Sachverhalt
Der 6-jährige A gehört dem islamischen Glauben an. Seine Eltern beantragen seine Aufnahme an einer staatlichen katholischen Bekenntnisgrundschule. Dabei handelt es sich um eine öffentliche Schule in kommunaler Trägerschaft (also nicht etwa um eine Privatschule i.S.d. Art. 7 Abs. 4 GG). Nach Art. 12 NRW LV ist sie eine öffentliche Bekenntnisschule. Die Schule befindet sich in unmittelbarer Nähe des Wohnorts der Familie. Etwa 3 km entfernt befinden sich zwei weitere staatliche Gemeinschaftsschulen.
Der Schulleiter gibt den Eltern des A die Auskunft, dass an der katholischen Bekenntnisschule die Teilnahme am katholischen Religionsunterricht und an den Schulgottesdiensten verpflichtend sei. Die Eltern müssten im Rahmen ihres Antrags bestätigen, dass sie damit einverstanden sind.
Die Eltern des A weigern sich, eine entsprechende Unterschrift zu leisten, halten aber an ihrem Antrag fest. Dieser wird allerdings mit Hinweis auf das fehlende Einverständnis zur Teilnahme an Religionsunterricht und Schulgottesdienst abgelehnt. Stattdessen wird A der weiter entfernten Gemeinschaftsschule zugewiesen.
Die Eltern des A halten diese Entscheidung für offensichtlich rechtswidrig. Die Pflicht zur Teilnahme am Schulgottesdienst verletzte die negative Religionsfreiheit ihres Sohnes sowie ihr Grundrecht auf religiöse Erziehung. Zudem garantiere das Grundgesetz ausdrücklich das Recht, sich vom Religionsunterricht abzumelden. Dieses Recht sie durch den Zwang zur Teilnahme verletzt.
Allerdings haben weder der Widerspruch noch die anschließende Klage, die die Eltern sowohl im eigenen als auch im Namen des A erheben, Erfolg. Letztinstanzlich wird ihre Klage vom BVerwG als unbegründet erachtet.
Daraufhin erheben die Eltern, selbst sowie im Namen des A form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde.
Zulässigkeit
Das BVerfG ist für die Verfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG i.V.m. §§ 90 ff. BVerfG zuständig.
Sowohl A als auch seine Eltern sind Grundrechtsträger und somit zulässige Beschwerdeführer. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich auch gegen einen zulässigen Beschwerdegegenstand, den Ablehnungsbescheid der Schule und die ihn bestätigenden gerichtlichen Entscheidungen (Urteilsverfassungsbeschwerde). Durch die mit dem fehlenden Einverständnis zur Teilnahme am Religionsunterricht und Schulgottesdienst begründete Ablehnung sind die Beschwerdeführer zumindest möglicherweise in ihrem Recht auf negative Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG), dem Elternrecht auf religiöse Erziehung (Art. 6 Abs. 2 GG) sowie dem Recht auf freiwillige Teilnahme am Religionsunterricht (Art. 7 Abs. 2 GG) verletzt, also auch beschwerdebefugt. Die mögliche Grundrechtsverletzung betrifft A und seine Eltern auch selbst, gegenwärtig und unmittelbar.
Der Rechtsweg wurde vor der Verfassungsbeschwerde ausgeschöpft (§ 90 Abs. 2 BVerfGG), eine Verstoß gegen den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist nicht ersichtlich.
Die form- und fristgerecht (vgl. §§ 23, 93 Abs. 1 BVerfGG) eingelegte Verfassungsbeschwerde ist somit zulässig.
Begründetheit:
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn die Beschwerdeführer in einem ihrer Grundrechte verletzt sind.
In Betracht kommt hier eine mögliche Verletzung der Religionsfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Geschützt ist dabei nicht nur die positive Religionsfreiheit, sondern auch die sog. „negative Religionsfreiheit“, also das Recht, religiösen Feiern fernzubleiben, an religiösen Handlungen nicht teilzunehmen und einen Glauben nicht zu bekennen.
In dieses Grundrecht wird durch die Ablehnung der Schüler an der katholischen Schule eingegriffen. Denn dadurch wird der Schüler zwar nicht gezwungen, an einer religiösen Handlung wie dem Schulgottesdienst teilzunehmen. Aber an die Nichtteilnahme werden negative Konsequenzen geknüpft, nämlich hier die Ablehnung auf die katholische Bekenntnisschule überhaupt aufgenommen zu werden.
Möglicherweise ist der Eingriff aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Auch die negative Seite unterliegt den verfassungsimmanenten Schranken kollidierenden Verfassungsrechts (bzw. nach einer in der Literatur weit verbreiteten Auffassung einem Gesetzesvorbehalt aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 WRV).
Das Bundesverfassungsgericht nennt als kollidierendes Verfassungsrecht den Art. 7 Abs. 5 GG. Danach gibt es „öffentliche Volksschulen“ in verschiedenen Formen, nämlich Gemeinschaftsschulen, Bekenntnisschulen und Weltanschauungsschulen. Zugleich folgt daraus auch, dass die verschiedenen Schultypen ihr eigenes Profil haben, wobei die christliche Bekenntnisschule sich insbesondere dadurch auszeichnet, dass Kinder des katholischen oder des evangelischen Glaubens oder einer anderen Religionsgemeinschaft nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses unterrichtet und erzogen werden.
Im Einzelnen führt das BVerfG aus:
„… dass Art. 7 Abs. 3 GG keine Festlegung der Schulformen enthält; er setzt vielmehr die verschiedenen Schultypen religiös-weltanschaulicher Art als rechtlich möglich voraus. Ebenso geht Art. 7 Abs. 5 GG davon aus, dass öffentliche Volksschulen als Gemeinschaftsschulen, Bekenntnis- oder Weltanschauungsschulen eingerichtet sein können. …Daraus folgt, dass der Landesgesetzgeber dem Grundsatz nach bei der Wahl der Schulform für die öffentliche Volksschule in der Entscheidung für eine der genannten Formen frei ist“.
Sodann hebt das BVerfG hervor, dass der (christliche) Religionsunterricht in Bekenntnisschulen zu deren elementaren Kern gehört und einen wesentlichen Teil ihrer Identität ausmacht.
Kritisch setzt sich das BVerfG noch mit dem Argument auseinander, auch der Grundsatz der weltanschaulich-religiösen Neutralität verbiete eine solche Ausgestaltung des Schulrechts, nach der die Teilnahme an Religionsunterricht und Schulgottesdienst zur Bedingung für die Aufnahme an öffentlichen Bekenntnisschulen gemacht werde. Denn die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der öffentlichen Bekenntnisschule folge aus dem Grundgesetz selbst, sei also verfassungsrechtlich abgesichert.
Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Ablehnung weist das BVerfG schließlich noch darauf hin, dass
„das Interesse der Schüler und der Eltern im Konfliktfall im Wege der praktischen Konkordanz zurückzutreten hat, wenn zumutbare, nicht diskriminierende Ausweichmöglichkeiten zur Wahrung ihrer Grundrechte bestehen. Dies gilt umso mehr, als es sich bei einer Bekenntnisschule um eine sogenannte Angebotsschule und nicht um eine Regelschule handelt.“
Im Grundsatz gelten dieselben Überlegungen für eine mögliche Verletzung im Grundrecht auf religiöse Erziehung gem. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG sowie das Recht zur Bestimmung über die Teilnahme am Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 2 GG. Auch diese Grundrechte unterliegen den verfassungsimmanenten Schranken kollidierenden Verfassungsrechts.
Insgesamt ist die Verfassungsbeschwerde daher unbegründet.
Fazit und Hinweise:
Die Entscheidung beweist eindrucksvoll die Bedeutung, die der praktischen Konkordanz bei der Beschränkung von Grundrechten zukommt. Die Argumentation des BVerfG ist gut nachvollziehbar.
Tatsächlich ist es schwer nachvollziehbar, warum die Eltern ihr Kind gerade auf eine christliche Bekenntnisschule schicken wollten, wenn es ihnen so wichtig ist, dass es weder am Religionsunterricht noch am Schulgottesdienst teilnehmen soll.
Der Schutz der Grundrechte muss gegenüber anderen Verfassungsgütern zurücktreten, wenn zumutbare Alternativen bestehen. Dies war hier der Fall, den der Schüler konnte auf eine nahegelegene Gemeinschaftsschule – ohne obligatorischen Religionsunterricht – ausweichen.
Schließlich zeigt die Entscheidung erneut, dass gerade die öffentliche Schule eine Institution ist, in der die Grundrechte von Schülern, Eltern und Lehrern sowie der staatliche Bildungs-und Erziehungsauftrag sorgfältig mit- und gegeneinander abgewogen werden müssen. Es ist kein Zufall, dass von der Frage des Kruzifixes über das Kopftuchverbot für Lehrerinnen bis zur möglichen Befreiung vom Schulunterricht aus religiösen Gründen im Einzelfall („Burkini“, „Krabat“) zahlreiche Fälle vom BVerwG und BVerfG entschieden werden mussten.