Veröffentlichungsverbot ist ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG.
III Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Der Eingriff könnte gerechtfertigt sein. Dies ist der Fall, wenn eine den Schrankenbestimmungen des Grundrechts entsprechende Schranke vorliegt, die ihrerseits verfassungsgemäß ist und im Einzelfall verfassungsgemäß angewandt wurde.
1 Schranke
Es müsste eine Schranke vorliegen. Eine geschriebene Schranke enthält Art. 5 III Alt. 1 GG nicht. Eine Schrankenübertragung aus Art. 5 Abs. 2 scheidet aus systematischen Gründen aus. Somit sind verfassungsimmanente Schranken heranzuziehen.
Es ist danach zu fragen, ob hier ein kollidierendes Recht von Verfassungsrang vorliegt. In einem zweiten Schritt müsste dieses kollidierende Verfassungsrecht durch einfaches Gesetz konkretisiert worden sein.
a. Kollidierendes Verfassungsrecht
Als kollidierendes Verfassungsrecht kommt hier das allgemeine Persönlichkeitsrecht des G aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG in Betracht. Neben der allgemeinen Handlungsfreiheit, schützt Art. 2 I GG auch die persönliche Integrität. Diese ist auch über den Tod hinaus als sog. postmortales Persönlichkeitsrecht durch die Menschenwürde geschützt. Damit liegt ein kollidierendes Verfassungsrecht vor.
b. Gesetzliche Konkretisierung
Wie bereits verdeutlicht, müsste der Gesetzgeber dieses Verfassungsgut auch einfachgesetzlich konkretisiert haben. In Betracht kommt der § 186 StGB. Nach der Gesetzesbegründung schützt § 186 StGB die Ehre einer Person. Auch die Ehre ist als Ausformung der persönlichen Integrität als Rechtsgut von Verfassungsrang einzuordnen. Damit liegt auch eine gesetzliche Konkretisierung vor.
2 Verfassungsmäßigkeit des § 186 StGB
Der § 186 StGB müsste selbst verfassungsgemäß sein. Davon ist mangels anderweitiger Sachverhaltsangaben auszugehen.
3 Verfassungsmäßige Anwendung im Einzelfall
Fraglich ist, ob das kollidierende Verfassungsrecht im Einzelfall verfassungsgemäß angewendet wurde.
Die verfassungsmäßige Anwendung im Einzelfall ist zu bejahen, wenn innerhalb der praktischen Konkordanz, die kollidierenden Verfassungsgüter so in Einklang gebracht wurden, dass beide Verfassungsgüter bestmöglich zur Geltung kommen können. Der Tatbestand der „Üble Nachrede“ innerhalb der verfassungsimmanenten Schranke muss also so ausgelegt werden, dass Art. 5 III Alt. 1 GG bestmöglich zur Geltung kommen kann (Wechselwirkungslehre). Ausweislich des Sachverhalts stützten die Vorinstanzen ihr Verbot darauf, dass durch den Roman das Ansehen des G i.S.d. § 186 StGB verunglimpft wird. Als Auslegungshilfe kann dabei der Rang des Grundrechts und die Intensität des Eingriffs herangezogen werden.
Vorliegend kollidiert das Recht der A auf Kunstfreiheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des G aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Dieser ist auch über den Tod hinaus als sog. postmortales Persönlichkeitsrecht durch die Menschenwürde geschützt. Der Inhalt des Buches beschreibt eine entstellende Darstellung des Lebens des G. Durch diese Darstellung wird das Andenken an ihn und seine Leistungen im künstlerischen Bereich nachhaltig herabgewürdigt. Die in Art. 1 Abs. 1 GG gewährte Menschenwürde stellt den höchsten Wert des Rechtssystems dar und erlaubt daher keine Eingriffe. Allerdings ist vorliegend nicht die Menschenwürde als solche, sondern nur i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG in der Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen. Dieses APR wiederum unterliegt der Schrankentrias aus Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 GG.
Sodann ist eine Abwägung der beiden Grundrechte vorzunehmen, ujm möglichst beide gutr zur Geltung gelangen zu lassen (Praktische Konkordanz): Hier hat der Autor im Vorwort eindeutig klar gemacht, dass es sich nicht um eine Biographie handelt. Die Ähnlichkeiten zum Leben und Wirken des G und dessen Rolle in der Zeitgeschichte dienen der Aufklärung, nicht der Beschädigung des Rufes des G. Abseits dessen muss dem Autor ein Maß an künstlerischer Freiheit gewährt bleiben. Vorliegend hat er eine Person des Öffentliches Lebens als Beispiel genommen, um die Verstrickungen in der Zeit des Naziregimes deutlich zu machen. Dieses Bild der Romanfigur ist gegenüber der individuellen Person verselbstständigt und lässt zwar Ähnlichkeiten zum G zu, zeichnet jedoch innerhalb der künstlerischen Entfaltung ein derart abstraktes Bild, dass eine Übereinstimmung der Romanfigur und des G nicht mehr gegeben sind. So diente der G und sein Wirken als Grundlage für die Romanfigur, ist aber nicht gleichzeitig auch die Romanfigur. Das Werk zielt aber nicht darauf ab, G zu verunglimpfen. Der Autor hat mit dem ihm zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, eine Verknüpfung der Geschehnisse in der Zeit des Dritten Reiches und dem Verhalten einiger Menschen in dieser Zeit zu ziehen. Das Interesse des Autors am Leben und Wirken des G innerhalb der damaligen Zeit überwiegt damit den biographischen Ansprüchen. Genau diese Grenze hat der Autor durch den Hinweis im Vorwort klar gemacht.
Das Interesse des B an der Erhaltung des Andenkens an G muss hier damit zurückstehen, da der Autor eben keine Biographie verfasst hat, sondern ein literarisches Kunstwerk. Die verfassungsmäßige Anwendung im Einzelfall liegt somit nicht vor. Damit stellt das Veröffentlichungsverbot des Buches einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Kunstfreiheit der A dar.
C Ergebnis
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.