A Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt):
Die Klägerin (K) beauftragte den beklagten Rechtsanwalt (R) Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Anlageberatung gegen die P AG (P) gerichtlich durchzusetzen.
Während des laufenden Rechtsstreits unterbreitete der R der K den Vorschlag eine Auftrags- und Vergütungsvereinbarung mit der H. GmbH zu schließen, deren Geschäftsführerin und alleinige Gesellschafterin - was die K nicht wusste - die Ehefrau des R war. Die H. GmbH sollte den R durch "Recherchehilfe und banktechnische Kompetenz" unterstützen.
Als Vergütung war eine Beteiligung von 16% an der für die K erstrittenen Schadensersatzleistung vorgesehen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die P bereits angeboten den Rechtsstreit durch eine Zahlung von 68.000 € - etwa 60 % der Klageforderung - vergleichsweise beizulegen. K lehnte den Abschluss des Vergleichs ab.
Durch eine Nachricht vom 22. Januar 2017 erneuerte der R gegenüber der K die Bitte um Abschluss der Vereinbarung, wobei er die erfolgsabhängige Vergütung auf 12,5% ermäßigte.
Nachdem die sachbearbeitende Rechtsanwältin das von ihr als "akzeptabel" bezeichnete Vergleichsangebot der P der K am 23. Januar 2017 mitgeteilt hatte, forderte der R am 25. Januar 2017 die K abermals auf die Vereinbarung mit der H. GmbH zu unterzeichnen. Dies lehnte die K ab. Mit Schreiben vom 10. Februar 2017, das dem R am 13. Februar 2017 zuging, kündigte die K das Mandat.
Nach Beauftragung neuer Prozessbevollmächtigter wurde der von der K gegen die P geführte Rechtsstreit durch einen zugunsten der K auf 63% der Klageforderung leicht verbesserten Vergleich beendet.
Vorliegend nimmt die K den R auf Ersatz der ihr durch den Anwaltswechsel entstandenen Mehrkosten i.H.v. 5000€ in Anspruch.
Hat K einen Anspruch gegen R auf Zahlung der 5000€?
B Leitsatz
Dem Mandanten steht nach einer durch ein vertragswidriges Verhalten des Rechtsanwalts veranlassten Kündigung ein Schadensersatzanspruch nur zu, wenn das vertragswidrige Verhalten des Rechtsanwalts einen wichtigen Kündigungsgrund bildet und die insoweit zu beachtende Kündigungsfrist von zwei Wochen gewahrt ist.
C Lösung:
I K Könnte einen Anspruch auf Ersatz in Höhe von 5000 € aus § 628 II haben.
1 Schuldverhältnis in Gestalt eines Anwaltsvertrags
Der Anwaltsvertrag ist üblicherweise ein Geschäftsbesorgungsvertrag mit dienstvertraglichen Charakter. Er kommt nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 145 ff.) zustande und ist im vorliegenden Fall unproblematisch zustande gekommen. Auch unterliegt der Anwaltsvertrag - bis auf einzelne Ausnahmen - keinem besonderen Formerfordernis.
2 Kündigung des Anwaltsvertrags
Der Anwaltsvertrag könnte im vorliegenden Fall wirksam gekündigt worden sein.
a Kündigungserklärung
Eine Kündigungserklärung ist hier im Schreiben vom 10. Februar 2017 zu sehen. Die Kündigung wird als empfangsbedürftige Willenserklärung mit ihrem Zugang wirksam, demnach im vorliegenden Fall am 13. Februar 2017.
b Kündigungsbefugnis
Die K müsste zur Kündigung befugt gewesen sein. Auf die Beendigung von Diensten „höherer Art“, sind für die Kündigung die §§ 627, 628 maßgeblich.
Gemäß § 627 Abs. 1 ist bei einem Dienstverhältnis, dass kein Arbeitsverhältnis im Sinne des § 622 ist, die Kündigung auch ohne die in § 626 bezeichnete Voraussetzung eines wichtigen Grundes zulässig, wenn der zur Dienstleistung verpflichtete, ohne in einem dauernden Dienstverhältnis mit festen Bezügen zu stehen, Dienste höherer Art zu leisten hat, die aufgrund besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen.
Diese Voraussetzungen sind nach der Rechtsprechung insbesondere bei der Beauftragung von Rechtsanwälten oder Steuerberatern gegeben (WM 2019, 2178 Rn. 12).
Damit wurde der Anwaltsvertrag durch die Erklärung vom 10. Februar 2017 wirksam gekündigt. Die fehlende Angabe von Gründen ist dabei unschädlich.
3 Folgen für die Vergütung
Die vergütungsrechtlichen Folgen nach Kündigung eines Dienstvertrags ergeben sich aus § 628 Abs. 1.
Wird nach dem Beginn der Dienstleistung das Dienstverhältnis aufgrund von § 626 oder § 627 gekündigt, so kann der Verpflichtete gemäß § 628 Abs. 1 Satz 1 einen seiner bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen. Kündigt er, ohne durch vertragswidriges Verhalten des anderen Teils dazu veranlasst zu sein, oder veranlasst er durch sein vertragswidriges Verhalten die Kündigung des anderen Teils, so steht ihm nach § 628 Abs. 1 Satz 2 ein Anspruch auf die Vergütung insoweit nicht zu, als seine bisherige Leistung infolge der Kündigung für den anderen Teil kein Interesse haben.
Da diese Regelung jedoch nur den Vergütungsanspruch des Dienstverpflichteten regelt, kann hieraus kein Anspruch des K gegen R begründet werden.
Der andere Vertragsteil kann jedoch gemäß § 628 Abs. 2 Ersatz des durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses entstandenen Schadens verlangen, wenn die Kündigung durch ein vertragswidriges Verhalten des anderen Teils veranlasst wurde.
a Wichtiger Grund im Sinne von § 626
Im Rahmen von § 628 Abs. Abs. 2 muss das für den Schadensersatz erforderliche Verschulden – im Gegensatz zu § 628 Abs. 1 Satz 2 – das Gewicht eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 erreichen. Kurz gesagt kann nur derjenige Schadensersatz verlangen, der auch aus wichtigem Grund hätte fristlos kündigen können. Dies erfolgt nicht zuletzt aus der Zusammenschau der beiden Absätze, welche deutlich macht, dass nicht jede (geringfügige) schuldhafte Verletzung von Vertragspflichten die gravierenden Folgen einer Schadensersatzverpflichtung nach sich zieht.
Diese Erwägungen gelten auch im Rahmen der anwaltlichen Berufshaftung. Notwendig ist demnach ein anwaltliches Fehlverhalten von der Schwere eines wichtigen Grundes nach § 626.
Ein solches Fehlverhalten könnte sich hier aus dem Drängen auf die Einigung mit der H-GmbH resultieren.
Eine umfassende Abwägung kann jedoch unterbleiben, wenn die Kündigung nicht fristgemäß erfolgte.
b Gesetzliche Ausschlussfrist nach § 626 Abs. 2
Da der Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 voraussetzt, dass eine wirksame außerordentliche Kündigung wegen vertragswidrigen Verhaltens ausgesprochen wurde, ist auch die gesetzliche Ausschlussfrist aus § 626 Abs. 2 zu berücksichtigen.
Dies ergibt sich aus der Zusammenschau von § 626 und § 628 Abs. 2. § 628 Abs. 2 ist kein Auffangtatbestand für wegen Versäumung der Ausschlussfrist misslungene außerordentliche Kündigungen. Die Einführung von § 626 Abs. 2 bewirkte eine Verschärfung an die Anforderungen bei der außerordentlichen Kündigung. Diese Wertung ist auch im Rahmen von § 628 Abs. 2 zu berücksichtigen. Wird die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 nicht gewahrt, so verliert der Anspruchsberechtigte seinen Anspruch auf Schadensersatz. Diese allgemeine Auffassung ist auch auf die Beendigung des Anwaltsvertrags zu übertragen.
Fraglich ist, ob die Frist im vorliegenden Fall eingehalten wurde. Die Berechnung der Frist richtet sich nach den §§ 187,188. Maßgeblich für die Einhaltung der Frist ist der Zugang der Erklärung beim Empfänger. Die Kündigung der K beruhte im vorliegenden Fall auf dem Vorfall vom 25. Januar 2017. Daher endete die Frist am 8. Februar 2017. Das Kündigungsschreiben der K ist dem R jedoch erst am 13. Februar 2017 zugegangen und war damit verspätet.
II Ergebnis
Infolge der verstrichenen Ausschlussfrist besteht kein Anspruch der K gegen R auf Zahlung der 5000 €.
Hinweis
Das Urteil wird in der Literatur teilweise scharf kritisiert. Zur Kritik NJW 2020, 2538 a.E. und die Entscheidungsbesprechung in DStR 2020,2215 beachten.