Der BGH (Beschluss vom 19.11.2013, 4 StR 292/13 - abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de) musste sich in diesem Zusammenhang mit der Frage auseinandersetzen, worüber ein Beamter im Mahn-und anschließenden Vollstreckungsverfahren für gewöhnlich so nachdenkt:
Die Angeklagte (A) beantragte im automatisierten Mahnverfahren beim zuständigen AG einen Mahnbescheid über eine Forderung in Höhe von 180.960 € gegen die B. GbR mbH, wobei sie wahrheitswidrig als Anspruchsgrund einen „Dienstleistungsvertrag gem. Rechnung vom 02.11.06“ angab. Der antragsgemäß erlassene Mahnbescheid wurde der Mitangeklagten U. B. (ihrer Mutter) unter deren Wohnanschrift zugestellt, die – obgleich sie als Mitgesellschafterin der B. GbR mbH dazu verpflichtet gewesen wäre – abredegemäß keinen Widerspruch einlegte und auch die weitere Mitgesellschafterin nicht von dem Mahnbescheid informierte. Nachdem A im Anschluss in gleicher Weise auch einen Vollstreckungsbescheid erlangt hatte, beantragte sie gegenüber dem zuständigen Rechtspfleger (R) einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gegen die Bank der B. GbR mbH. Nach antragsgemäßem Erlaß wurde die gewünschte Summe auf das Konto der A überwiesen.
Das LG hat A wegen Betruges durch Unterlassen gem. §§ 263, 13 StGB verurteilt, der BGH hob diese Verurteilung auf.
Das LG ging von einem Betrug gegenüber dem Rechtspfleger R und zu Lasten der B. GbR mbH aus. Es stellte darauf ab, dass A es unterlassen habe, R darüber in Kenntnis zu setzen, wie der Titel, der vollstreckt werden sollte, zustande gekommen sei.
Voraussetzung eines Betruges durch Unterlassen ist eine Garantenstellung. Diese könnte sich vorliegend aus Ingerenz ergeben, wenn man auf die Beantragung des Mahn- und Vollstreckungsbescheides abstellt. Der BGH machte jedoch zu recht deutlich, dass "ein (pflichtwidriges) Vorverhalten ...nur dann zu einer Garantenstellung aus Ingerenz (führt), wenn dadurch die naheliegende Gefahr des Eintritts des konkreten tatbestandsmäßigen Erfolges verursacht worden ist ... Der durch die Vorhandlung herbeigeführte Zustand muss so beschaffen sein, dass bereits ein bloßes Untätigbleiben die Gefahr vergrößert, dass es zum Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges kommt oder ein bereits eingetretener Schaden vertieft wird...
Eine solche Gefahrlage bestand hier nicht. Wäre die Angeklagte nach dem Erlass des von ihr erwirkten Vollstreckungsbescheides untätig geblieben, hätte sich für das Opfervermögen keine zusätzliche Gefährdung ergeben. Die Pfändung und Überweisung wurde erst durch den nachfolgenden Antrag nach § 829 ZPO veranlasst, der auf einem neuen Tatentschluss der Angeklagten beruhte." Eine Garantenstellung aus Ingerenz lag mithin nicht vor.
Der BGH stellte sich nun die Frage, ob nicht schon in der Stellung des Antrages gegenüber R konkludent die Erklärung liege, es bestünde auch tatsächlich eine vollstreckbare Forderung. Der Vorteil der konkludenten Täuschung ist, dass es sich um ein aktives Tun handelt, mithin eine Garantenstellung nicht erforderlich ist.
Auch dies lehnt der BGH allerdings ab: "Ob in einer bestimmten Kommunikationssituation neben einer ausdrücklichen auch eine konkludente Erklärung abgegeben worden ist und welchen Inhalt sie hat, bestimmt sich nach dem objektiven Empfängerhorizont, der unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und der Verkehrsanschauung festzulegen ist ... Findet die Kommunikation – wie hier – im Rahmen eines geregelten Verfahrens statt, wird der Inhalt der abgegebenen Erklärungen maßgeblich durch die diesem Verfahren zugrunde liegenden Vorschriften geprägt. Dies sind hier die Bestimmungen der Zivilprozessordnung. Danach ist davon auszugehen, dass bei der Beantragung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses der Bestand der titulierten Forderung kein Gegenstand der Kommunikation zwischen dem Antragsteller und dem Rechtspfleger ist. ...Der Rechtspfleger als Vollstreckungsorgan hat bei Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nur die formalen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung zu untersuchen. Eine Prüfungskompetenz hinsichtlich der zu vollstreckenden Forderung (Titelforderung) steht ihm nicht zu."
Mit anderen Worten: der Rechtspfleger denkt hier nur formell aber nicht materiell. Eine Strafbarkeit gem. § 263 StGB kommt damit nicht in Betracht.
Fraglich ist aber, ob nicht durch die Eingabe von Daten beim automatisierten Mahn- und Vollstreckungsverfahren A bereits zuvor einen Computerbetrug gem. § 263 a StGB begangen hat. Dann müssten die verwendeten Daten "unrichtig" sein. Dies wurde vom BGH - nicht ganz widerspruchsfrei zu den vorangegangenen Ausführungen - bejaht:
"Der Tatbestand des § 263a StGB ist betrugsäquivalent auszulegen ... Maßgebend ist deshalb, ob die Handlung des Täters einer Täuschung i.S.d. § 263 Abs. 1 StGB entspricht .... Wird im automatisierten Mahnverfahren eine fiktive Forderung geltend gemacht, liegt darin ein täuschungsäquivalentes Verhalten,
.... da bei gleichem Vorgehen gegenüber einem Rechtspfleger ein Vorspiegeln von Tatsachen im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB (falsche Behauptung eines Sachverhaltes, aus dem sich die angebliche Forderung ergeben soll) anzunehmen wäre.
Aus dem Umstand, dass das Gericht im Mahnverfahren die inhaltliche Berechtigung des Anspruchs nicht prüft (vgl. § 692 Abs. 1 Nr. 2 ZPO), ergibt sich nichts anderes. Im Gegensatz zum Vollstreckungsverfahren dient das Erkenntnisverfahren der Überprüfung der Berechtigung der geltend gemachten materiellen Forderung. Während der Rechtspfleger im Vollstreckungsverfahren nicht zur Prüfung der titulierten Forderung berechtigt ist, müsste er im Erkenntnisverfahren bei Kenntnis der Nichtexistenz der geltend gemachten Forderung den Erlass eines Mahn- oder Vollstreckungsbescheids ablehnen.... Erlässt er den beantragten Bescheid, so geschieht dies in der Vorstellung, dass die nach dem Verfahrensrecht ungeprüft zu übernehmenden tatsächlichen Behauptungen des Antragstellers gemäß der sich aus § 138 Abs. 1 ZPO ergebenden Verpflichtung der Wahrheit entsprechen ......
Die weiteren Voraussetzungen des § 263a StGB liegen vor. Der vermögensrelevante Datenverarbeitungsvorgang wirkte sich unmittelbar vermögensmindernd aus, ... denn schon durch die Erwirkung des rechtskräftigen Vollstreckungsbescheides wurde das Vermögen der geschädigten Gesellschaft vermindert ... Dass es noch der Zustellung dieses Bescheides bedurfte, ändert daran nichts, weil es sich dabei lediglich um die Umsetzung des Ergebnisses des Datenverarbeitungsvorgangs ohne inhaltliche Kontrolle handelt."
Entgegen der Auffassung des BGH kann man im HInblick auf die bloß summarische Prüfung des Rechtspflegers auch zu dem Ergebnis kommen, dass nicht konkludent das Bestehen der Forderung mit erklärt wird (so u.a. Cramer/Perron in Schönke/ Schröder, StGB, 28. Aufl., § 263a Rn. 6)
Weitere Ausfühungen zu diesem Thema finden Sie in unseren ExO`s sowie im GuKO SR III. Einen Auszug aus unserem Skript finden Sie hier:http://www.juracademy.de/web/topic.php?id=12536