Im heutigen Beitrag blicken wir zurück auf ausgesuchte Urteile, die kürzlich in Fachzeitschriften veröffentlicht wurden.
A. BGH Urteil vom 21.1.2022 - V ZR 76/20, JA 2022, 864
I. Fragestellung
Im vorliegenden Urteil beschäftigt sich der BGH mit der Frage, ob und inwieweit ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 I BGB analog i.V.m. § 823 BGB gegen den Nachbarn geltend gemacht werden kann, wenn diesem bauplanungsrechtlich die konkrete Nutzung rechtskräftig genehmigt worden ist.
II. Antwort
Grundsätzlich werden zivilrechtliche Abwehrrechte des Nachbarn durch eine bestandskräftige Baugenehmigung nicht berührt. Die Baugenehmigung ergeht vielmehr unbeschadet privater Rechte Dritter. Sie hat keine privatrechtsgestaltende Ausschlusswirkung. Dies ist die Folge des Umstands, dass die Baugenehmigung ohne Prüfung entgegenstehender privater Rechte Dritter erteilt wird; Rechte oder Interessen Dritter sind von der Baurechtsbehörde nur zu prüfen, wenn sie öffentlich-rechtlich geschützt sind.
Anders liegt es aber bei dem quasinegatorischen Unterlassungsanspruch, soweit dieser auf die Verletzung einer nachbarschützenden Norm des öffentlichen Rechts als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB gestützt wird. Dieser Anspruch ist streng akzessorisch zum öffentlichen Recht, denn er setzt voraus, dass die Grundstücksnutzung, deren Unterlassung begehrt wird, gegen die öffentlich-rechtliche Norm verstößt, auf deren Schutz sich der Nachbar beruft. Dies ist ausgeschlossen, wenn die Grundstücksnutzung öffentlich-rechtlich bestandskräftig genehmigt und die Genehmigung nach wie vor wirksam ist. Denn eine Baugenehmigung entfaltet Legalisierungswirkung. Sie hat neben dem gestattenden Teil (Baufreigabe) die umfassende Feststellung der Vereinbarkeit des Bauvorhabens einschließlich der ihm zugedachten Nutzung mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften zum Inhalt, soweit sie für die baurechtliche Prüfung einschlägig sind.
Diese Legalisierungswirkung wirkt sich unmittelbar auf zivilrechtliche Abwehransprüche aus, die auf dem Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften gestützt sind. Steht durch die Baugenehmigung fest, dass der Bauherr nicht gegen diese Vorschriften verstoßen hat, kommen solche Ansprüche nicht in Betracht, solange die Baugenehmigung besteht.
Hinweis
Wird die Verletzung des öffentlich-rechtlichen Anspruchs auf Wahrung der im Bebauungsplan festgesetzten Gebietsart (Gebietserhaltungsanspruch) geltend gemacht, gilt es zu berücksichtigen, dass dies zwar einen (quasinegatorischen) verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch des Nachbarn gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB begründen kann. Dieser Anspruch ist jedoch streng akzessorisch zum öffentlichen Recht; er kommt daher nicht in Betracht, wenn und soweit die Grundstücksnutzung von einer bestandskräftigen Baugenehmigung gedeckt ist.
B. BGH Urteil vom 6.5.2022 – V ZR 282/20, BGH NJW 2022, 2843
I. Fragestellung
Auf welchen Zeitpunkt kommt es bei der Vertretung ohne Vertretungsmacht für die Kenntnis im Sinne von § 442 Abs. 1 Satz 1 an, wenn der Käufer die Vertretung genehmigt.
II. Antwort
Nach § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB sind die Rechte des Käufers wegen eines Mangels, den er bei Vertragsschluss kennt, ausgeschlossen.
§ 166 Abs. 1 BGB stellt klar, dass soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch Willensmängel oder durch die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände beeinflusst werden, nicht die Person des Vertretenen, sondern die des Vertreters maßgeblich ist. In den Fällen der Vertretung ohne Vertretungsmacht ist anerkannt, dass § 166 analog anzuwenden ist. Demnach kommt es auf die Kenntnis des Vertretenen selbst an.
Nun wissen wir auf welche Person es ankommt, jetzt müssen wir den relevanten Zeitpunkt ermitteln. Im Fall des BGH ging es um einen Grundstückskauf. Beim Austausch der Willenserklärungen zwischen Verkäufer und dem vollmachtlosen Vertreter hatte der Käufer keine Kenntnis vom Mangel, auch nicht im Zeitpunkt der Anfertigung der notariell beglaubigten Genehmigungserklärung. Der Käufer erlangte jedoch Kenntnis vor Abgabe der Genehmigungserklärung.
Zu Stande gekommen ist der Kaufvertrag hier nach § 177 Abs. 1 BGB erst mit dem Zugang der notariell beglaubigten Genehmigungserklärung der Beklagten bei dem Notar.
In dieser Fallkonstellation kann § 442 BGB im Wege der teleologischen Reduktion einschränkend auszulegen sein. Maßgeblich ist bei einem so zu Stande gekommenen Vertrag die Kenntnis des Käufers vom Mangel bei Abgabe der Genehmigungserklärung.
Hinweis
Zu einem gestreckten Vertragsschluss, bei dem das Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrages und dessen Annahme zeitlich versetzt beurkundet werden, hat der Senat nämlich entschieden, dass § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB insoweit einschränkend auszulegen ist, als nur die Kenntnis des Käufers von einem Sachmangel im Zeitpunkt der Beurkundung des Angebots schadet, während es auf den Zeitpunkt der (zum Vertragsschluss führenden) Annahme des Verkäufers nicht ankommt (vgl. Senat, Urteil vom 15. Juni 2012 - V ZR 198/11, BGHZ 193, 326 Rn. 18)
Der Vorschrift des § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt der Gedanke zugrunde, dass der Käufer nicht in seinen berechtigten Erwartungen enttäuscht wird, wenn er den Kauf trotz des Mangels gewollt hat. Er ist dann nicht schutzwürdig, denn mit der Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen stellt er sich in Widerspruch zu seinem vorangegangenen Verhalten, nämlich dem Vertragsabschluss in Kenntnis des Mangels. Deshalb greift § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB beim gestreckten Vertragsschluss nach Sinn und Zweck der Norm nicht ein, sofern die Mängel dem Käufer zwar vor endgültigem Vertragsschluss, aber erst nach Beurkundung des Angebots bekannt werden, wenn die Erklärung dem Verkäufer bereits zugegangen ist oder der Käufer die Erklärung jedenfalls abgegeben hat.
In der vorliegenden Konstellation kommt es auf die Kenntnis vor Abgabe der Genehmigungserklärung an. Denn der Käufer ist nach Sinn und Zweck des § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB in gleicher Weise schutzwürdig wie im Falle eines gestreckten Vertragsschlusses, wenn ihm die Mängel erst nach Abgabe der Genehmigungserklärung bekannt werden.
K hatte im Zeitpunkt der Abgabe aber Kenntnis vom Mangel, daher sind seine Mängelrechte nach den dargestellten Grundsätzen ausgeschlossen.
Die Rückwirkung der Genehmigung nach § 184 Abs. 1 führt zu keinem anderen Ergebnis. Vor der Genehmigung existiert gerade keine auf Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung des Käufers. Bis zur Genehmigung hat es der Käufer in der Hand, ob er den Vertrag genehmigt.
Unerheblich ist auch, dass die Genehmigung zuvor bereits notariell beglaubigt worden war und der Käufer zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis vom Mangel hatte.
Solange der Käufer die Genehmigungserklärung nicht in den Verkehr gebracht hat, muss er neu gewonnene Kenntnisse über Mängel der Kaufsache gegen sich gelten lassen. Denn ansonsten verhielte er sich widersprüchlich. Er ließe den Vertrag in Kenntnis des Mangels zu Stande kommen, obwohl er das hätte verhindern können. Nach der Wertung des § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Käufer nicht sehenden Auges einen mangelhaften Gegenstand kaufen, um anschließend Ansprüche aus Sachmängelhaftung geltend zu machen.
Hinweis: Auch wäre kein anderes Ergebnis veranlasst, wenn der Käufer angenommen hätte bereits mit der bloßen Vertragserklärung an das Angebot gebunden zu sein. Ein solcher Irrtum über die Rechtslage kann die Wirkung aus § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht beseitigen.
Damit greift in der vorliegenden Konstellation die Wirkung aus § 442 Abs. 1 Satz 1, sodass der Käufer mit seinen Mängelrechten ausgeschlossen ist.
C. BGH Urteil vom 13.5.2022 - V ZR 231/20, JuS 2022, 877
I. Fragestellung
1 Ist eine Beteiligung des Käufers an den Kosten der Nachbesserung einer (gebrauchten) mangelhaften Kaufsache nach den Grundsätzen eines Abzugs „neu für alt“ veranlasst, wenn sich der Vorteil des Käufers darin erschöpft, dass die Kaufsache durch den zur Mangelbeseitigung erforderlichen Ersatz eines mangelhaften Teils durch ein neues Teil einen Wertzuwachs erfährt oder dass der Käufer durch die längere Lebensdauer des ersetzten Teils Aufwendungen erspart?
2 Sind diese Grundsätze auf einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung in Höhe der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten nach § 437 Nr. 3, § 280 Abs. 1 und 3, § 281 Abs. 1 BGB zu übertragen, und zwar auch dann, wenn die Nachbesserung wegen des arglistigen Verschweigens des Mangels nicht angeboten werden muss (hier: Kosten für die Erneuerung einer mangelhaften Kellerabdichtung)?
II. Antwort
1. Ob und in welchem Umfang Vorteile zu berücksichtigen sind, die der Käufer durch die Nacherfüllung erlangt, wird unterschiedlich beurteilt.
„Zum Teil wird vertreten, eine durch die Nachbesserung eingetretene Wertverbesserung im Sinne einer längeren Lebensdauer sei ebenso wie andere Wertverbesserungen der Kaufsache wegen der Erneuerung nicht unmittelbar durch den Mangel betroffener Teile der Kaufsache durch den Käufer auszugleichen, denn der Käufer dürfe durch die Nachbesserung nicht besser stehen, als er stünde, wenn der Verkäufer von Anfang an ordnungsgemäß erfüllt hätte.
Hiergegen wird eingewandt, dass es für eine Kostenbeteiligung des Käufers an einer Anspruchsgrundlage fehle. Die Gegenrechte des Verkäufers seien in § 439 Abs. 6 BGB abschließend aufgeführt. § 439 BGB sehe eine Kostentragung durch den Käufer nur in begrenztem Rahmen vor. Da die Nacherfüllung aufgrund der nicht ordentlichen Erfüllung durch den Verkäufer erforderlich geworden sei, sei es unbillig, den Käufer mit Kosten zu belasten, die über den Kaufpreis hinausgingen. Ansonsten könnte dem Käufer unter Umständen eine Nachbesserung aus finanziellen Gründen unmöglich werden.
Mehrheitlich wird eine differenzierende Auffassung vertreten. Eine Kostenbeteiligung aufgrund der Grundsätze „neu für alt“ sei abzulehnen, wenn eine Nachbesserung nur durch den Ersatz des mangelbehafteten Teils durch ein Neuteil erfolge.
Anders sehe es aber bei Wertverbesserungen aus, die am Rest der Kaufsache durch die Nachbesserung einträten, oder wenn der Käufer nunmehr eine ohnehin anfallende Instand- bzw. Inspektionsarbeit einspare. Die hierdurch eingetretene Ersparnis oder Wertverbesserung habe der Käufer auszugleichen.
Der hier zur Entscheidung stehende Fall gibt keine Veranlassung die Streitfrage insgesamt und abschließend zu entscheiden.
Eine Beteiligung des Käufers an den Kosten der Nachbesserung einer (gebrauchten) mangelhaften Kaufsache nach den Grundsätzen eines Abzugs „neu für alt“ scheidet jedenfalls aus, wenn sich der Vorteil des Käufers darin erschöpft, dass die Kaufsache durch den zur Mangelbeseitigung erforderlichen Ersatz eines mangelhaften Teils durch ein neues Teil einen Wertzuwachs erfährt oder dass der Käufer durch die längere Lebensdauer des ersetzten Teils Aufwendungen erspart. Ob darüber hinausgehende Vorteile angerechnet werden können, kann dahinstehen. Solche Vorteile werden in der vorliegenden Entscheidung nicht behandelt.“
Beseitigt der Verkäufer im Wege der Nachbesserung einen Mangel an der Kaufsache, kommt er lediglich seinen vertraglichen Pflichten nach. Hierfür kann er grundsätzlich keinen Ausgleich verlangen. Richtig ist zwar, dass der Verkäufer unter Umständen eine Leistung erbringen muss, die eine andere Qualität aufweist als diejenige, die er bei mangelfreier Leistung ursprünglich erbracht hätte und der Käufer deshalb besser steht als bei einer von Anfang an mangelfreien Leistung. Dies ist aber der gesetzgeberischen Entscheidung für einen Nacherfüllungsanspruch geschuldet. Gegenstand des Nacherfüllungsanspruchs ist - im Unterschied zum ursprünglichen Erfüllungsanspruch - nicht mehr die erstmalige Lieferung der mangelfreien Kaufsache, sondern - als primäres Mangelrecht des Käufers - die Herstellung ihrer Mangelfreiheit durch Nachbesserung oder durch Ersatzlieferung einer mangelfreien Sache. Da infolge der mangelhaften Leistung des Verkäufers der Vertrag nicht wie vorgesehen abgewickelt werden kann, hat sich die Nacherfüllung an dieser veränderten Situation auszurichten. Die Pflichten des Verkäufers werden damit nicht mehr allein durch den im Vertrag vereinbarten Kaufgegenstand festgelegt, sondern in Ansehung der Pflichtverletzung des Verkäufers modifiziert und ergänzt.
Hinweis
Eine andere Beurteilung wäre auch nicht damit zu vereinbaren, dass das Gesetz lediglich in § 439 Abs. 6 BGB (= § 439 Abs. 5 BGB aF) eine Herausgabe gezogener Nutzungen durch den Käufer bei Lieferung einer mangelfreien Sache anordnet. Eine darüber hinausgehende Beteiligung des Käufers an den Kosten der Nachbesserung ist hingegen nicht vorgesehen. Im Gegenteil bestimmt § 439 Abs. 2 BGB, dass der Verkäufer die zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten zu tragen hat. Die Regelung soll den in Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 der Verbrauchsgüterkauf-RL festgelegten Grundsatz der Unentgeltlichkeit der Nacherfüllung umsetzen, ist aber nicht auf Verbrauchsgüterkäufe beschränkt. Würde man gleichwohl eine Anrechnung „neu für alt“ vornehmen, käme dies im Ergebnis einer Beteiligung des Käufers an den Kosten der Nachbesserung bzw. einer Erhöhung des Kaufpreises gleich.
2. Diese Grundsätze sind auf den Anspruch auf Schadensersatz zu übertragen. Dies gilt auch dann, wenn die Nachbesserung wegen des arglistigen Verschweigens des Mangels nicht angeboten werden muss. Denn durch die Ersatzfähigkeit der Mängelbeseitigungskosten unabhängig von deren Aufwendung wird der Vorrang des Erfüllungsanspruchs schadensrechtlich umgesetzt.
Ob der Käufer dem Verkäufer fruchtlos eine Nachfrist gesetzt hat oder eine solche Nachfristsetzung wegen eines arglistigen Verschweigens des Mangels durch den Verkäufer unzumutbar ist (§ 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB), ist unerheblich. Der Käufer darf bei einem arglistig verschwiegenen Mangel nicht schlechter stehen als bei einer „nur“ mangelhaften Kaufsache.
Hinweis
Kann der Verkäufer die Nacherfüllung verweigern, weil sie mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist, beschränkt sich der Schadensersatzanspruch des Käufers auf den Ersatz des mangelbedingten Minderwerts!
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